„Eine Versuchung kann sich durchaus auch auf eine Wahrheit gründen“: Es ist ein Satz aus einer Fußnote, leicht zu übersehen, aber er hat es in sich. Zu einem Beitrag neulich hat ein Kommentar diese Fußnote zitiert, und das will ich als Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Danke also an den Kommentator.
Der Satz stammt von Jorge Mario Bergoglio aus dem Buch „Über die Selbstanklage“. Und in der Fußnote geht es darum, dass eine Versuchung daraus entstehen kann, dass eine Wahrheit aus einer falschen Gesinnung heraus gelebt wird.
Das Beispiel, das der heutige Papst wählt, entnimmt er dem Tagebuch des von ihm verehrten und heilig gesprochenen Jesuiten Peter Faber. Der spricht über Kirchenreform – damals im Zeitalter der Reformation ein drängendes Thema – und davon, dass „Unser Herr es wohl nicht liebt, wenn diese oder jene Reform in der Kirche auf Begehren der Irrlehrer vorgenommen wird.“ Subtrahiert man die theologische Sprache jener Zeit, bleibt die Überzeugung, dass auch das Gute – die Reform – nicht vom Schlechten – der Irrlehre – gewollt werden darf, sonst wird auch das Gute schlecht.
Wenn man sich auf die Suche nach Aussagen zum Verhältnis von ‚Gutes Tun’ und der Motivation dahinter macht, findet man alles Mögliche. Das Verhältnis von ‚richtig’ und ‚falsch’ in der Motivation auf der einen Seite und ‚richtig’ und ‚falsch’ im Tun auf der anderen ist komplex.
Für geistliche Lehrer war dieses Verhältnis immer schon ein wichtiges Thema. Dahinter steht die erst einmal schlichte Einsicht, dass nicht aus der Richtigkeit einer Tat die Güte der Motivation geschlossen werden kann.
In der Welt des Politischen nennt man das „doing the right thing for the wrong reason“, man will also etwas erreichen, aber der Grund dafür verdirbt das Ganze dann.
Verwandt damit ist eine geistliche Einsicht, wie wir sie bei Ignatius von Loyola und aus seinem Exerzitienbuch kennen. Dort heißt sie „Versuchung unter dem Anschein des Guten“: Etwas Gutes wird mir vor Augen gestellt, aber dahinter verbirgt sich in Wirklichkeit eine Versuchung. Ein klassischer Fall aus der Geschichte des Ordens ist das Gebet: Die ersten Generationen von Jesuiten vor allem in Spanien wollten mehr beten und feste Gebetszeit, und wer kann schon was gegen das Beten haben? Aber Ignatius hat das als Versuchung erkannt und geantwortet, dass das nicht die Aufgabe sei, erst einmal sei Studieren, dann die Arbeit dran. Gebet muss sein, aber das darf die anderen Weisen, Gott zu dienen, nicht verdrängen.
Doch nur gut gemeint
Umgekehrt wird daraus das Prinzip „ich habe es doch nur gut gemeint“. Man wollte etwas Gutes, hat das aber nicht geschafft sondern das Schlechte oder etwas in der Art. Es gibt also eine Trennung zwischen dem, was ich wirklich tue, und der dahinter liegenden Haltung oder konkreten Motivation. Beides ist getrennt anzusehen, es reicht offensichtlich nicht, nur gut zu wollen oder das richtige zu tun, der jeweils andere Aspekt gehört auch dazu.
Das entscheidende Wort ist dabei das Wort „Versuchung“, das der Papst in der Fußnote ja auch verwendet. Ich muss „unterscheiden“, um ein anderes klassisches Wort aus der Spiritualität zu benutzen, das gerade wieder neu Aktualität erlangt. Also: ich muss mir genau ansehen, was etwas ist und wohin es führt, um bewerten zu können, ob es gut oder schlecht oder zu lassen oder so ist.
Merke: Nur weil jemand Glaubensvollzüge in richtiger Reihenfolge machen oder Glaubenssätze ohne Fehler aufsagen kann, sagt das noch nichts über die Intention. Und nur gut wollen reicht auch nicht, man muss auch die konkrete Umsetzung einschätzen können. Noch nicht einmal das Reklamieren des Wortes „Wahrheit“ ist dagegen ein Schutz.