In einem Buch über Georg Friedrich Händel bin ich vor einigen Tagen einer witzigen Datumsangabe begegnet: „A Londres, se 29./18. De juillet 1735″. Händel hatte einen Brief geschrieben, aus London nach Deutschland, und deswegen ein Doppeldatum angeben müssen. Denn der Kontinent rechnete damals schon mit dem Gregorianischen Kalender, das anglikanische England wollte sich solch papistischen Verschwörungen aber nicht unterwerfen und blieb deswegen beim julianischen Kalender. Während also in England der 18. Juli war, war es auf dem Kontinent der 29. Juli.
Kalender
Kurios ist deswegen auch das Sterbedatum der heiligen Teresa von Avila: sie starb in der Nacht vom 4. auf den 15. Oktober 1582, also genau dann, als zur Angleichung an die neue Kalenderrechnung auf dem Kontinent, nicht aber etwa in England, zehn Tage ausgelassen wurden. Das erklärt die zehn Tage Unterschied in Händels Brief.
Dabei geht es aber nicht nur um reine Mathematik oder Kalenderdruckerei. Heute mag das sehr pragmatisch klingen, wenn wir einen Tag im Februar einfügen oder wenn wir einfach Uhren vor und zurück stellen. Aber das war nicht immer so. Kalender sind mehr als nur Zeit-Ordner. Sie ordnen das Leben. Und damit sind sie wichtig.
Mehr als nur reine Pragmatik
Der Schalt-Tag, den wir in diesem Jahr wieder haben, stammt zum Beispiel aus der Neuordnung der Zeit unter Papst Gregor XIII., kurz Gregorianischer Kalender genannt. Die klugen Jesuitenpatres aus dem Collegio Romano – kurz darauf nach demselben Papst „Gregoriana“ genannt – haben gerechnet und geplant und einen neuen Kalender entwickelt. Zum Frust der nicht-katholischen Herrscher im Osten und im Norden, sie haben sich dieser Reform erst einmal verweigert, die orthodoxen Länder haben sogar noch länger mit der Umstellung gewartet als die anglikanischen. Auch hier zeigt sich: das ist nicht reine Pragmatik. Das hat mit Weltdeutung und damit Macht und Einfluss zu tun.
Wunderbar nachlesen kann man den Streit und auch die religiöse Dimension bei William Shakespeare, wo sonst. In Julius Caesar geht es immer wieder um Zeit und Messung und die Frage, was für ein Tag heute eigentlich ist. Der Streit um den Kalender tobte gerade unter Königin Elisabeth und Shakespeare wickelt die Diskussionen für sein Publikum witzig verpackt in sein Stück ein.
Julius Caesar hatte ja selber einen neuen Kalender eingeführt – den „julianischen” – und da lag das Thema nahe. Brutus, Caesar’s Mörder, fragt im Stück „Is not tomorrow, boy, the first of March?” (II,i,40), obwohl es doch die Iden sind, die anstehen. Da fehlen zehn Tage. Die Zuhörer im Globe Theater werden gelächelt haben.
Das Ganze spielt heute keine Rolle mehr? Pustekuchen! Natürlich ist das auch heute noch wichtig. Nehmen wir einfach nur mal den Streit unter Christen, wann eigentlich Ostern zu feiern ist. Nach dem julianischen Kalender – so halten es die orthodoxen Christen – oder nach dem gregorianischen. Zu besichtigen jedes Jahr im Heiligen Land. Stellen wir uns vor, alle Christen würden sich auf den orthodoxen Termin einigen, die säkulare Gesellschaft würde im Dreieck springen, wenn die Christen auf einmal bestimmen könnten, wann Oster-Schulferien zu nehmen sind.
Ostertermin und Sabbat
Nehmen wir die Frage nach dem Buß- und Bettag. Nehmen wir die Frage nach den zweiten Feiertagen zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die es so nur in der deutschen Kultur gibt. Nehmen wir den Advent als geprägte Zeit, der selbstverständlich via “Weihnachtsmarkt” und dann “Wintermarkt” einen Teil des Jahres prägen soll, aber bitte ohne Inhalt, vor allem ohne christlichen Inhalt. Hier übernimmt der Konsum die Dominanz des Kalenders.
Fast schon völlig vergessen ist die Frage, wann eigentlich die Woche beginnt. Was ist der erste Tag? Wir feiern den ersten Tag der Woche als den Tag, als Christus von den Toten erstanden ist, heißt es im Hochgebet der Messe. Also den Sonntag. Aber der gehört zum Wochen-„Ende”, also zum Schluss, nicht zum Anfang. Was denn nun?
Auf meinem Rechner beginnt die Woche wirklich am Sonntag, man kann das der Software ja vorgeben. Und ich muss gestehen, es bleibt verwirrend, so tief hat sich das „Wochenende” schon eingeschliffen. Dabei geht der wichtigste Gehalt des Tages verloren: wir beginnen unsere Zeit mit der Auferstehung, sie kommt nicht am Schluss. Auferstehung ist neue Schöpfung, deswegen findet sie am ersten Tag der Woche statt, am Schöpfungstag Eins, nicht am Sabbat, dem Schöpfungstag an dem Gott ruhte.
Und nur ein kleiner Hinweis auf eine ganz andere Ordnung der Zeit, die aber ebenso wirkmächtig zu sein scheint: die Astrologie. Sternzeichen und Aszendent und so weiter sind für einige Leute nicht unwichtig. Angeblich bestimmen sie Charakter bei der Geburt oder andere Dinge. Aber das nur als Nebenbemerkung.
Sonntag oder Sabbat?
Wobei wir beim Schlussakkord wären. Denn es gibt ja sogar ein Gebot dazu. Lesen wir im Buch Deuteronomium: „Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat.“ Im Buch Exodus, der zweiten Quelle für die Zehn Gebote, ist es etwas kürzer, aber in der Substanz dasselbe.
Das machen wir aber nicht mehr. Wir halten den Sonntag, und das ist nicht der Sabbat. Verwirrend, oder? Aus theologischen Gründen feiern wir nicht den Sabbat, sondern den Sonntag, nicht den letzten Tag, sondern den ersten, trotz des Gebotes. Die Auferstehung des Herrn und damit die neue Schöpfung bestimmt unseren Kalender. Oder zumindest sollte sie das tun, das Wochenende hat aber dafür gesorgt, dass beide zusammen kleben und eigentlich nicht mehr zu trennen sind. Der erste und der letzte Tage der Woche verschmelzen, Inhalte außer „nicht arbeiten müssen aber trotzdem shoppen wollen” haben sie nicht mehr.
Die Ordnung unserer Zeit lassen wir uns heute von anderen Mächten vorgeben als früher. Es ist nicht so, dass wir freier geworden wären, nur weil die Kirche oder der Staat die Hoheit über unsere Kalender und damit die Ordnung der Zeit verloren hätten. Noch vor wenigen Jahren war es der „Wirtschaftsstandort Deutschland”, der uns Feiertage weggenommen hat. Jedes Jahr ist es der Konsum, der die Weihnachtszeit in Weihnachtsmarkt, Fest am 24. und Umtauschzeit mit Ferienstress danach einteilt.
Wir wollen es ja so. Wir machen es mit. Und für mich ist der erste Tag der Woche der Sonntag. Ganz aufgegeben habe ich noch nicht.