Kirche ist keine NGO, niemand betont das häufiger als Papst Franziskus. Aber gleichzeitig gilt auch, dass Kirche sich einmischen muss. Und dass es Berührungspunkte zwischen Papst und Politik gibt. Geben muss.
Es war eine lange, lange Ansprache an diesem Montag, die Papst Franziskus wie jedes Jahr vor den versammelten Botschafterinnen und Botschaftern hielt. Und wie immer gab es Grundsätzliches. Es war nicht das erste Mal, immer wieder nimmt der Papst zu gesellschaftlichen und damit politishen Themen Stellung. Wenn es um Armut, um Jugendarbeitslosigkeit, um Schöpfung bzw. Umwelt, um Flüchtlinge und so weiter geht, kann Kirche nicht still bleiben, will sie dem Glauben treu sein. Papst Franziskus ist auch nicht der erste Papst, ich erinnere nur an die Bundestagsrede von Papst Benedikt XVI.
Mit oder gegen
An diesem Montag war es also wieder soweit. Und nachdem der das Abkommen mit China, die wachsenden Beziehungen zu Vietnam und andere Entwicklungen gewürdigt hatte, kam er zu seinem Zentralanliegen, das er abschließend ausbuchstabierte. Im Zentrum stand die Frage nach internationaler Zusammenarbeit.
Ansatzpunkt war für ihn der Völkerbund, der im nun angebrochenen Jahr 100 Jahre alt wird. Alt würde, gäbe es ihn noch. „Warum einer Organisation gedenken, die heute nicht mehr existiert? Weil sie den Anfang der modernen multilateralen Diplomatie darstellt, mittels der die Staaten versuchen, die gegenseitigen Beziehungen der Logik der Vorherrschaft entziehen, die zum Krieg führt.“
Papst und Politik und Völkerbund
Das Experiment ist schief gegangen, statt der Abschaffung dieser Kriegs-Logik kam ein zweiter grausamer Krieg, der Zweite Weltkrieg. Aber die Vereinten Nationen, die danach die Stelle des Völkerbundes einnahmen, ziehen diese Linie weiter, „ein Weg gewiss besät mit Schwierigkeiten und Gegensätzlichkeiten; nicht immer wirksam, da auch heute die Konflikte leider fortbestehen; aber doch immer eine unbestreitbare Gelegenheit für die Nationen, einander zu begegnen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.“
Ist das naiv? Sind die UN nicht vielmehr ein Forum der Partei- und Nationalpolitik? Wo je nach Eigeninteresse blockiert wird? Und ist es nicht auch so, dass der Vatikan selber nicht bei allem mitmacht? Mitmachen kann? Stimmt schon. Aber wenn wir es nicht Naivität nennen, sondern guten Willen, dann wird was draus.
Multilateral
„Unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg der multilateralen Diplomatie sind der gute Wille sowie Treu und Glauben der Gesprächspartner, die Bereitschaft zu einer ehrlichen und aufrichtigen Auseinandersetzung und der Wille, die unvermeidlichen Kompromisse anzunehmen, die sich aus dem Vergleich der Parteien ergeben.“ Schön wär’s, ist man versucht zu sagen. Der Papst fügte in seiner Rede auch an, dass beim Fehlen auch nur eines dieser Elemente die Unterdrückung des Schwächeren durch den Stärkeren folgt. Genau das sei beim Völkerbund passiert, un dieselbe Haltung gefährde auch heute die Leitung der wichtigsten internationalen Organisationen. Papst Franziskus ist also hoffnungsvoll, aber nicht blauäugig.
„Ich halte es daher für wichtig, dass auch in der gegenwärtigen Zeit der Wille zu einer sachlichen und konstruktiven Auseinandersetzung unter den Staaten nicht schwinde, auch wenn es offenkundig ist, dass die Beziehungen innerhalb der internationalen Gemeinschaft und das multilaterale System in seiner Gesamtheit durch das erneute Aufkommen nationalistischer Tendenzen schwierige Augenblicke erleben“: Der nächste Schritt seiner Überlegungen, die Identifizierung des Problems. Es heißt ‚nationalistische Tendenzen‘ und ist in etwa das Equivalent zu dem, was im geistlichen Raum um-sich-selbst-Kreisen ist.
Wider nationalistische Tendenzen
Diese Tendenzen wachsen auch auf der Unfähigkeit der internationalen Organisationen, wirkliche Lösungen zu schaffen, oft genug sehen wird das überall auf der Welt. Durch die Organisationen setzen sich doch nur wieder die Starken durch. Aber auch das hat seine Gründe, er zählt eine ganze Liste auf. Um dann wieder seinen Ausgangspunkt, den Völkerbundm aufzugreifen:
„Einige dieser Haltungen weisen zurück auf die Zwischenkriegszeit, als die populistischen und nationalistischen Tendenzen sich gegenüber der Tätigkeit des Völkerbundes durchsetzten. Das erneute Auftreten solcher Strömungen heute schwächt allmählich das multilaterale System und führt zu einem allgemeinen Vertrauensmangel, zu einer Glaubwürdigkeitskrise der internationalen Politik und einer fortschreitenden Marginalisierung der schwächsten Mitglieder der Völkerfamilie.“
Aber wie denn? Appelle reichen nicht aus, von denen haben wir schon genug und vielleicht zu viel gehört, allgemein werden sie Sonntagsreden genannt. Diese Papstrede war keine, und zwar einfach weil er schon oft mögliche Lösungswege aufgezeigt hat. Einen davon griff er an diesem Montag wieder auf: „Man muss daher die globale Dimension berücksichtigen, ohne die lokalen Gegebenheiten aus dem Blick zu verlieren.“ Nicht nur das Blicken auf Wahlsiege, aber auch nicht allein die Rettung der Welt allein schaffen es.
Trump und die offene Tür
Ein zweiter Punkt gerade wenn es um die spalterischen Formen von Politik geht ist die Papstformulierung, dass immer eine Tür offen bleibt. Gefallen ist sie zum Beispiel als der Papst nach seinem Umgang mit Donald Trump gefragt wurde. Selbstgerecht Urteile fällen ist das eine, nicht aufgeben und hartnäckig diese eine noch offene Tür suchen das andere. Noch einmal, das ist hoffnungsvoll und nicht blauäugig. Das wäre ein zweiter Weg, oder besser eine Haltung: Hartnäckigkeit, immer weiter suchen, immer weiter fragen und nicht aufgeben.
Ein drittes Element – nicht notwendigerweise ein letztes, es gibt noch andere – ist die Frage der Perspektive. Der Kern des Politischen ist in der Formulierung „Their problems are our problems” enthalten. So hatte Papst Franziskus dem US-Kongress mitgegeben. Wer sich nicht mit den eigenen Problemen zufrieden gibt, sondern Verantwortung für andere übernimmt, macht sich ihre Probleme zu eigen. Und er bekommt auch Probleme, die er sich gar nicht ausgesucht hat. Klimafragen, Hunger, Zugang zu Wasser, etc.
Also, retten wir die Welt. Machen wir sie wenigstens ein wenig besser. Das ist christlich. Und es ist eminent politisch.