Bei Beiträgen, in dem es in in diesem Blog um Islam und Muslime geht, bin ich regelmäßig erschrocken über die Bereitwilligkeit vieler Kommentatoren, zu kruden, simplen und schwarz-weiß malenden Bildern und Vorstellungen zurück zu greifen. Deswegen an dieser Stelle eine Gegenvorstellung. Ich setze dazu außnahmsweise einen Beitrag aus einer Sendung von Radio Vatikan hier ein, nicht um ihn zu verdoppeln, sondern um Kommentare dazu zu ermöglichen.
Ausdrücklich soll das als Beitrag zur Vielfalt gemeint sein. Wir müssen Debatten führen und nicht gleich schließen. Der Wissenschaftler Mouhanad Khorchide – um den es hier geht – hat eine Perspektive, auch er hat nicht die wirkliche und wahre, aber es ist eine Sichtweise, die ich persönlich nicht missen möchte und auf die wir uns einlassen sollten (sie findet dankenswerterweise nicht nur hier statt). Widerspruch ist gut und erwünscht. Wenn sie Beiträge zur Debatte sein wollen.
Der Soziologe und Religionspädagoge Mouhanad Khorchide ist eine ungewöhnliche Stimme des Islam: Auch in seiner eigenen Religion umstritten spricht er von Barmherzigkeit und Gemeinsamkeiten mit dem Christentum. Im Augenblick sehen wir eher die Bilder von Christenverfolgung und –vertreibung, da ist seine Sicht auf den Islam ungewöhnlich. Ein Gespräch mit dem Professor aus Münster über „seinen“ Islam.
„Islam ist Barmherzigkeit“: So heißt das neueste Buch des muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide. Doch der Professor aus Münster, der unter anderem künftige Imame ausbildet, wird aus den großen deutschen Islam-Verbänden nachgerade unbarmherzig kritisiert: Zu liberal sei er, zu sehr einem nicht-wörtlichen Verständnis des Korans zugeneigt. Khorchide, der in Beirut aufwuchs und lange in Österreich gelebt hat, lehrt seit 2010 Islamische Religionspädagogik am ‚Centrum für Religiöse Studien’ der Uni Münster. Er weist auf den Reichtum islamischer Tradition hin.
„Wir haben 1.400-jährige Ideengeschichte, da gibt es sehr viele Schulen, Traditionen, Positionen, unterschiedliche Argumente und Gegenargumente. Was nicht heißt, dass das eine besser oder schlechter ist, sondern nur, dass manche bestimmte Schulen, andere eben andere Schulen vertreten oder andere Positionen haben. Deshalb ist die Vielfalt im Islam – wie es der Prophet Mohammed und später auch die Gelehrten bestätigt haben – eigentlich ein Segen! „Eine Barmherzigkeit“ hat der Prophet Mohammed dazu gesagt. Es gibt keinen Anlass für Streitereien, jedenfalls nicht im Idealfall.“
Doch natürlich ist dieser Ideal- eher der Ausnahmefall. Das weiß auch Khorchide. Er wagt etwas, wovor viele muslimische Forscher warnen: den Koran nämlich durch die historisch-kritische Brille zu lesen, wie sich das bei der christlichen Bibel längst eingebürgert hat. Auch bei diesem Zugriff würden die wesentlichen Botschaften Mohammeds erhalten bleiben, glaubt Khorchide.
Für eine „Theologie der Barmherzigkeit“
„Ich versuche hier Aspekte der Barmherzigkeit im Islam herauszuarbeiten, als Kern der islamischen Botschaft, als Wesensattribut Gottes, als Motiv aller Motive in Gott, das aus seiner Barmherzigkeit agiert. Und daraus entwerfe ich eine Theologie, die ich „Theologie der Barmherzigkeit“ bezeichne. Im Sinne: Was sind die Konsequenzen daraus, wenn wir konsequent weiter denken, dass Gott in seinem Wesen die Barmherzigkeit ist? Was heißt denn das für alle anderen theologischen Fragestellungen?“ Weiterlesen „1.400 Jahre Ideengeschichte des Islam“