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Schlagwort: Papst Franziskus

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Veröffentlicht am 1. Dezember 20201. Dezember 2020
Der Welt geht es nicht gut Ein Buch, frisch aus Rom

Rassismus und Ausgrenzung. Die Missbrauchskrise. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik. Eine zerstörerische Form der Wirtschaft. Und natürlich allem voran die weltweite Corona-Krise: Der Welt geht es gerade nicht besonders gut. Papst Franziskus äußert immer wieder dazu, nun aber ausführlich und konkret an der Corona-Krise aufgehängt. Und er tut es  ausdrücklich aus einer geistlichen Perspektive. (Nebenbemerkung: die muss man nach den medialen Verarbeitungen der Vergangenheit allerdings erst gegen Widerstände entdecken. Aber das lohnt sich).

Es ist ein ganzes Buch geworden, entstanden aus Gesprächen und Austausch mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh. Die erste Version des Buches, die Originalsprache Englisch, ist seit heute auf dem Markt. Eine deutsche Übersetzung folgt am 4. Dezember. Und dann schreibe ich hier auch mehr zum Inhalt. Aber etwas schon mal vorweg:

Der Welt geht es nicht gut

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Dieses Papst-Zitat steht über dem nun veröffentlichten Buch, und es gibt sehr gut die Zielrichtung wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst sich dazu äußert, nun tut er es aber ausführlich und darüber hinaus leidenschaftlich und sehr persönlich.

Zur Transparenz ein persönliche Bemerkung: In den vergangenen Monaten konnte ich nicht nur das Buch schon lesen, sondern ich war auch an seiner Übersetzung beteiligt. Spannend, auch weil der Papst selbst bis zuletzt sehr aktiv bei der Erstellung beteiligt war.

Ein sehr persönliches Buch

Und auch wenn es ein Papstbuch ist, der Helfer beim Zustandekommen war der Papstbiograph Austen Ivereigh. Und dem habe ich zum Erscheinen einige Fragen gestellt:

Hagenkord: Austen, du hast das Projekt begonnen und ausführlich mit dem Papst an diesem Thema gearbeitet, was sagt Franziskus, das andere noch nicht gesagt haben?

Austen Ivereigh: Dies ist das erste Buch eines Papstes als Antwort auf eine globale Krise, ein Buch, das uns geistliche Orientierung inmitten einer Krise bietet. Natürlich hat er das schon seit dem berühmten Urbi et Orbi vom 27. März dieses Jahres an getan, aber hier tut er dies in einer konzentrierten, intimen, direkten Weise. Er spricht sozusagen zu jedem von uns als Individuen und zu uns allen als Gemeinschaft.

Das große Thema des Buches ist, wie wir vermeiden können, die Chance dieser Krise zu verpassen, indem wir Gott in die Geschichte – in unsere Geschichte – hineinlassen und den Versuchungen und Hindernissen ausweichen, die dazu führen, dass wir diese Chance verpassen. Es ist so etwas wie eine ausführliche Meditation zum Hölderlin-Zitat aus dem Prolog des Buches: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“.

Ich glaube nicht, dass dies jemals zuvor getan wurde. Und obwohl das der Schwerpunkt ist, erstreckt sich das Buch weit über viele Themen, die er als Papst noch nie zuvor, zumindest nicht auf diese Weise, angesprochen hat. Von diesen Themen möchte ich sein Verständnis von Leitung durch Frauen als Zeichen der Zeit erwähnen; außerdem seine Meditation über die „abgeschottete Geisteshaltung“ als eine Form der Abwendung von der Sendung der Kirche – die Versuchung von Eliten und kleinen Gruppen von Puristen, sei es auf der linken oder rechten Seite der Kirche; ich möchte nennen seine Sichtweise auf die Unterscheidungsprozesse während der Bischofssynoden seines Pontifikats; und schließlich die These in Teil III des Buches, dass unsere vielfältigen Krisen ihren Ursprung im Verlust des Sinns für die Würde des Volkes haben und wie wir die Wiederherstellung dieser Würde zum zentralen, übergeordneten Prinzip unserer post-Covidischen Welt machen müssen. All dies ist neu. 

Hagenkord: Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst über unseren Weg aus der Krise spricht, es gibt sogar ein kleines Buch mit seinen Texten. Was macht diesen neuen Text besonders?

Ivereigh: Was ‚Let Us Dream‘ als Text einzigartig macht, ist, dass er die Frucht der vielen Gespräche ist, die Franziskus und ich im Laufe des Sommers geführt haben, aber dass er nicht als Interview, sondern als Narrativ geschrieben ist. Es ist in drei Teile gegliedert: „Eine Zeit zum Sehen”, „Eine Zeit zum Wählen” und „Eine Zeit zum Handeln“.

Jeder Abschnitt fühlt sich sehr unterschiedlich an, aber jeder ist ein wichtiger Teil eines Prozesses der Umkehr: Lernen, die Wirklichkeit zu betrachten und von dem, was wir sehen, berührt zu werden; lernen, zu unterscheiden, was von Gott ist und was Gott ablenkt oder untergräbt; und mutig im Einvernehmen mit dem Guten Geist handeln, um eine neue Zukunft herbeizuführen: eine Wirtschaft, die sich um die Armen kümmert, Zugang zu Arbeit ermöglicht und der Natur Raum gibt; eine Politik, die den Menschen nicht nur eine Stimme, sondern einen Platz am Tisch gibt; und eine Gesellschaft, die die Geschwisterlichikeit widerspiegelt, anstatt sie zu untergraben.

Auch wenn ich die Fragen gestellt und die ersten Entwürfe gemacht habe, habe ich eigentlich nur das Gerüst bereitgestellt, an dem er seine Einsichten und Anleitungen aufhängen konnte. Auch die Tatsache, dass es sowohl in Englisch als auch in Spanisch verfasst wurde – wir haben zwei Originaltexte erstellt, von denen die anderen Übersetzungen, einschließlich der deutschen, angefertigt wurden – war ein weiteres Novum in der Geschichte solcher Bücher. Es gab bereits erste Reaktionen dazu, wie natürlich Franziskus auf Englisch klingt. Ich scherzte mit ihm, dass er in ‚Let Us Dream‘ der am natürlichsten englisch klingende Nachfolger des heiligen Petrus seit Adrian IV. im zwölften Jahrhundert ist, der einzige englische Papst überhaupt! Das gefiel ihm, glaube ich. 

Hagenkord: Glaubst du, dass Franziskus eine Chance hat, mit diesen Themen gehört zu werden?

Ivereigh: Er wird bereits gehört. Teile des Buches wurden zusammen für einen großen „Op Ed” in der New York Times letzte Woche verwendet, der einen großen Eindruck hinterließ. Es wurde in La Repubblica in Italien, ABC in Spanien und The Times hier im Vereinigten Königreich auszugsweise veröffentlicht. Und es hat wegen seiner akuten Beobachtungen über die Krise, über Frauen, über die Verfolgung der Uiguren (die eine verärgerte Reaktion der chinesischen Regierung auslöste) eine weltweite Berichterstattung ausgelöst – also ja, er wird gehört.

Und all das, bevor das Buch tatsächlich herauskommt und gelesen wird. Meine Hoffnung für ‚Let Us Dream‘ ist, dass sich die Menschen jenseits der Schlagzeilen und der aufmerksamkeitsstarken Dinge darin, die verblassen werden, mit der spirituellen Weisheit und Leitung im Herzen des Buchs beschäftigen. 

Hagenkord: Der Papst will unsere Meinung oder unsere Denkweise ändern. War er bei seinem ersten Leser, also bei dir, erfolgreich?

Ivereigh: Auf Englisch sprechen wir von „preaching to the choir”, und in meinem Fall gebe ich gerne zu, dass ich nicht nur sein Biograf, sondern auch ein Schüler bin. Mein Denken und meine Denkweise haben sich durch Franziskus in den letzten sieben Jahren grundlegend verändert.

Du könntest also erwarten, dass ich von meiner Einstellung nicht viel ändern musste, während ich mit ihm an ‚Let Us Dream‘ arbeite. Und doch hat es mich verändert.

Ich stelle mir die Frage, ob ich mich während dieser wiederholten Lockdowns hinter meine Rollen und Funktionen zurückziehe oder ob ich, wie Franziskus drängt, hinausgehe, um zu dienen. Ich denke viel über seine Herausforderung an uns nach, diese Gelegenheit zum Wandel nicht ungenutzt verstreichen zu lassen; ich höre den Nachrichten zu und frage mich: Warten wir nur darauf, zum Status quo ante zurückzukehren? Die Antwort darauf lautet größtenteils ja.

Und doch verfolgt mich das, was der Papst uns sagt: dass wir nicht zurückgehen können, dass man in einer Krise wie dieser entweder besser oder schlechter wegkommt, aber nicht mehr derselbe sein wird. Ich denke also, die Herausforderung des Buches ist, wenn überhaupt, größer denn je. 

Und ich glaube, dass es die Menschen verändern wird, so wie mich.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Austen Ivereigh, Corona, Ivereigh, Krise, Papst Franziskus, Wirtschaft2 Kommentare zu „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Politikverbot ist Machtspiel

Veröffentlicht am 9. November 20208. November 2020
Der Papst beteiligt sich an der Debatte Kreuzskulptur

Kirche und Politik, das kann ja nicht gut gehen. Die jüngste Enzyklika des Papstes war der wohl politischste Text, der aus dem Vatikan gekommen ist. Und das in einer Zeit, in der Politik und Vernunft unter Beschuss stehen. Der Papst beteiligt sich an der Debatte, was aber den eigenen Leuten nicht Recht ist.

Er wolle aus der Kirche eine Hilfsorganisation machen, eine NGO, lautet der Vorwurf. Dass Franziskus quasi seit Amtsantritt immer wieder sagt, dass er genau das nicht will, zählt nicht. Kirche, und vor allem Vatikan, soll sich bitte raus halten. Warum ist das so? Warum haben einige Kreise in der Kirche etwas dagegen, wenn der Papst sich in diese Richtung äußert? Und was für Wirkungen hat das?

Der Papst beteiligt sich an der Debatte

Der Vorwurf lautet vor allem, dass der Papst eine „linke“ Agenda habe. Wenn man sich das genauer anschaut, dann ist der Papst tatsächlich „staatsgläubig“, er glaubt, dass es Institutionen braucht, um Recht abzusichern. Er ist aber nicht – und hier ist die Wurzel der Kritik – wirtschaftsgläubig.

Ist das schon links?

Der Papst will Verantwortung nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft. Er vertritt nicht eine Individualethik, wo jeder sich vor sich selbst rechtfertigen muss. Sondern auch eine gesellschaftliche Ethik, wo Nationen und Gesellschaften Verantwortung übernehmen müssen.

Ist das schon links?

„Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. … Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

Ist das links? Das Zitat stammt übrigens aus der Rede von Benedikt XVI. vor dem Bundestag im September 2011. War das links?

Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit

Der Kern der Kritik am Papst und der Angeblichen Verwandlung der Kirche in eine NGO ist aber noch ein anderer. Es ist der Versuch, den Papst zu delegitimieren. Die Aufforderung, sich aus Politik heraus zu halten, ist nichts anderes als der Versuch, die Debatte zu monopolisieren.

Fragen nach Gerechtigkeit und Gleichheit, Schöpfung und dem Leben sollen auf keinen Fall von einer kirchlichen Autorität besprochen werden. Das wollen die Mächtigen der Welt schön unter sich ausmachen.

Die Mächtigen unter sich

Und wenn man sich ansieht, aus welchen Ecken diese Kritik gefüttert wird, dann stellt man schnell fest, dass es die Besitzbürger sind, die hier den Papst zu delegitimieren suchen.

Das Politikverbot für den Papst ist selber ein Machtspiel. Und zwar auf Kosten derer, die keine Anteile an der Debatte haben. Die erst noch beteiligt werden müssen und wollen. Die will man heraus drängen oder heraus halten.

Man darf, kann und soll die einzelnen Thesen debattieren und kritisieren. Das ist selbst schon politisches Tun. Aber wenn wir hören oder lesen, dass sich Bitteschön jemand nicht an einer Debatte beteiligen darf, dann sollten wir sehr vorsichtig sein.

Der Papst stellt Macht und deren Legitimierung und Organisation in Frage. Und nie war das so wichtig wie heute.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und VernunftSchlagwörter Ethik, Gesellschaft, Kirche, Moral, NGO, Papst Franziskus, PolitikSchreiben Sie einen Kommentar zu Politikverbot ist Machtspiel

Homosexualität und Papst: reflexhafte Meinungen

Veröffentlicht am 27. Oktober 202027. Oktober 2020
Papst und Homosexualität geht als Thema immer Familie im Normzustand? Figurengruppe in Nürnberg

Ooops, he did it again. Ein Kommentar des Papstes macht die Runde, und wieder geht es um eines der emotional heißesten Themen der innerkirchlichen Debatten: um Homosexualität. Der Papst ist für die staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, war einer Dokumentation zu entnehmen. Seitdem stapeln sich die Meinungen. Papst und Homosexualität geht als Thema immer.

Als erstes folgte der Überschwang der Reaktionen: viele Verbände loben die Papstworte. Kardinal Müller betont dagegen, dass der Papst nicht über dem Wort Gotte steht und Kardinal Burke sieht gleich eine Abweichung von der Lehre. Das Ganze hat dann auch seine Entsprechung in den Medien, und das wiederum ging dann glatt über in die übliche Einteilung der Debatte in Reformer hier, Traditionalisten dort.

Papst und Homosexualität geht als Thema immer

Dann aber wurde der Tenor deutlicher: der Papst drücke sich, seinen Aussagen auch Taten – lehrmäßige Taten – folgen zu lassen, das war zuletzt die Grundmelodie. Wobei ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass da auf allen Seiten vor allem Meinung war.

Nun gilt es vorsichtig zu sein mit der Relativierung: das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Damit kann man alles an die Seite drücken. Aber hier, wo fast nur noch Meinung übrig war von der Berichterstattung, da darf das schon mal sein. Der beste Rechercheur unter all den Vatikanjournalisten, Gerard O’Connell, ist dem also nachgegangen. Auch katholisch.de hat das auf gleiche Weise unter die Lupe genommen, ich nehme an von O’Connell angestoßen.

Recherche erwünscht

Ich darf Gerard O’Connells Recherche zitieren:

But as the original unedited text shows, the first three short sentences of that statement in the documentary are only a small part of Francis’ long response to one question (..) about the integration into the church of people living in “irregular situations“.

Also: der Regisseur der Doku, um die es geht, hat die Interviews gar nicht selber geführt, sondern sich nur älteren Materials bedient, das ihm zur Verfügung gestellt wurde. Er habe überhaupt kein direktes Interview mit dem Papst bekommen, berichtet O’Connell.

Kein Interview, nur Archiv

Verändert das die Aussage? Ja, das tut es. Jeder Kontext tut es, also wird das auch hier der Fall sein. Aber die Versuchung, einen Scoop zu landen – und sei es auch nur mit Archiv-Material – war wohl zu groß. Sonst hätte sich wohl nur eine überschaubare Menge von Menschen für die Doku interessiert.

Dass die Bischöfe bei uns bis auf wenige schweigen, ist also klug. Erst mal wissen, worum es geht, bevor man sich in die Meinungsschlacht wirft zieht zwar den Vorwurf nach sich, man taktiere. Oder sei feige. Dabei ist es nur die Klugheit, die uns nach sechseinhalb Jahren Papst Franziskus gelehrt hat, was Schnell-Meinungen mit den Worten des Papstes anstellen können.

Drei Dinge, die wir lernen können

Das heißt aber nicht, dass wir aus den Papst-Aussagen gar nichts lernen können. Versuchen wir, etwas Ordnung in die Sache zu bringen:

Erstens: Der Papst hat gesagt, was er gesagt hat. Er ist für etwas, nämlich die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Er ist aber nicht für die Änderung kirchlicher Lehre, sonst hätte er schon einige Jahre Zeit dafür gehabt. Dieser Teil der Papstkritik stimmt also.

Was er gesagt hat, ist ja auch nicht neu. Schon als Bischof von Buenos Aires hatte er sich so geäußert. Aber an der kirchlichen Ehe-Lehre will er nicht gerüttelt wissen, soviel ist nach gleich zwei Synoden zum Thema Familie klar. Er trennt ziviles Recht von kirchlicher Lehre und will diesen Schritt nur einen Bereich betreffen lassen. Ist das schon der Schritt, den einige wünschen und andere fürchten? Ich bezweifle das.

Zweitens: die Recherche hätte der Debatte gut getan. Davor. Der Papst spricht nun einmal gerne drauflos, soviel haben wir gelernt. Und auch wenn wir es gerne anderes hätten, so ist er und so bleibt er aller Voraussicht mach auch. Umso mehr müssen wir gelernt haben, dass das bislang immer einen Zusammenhang hatte, der gerne mal des größeren Kontrasts wegen weggelassen wird. Das hilft niemandem. Der Lehre nicht, den Homosexuellen in der Kirche auch nicht.

Drittens: einmal mehr zeigen sch die Gesichter aller, die den Papst vor ihre eigenen Karren spannen wollen. Aber die Fans der Aussage werden nicht ihre Änderung der Lehre beikommen. Und die Gegner werden auch nicht die Kirche untergehen sehen, auch wenn sie dem Papst Untreue zu Schrift und Theologie vorwerfen. Was sie aber alle bekommen: Aufmerksamkeit. Klickzahlen. Ist das schon befriedigend?

Uns bleibt ein Widerspruch

Was uns ebenfalls bleibt, ist der innere Widerspruch. Was Papst Franziskus dort gesagt hat, widerspricht dem, was sein Vorgänger 2003 hat veröffentlichen lassen. Auch wenn es aus dem Zusammenhang genommen ist, bleibt mindestens die Befürwortung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Damit wird manifest, dass es in der Kirche Redebedarf gibt. Wein Verstecken hinter den Buchstaben des Katechismus ist nur noch Ausflucht. Was den Katechismus nicht falsch macht. Aber es bleibt die Frage, wie unser Glaube und unsere Haltung heute dazu aussieht.

Wenn wir uns der Frage wirklich annehmen wollen, dann müssen wir das schon selber tun. Nach Rom oder sonstwo hin schauen in der Hoffnung, jemand anders würde das für uns tun, führt zu nichts. Auch nicht, wenn dieser jemand der Papst ist.

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Das ganze Leben

Veröffentlicht am 24. Oktober 202024. Oktober 2020
Alleinstellung der katholischen Kirche Tunnelblick schränkt Perspektive ein

Es klebt Positiv drauf, es ist aber leider oft genug Negativ drin. Im Blog habe ich zum Thema Engagement von Christinnen und Christen geposted, und aufgemacht wird das Thema „Lebensschutz“. Und zwar als ein Negativum. Wie es ein Kommentar formuliert hat: „Es war eben eine gute Alleinstellung der katholischen Kirche, dass sie vehement das ungeborene Leben schützt.“

Da schüttle ich den Kopf. Die Alleinstellung der Kirche ist doch Bitteschön Jesus Christus, oder? Und wenn daraus der Schutz des menschlichen Lebens und dessen Würde folgt – und damit bin ich voll einverstanden – dann aber bitte des ganzen Lebens und sämtlicher Würde. Wenn wie hier im Blog mehrere Leute kommentieren möchten, dass der Tod eines Menschen (Ruth Bader-Ginsburg) gut ist weil es der Sache des Lebensschutzes dient, ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Alleinstellung der katholischen Kirche

Schon in Laudato Si’ hat Papst Franziskus für uns die Breite des Themas aufgemacht, der Schutz des menschlichen Lebens ist komplexer als die Reduktion auf einen Schlachtruf es zulässt. Der lässt sich auch nicht gegen die Schöpfung ausspielen, wie einige Kommentatoren meinen. Denn alles gehört im Schöpferwillen Gottes mit allem zusammen.

Nun sind Autoritätsargumente die schlechtesten aller Argumente, trotzdem mag ich an dieser Stelle noch einmal den Papst zitieren, schlicht und einfach weil es treffend formuliert ist. Ein Zitat aus der Exhortation Gaudete et Exsultate, Nr. 101:

„Schädlich und ideologisch ist ebenso der Fehler derer, die in ihrem Leben dem sozialen Einsatz für die andern misstrauen, weil sie ihn für oberflächlich, weltlich, säkularisiert, immanentistisch, kommunistisch oder populistisch halten, oder die ihn relativieren, als würde es wichtigere Dinge geben bzw. als würde er nur eine bestimmte von ihnen verteidigte Ethik oder ein entsprechendes Argument betreffen. Die Verteidigung des ungeborenen unschuldigen Lebens zum Beispiel muss klar, fest und leidenschaftlich sein, weil hier die Würde des menschlichen Lebens, das immer heilig ist, auf dem Spiel steht und es die Liebe zu jeder Person unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe verlangt. Aber gleichermaßen heilig ist das Leben der Armen, die schon geboren sind und sich herumschlagen mit dem Elend, mit der Verlassenheit, der Ausgrenzung, dem Menschenhandel, mit der versteckten Euthanasie der Kranken und Alten, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, mit den neuen Formen von Sklaverei und jeder Form des Wegwerfens.“

Gleichermaßen heilig

Es ist ein Fehler, die eigene Perspektive absichtlich zu beschränken. Es ist ein Fehler, sich durch ein Thema von anderen abzugrenzen und eine Fragestellung zur Messlatte zu erheben. Nicht jeder muss sich für alles einsetzen, aber den Einsatz zu beschränken und zu einem Alleinstellungsmerkmal zu erklären ist eben – in den Worten des Papstes – „schädlich und ideologisch”. Und schlimmer noch: es hilft dem Schutz des Lebens nicht.

 

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Entscheiden und Unterscheiden

Veröffentlicht am 12. Oktober 202011. Oktober 2020
Zeiten von Unsicherheit Das nun erschienene Buch

Was tun in Zeiten von Unsicherheit? Eine Frage, die wir uns heute dauernd stellen. Nicht zuletzt die Debatten um den synodalen Weg, um Theologie und Vorstellungen von Kirche in unserer pluralen Welt machen das sehr deutlich. Wenn wir aber debattieren, was nun zu tun sei, gilt es einige Fallen zu beachten. Versuchungen, wie es die geistliche Sprache nennt. Und Papst Franziskus empfiehlt, zu unterscheiden, noch so ein Wort aus der geistlichen Tradition. Texte aus der Tradition des Jesuitenordens möge helfen zu verstehe, was damit gemeint ist.

„Ideen werden diskutiert, Situationen werden unterschieden.“ Das ist O-Ton Jorge Mario Bergoglio/Papst Franziskus, geschrieben in einem Vorwort zu einem Sammelband von 1987. Die Zeitschrift Civiltà Cattolica hatte den Text von Pater Bergoglio vor fast zwei Jahren neu veröffentlicht. Jetzt ist das Ganze auch auf Deutsch erschienen. Das Buch, das mit dem Text eingeleitet wurde, versammelt außer den Bergoglio-Einleitungen interessante Texte aus der Geschichte des Jesuitenordens, und dazu die Einleitung vom Pater Bergoglio.

Zeiten von Unsicherheit

An dieser Stelle habe ich darüber schon einmal geschrieben, anlässlich der deutschen Ausgabe erlaube ich mir aber eine Auffrischung.

Im Buch abgedruckt sind Briefe von zwei Generaloberen des Jesuiten-Ordens. Von Lorenzo Ricci SJ (gewählt 1758), der erleben musste, wie die Bourbonen-Könige Europas den Orden anfeindeten und schließlich erreichten, dass der Orden aufgelöst wurde. Ricci selber wurde vom Papst in der Engelsburg festgehalten und starb dort auch, ohne Prozess. Jan Roothaan SJ (gewählt 1829 nach der Wiederzulassung des Ordens) erlebte Anfeindungen des erstarkenden antikirchlichen Liberalismus gegen den Orden.

Mehr braucht man nicht wissen, Bergoglio skizziert die Situationen auch nur kurz, um dann auf den geistlichen Inhalt einzugehen. Und die Lehren für Jesuiten – und nicht nur Jesuiten – heute.

Nicht gleich das innere Schwert ergreifen

In solchen schwierigen Situationen treten immer Versuchungen auf, damit beginnt P Bergoglio. Eine Versuchung ist es, über Ideen zu streiten und damit der Ursache für den Zweifel oder die Anfeindung zu viel Macht zuzugestehen. Die beiden Jesuitengeneräle empfehlen also getreu der geistlichen Haltung des Ordensgründers Ignatius, erst mal in sich selber nachzuschauen. Der Leser soll auf die inneren Stimmen hören, statt direkt innerlich das Schwert zu ergreifen und sich gegen etwas oder jemanden zu wenden.

Auffällig sei – so Bergoglio über die Briefe und ihre Schreiber – dass nicht versucht würde, mit den Anfeindungen zu streiten. Normal wäre das Gegenteil: Man beklagt die Ungerechtigkeit und definiert sich als Opfer. Man sieht etwas Bösartiges gegen sich am Werk und dieses Gefühl bestimmt dann die eigene Reaktion. Natürlich gibt es diese Ungerechtigkeit, aber das gerät in der geistlichen Tradition nicht in den Fokus. Thema ist vielmehr die innere Verwirrung, die durch die Anfeindungen ausgelöst werden. Ich wende mich mich nicht gegen etwas oder jemanden, ich schaue erst einmal auf mich.

Innere Verwirrung

Natürlich ging es damals um Ideen, etwa im Liberalismus, der Aufklärung, der Moderne, und auch dort gibt es Irrtümer und Fehler. Aber das lassen die beiden Schreiber erst mal beiseite. Weil Ideen diskutiert werden, die Situation, in der man sich befindet, aber unterschieden wird. Hier ist es wieder, das Wort „Unterscheidung“.

Wahrheit oder Falschheit ist nicht Gegenstand einer Unterscheidung, unterschieden werden nur „Geister“ in der Sprache der Spiritualität. Also was wir innere Bewegungen, Stimmungen, Emotionen nennen würden. Hier gäbe es die von außen ausgelöste Verwirrung, und die könne man unterscheiden: woher kommt das? Was löst das in mir aus? Und dann kann man sein Verhalten danach ausrichten. Nicht als Reaktion auf die Anfeindung oder auf eine Idee, sondern auf dem aufbauend, was ich als Gottes Willen für mich erkenne.

Es geht – und hier ist Bergoglio ausdrücklich – nicht darum, eine Lösung zu finden, die mir Ruhe gibt, bzw. die mich in Ruhe lässt. In Zeiten der Unsicherheit ist Sicherheit nicht die Lösung, sondern ein Friede – auch ein innerer Friede – der von Gott her kommt. Das ist eine steile Ansage, entspricht aber ganz dem geistlichen Vorgehen, das wir auch sonst bei Papst Franziskus sehen.

Nicht Sicherheit, sondern innerer Friede

„Es ist nicht Gott gemäß, die Wahrheit auf Kosten der Barmherzigkeit zu verteidigen, und auch nicht die Barmherzigkeit auf Kosten der Wahrheit, oder ein Gleichgewicht auf Kosten beider,“ heißt es in dem Text. Das muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Bergoglio buchstabiert das dann aus, man würde entweder ein wahrheitsliebender Zerstörer werden oder ein barmherziger Lügner oder ein paralysierter Verwirrter.

Zurück zur Situation, in der die Briefe spielen: Die Generaloberen sprechen auch von den Schwächen der Jesuiten, was nicht nur eine rhetorische Spielerei ist. Es geht in Zeiten der Anfeidung nämlich darum, den Willen Gottes zu suchen, durch Unterscheidung, und da gehören diese Schwächen oder Sünden und Fehler hinein. Es geht ersteinmal nicht darum, die Auslöser der Anfeindung als solche zu bekämpfen.

Wahrheitsliebender Zerstörer, barmherziger Lügner

Das Betrachten der Verwirrung, welche durch Versuchung oder Anfeindung ausgelöst wird, hat auch den Vorteil, dass ich mich selber nicht mehr in der Position des Opfers sehe. Ich schaue auf all die verschiedenen inneren Bewegungen und sehe mich nicht nur als Opfer, als ungerecht Behandelter. Das vermeidet Selbstgerechtigkeit, welche dem Blick auf den Willen Gottes immer im Weg steht.

Jorge Mario Bergoglio: Briefe in Bedrängnis. Trost in Zeiten der Not. Edition Communio, 2020

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„Was ganz konkret und naheliegend ist“

Veröffentlicht am 8. Oktober 20208. Oktober 2020
Text für stürmische Zeiten Ort der Inspiration: Assisi

Es ist ein Text für stürmische Zeiten. Eine Pandemie, inmitten von Finanzkrisen und Schuldenspiralen, inmitten von ökologischen Desastern und globaler Erwärmung, die uns alle gefährdet: wie soll ein gläubiger Mensch darauf reagieren? Politisch, sagt Papst Franziskus. So zumindest habe ich seine neue Enzyklika in meiner ersten Betrachtung genannt.

Ich könnte auch träumerisch-realistisch sagen, das träfe es genauso. Angesichts der Stürme um uns nimmt die Tendenz zu, sich nur um sich zu kümmern. Das geschieht entweder unter dem Deckmantel des Liberalismus oder dem des Populismus. Beides beschädigt aber unsere Gewissheit, Teil einer einzigen Menschheit zu sein. Gerechtigkeit und Frieden rücken so in weite Ferne, anstatt unter möglichen Lösungen für unsere Probleme aufzutauchen (FT 30).

Text für stürmische Zeiten

Der Weg, den der Papst vorschlägt: erstens träumen, zweites ganz praktisch handeln. Beides gehört zusammen. Franziskus ist kein Träumer, der fern von der Realität Utopien verfolgt. Träume müssen sich verwirklichen lassen, sonst bleiben sie formal (FT 219). Und hier kommt nun der Samariter ins Spiel: er handelt ganz praktisch. Er tut was.

„Wir können von unten, bei einer Sache beginnen und für das kämpfen, was ganz konkret und naheliegend ist, und bis zum letzten Winkel des eigenen Landes und der ganzen Welt weitergehen – mit der gleichen Sorgfalt, mit der sich der Reisende von Samaria jeder einzelnen Wunde des verletzten Menschen annahm. Suchen wir die anderen, und nehmen wir die uns aufgetragene Wirklichkeit in die Hand, ohne Angst vor Schmerz oder Unvermögen, denn dort liegt all das Gute verborgen, das Gott in das Herz des Menschen gesät hat.“ (FT 78)

Hier wird Nächstenliebe politisch, die Welt prägend.

Politische Nächstenliebe

Aber braucht es dafür überhaupt Nächstenliebe? Reicht nicht das Recht, oder ist das Recht nicht sogar die bessere Grundlage, weil nicht auf Emotion gebaut? Das ist eine Kritik an der Enzyklika. Franziskus will aber keine abstrakte Weltordnung schaffen. Er beobachtet und benennt die Schwächen er gegenwärtigen, setzt dann aber eine Motivation dagegen. Einen inneren Motor, der allen Menschen eigen ist, wenn sie nicht um sich selber kreisen: die Geschwisterlichkeit. Das Zusammen-Gehören.

Und genau das wird für Christinnen und Christen im Samariter sichtbar. Nur so, konkret und handelnd, entsteht das „Wir“.

„Wir werden immer neu gerufen, obwohl es auch als  grundlegendes Gesetz in unser Sein eingeschrieben ist: dass die Gesellschaft sich auf den Weg macht, um das Gemeinwohl zu erstreben, und von dieser Zielsetzung her seine politische und soziale Ordnung, sein Beziehungsnetz und seinen Entwurf des  Menschen immer neu gestaltet. Mit seinen Gesten hat der barmherzige Samariter  gezeigt, dass die Existenz eines jeden von uns an die der anderen gebunden ist: das  Leben ist keine verstreichende Zeit, sondern Zeit der Begegnung.“ (FT 66)

So entsteht ein „Wir“

Und so verlässt die Nächstenliebe auch den Status einer reinen Predigt, nett und ungefährlich. Wie seit Jahren schon die Barmherzigkeit wird auch die Nächstenliebe bei Papst Franziskus weltgestaltend und praktisch. Dazu enthält die Geschichte vom Samariter auch eine deutliche Kritik an Religions-Praxis:

„Bei jenen, die vorbeigehen, gibt es eine Besonderheit, die wir nicht übersehen dürfen: Sie waren religiöse Menschen. Mehr noch, sie widmeten sich dem Gottesdienst: ein Priester und ein Levit. Das ist eine besondere Bemerkung wert: Es weist darauf hin, dass die Tatsache, an Gott zu glauben und ihn anzubeten, keine Garantie dafür ist, dass man auch lebt, wie es Gott gefällt. […] Es gibt hingegen Weisen, den Glauben so zu leben, dass er zu einer Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen führt, und dies ist Gewähr für eine echte Öffnung gegenüber Gott. Der heilige Johannes Chrysostomus hat diese Herausforderung für die Christen mit großer Klarheit zum Ausdruck gebracht: »Willst du den Leib Christi ehren? Dann übersieh nicht, dass dieser Leib nackt ist«.“ (FT 74)

Selbstkritik der Religion

Die Enzyklika will ausbuchstabieren, was das nun heißt, Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit zu praktizieren. Das geschieht nicht von selbst Es ist auch nicht selbstverständlich, selbst wenn ‚Nächstenliebe‘ ein beliebter Predigtbegriff ist. 

Aber wo soll man anfangen? Franziskus antwortete mit einer katholischen „Sowohl-als-auch“-Strategie: träumen und konkret handeln. Und daran schließt der Papst dann die Sätze an, die vor allen anderen auch in der Kirche selber abgelehnt werden, Sätze aus der katholischen Soziallehre. Das Recht auf Privatbesitz ist nicht absolut (FT 120). Das Recht von Migranten und Flüchtlingen (FT 129). Die Ungerechtigkeit von Krieg und Todesstrafe (FT 255). Das alle bekommt seine besondere Schärfe.

Da darf und kann die Gemeinschaft der Gläubigen nicht abseits stehen. „Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir genießen einen Raum der Mitverantwortung” (FT 77). Da muss auch die Kirche das Wort ergreifen:

„Aus diesen Gründen respektiert die Kirche zwar die Autonomie der Politik, beschränkt aber ihre eigene Mission nicht auf den privaten Bereich. Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseits stehen, noch darf sie es  versäumen, die seelischen Kräfte zu wecken, die das ganze Leben der  Gesellschaft bereichern können“ (FT 276).

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Enzyklika, Fratelli Tutti, Glaube, Papst Franziskus, Politik, Samariter, Solidarität, Wirtschaft29 Kommentare zu „Was ganz konkret und naheliegend ist“

Politische Nächstenliebe: Die neue Enzyklika

Veröffentlicht am 4. Oktober 20204. Oktober 2020
So viel Politik war selten Der inspirierende Heilige: Franziskus. Hier eine Statue in Boston. Foto MK Feeney

So viel Politik war selten. Papst Franziskus schreibt eine neue Enzyklika, eine Sozialenzyklika, aber der Fokus liegt ganz klar auf der Politik. Oder anders formuliert: auf der gemeinsamen Verbesserung unserer Welt. Der Papst will träumen, und zwar von einer neuen Geschwisterlichkeit. Und das gemeinsam mit allen, nicht nur Christinnen und Christen. „Kann die Welt ohne Politik funktionieren? Kann sie ohne eine gute Politik einen effektiven Weg zur allgemeinen Geschwisterlichkeit und zum gesellschaftlichen Frieden finden?“ (FT 176). Nein, kann sie nicht. Also spricht der Papst über Politik.

Kern des Franziskus-Politischen ist einmal mehr der barmherzige Samariter. „Betrachten wir das Modell des  barmherzigen Samariters. Dieser Text lädt uns ein, unsere Berufung als Bürger unseres Landes und der ganzen Welt, als Erbauer einer neuen sozialen Verbundenheit wieder aufleben zu lassen.“ (FT 66) Nächstenliebe ist nicht Wohltätigkeit, sondern aktiver Einsatz. Und aktiver Einsatz, politischer Einsatz, ist kein Zusatz zum Glauben, sondern gehört dazu. Er ist die Option, „die wir wählen müssen, um diese Welt, an der wir leiden, neu zu erbauen“ (FT 67).

So viel Politik war selten

Es gibt die Tendenz in einigen katholischen Zirkeln, den Rückzug und die Abgrenzung zur Welt als den Weg in die Zukunft zu sehen. Das sieht der Papst nicht so. Der Gestaltungswille ist christlich, das Miteinander auch mit anderen ist christlich, nicht die Abgrenzung. Das ist die katholische Lehre.

Nicht, dass das ein Abgleiten ins nur und rein säkular-Politische wäre, die Anker des Christlichen in der Enzyklika sind sehr stark: „An erster Stelle steht die Liebe; was nie aufs Spiel gesetzt werden darf, ist  die Liebe; die größte Gefahr besteht darin, nicht zu lieben (vgl. 1 Kor 13,1-13)“. „ Die Liebe ist das Herzstück jedes gesunden und nicht ausgrenzenden Gesellschaftslebens.“ Auch Liebe ist eben nichts Privates, rein Persönliches, sondern führt auf den Anderen zu. Die Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen führt zur Öffnung des Herzens gegenüber Gott.

Liebe öffnet Herzen

Und das führt zum Engagement, zum Willen die Welt besser zu machen, kurz: zur Politik. Vorbereitet hatte er die Gedanken schon seit einiger Zeit. Aber die Enzyklika behandelt nicht nur katholische Soziallehre. Sondern wendet sich vielmehr dem Warum und dem Wie zu. Vor allem: dem gemeinsamen Handeln.

Das Ganze ist ja in der Vergangenheit oft genug schief gegangen. Der Papst nennt die Corona-Krise, aber viel bedeutsamer finde ich die Finanzkrise von 2008, bei der das gemeinsame Scheitern schon sichtbar wurde. Und das ist dem Papst nun Anlass, nach neuen Wegen zu suchen.

Und der führt über das Naturrecht. Diesen Weg waren schon seine Vorgänger gegangen, von allem Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Bundestag. Bei Franziskus klingt das so: „In der Wirklichkeit des Menschen und der Gesellschaft selbst, in deren innerster Natur, gibt es eine Reihe von Grundstrukturen, die ihre Entwicklung und ihr Überleben sichern. Daraus leiten sich bestimmte Forderungen her, die im Dialog entdeckt werden können“ (FT 212). Und dann der Zusatz: „Für Gläubige ist die menschliche Natur als die Quelle ethischer Prinzipien von Gott geschaffen“.

Im Dialog erkennen wir Werte

Ganz wichtig: das neue „Wir“ und die gemeinsamen Werte entstehen nicht über einen falschen Konsens. Nicht über eine Toleranz, die einfach nur in einem Verschonungspluralismus alles nebeneinander gelten lässt. Über den Dialog lassen sich Werte wie Geschwisterlichkeit erkennen, weil sie eben in uns drinnen liegen.

Andersherum formuliert: der falsche Konsens und die falsche Toleranz spielen den Mächtigen in die Hände. „ Der Relativismus ist keine Lösung. Unter dem Deckmantel von vermeintlicher  Toleranz führt er letztendlich dazu, dass die Mächtigen sittliche Werte der  momentanen Zweckmäßigkeit entsprechend interpretieren.“ (FT 206)
Erst der Blick auf das Menschsein und auf unsere Geschwisterlichkeit ermöglicht die Kritik der Machtverhältnisse und der Ausübung von Macht. Das ist eine Aufgabe für die Glaubenden. Und es ist eine Aufgabe auch für die Kirche als solche: „ Aus diesen Gründen respektiert die Kirche zwar die Autonomie der Politik, beschränkt aber ihre eigene Mission nicht auf den privaten Bereich. Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseits stehen, noch darf sie es  versäumen, die seelischen Kräfte zu wecken, die das ganze Leben der  Gesellschaft bereichern können.“ (FT 276)

Kritikfähigkeit

Der Papst kritisiert deutlich die Marktgläubigkeit und eine Finanzwirtschaft, die außerhalb politischer Kontrolle agiert.

Der Papst betont, dass Privateigentum kein absolutes, sondern ein sekundäres Recht des Menschen ist.

Der Papst fordert ganz realistisch eine Reform der internationalen Organisationen, allen voran der UNO.

Der Papst demaskiert die Menschenverachtung der Demagogie. „Wir müssen uns angewöhnen, die verschiedenen Arten und Weisen der  Manipulation, Verzerrung und Verschleierung der Wahrheit im öffentlichen und  privaten Bereich zu entlarven.“ (FT 208)

Der Raum der Mitverantwortung

Vielem von dem werde ich mich hier sicherlich noch im Einzelnen zuwenden. Diese kurze Aufzählung ist aber wichtig, um die Breite des Spektrums der Enzyklika aufzuzeigen. Vor allem ist es wichtig zu betonen, dass das uns alle angeht: „Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir genießen einen Raum der Mitverantwortung, der es uns ermöglicht, neue Prozesse und Veränderungen einzuleiten und zu bewirken. Wir müssen aktiv Anteil haben beim Wiederaufbau und bei der Unterstützung der verwundeten Gesellschaft. Heute haben wir die großartige Gelegenheit, unsere Geschwisterlichkeit zum Ausdruck zu bringen; zu zeigen, dass wir auch barmherzige Samariter sind.“ (FT 77)

Die Welt ist in einem schlechten Zustand. Machen wir sie besser, weil das Gottes Wille für uns ist.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, VatikanSchlagwörter Enzyklika, Fratelli Tutti, Geschwisterlichkeit, Glaube, Kirche, Papst Franziskus, Politik, Populismus17 Kommentare zu Politische Nächstenliebe: Die neue Enzyklika

Autorität geht anders

Veröffentlicht am 26. September 202026. September 2020
Souverän war das nicht Der Vatikan, immer wieder Fokus vom Problemen, die die ganze Kirche hat

Souverän ist anders: völlig aus blauem Himmel kam die Nachricht, dass ein italienischer Kurienmitarbeiter und über Jahre enger Mitarbeiter zweier Päpste seinen Kardinalshut verliert. Angelo Becciù erzählte danach, wie er nichts ahnend auf einmal seine Position in der Kirche verloren habe.

Es ist nicht das erstes Mal, dass Papst Franziskus so reagiert. Die Ablösung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller war für diesen ebenfalls eine Überraschung. Und da in Personalentscheidungen keine Begründungen gegeben werden, bleiben Spekulationen. Souverän war das nicht, in beiden Fällen.

Souverän war das nicht

Und was ist mit den anderen?, mag man fragen. Da sind ja einige, über denen die schwarze Wolke einer Anklage hing. Kardinal Barbarin in Frankreich, Kardinal Pell in Australien, beide angeklagt, beide haben ihren Hut behalten.

Und nun polizeiliche Ermittlungen in einem Finanzskandal und schon entscheidet der Papst, ohne dass es zu einem zivilrechtlichen Prozess gekommen ist. Ich nehme an, dass es gute Gründe dafür gibt, die über die Anklage hinaus gehen. Und ich merke, dass ich mit dieser Annahme im Feld der Spekulation lande.

Es bleiben uns nur Spekulationen

Nun muss in Personalfragen nicht alles offengelegt werden, trotzdem entsteht ein merkwürdiges Bild, in dem das Wort „Willkür“ im Hintergrund mitschwingt. Und die Frage, wie in der Kirche eigentlich Autorität ausgeübt wird.

Nicht zu Unrecht spricht ja auch der synodale Weg genau darüber.

Debatte um Autorität in der Kirche

Es ist zu begrüßen, dass Korruption – so es denn welche war – im Vatikan keinen Platz mehr hat. Das war nicht immer so, wie die lange Liste an Skandalen erzählt. Aber dazu gehört auch Transparenz, und die vermisse ich hier. Warum Becciù und nicht Pell oder Barbarin? Liegt das alleine an der empfundenen Wahrheit des Papstes? Oder war da anderes im Spiel? Und wie kann man das klären, außer im Gewissen des Papstes?

Die Geschichte um Erzbischof Becciù zeigt einmal mehr, dass wir in Sachen Autorität in der Kirche Kontrolle brauchen. Transparenz, Verfahren, Nachvollziehbarkeit, Gewaltenteilung. Denn so, wie es hier gelaufen ist, baut das kein Vertrauen auf.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Rom, VatikanSchlagwörter Autorität, Entlassung, Kardinal, Papst Franziskus, synodaler Weg, Vatikan6 Kommentare zu Autorität geht anders

Baut nicht auf Sand!

Veröffentlicht am 23. September 202022. September 2020
angewendete Soziallehre der katholischen Kirche DER Ort der Nächstenliebe und Soziallehre: Assisi

Der Mensch lernt durch Wiederholungen. Ein pädagogisches Prinzip, dessen sich der Vatikan seit einigen Wochen wieder bedient. Es ist bekannt, dass der Papst eine Enzyklika veröffentlichen wird. Die Themen werden bis dahin schon gut vorbereitet: es ist Zeit für die aktualisierte und angewendete Soziallehre der katholischen Kirche.

Seit August etwa spricht der Papst bei den Generalaudienzen Themen der kirchlichen Soziallehre an, Auslöser ist immer die durch Corona ausgelöste oder auch sichtbar gemachte Krise. Er verbindet seine Aussagen zur Soziallehre der Kirche, wie er sie in Laudato Si’ formuliert hat, mit der aktuellen Krise: „Unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit der Ökosysteme ab, die Gott geschaffen und die zu hüten er uns aufgetragen hat (vgl. Gen 2,15). Sie zu missbrauchen, ist eine schwere Sünde, die schadet und krank macht (vgl. LS, 8; 66)“.

Angewendete Soziallehre der katholischen Kirche

Oder eine Woche früher: „Die Krise, die wir wegen der Pandemie erleben, betrifft alle; wir können besser aus ihr herauskommen, wenn wir alle gemeinsam das Gemeinwohl suchen. … wenn die Lösungen für die Pandemie Spuren von Egoismus tragen, sei es von Menschen, Unternehmen oder Nationen, können wir vielleicht aus der Coronavirus-Pandemie herauskommen, aber sicherlich nicht aus der menschlichen und sozialen Krise, die das Virus hervorgehoben und akzentuiert hat. Seid also vorsichtig, nicht auf Sand zu bauen (vgl. Mt 7,21-27)! Um eine gesunde, alle Menschen einschließende, gerechte und friedliche Gesellschaft aufzubauen, müssen wir dies auf dem Fels des Gemeinwohls tun.“ Wir kennen unseren Papst, das ist alles schon Vorbereitung auf die Enzyklika, bzw. die Enzyklika wird diese Katechesen dann bündeln.

Aber nicht nur das: der Papst trifft sich mit Menschen, die seine Anliegen teilen. Und die Rede vor der UNO-Genertalversammlung kommt auch noch dazu. Und dann kommt dann nich ein Buch, das ein US-Amerikanischer Verlag schon angekündigt hat. Autor: Papst Franziskus. Titel: Let us dream! Alles umkreist derzeit diesen Themenkomplex, so scheint es.

Umkreisung des Themas

Den Rahmen oder die Entwicklungsspur dafür gibt der Kardinalstaatssekretär des Vatikan, Kardinal Pietro Parolin, in einem langen Interview wieder, er zieht die Linie der Sozialaussagen der Kirche von Benedikt zu Franziskus: „Benedikt sprach [Caritas in Veritate] von einer Ökonomie, in der die Logik des Gebens, das Prinzip der Unentgeltlichkeit, das nicht nur Solidarität, sondern noch tiefer menschliche Brüderlichkeit ausdrückt, Platz finden muss. Franziskus [Laudato Si’] hat das Thema der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung im Kontext einer „integralen Ökologie” wieder aufgegriffen: ökologisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell und spirituell.“ Die Soziallehre der Kirche sei eine solide Orientierung, die sich „ständig aktualisiere“. Genau das dürfen wir wohl von der Enzyklika erwarten.

Auch in Deutschland beraten die Bischöfe gerade bei ihrer Vollversammlung unter anderem die Corona-Auswirkungen auf die Kirche und die Antworten aus dem Glauben auf die Probleme, die entstanden sind oder die sichtbar wurden. Genau an diesen Antworten versucht sich der Papst: „Die gegenwärtige Pandemie zeigt, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind – im Schlechten wie im Guten. Daher können wir nur gemeinsam und solidarisch diese Krise überwinden. … Solidarität ist mehr als die ein oder andere großzügige Geste. Es geht dabei um eine Mentalität, eine Gesinnung des „Wir“, für die jeder Mensch gleich wichtig und wertvoll ist. Solidarität bedeutet also auch Gerechtigkeit.“

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Benedikt, Enzyklika, Laudato Si, Papst Franziskus, Soziallehre15 Kommentare zu Baut nicht auf Sand!

Eine Frage der Einheit

Veröffentlicht am 19. August 202019. August 2020
Reform der Kirche Viel und verschieden: Rückseite der Kreuze, welche alle Teilnehmenden am synodalen Weg erhalten haben

Spalten kann jeder. Einheit herstellen, und das auch noch in schwierigen Themen, ist schwer, das kann und will auch nicht jeder. Wenn es aber an Reform der Kirche geht, dann werden wir um diese Fragen nicht herum kommen. Ob man das nun als Aufholen der Moderne bezeichnet oder Neu-Evangelisierung ist dabei schon egal, Einheit braucht es immer. Diese Einheit ist Frage geworden. Nicht mehr selbstverständlich. Sie liegt hinter vielen Konflikten, welche in der Kirche derzeit ausgetragen werden, offen oder nicht.

Es gibt Dinge, die kann man lokal, kulturell, sprachlich verschieden handhaben. Es gibt Dinge, die katholische Kirche nur gemeinsam glauben kann. Aber es gibt unendlich viele Dinge, die irgendwo dazwischen liegen. In all dem Einheit und Gemeinsamkeit zu finden, ohne Themen zu brechen oder Konflikte wegzudrücken, das ist die Herausforderung heute.

Reform der Kirche

Nehmen wir ein Thema, das weltweit und über das Katholische hinaus mit viel Verve, Emotion und Aggression debattiert wird, das Thema Homosexualität: keine christliche Kirche weiß derzeit, wie damit umgehen. Oder besser: in allen christlichen Kirchen gibt es unterschiedliche und gegensätzliche Denk- und Umgangsweisen. Und das ist keine kulturelle Frage, schauen wir uns die methodistischen und pietistischen Gemeinden an, dann wird deutlich, wie stark die Gegensätze auch in Europa sind.

Die anglikanische Weltgemeinschaft droht sogar, an diesem Thema zu zerbrechen, hier geht es um Weihen von Priestern und Bischöfen, die einige Kirchen der Gemeinschaft nicht mitmachen wollen.

Spaltung statt Reform droht

Ein kurzer Aufriss nur über das Problem auf katholischer Seite. Außerhalb des meistens doch sehr kruden Sprechens über die „LGBT-Ideologie“ ist es vor allem die behauptete Verbindung von Homosexualität und Pädophilie, die immer wieder hervorgezogen wird. Auch wenn sie keinerlei wissenschaftlich begründeten Hintergrund hat, bleibt sie mächtig, zuletzt bei dem Versuch, die Missbrauchs-Studie (MHG Studie) im Rahmen des synodalen Weges zu de-legitimieren.

Auch dass jede Papst-Aussage im Großraum dieses Themas gleich große Aufmerksamkeit bekommt, ist ein Indikator für die Sensibilität des Themas. Von „wer bin ich zu richten“ bis hin zum Rat, Eltern von homosexuellen Kindern sollten sich psychologischen Rat holen ist alles gleich ein Aufreger.

Dass auch wir Katholiken uns damit befassen müssen, wird bei diesem kurzen Aufriss schon deutlich. Wenn im Rahmen des synodalen Weges etwa der Segen für homosexuelle Paare gefordert oder strikt abgelehnt wird ist die Aktualität des Themas auf dem Tisch.

Einheit, nicht immer gleich Einigung

Wie aber schaffen wir hier und in anderen Konflikten Einheit (erst einmal unter uns, von weltweiten Debatten spreche ich hier noch nicht)? Und ich sage bewusst Einheit, nicht Einigung, denn vielleicht gibt es ja Dinge, über die wir nie einig werden, über die aber die Einheit nicht zerbricht. Und was wäre ja schon ein guter Schritt in Sachen Reform der Kirche.

Ich glaube, das geht nur über eine gemeinsame Sprechkultur. Über eine belastbare Basis, die auch Konflikten und Gegensätzen Raum gibt, ohne gleich zu zerbrechen. Und ich glaube auch, dass man diese Basis nicht dadurch herstellen kann, dass man sich gleich an den schwierigsten Themen abarbeitet.

Das Gleich gilt auch im Großen, ich übersetze ja gerne „Synodalität“ mit „Balance von Lokal und Universal“, also der Frage, wie das Zusammen der in sich und untereinander so verschiedenen Ortskirchen gedacht und gelebt werden kann. Das muss belastbar sein, nicht einheitlich, aber eine Einheit in der Verschiedenheit. Auch hier glaube ich, dass das nicht gelingen kann, wenn man die komplexesten Themen zuerst behandelt.

Balance von Lokal und Universal

Papst Franziskus versucht es dadurch zu erreichen, dass er nicht direktiv, über Entscheidungen und Vorgaben regiert, sondern den Ortskirchen Raum lässt. Auch wenn es diese nervös macht, wollen doch die meisten Beteiligten lieber eine Macht-Aussage, eine Entscheidung.

Aber nur so geht es. Durch Tasten, Probieren und viel Debatte.

Auf den synodalen Weg bezogen: das Ding muss sich erst einmal bewegen. Es braucht erste vielleicht kleine Schritte und Einigungen, damit wir sehen, was trägt. Konkrete und praktische Schritte, um die Balance zu erreichen, die es für die dann schwierigen Dinge braucht.

Tasten, Probieren, Debatte

Der Verweis auf Papst Franziskus hilft auch, die Frage nach der Autorität über diese neue Balance zu stellen: die klassische Weise, dass nämlich Rom für alle und immer definiert, funktioniert nicht mehr. Bei den verschiedenen Synoden im Vatikan wird immer wieder deutlich, dass dieselben Antworten nicht auf unterschiedliche Realitäten passen. 

Gleichzeitig braucht es auch die Universalität, schon allein deswegen, weil nur sie eine kritische Distanz zur eigenen Kultur und Geschichte erlaubt, was immer schon eine Stärke des Katholischen war.

Spalten kann jeder. Die autoritative Geste einfordern, die dann alles lösen soll, auch. Eine Macht-Lösung, die – selbstverständlich in meinem jeweils eigenen Sinn – die Lösung bringt. Synodalität ist aber schwerer. Und synodale Wege sind es auch. Es gibt sie nicht, die Macht-Handlungen durch die sich alles löst. Geduld ist gefragt.

Einheit erneuert schaffen bei der Reform der Kirche, das ist die Aufgabe, die allen anderen Themen zu Grunde liegt.

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Einheit, katholisch, Kirche, Konflikt, Papst Franziskus, synodaler Weg24 Kommentare zu Eine Frage der Einheit

Demontage

Veröffentlicht am 14. August 202014. August 2020
Was dürfen Laien in der Kirche? Unterm Kirchturm wird immer mehr unklar: Pfarrei im Westfälischen

Die Gewitterwolken haben sich schon verzogen. Und ich komme mit diesem Beitrag etwas spät. Aber auch noch Wochen später bleibt die uns Debatte um die viel diskutierte Instruktion aus dem Vatikan ja erhalten. Was dürfen Laien in der Kirche? Und was folgt praktisch aus der Instruktion für die Strukturprozesse in den Bistümern und für den synodalen Weg?

Nur haben sich die Themen etwas verschoben. Mittlerweile ist klar geworden, dass es sich um einen Text handelt, der seine ersten Schritte während des Pontifikats Benedikt XVI. gemacht hat. Und deswegen klingt er vielleicht auch so zweigeteilt, die vielen Franziskus-Zitate zu Beginn lesen sich wie ein Aufhübschen.

Was dürfen Laien in der Kirche?

Mir zeigt sich in der Debatte neben all den anderen noch ein weiterer Punkt: die Frage der Autorität und der Legitimierung von Autorität in der Kirche. Die schon im Titel der Instruktion genannte Bekehrung und die Frage der Autorität gehören für Papst Franziskus ja immer schon zusammen. Aber sie reiben sich auch aneinander, auch nach sieben Jahren Papst Franziskus noch.

Der Papst betont, dass es in der Kirche nicht allein um Autorität gehen kann. Es müsse „glaubwürdige Autorität“ sein. Die kann man nicht mit einer Mitra oder einem roten Kardinalshut einfach aufsetzen, die komme vom Menschen. Darum muss man werben. Das ist kein Populismus, sondern die Unterfütterung der Ausübung. Autorität ist in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich, man kann sie nicht einfach herbei behaupten.

„Glaubwürdige Autorität“

Und genau hier ist die Vatikan-Instruktion problematisch. Am besten vielleicht kann man das an dem Verantwortlichen zeigen, dem Kurienkardinal Beniamino Stella. Der hat scheinbar zur Versachlichung der Debatte zum Gespräch geladen. Aber das mit der Versachlichung hat nicht recht hingehauen, weil das Angebot nicht wirklich ein Werben um Zustimmung ist, sondern ein Pochen auf Autorität.

Wie berichtet, würde man nämlich gerne in Rom die „Zweifel und Ratlosigkeit“ der deutschen Bischöfe ausräumen. Diese Formulierung hat schon etwas Anmaßendes. Es sind die deutschen Bischöfe, die ein Problem haben, und der Vatikan sei die Instanz, das auszuräumen. Kein Dialog, keine Offenheit, sondern die versteckte Behauptung, der Vatikan habe alles richtig gemacht und nun müssten nur noch Unsicherheiten ausgeräumt werden. Was das Problem derer sei, die unsicher seien.

Kein Dialog, keine Offenheit

In der Vergangenheit war immer wieder auch aus dem Mund des Papstes davon die Rede, dass Autorität bedeute, wachsen zu lassen, „und zwar in der Originalität, die der Schöpfer für sie gewollt und vorgesehen hat. Autorität auszuüben bedeutet also Verantwortung im Dienst der Freiheit zu übernehmen, nicht eine Kontrolle zu bewerkstelligen, die den Menschen die Flügel stutzt und sie in Ketten hält” (Vorbereitungsdokument der Jugendsynode).

Das ist eine Form der Autorität, die keine Probleme damit hat, Anerkennung zu finden. Nicht immer nur Applaus, hier geht es nicht um Beliebtheitswerte, schließlich gehört auch der Gehorsam immer noch dazu. Davon spürt man recht wenig, wenn die die Instruktion und die Begleitgeräusche aus Rom dazu betrachten. 

Vatikanische Autorität wird hier über ein Beharren auf ihr demontiert.

Beharren demontiert

Nehmen wir noch mal die Jugendsynode, an den kommenden Generationen wird der Verfall und die Demontage von Autorität in der Kirche ja besonders deutlich. Im Abschlussdokument ist von Pfarreien die Rede:

„Daher ist ein pastorales Umdenken darüber, was Pfarrei ist, notwendig, und zwar aus einer Haltung der kirchlichen Mitverantwortung und des missionarischen Schwungs heraus, indem Synergien in der Fläche entwickelt werden. Nur so kann sie dann als bedeutsamer Raum erscheinen, der die jungen Menschen in ihrem Leben abholt. In dieselbe Richtung einer größeren Offenheit und eines gemeinsamen Erlebens ist es wichtig, dass sich die einzelnen Gemeinschaften hinterfragen um zu prüfen, ob die Lebensstile und eingesetzten Strukturen den Jugendlichen ein leicht verständliches Zeugnis des Evangeliums vermitteln.“ (Nr. 129, 130)

Mir geht es nun nicht darum, Texte gegeneinander auszuspielen. Aber im Synodendokument ist der Geist der Frage spürbar. Es braucht Offenheit. Der Schwung – wenn ich es polemisch formulieren darf – kommt nicht daher, dass ich das Kirchenrecht dogmatisiere.

In der Instruktion aus dem Vatikan wird sichtbar, dass es Ungleichzeitigkeiten in der Kirche und auch in der Leitung der Weltkirche gibt. Die Synodendebatten, die nun wirklich nicht als Hort der Revolution bezeichnet werden können, sind trotzdem viel offener und interessierter an der Dynamik der Weitergabe des Glaubens, als der Geist der Instruktion. Und letztlich ergibt sich nur daraus wirkliche Autorität. Die Instruktion hat dieser Autorität, die sie ja einbetonieren möchte, einen Bärendienst erwiesen. Und Papst Franziskus sich selbst damit auch.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Autorität, Gemeinde, Gemeindeleitung, Instruktion, katholisch, Kirche, Klerikalismus, Laien, Papst, Papst Franziskus, Pfarrei7 Kommentare zu Demontage

52 Papstversteher

Veröffentlicht am 26. Juni 202025. Juni 2020
Was meint der Papst damit Das besprochene Buch

Manchmal ist er schwer zu verstehen. Wenn Papst Franziskus von „Satan“ spricht, von „Unterscheidung“ oder eine seiner Sprachmetaphern wie das „Feld-Krankenhaus“ benutzt, dann sind es manchmal schon die Worte, die Verstehen nicht einfach machen.

Klerikalismus ist auch so ein Wort. Synodalität. Barmherzigkeit. Was meint der Papst damit? Wir können nicht einfach unser eigenes Verständnis dieser Worte darunter legen, soviel ist mal sicher. Da braucht es Verstehenshilfen.

Was meint der Papst damit?

Gleich zu Beginn des Pontifikates schon gab es erste Listen über Worte, die Papst Franziskus besonders oft benutzt. Die sozusagen seine Absichten sprachlich markieren. Auch hat er seinen ganz eigenen Sprachstil, den man erst einmal verstehen muss, um dahinter zu kommen.

Über Jahre habe ich versucht, immer mal wieder Verstehenshilfe zu liefern, hier im Blog. Nun ist mir eine andere Hilfe in die Hände gefallen, kurz und praktisch. Es ist ein Buch, „A Pope Francis Lexicon“ heißt es. Wie der Titel vermuten lässt, ist es Englisch, und hier ist auch gleich der Nachteil. Denn man muss um das Buch lesen zu können nicht nur Englisch können, sondern auch einen englischen kirchlichen Verstehenshorizont mitbringen. Für diejenigen aber, die damit was anfangen können, ist das eine gute Übersicht.

Eine gute Übersicht über die zentralen Worte

Satan. Barmherzigkeit. Tränen. Begegnung. Immigranten. Klerikalismus. All das sind so Worte, die im Buch behandelt werden.

52 recht kurz und übersichtlich gehaltene Artikel von ebensovielen Autoren zu diesen und anderen Begriffen sind im Buch versammelt. Unter den Autorinnen und Autoren sind einige Kardiäle, Vatikan-Insider, Papst-Kennerinnen und Kenner, aber auch Theologinnen und Theologen.

Alle vereint die Aufgabe, den Gebrauch von bestimmten Worten und Begriffen bei Papst Franziskus zu erklären. Was macht er mit den Worten und was will er damit aussagen? Manchmal ist es der argentinische Hintergrund, der hilft. Oder es sind es genaue Lektüren der Texte. Manchmal ist es die Spiritualität der Jesuiten. Oft genug aber eine Kombination von alldem.

Die Herausgeber – City Wooden und Joshua J. McElwee – kennen sich gut im Vatikan aus und haben ihre Autorinnen und Autoren gut gewählt. Ihnen gelingt es, ohne lang und breit zu zitieren zu erklären, was der Papst will. Und wie er zu verstehen ist, wenn er eines seiner Lieblingsworte benutzt.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Barmherzigkeit, Buch, Lexikon, Papst Franziskus, Sprache17 Kommentare zu 52 Papstversteher

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