„Das Erste und Wesentliche, was auch die Frömmigkeit von morgen bestimmen muss, ist das persönliche unmittelbare Gottesverhältnis.“ Ein Satz Karl Rahners aus seinem Artikel über die Zukunft des gelebten christlichen Glaubens, den Mystiker. Alle Reform, alle Veränderung, alle Tradition wird bestimmt durch den Blick auf Gott, direkt, unverstellt.
Das ist gar nicht so selbstverständlich, wie es zunächst klingt. Wir reden viel zu sehr über Sekundäres. Über Kirche, über Struktur, über Entscheidungen. Das ist nicht unwichtig, aber eben sekundär. Folgen wir Rahner, dann muss sich alles über die Frage nach Gott und das persönliche Gottesverhältnis bestimmen.
Das unmittelbare Gottesverhältnis
Nehmen wir den synodalen Weg: wie schwer ist es hier, aus den etablierten Debatten und Text-Diskussionen heraus zu kommen! Es soll ein geistlicher Weg sein, wurde und wird immer wieder betont. Aber es bleibt ein Ringen, diese Dimension tatsächlich unterzubringen. Damit will ich niemanden die Absicht oder Spiritualität absprechen, überhaupt nicht. Aber die Dynamiken der Debatte haben eben bei uns eine lange Tradition und damit eine eigene Kraft.
Um so wichtiger ist es, die Mahnung Rahners, der Fromme von morgen werde ein „Mystiker sein, einer der etwas „erfahren“ hat, oder er werde nicht mehr sein, ernst zu nehmen. Der Glaube ist nicht mehr selbstverständlich. Der Glaube ist nichts selbstverständliches, überpersonales mehr, das sich im soziologischen „Milieu“ manifestiert. Für Glauben ist jeder und jede selber verantwortlich.
Ein geistlicher Weg
Rahner verlegt aber in seinen Gedanken das Christliche nicht ausschließlich in eine rein geistig missverstandene Mystik, jeder und jede für sich mit Gott und so. Es geht ihm genauso um das Handeln, die „Welttat“, wie es in seiner manchmal uns eigenartig vorkommenden Sprache lautet. Um ein redliches uns verantwortetes Leben vor Gott und den Nächsten.
Dass diese beiden Dimensionen, das Gottesverhältnis und das Handeln, keineswegs veraltet sind, zeigen auch die Diskussionen um die Kirche und den Glauben heute: „Das Tun des Guten und die Bereitschaft, an geeigneter Stelle auch seine geistlichen Quellgründe offenzulegen, dürfte die wirksamste Antwort auf die Glaubenskrise sein.“
Neue Aszese
Und dann ist da noch die dritte Dimension des „Frommen von morgen“, des gelebten Glaubens: die „Neue Aszese“. Nun ist das ein Wort, dass fast ins Vergessen gerutscht ist. Früher war sie – so Rahner – die „geduldig getane Hinnahme der Kärglichkeit und Mühsal des Lebens“.
Das ist nicht mehr unsere Welt. Und das liegt auch daran, dass die Welt sich geändert hat, das ist kein Vorwurf an die Menschen heute. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der uns alles vorgegeben ist, sondern wir machen unsere Welt. Im Guten wie im Schlechten.
Selbstbeschränkung ist gefragt
Aszese heute bedeutet also eine Selbstbeschränkung mit Blick auf all die Macht der Welt gegenüber. Rahner wusste noch nicht, wie dramatisch die Macht der Menschen – einiger Menschen – die Welt in Sachen Umweltzerstörung prägen würde, aber ich kann an dieser Stelle nicht anders, als zum Beispiel genau daran zu denken.
Hier ist Aszese kein duldendes Hinnehmen mehr, sondern eine bewusste, frei gesetzte und im Glauben verantwortete Haltung der Welt gegenüber. Und zwar eine Beschränkung. Eine „solche neue Aszese gehört zur christlichen Frömmigkeit von morgen“, so Rahner.
Viele Frömmigkeiten
Drei Blicke vom Ende des Konzils her auf das gelebte Christsein der Zukunft, also auch auf uns. Zur Abrundung betont Karl Rahner noch einen weiteren Punkt: „Es wird in der Zukunft viele Stile christlicher Frömmigkeit geben. Das gilt einfach auch deshalb, weil der Mensch, trotz der Massengesellschaft, schon im Weltlichen viel mehr und viel unterschiedlichere Lebensweisen als früher entwickeln kann“.
Auch das etwas, was bei Papst Franziskus und vielen anderen vorkommt, wenn wir von Verschiedenheit in Einheit sprechen. Und wahrscheinlich wird das die größte der Herausforderungen sein: sich nicht gegenseitig die „Frömmigkeit“ – um Rahners Wort zu benutzen – abzusprechen, sondern die Vielgestaltigkeit zu akzeptieren.
Das gelebte Christsein von morgen ist kein einheitliches. Wenn es in der persönlichen und direkten Gottesbegegnung gründet, kann es das auch gar nicht. Und doch gilt, dass das gut so ist. Nur einfach ist es nicht.