Es ist immer Gefährlich, mit Begriffen wie „Grundübel“ oder „fundamentale Schwäche“ zu hantieren. Will ich ein Problem analysieren, stehen solche alles überragende Begriffe gerne im Weg herum. Und doch ist in der innerkirchlichen Debatte so ein Begriff allgegenwärtig: Der Klerikalismus unter Priestern.
Das Wort wird dabei eng mit Papst Franziskus in Verbindung gebracht, sein Satz „Wenn ich einen Klerikalen vor mir habe, werde ich sofort zum Antiklerikalen“ wird immer wieder zitiert, auch wenn er aus einem mehr als dubios geführten Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“ stammt. Zuletzt hatte er vor Seminaristen des Bistums Agrigent davon gesprochen, in seiner deutlichen Sprache nannte er den Klerikalismus die „schlimmste Perversion“ des Priesterseins.
„Dann werde ich zum Antiklerikalen“
Aber nicht nur er arbeitet sich immer wieder an dem Begriff ab, auch in anderen Schreiben und Predigten, seit ich mich jung in Jugendarbeit und Pfarrei engagiert habe ist mir das immer wieder begegnet. Nicht zuletzt in der Symboldebatte erst der Priesterkleidung, und dann der Liturgie.
Im Zuge der Debatte um die Missbräuche in der Kirche ist das jetzt noch einmal besonders akut geworden, das sieht auch der Papst so. In seinem Brief an die ganze Kirche nennt er die zersetzende Kraft des Klerikalismus ausdrücklich. Damit greift er den Gedanken auf, den er immer wieder nennt, nämlich den zersetzenden Charakter dieses „-ismus“.
Der Gedanke ist so originell nicht, viele nennen ihn, etwa der Bischof von Münster, Felix Genn; Klerikalismus fördere Missbrauch.
Klerikalismus fördert Missbrauch
Im Zuge der Debatte um die Missbrauchsstudie im September haben wir aber auch viel Kritik an der Kritik des Klerikalismus gelesen, und auch das zu Recht. Wer zu schnell die Schuld dahin schiebe, übersehe individuelle Verantwortung, so die Kritik. Die Klage über Klerikalismus könne so zu einem Abschieben ins Abstrakte, in die Allgemeinheit werden. Und dieser Kritik schließe ich mich an. Das macht das Benennen des Klerikalismus als Ursache nicht falsch, warnt aber vor zu schnellen Schüssen.
Genau das Gegenteil von Abwälzen ist gefordert: Wer auf Klerikalismus hinweist, muss ihn zuerst bei sich selber suchen, es ist also ganz bewusst ein Wahrnehmen von Verantwortung, um die es hier geht. Nicht ein Abwälzen.
War ja gut gemeint
Und was ist das dann, dieser Klerikalismus? Der kann durch aus auch aus gutgemeinten Einstellungen resultieren. Johannes geht zum Herrn und beklagt sich, da sei einer, der nicht zu den Jüngern gehöre und im Namen Jesu Dämonen austreibe, das gehe doch nicht.
Papst Franziskus legte dieses Evangelium (Mk 9) Ende September so aus, dass er auf den Enthusiasmus des Johannes hinwies, das sei also eigentlich was Gutes.
Trotzdem sei das in einer „Haltung des Abschottens“ abgeglitten. Was nicht Teil ihrer Pläne war, wird als Gefahr gedeutet. Jesus dagegen – und hier nennt der Papst das Stichwort – erscheint an dieser Stelle „ganz frei“, offen für die Freiheit des Geistes Gottes, „der in seinem Tun durch nichts begrenzt ist“.
„In gutem Glauben, ja, mit Eifer, möchten wir die Authentizität einer bestimmten, besonders charismatischen Erfahrung schützen, indem wir den Gründer vor falschen Nachahmern bewahren. Aber gleichzeitig gibt es die Angst vor „Konkurrenz“, dass jemand neue Anhänger wegnehmen kann, und dann kann man das Gute, das andere tun, nicht schätzen: nicht gut, weil „nicht von uns ist“. Es ist eine Form der Selbstreferentialität,“ so die Papstpredigt. Und das – wenn es bei Amtsträgern vorkommt – kann man Klerikalismus nennen.
Abschottung unter Priestern
Der Theologe Rainer Bucher nennt zwei Kategorien, die ich hilfreich finde, um das Phänomen zu verstehen. Erstens beginne Klerikalismus da, wo das Interesse sich auf den Priester oder die Priester richtet, auf Struktur und Stand, nicht auf das Volk Gottes, für das Priester ja da sind. Und zweitens gelte für die Einschätzung nicht die Selbstwahrnehmung der Priester, sondern die Fremdwahrnehmung durch die anderen. Klerikalismus ist also etwas, was sich der Priester sagen lassen muss, um ihn zu überwinden.
„Klerikalisten sind Leute, die meinen, ihre besondere Berufung durch Gott sei eine Bevorzugung. Ein Klerikalist fühlt sich durch Gott ausgezeichnet vor allen anderen. Er wähnt sich den übrigen Menschen überlegen. Und deswegen flüchtet er in so eine Sonderwelt und meint, er hätte Anspruch auf Privilegien“: so spricht einer, der es wissen muss, ein Spiritual eines Priesterseminars. Und dieses Zitat finde ich auch deswegen gut, weil es den Ansatz zur Lösung bezeichnet: die Ausbildung.
Papst Franziskus gibt einen guten, wenn auch selten beachteten Hinweis für die eigene Reflexion: „Niemand wurde zum Priester oder zum Bischof getauft. Wir sind zu Laien getauft“, und weiter „Es tut uns gut, uns daran zu erinnern, dass die Kirche keine Elite der Priester, der geweihten Personen, der Bischöfe ist, sondern dass wir alle das heilige, gläubige Gottesvolk bilden.“ Und umgedreht: „Der Klerikalismus vergisst, dass die Sichtbarkeit und die Sakramentalität der Kirche zum ganzen Gottesvolk gehören (vgl. Lumen gentium , 9-14) und nicht zu einigen wenigen Auserwählten und Erleuchteten.“
Die Kirche gehört nicht wenigen Auserwählten
Es ist diese Selbstbezogenheit, dieses Abschotten, das zu den Schutzräumen für das Verbrechen des Missbrauchs beigetragen hat. Deswegen darf und muss das auch immer Eingang in die Missbrauchsdebatte bekommen. Nicht als Abschieben auf ein Abstraktum, sondern als Frage an Strukturen, an Ausbildung und an jeden selber.
„Der Klerikalismus ist die Wurzel vieler Probleme. Der Klerikalismus steckt auch hinter den Fällen von Missbrauch, sowie Unreife und Neurose. Wir müssen bei der Ausbildung sehr vorsichtig sein“, sagte der Papst in einem Interview-Gespräch im August.
„Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen“, formuliert es der Papst es an einer anderen Stelle. Es bleibt ein Thema für die Kirche.