Es ist ein Wort, das wir alle schon einmal gehört haben: Die Klagemauer. Sofort steigen Bilder in uns auf von Jerusalem und Männern in betenden Bewegungen des sich vor und zurück Biegens. Eine Steinmauer dahinter, von der wir wissen, dass das alles ist, was vom alten Tempel – dem Tempel des Herodes – übrig geblieben ist. Wir nennen das die Klagemauer, aber bei einem gläubigen Juden, einem Juden hier in Israel vor allem, ruft das Kopfschütteln hervor.
„Klagemauer“? Wieso „Klage“-Mauer?
Hier heißt die Mauer schlicht „Mauer“, Kotel, oder „Westmauer“, wieso auch nicht, denn hier wird ja gar nicht geklagt, sondern gedankt und gebetet. Es ist der Ort, an den ewigen Bund Gottes mit seinem Volk zu denken. Fragt man nach der Art des Gebetes, dann wird die gesamte Breite menschlichen Betens finden, ein Schwergewicht auf der Klage aber nicht.
Und doch hat die deutsche – und nicht nur die deutsche – Sprache das Gebet hier auf das Klagen festgelegt, eine Rolle, aus der wir durch die Sprache die hier Betenden nicht heraus lassen. Sprache ist mächtig, Sprache hat Bedeutung und schafft uns Welten, in denen wir uns symbolisch bewegen.
Ein anderes Beispiel: Die Grabeskirche, ebenfalls hier in Jerusalem. Jeder Tourist und jeder Pilger wird wissen, welches Gebäude oder besser welcher Gebäudekomplex damit gemeint ist. Unsere orthodoxen Schwestern und Brüder nennen diese Kirche aber nicht Grabeskirche, sondern die Auferstehungskirche, die Anastasis. Theologisch ist das viel schlüssiger, ist das Zentrum des christlichen Glaubens doch nicht der Tod, sondern die Auferstehung Jesu. So entsteht beim Wort „Grabeskirche“ das Bild von etwas Vergangenem, von etwas Totem, von etwas, was vorbei ist.
Sprache hat Bedeutung, sie gestaltet unsere Welt. Nun kann man den Sprachgebrauch ja nicht vorschreiben, der entwickelt sich in einer Kultur heraus und ändert sich immer nur allmählich. Aber: Mindestens für mich ergibt sich bei dieser Reise eine Änderung meiner eigenen Sprache. Ich will das Beten unserer jüdischen Schwestern und Brüder so ernst nehmen, wie es ist. Und ich will in der Kirche Tod und Auferstehung, nicht nur den Tod, vor Augen haben.
Zeit, ein wenig die Sprache zu ändern.