Leseschlüssel zu Evangelii Gaudium, Teil 5 [ein überarbeiteter Vortrag vor den Priestern des Erzbistums München und Freising Mitte Mai]
Das Projekt Franziskus funktioniert nur, wenn es in uns selber funktioniert. Wenn man es verlegt, etwa von der Person in die Institution und wartet, bis dies und das geändert wird, dann wird daraus nichts. Oder in den Worten des Papstes: „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln“. Oder: „brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten!“
Zwei Zitate von Papst Franziskus über das, was ich hier ansprechen will: Es geht um diejenigen, die das Projekt der Verkündigung heute in Angriff nehmen. Es geht – um das sperrige Wort zu benutzen – um den Missionar.
Ich könnte Seite nach Seite mit Zitaten anführen: Aus Ansprachen, den Morgenpredigten (vor allem den Morgenpredigten), aus Büchern, Interviews und so weiter. Nur ein einziges Beispiel erlaube ich mir hier, Morgenmesse am vergangenen Donnerstag (8. Mai), also fast noch frisch: „Philippus gehorcht – er folgt dem Ruf des Herrn. Sicher hatte er genug anderes zu tun, die Apostel hatten damals vieles am Hals mit dem Evangelisieren. Aber er lässt alles stehen und liegen und geht. Das zeigt uns, dass man ohne diese Fügsamkeit der Stimme Gottes gegenüber nicht evangelisieren kann. Keiner kann von sich aus Jesus Christus verkünden, höchstens sich selbst. Gott ist es, der ruft! Gott ist es, der Philippus in Bewegung setzt. Und Philippus geht – er ist gehorsam.“
Wahrheit in Begegnung
Es geht also um uns selber. Es geht um den Verkünder, den Prediger, Seelsorger, den Glaubenszeugen, um alle diese, kurz es geht um den Missionar. Den, der den Auftrag – die Mission – Jesu weiter trägt: „Gebt Ihr ihnen zu essen!“, zitiert Franziskus den Herrn.
Ich möchte in diesem Stück einige Elemente destillieren, die mir für das Sprechen über den Missionar – und ich möchte bewusst bei diesem etwas sperrigen Begriff bleiben – in Evangelii Gaudium wichtig erscheinen und Ihnen das als Impuls anbieten. Beginnen möchte ich mit der Wahrheit.
29. August vergangenen Jahres, bei einem Treffen des Papstes mit Jugendlichen: „,Aber Pater, ich habe doch die Wahrheit!‘ [in Predigten baut der Papst gerne fiktive Dialog ein, in denen er sich selber mit „Pater“ ansprechen lässt] Nun, da ist ein Fehler, nicht wahr? Denn die Wahrheit hat man nicht, trägt man nicht mit sich, man begegnet ihr. Es ist Begegnung mit der Wahrheit, die Gott ist, aber man muss sie suchen.“
Ein Aufschrei ging damals durch die Bloggerszene und bei bestimmten italienischen Journalisten: Papst Franziskus definiert den Wahrheitsbegriff um. Es gebe einen Widerspruch zwischen dem Wahrheitsbegriff seiner ersten Enzyklika und diesem Wahrheitsbegriff. Noch einmal der Papst, an anderer Stelle: „Jesus sagt uns im heutigen Evangelium: ‚Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen’ (Joh 16,13). Paulus sagt zu den Athenern nicht: ‚Das ist eine Enzyklopädie der Wahrheit. Lernt das und ihr werdet die Wahrheit besitzen!’. Nein! Die Wahrheit geht in keine Enzyklopädie hinein. Die Wahrheit ist eine Begegnung. Sie ist eine Begegnung mit der höchsten Wahrheit Jesu, der großen Wahrheit. Keiner ist Herr der Wahrheit. Die Wahrheit wird in einer Begegnung empfangen“. Predigt im Gästehaus am Mittwoch der sechsten Osterwoche im vergangenen Jahr.
Man kann jetzt sagen, dass wir nicht an eine Lehre glauben sondern an eine Person, Jesus Christus, und deswegen Begegnung das Zentrum ist und nicht der Buchstabe. Aber Franziskus geht da noch viel weiter und damit sind wir endlich bei unserem Thema und damit sind wir endlich bei dem Text, der uns hier beschäftigen soll: Evangelii Gaudium.
„Heute, da die Netze und die Mittel menschlicher Kommunikation unglaubliche Entwicklungen erreicht haben, spüren wir die Herausforderung, die „Mystik“ zu entdecken und weiterzugeben, die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt. (..) Weiterlesen „Es liegt ganz an uns“