Es ist eine Verschwörung der Jesuiten! All die Neuerungen, Veränderungen, all das Abrücken von der Lehre der Kirche und die Anpassung an den Zeitgeist. Und die Jesuiten sind Schuld. Es war ruhig geworden um den ehemaligen Vatikandiplomaten Viganò, aber vor der Synode musste er sich noch einmal äußern.
Dahinter liegt die mittlerweile in vielen Variationen vorliegende Behauptung, es solle an der Lehre der Kirche herumgeschraubt werden. 2014 und 2015, bei den beiden Synoden zum Thema Familie, war das auch schon so. Eine kleine Elitäre Gruppe – Jesuiten, deutsche Bischöfe, Befreiungstheologen, suchen Sie sich was aus – sei dabei, die Lehre der Kirche zu untergraben.
Anpassung an den Zeitgeist
Nun kann und sollte man vielleicht auch über derlei Stuss einfach nur den Kopf schütteln. Was ich aber bemerkenswert finde ist die Tatsache, dass wir das mit uns machen lassen. Das Muster des Vorwurfs des Wandels, der Anpassung, der Zerstörung der Kirche wird laut in den Raum gerufen. Und wir lassen den Vorwurf einfach so stehen.
Es gibt ein ganzes Narrativ darum, dass es „progressiv“ genannte Kräfte in der Kirche gibt, welche (zur Familiensynode) die Familie zerstören und die Lehre der Kirche dazu aufgeben wollen. Dieselben wollten jetzt (zur Amazonassynode) häretische Ideen in die Lehre der Kirche aufnehmen.
Man lässt das mit sich machen
Und diejenigen, die an einer Inkulturierung von Kirche und Theologie ins Heute arbeiten, lassen das mit sich machen. Anpassung an den Zeitgeist? Das lässt man auf sich sitzen.
Tief in der kirchlichen Psyche drin scheint sich der Gedanke festgesetzt zu haben, dass es eine Änderung braucht, und dass man selber an einer Veränderung arbeitet. Man nimmt also irgendwie den Vorwurf auf, stimmt ihm sogar im Wesentlichen zu, schließlich kann es so nicht weiter gehen. Auf die Idee, dass das gesamte Narrativ nicht stimmt, kommen wenige.
Aber: es stimmt nicht. Es war immer schon Teil der Kirche, den empfangenen Glauben weiter zu geben. Zu tradieren. Und das geht nur dadurch, dass ich davon erzähle, in immer anderen Umständen, Kulturen, Sprachen. Natürlich gibt es immer eine Spannung zwischen dem übernommenen und Antworten auf neue Fragen, die in neuen Gewändern daher kommen, das spannende Buch von Michael Seewald „Dogma im Wandel“ erzählt die Geschichte dieser Spannung.
Geschichte einer Spannung
Um treu zu sein und in diesem Sinn zu bewahren, der muss auf veränderte Umstände inkulturierend reagieren. Und jegliche theologische Debatte kreist genau darum: was geht und was geht nicht, wo ist treue und was gibt die Bibel und die Tradition her. Und wo muss sich Kultur von Bibel und Lehre der Kirche kritisieren lassen? So geht Tradition und so geht Treue.
Wer hier im Gegenteil etwas an Kirche und Theologie verändert, das sind diejenigen, die laut ausrufen, für die Reinheit der Lehre und die Tradition der Kirche zu stehen. Das sind die wirklichen Neuerer, wenn wir so wollen die wirklichen Abweichler.
Die wirklichen Neuerer
Warum? Weil sie die Grunddynamik unseres Glaubens, die Menschwerdung, nicht einbeziehen. Gott wendet sich den Menschen zu. Wenn wir nicht dasselbe tun, dann verlieren wir den Bezug zum Zentrum unseres Glaubens.
Und ich würde sogar sagen: wenn man das Bewahren des Buchstabens als Haltung der Kirche einfordert, dann wird es destruktiv.
Und noch etwas: dieses Verhalten ist nicht etwa konservativ, es ist innovativ. Denn es gibt seinerseits Antwort auf Fragen, die drängen. Die Frage der Angst vor Veränderung, die Antwort auf Überforderung. Kurz: eine Reduktion von Komplexität und Kontingenz auf ein erträgliches – auch wenn verzerrendes – Maß.
Reduktion auf ein erträgliches Maß
In dem Sinn ist das hochmodern, und muss es ja auch sein, sonst würde sich kaum jemand dafür interessieren. Ich nenne das mal einen „verkehrten Modernismus“.
Das Modell ist eindeutig: der so genannte Anti-Modernismus, in der Lesart der selbsternannten Bewahrer die Verteidigung der Kirche und der Lehre gegen Sozialismus, Anpassung an den Zeitgeist und so weiter. Ein Kampf gegen finstere Mächte also, abgeschaut im Vatikan vor 100 Jahren.
Bewahren heißt pflegen
Deswegen: Diese Kräfte sind nicht konservativ. Wer etwas bewahren will, muss es pflegen, gegenwartsfähig machen.
Kirche war niemals in ihrer Geschichte – und auch dem Auftrag des Herrn nach – fixierend. Sondern immer sich wandelnd. Dem Auftrag Jesu treu bleiben heißt eben, die Botschaft von Menschwerdung Gottes und Erlösung in immer neue Zusammenhänge hinein zu verkünden. Es hieß niemals, eine Sozialform und eine Textform absolut zu setzen.
Das nächste Mal, wenn wieder einmal ein Kollege oder eine Kollegin in journalistischer Hilflosigkeit meint, von „liberal“ und „konservativ“ schreiben zu müssen, wo in wirklich kein „gut“ und „böse“ gemeint sind, bitte innerlich protestieren. So geht das nicht.
In journalistischer Hilflosigkeit
Nur ein Beispiel, eines das den selbsterklärten Bewahrern lieb und teuer ist: Autorität. Die lässt sich heute nicht mehr genauso legitimieren und erklären, wie noch vor 100 oder 50 Jahren. Die Verschiedenheit der Welt hat ihre Sprache gefunden und lässt sich nicht mehr von einer europäischen dominieren. Darauf muss auch die Kirche reagieren, der Papst nennt das Synodalität.
Jeder Versuch, darauf mit Zentralisierung zu reagieren, zerstört. Das ist eben nicht Bewahrung. Im Gegenteil. Der Autoritarismus der selbsterklärten Bewahrer ist eine Innovation, ist die wirkliche Veränderung, weil er die natürliche Bewegung der Kirche und des Glaubens nicht mitmacht. Die Grunddynamik des Glaubens ist Gottes Hinwendung zum Menschen, sichtbar in Jesu Hinwendung zum Nächsten, bis zu Tod und Erlösung in der Auferstehung.
Gottes Hinwendung, Jesu Hinwendung
Diese Hinwendung muss sich ins Kirchliche übersetzen. Das ist Bewahrung dessen, was der Auftrag der Kirche ist. Wer glaubt, alles schon zu wissen und sich auf diese seine Überzeugung zurück zieht, den nennt der Papst „in sich selber eingeschlossen“.
Die Beton-Form dieses Selbst-Einschlusses sind die Regeln und Normen, die einen gegen derlei Überraschungen absichern und im Fall eines Eintritts verteidigen sollen: „Die Norm gibt (…) die Sicherheit, sich überlegen zu fühlen, eine genaue Orientierung zu besitzen. Darin findet er seine Kraft, nicht im sanften Hauch des Geistes,“ sagt der Papst.
Bewahrung – das geht nur im Geist Gottes. Hier passiert die Weitergabe des Glaubensgutes. Wer das mit dem Verweis auf Autorität und Lehre der Kirche zu verhindern sucht, ist eben kein Bewahrer. Und nicht konservativ.
Das nächste Mal also bitte genau hinhören, wenn wieder jemand die Veränderung der Lehre der Kirche beklagt. Denn in der Klage und der dahinter liegenden Forderung nach Einheitlichkeit und Starre liegt die eigentliche Veränderung.