– oder: was Berlusconi uns über Sprache verrät –
Sprache denkt und dichtet für dich. Ein Satz, der sich einige Male im Buch LTI von Victor Klemperer findet. LTI – das ist eine ironisierende Benennung der Sprache des Dritten Reiches: Lingua Tertii Imperii. Klemperer hatte als Jude die Nazis überlebt, obwohl er in Deutschland geblieben war. Er beobachtete und schrieb auf und so heißt sein Buch im Untertitel auch ‚Notizbuch eines Philologen‘.
Dieses Buch ist eine Art Notwehr. Klemperer wehrt sich dagegen, dass so viele Begriffe der Sprachdiktatur immer noch präsent waren, sich tief eingefressen hätten und nach dem Krieg weiterlebten. Er wehrt sich gegen die Vergiftung, wie er es nennt. Man kann ein ehrlicher Mensch sein, gegen die Nazis, und doch deren Sprache und damit deren Denken aufsitzen. Aus seinen Tagebuchnotizen während des Krieges macht er also ein Buch, um diese Vergiftungen zu zeigen. Es ist kein wissenschaftliches Buch, es sind Beobachtungen. Seine Quelle ist er selbst: was er gelesen, gehört, diskutiert hatte. Das macht aus LTI ein sehr menschliches Buch.
Sprachkritik als Notwehr
Er demaskiert die lügnerischen Euphemismen in ruhiger Sprache. Seine Beobachtungen klagen nicht an, rechnen nicht ab. Aber hinter der Ruhe liest oder vermutet man vielleicht auch nur etwas anderes: Die Überzeugung, dass man durch kluges Hinsehen den vielen Lügen auf die Schliche kommen könne. Es sind sprachliche Aufräumarbeiten, die er 1947 leisten will, seinen Teil zur Befreiung des Menschen aus der Unmündigkeit.
Das alles ist immer noch gute Lektüre, weil auch wir dem ‚denken und dichten‘ unserer Sprache aufsitzen, nicht mehr der Nazis, aber anderer lügnerischen Euphemismen. Und so wäre das Buch heute eine allgemeine Schule des Sprach- und Sprechbewusstseins und vielleicht nicht viel mehr, wenn, ja wenn da nicht das vergangene Wochenende gewesen wäre. Silvio Berlusconi meinte sagen zu müssen, dass Mussolini ja auch Gutes geleistet habe. Weiterlesen „LTI – eine Relecture“