Vor einiger Zeit hatte ich einen Streit. Oder eine engagierte Debatte, irgendwie so etwas. Es ging um Missbrauch und Verantwortung und es ging um die Frage, bis wann einen das einholen kann. Und das fand noch vor der Konferenz zu Missbrauch statt, die an diesem Sonntag zu Ende gegangen ist. Damals hatte gerade erst ein Mitarbeiter im Vatikan seinen Job aufgegeben, weil ihm Missbrauch vorgeworfen wurde.
Jemand, der die Geschichte dahinter nicht kannte, hatte gleich Verständnis für den Mann geäußert, das sei schlimm, so verfolgt zu werden. Und es sei gut, dass er rechtliche Schritte angedroht habe, um sich zu verteidigen. Schließlich – und das ist der für jetzt entscheidende Punkt – sei das Ganze schon zehn Jahre her, wer zehn Jahre mit der Anklage warte, könne es nicht so ernst meinen.
Dahinter steckt erst einmal der Instinkt, auf der Seite eines vermeintlichen Opfers zu sein, in diesem Fall des Mannes, der im Vatikan seinen Job aufgeben hat müssen. Dahinter steckt auch die Angst oder die Sorge, dass Uralt-Geschichten auftauchen. Ähnlich hatte sich auch schon Kardinal Oswald Gracias geäußert, unter viel Widerspruch.
Streit und Widerspruch
Wir hatten dann eine Debatte, wie gesagt irgendwo zwischen Streit und sehr engagiert, über diese Geschichte im Speziellen und die Frage nach Zeit in Missbrauchsgeschichten im Allgemeinen. Im Rückblick würde ich sagen, dass das eine gute Debatte war, wenn auch nicht einfach.
Ähnlich ist es glaube ich vielen Teilnehmenden an der Konferenz zu Missbrauch und Kinderschutz im Vatikan ergangen. Viele kamen her, überzeugt dass das Thema überzogen ist. Viele haben es nicht öffentlich gesagt, aber man hört das dann doch raus.
Es gab die Überzeugung, dass das trotz allem doch ein westliches, vor allem ein US-amerikanisches Problem sei. Und die Zusammensetzung der Medien hier bei der Konferenz lässt diese Vermutung auch zu, USA überall.
Kein westliches Problem
Mehr als alle Theorie haben die Erzählungen derer, die missbraucht wurden, die Atmosphäre bestimmt. Harte Geschichten waren das, und selbst diejenigen, die schon vorher mit Opfern und Überlebenden gesprochen haben, haben das jetzt in der Gruppe gehört. Da wurden die Bischöfe als Bischöfe angesprochen, in Gruppe, nicht individuell. Da waren sie nicht als Seelsorger gefragt oder in ihrem Bistum, sondern als Verantwortliche in der Weltkirche. Das ist noch einmal etwas ganz anderes.
Auch aus den Sprachgruppen habe ich viel Gutes gehört. Sie seien kulturell alle sehr verschieden gewesen, es habe sich aber in dieser Zeit viel getan. Während der Konferenz hätten immer mehr die Überzeugung gewonnen, dass trotz verschiedener Kultur und verschiedener Rechtssysteme eine gemeinsame kirchliche Linie nötig sei.
Gemeinsame kirchliche Linie
Und das eben auch aus Regionen, die bisher eher durch öffentliche Äußerungen hervorgetreten sind, dass das bei ihnen nicht vorkomme oder dass hier ein Angriff auf die Kirche stattfinde. Oder Ähnliches.
Auch das Verstehen hat sich verändert, so habe ich es wahrgenommen. Sätze wie „das Betroffene so lange schweigen ist nicht deren Verantwortung, sondern die der Täter“ sind oft gefallen. Einsicht in das, was Missbrauch eigentlich ist, nämlich Zerstörung. Leid. Gewalt. Mit Sexualität auf Abwegen hat das wenig zu tun. Im Pressesaal gab es immer die eingeschworene Gruppe von als Journalisten getarnten Aktivisten, die unbedingt Homosexualität als Ursache ausmachen wollten. Nichts davon im Saal, die Teilnehmenden haben gesehen und gehört, was Missbrauch wirklich ist.
Man will konkret sein
Jetzt will man konkret sein. Wie der Papst zu Beginn auch. Jetzt geht es um die Umsetzung der Ideen und Betroffenheiten vor Ort. Der Erfolg der Konferenz zeigt sich nicht heute und auch nicht morgen. Er wird sich zeigen, wenn wir in einem Jahr sagen können, dass sich etwas gewandelt hat. Nicht nur hier und dort, sondern in der Weltkirche.
Spät? Zu spät? Ja, es passiert spät, und es passiert nur, weil die Kirche unter massivem Druck steht. Das ist tragisch, weil es so viel Leid gegeben hat, bevor systematisch und jetzt weltkirchlich an die dahinter liegenden Fragen gegangen wird. Das macht mich selber immer noch zornig.
Zorn Gottes
Und ich fühle mich darin bestätigt, weil auf der Papst von diesem Zorn spricht, der „gerechtfertigten Wut der Menschen”, in dem sie den „Widerschein des Zornes Gottes” sieht. So hoch mag ich meinen Zorn nicht hängen, aber da ist schon was dran.
Aber was ist die Alternative? Nach der Konferenz ist vor der Praxis. Jetzt wird sich zeigen, ob die Bischöfe wirklich den Mumm haben, die vielen Ideen zu Beteiligung, Kontrolle, zu Verfahren und Verantwortlichkeit umzusetzen. Oder ob sie wieder untereinander streiten, warten, auf den Verwaltungsweg abschieben und auf ihre Autorität pochen. Die Kirche steht unter Beobachtung. Und das ist gut so.