Mit seiner Kapitalismuskritik hat Papst Franziskus Wellen geschlagen. Während die ersten Schlagzeilen vor allem „Reform des Papsttums“ in die Aufmerksamkeit gehoben haben, sind es mittlerweile in den analytischen Stücken in den Medien die sozialen und wirtschaftlichen Themen von Evangelii Gaudium, die das Interesse und die Widerspruch wecken.
Der Vorwurf: Eine so radikal gegen den Markt gerichtete Utopie von Brüderlichkeit richtet sich gegen Kreativität und Unternehmertum, die erst die Linderung von Armut ermöglichen. Oder: Die Kirche habe immer ein gebrochenes Verhältnis zum Privateigentum gehabt, die päpstlichen Schreiben seit über 100 Jahren würden das belegen. Analyse: Papst Franziskus sei von einer „spätmarxistischen“ Theologie der Befreiung geprägt, die Nuancierungen in diesem Bereich nicht zuließe. Die Kirche als Anwalt der Armen in Lateinamerika spräche nun die Sprache der Weltkirche, eine kulturelle Prägung durch den Kontinent wird angenommen und verabsolutiert. Das Resultat: Franziskus wolle keine Entwicklung, sondern Almosen.
Der Markt hilft den Armen!?
Der Vorwurf: Märkte können, wenn sie funktionieren und man keine Sozialideologien einfüge, Armut lindern. Und die Zahlen belegen das ja auch. Ich habe hier vor einigen Tagen einen schwedischen Professor gepostet, der in seinen Statistiken genau das zeigt: Abnahme von Armut lässt sich zeigen und hat mit Wirtschaft zu tun. Also scheint der Vorwurf an den Papst zunächst einmal zu stimmen.
Und aufs erste würde ich sogar zustimmen: Wenn man Wirtschaft und Entwicklung analysiert, dann muss man genau auf die Zahlen schauen, eine ideologisierte Einstellung bringt gar nichts, auch den Armen nicht (nebenbei: der Papst spricht sich immer mal wieder auch gegen die Ideologisierung der Armut aus).
Dann aber muss auch gesagt werden, dass der Papst – und die Päpste vor ihm seit Leo – keine Wirtschaftsanalysen vorlegen. Sie benennen, was sie sehen. Und bei Papst Franziskus ist das noch einmal verstärkt: Die Option für die Armen hat nichts mit Spendenaufkommen oder Almosen zu tun, es hat etwas mit dem Blick auf die Welt zu tun. Es geht um Epistemologie, um die Perspektive, die wir einnehmen, um die Welt zu erkennen. Und die Perspektive – da ist der Papst ohne jede Zurückhaltung – muss die Perspektive derer sein, die nicht beteiligt sind am Wohlstand. Weiterlesen „Option für den Markt? Option für die Armen!“