Für meine europäischen Augen sieht es idyllisch aus, romantisch fast, auch ein wenig exotisch: mit dem Boot rauschen wir über einen der Nebenflüsse des Amazonas, die Regenzeit hat fast alles mit Wasser bedeckt, und dann ragen da immer wieder einzelne Bäume aus dem Wasser. Und wer wochenland immer wieder „Regenwald Amazonien“ hört und von Wald und Baum reden hört, wer mit Indigenen spricht die den Baum als Schöpfung sehen und mit Waldbauern, die ihn als Kapital betrachen, der kommt ins Grübeln.
Sind wir noch unterwegs auf dem Fluss? Oder ist es schon überschwemmtes Land? Während der Regenszeit ist das nicht einfach zu unterscheiden, und vielleicht auch nicht wichtig, ob etwas Land ist oder nicht ist eine Frage der Jahreszeit. Und damit ist die Untescheidung auch nur für uns, für die Besucher wichtig. Dem Baum jedenfalls ist es gleich, er hat sich angepasst.
„Regenwald Amazonien“
Bäume habe ich viele gesehen. Einzeln wie diesen sehen sie romantisch aus. Als Wald spannend und irgendwie fremd. Nun bin ich kein „treehugger“, wie man auf Englisch sagt, ich neige nicht zu Romantisierungen. Aber Eindruck hinterlassen diese Bäume schon.
Die Indigenen sagen mir, Bäume seien Teil ihrer Welt. Nicht Objekte, Subjekte. Von Seiten der Kirche höre ich immer wieder das Wort „Schöpfung“, das alles ist geschaffen, und zur Sorge überlassen, aber eben genau zur Sorge. Unsere Sorglosigkeit im Umgang mit dem Baum droht, die gesamte Schöpfung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das ist noch einmal eine andere Sicht, aber sie begegnet der indigenen Sicht, die beiden sind vereinbar.
Sorge und Sorglosigkeit
Gänzlich unvereinbar sind dagegen Sichtweisen, welche den Baum als Material sehen. Als Kapital. Oder als Hindernis für Entwicklung. Das werfen viele den neuen Kirchen vor, den pentekostalen. Baum wird angebaut, geerntet, benutzt und bewirtschaftet. Mehr nicht.
Das Resultat sehen wir auch. Baum, der kein Baum mehr ist, der Hindernis war für das, was jetzt Weide wurde. Kilometerlang fahren wir auf rostroten Lehmstraßen an Land vorbei, das einmal Wald war, das jetzt aber Weide ist. Den Übergang markieren verkohlte Baumstümpfe, der Wald wurde abgebrannt um Raum zu schaffen für das Vieh, für uns und unsere Nahrung. Und er kommt auch nie wieder, der Boden ist nach der Abholzung unwiederbringlich weg, das wächst nur noch Gras.
Oder es wächst der Baum in seiner Plantagen-Variante, der Eukalyptus. Schnell wachsend, monoton, und egoistisch: dieser Baum duldet keine anderen Pflanzen um sich herum. Der perfekte Baum zum Anbau. Die Monotonie dieses Baumes ist in der Reflexion um so bedrückender, als da ja mal der Reichtum der Verschiedenheit war.
Subjekt, Schöpfung, Kapital
Die Fragen drängen sich auf, wenn man durch den Regenwald fährt. Oder durch das, was mal Regendwald war. Hier hat die menschliche Kultur brutal zugeschlagen. Das alles ist keine Natur mehr, das ist Kultur. Menschengemacht.
Der Baum ist in meinen kleinen Geschichten von Begegnungen in Amazonien dabei, eben weil er eine Rolle spielt. Wie gesagt, ich will nicht romantisieren, aber am Baum kann man am ehesten ablesen, was wir Menschen machen und entscheiden. Schöpfung wehrt sich nicht, Schöpfung fügt sich, wenn man die richtigen Instrumente hat. Und die haben wir ja, das haben wir zur Genüge bewiesen.
Der Baum ist Teil des Lebens-Netzes Amazoniens, gleich in welcher Weise, als Subjekt, als Schöpfung, als Kapital. Und wenn es ihn nicht mehr gibt, dann ändert sich alles, der Klimawandel zeigt sich ja bereits auch bei uns. Der Baum ist deswegen auch ein Anzeiger, wie wir mit dem Umgehen, was uns anvertraut ist.
Ein Indikator unserer Sorglosigkeit, oder eben unserer Sorge. Und darüber hinaus: Schön ist er auch, so ein Baum.