Vortrag vor der Kommende in Dortmund, 23. November
Angela Merkel war erbost. So erbost sogar, dass sie zum Telefonhörer griff, um Papst Franziskus anzurufen. Im November 2014 war das, nach der Rede des Papstes vor dem Europaparlament. Ob es wahr sei, dass er – der Papst – Europa mit einer „unfruchtbaren Frau“ verglichen habe. Der Papst habe sie dann beruhigt. Europa habe immer noch tiefe Wurzeln, in den dunkelsten Momenten habe Europa immer noch ungeahnte Ressourcen gezeigt.
Als Journalist muss ich meinen Beitrag heute Abend einfach mit dieser kleinen Episode aus dem Leben des Papstes beginnen. Einen kleinen Fehler hat diese Episode allerdings, sie ist schlicht erfunden. Nicht wahr. Hat nie stattgefunden. Leider sind in italienischen Medien die Grenzen zwischen Belletristik und Berichterstattung manchmal fließend, selbst in der selbsterklärten Spitze des Qualitätsjournalismus, im Corriere della Sera. Und leider leiden einige deutsche Kolleginnen und Kollegen darunter, zu schnell zu glauben, was andere Journalisten schreiben.
Aber es gilt ja auch das Sprichwort „si non è vero, e ben trovato“, wenn es auch nicht wahr ist, so ist es doch treffend erfunden. Was da Frau Merkel in den Mund gelegt wurde, ist etwas, was als Einwand nicht von der Hand zu weisen ist. Und so fand sich die Bemerkung von der „unfruchtbaren Frau“ in vielen Überschriften, zum Glück nicht bei Radio Vatikan. Wir haben mit dem Thema des Papstes getitelt: „Das europäische Projekt darf nicht scheitern“.
Dieses kleine Schattenboxen zu Beginn zeigt schon, wie komplex das wird, sich darüber zu unterhalten, was der Papst von Europa hält, will, erwartet. Wie übrigens bei anderen Themen auch, seine manchmal für europäische Ohren blumige Metaphorik schafft es in die Überschriften – samt erfundener Episoden – das was dahinter steht ist dann schon schwieriger zu umreißen.
„Das europäische Projekt darf nicht scheitern“
An dieser Stelle möchte ich das einmal etwas überblickshaft anschauen. Dazu darf ich Ihnen erst einmal ein Raster anbieten. Beginnen möchte ich mit den Klassikern, den Europa-Reden des Papstes, zwei in Straßburg und eine in Rom anlässlich der Entgegennahme des Karlspreises. Dann möchte ich zweitens über den politischen Papst Franziskus sprechen. Drittens soll es dann um das Ende der Welt gehen.
Der Papst beginnt seinen Blick auf Europa mit der Feststellung einer Wahrnehmung: „Einer ausgedehnteren, einflussreicheren Union scheint sich jedoch das Bild eines etwas gealterten und erdrückten Europas zuzugesellen, das dazu neigt, sich in einem Kontext, der es oft nüchtern, misstrauisch und manchmal sogar argwöhnisch betrachtet, weniger als Protagonist zu fühlen“. Er spricht über die Union, weil der Adressat das Europaparlament der EU ist. Diese Verunsicherung überträgt sich auch auf die Menschen, sie ist nicht nur abstrakt: „Eine der Krankheiten, die ich heute in Europa am meisten verbreitet sehe, ist die besondere Einsamkeit dessen, der keine Bindungen hat. Das wird speziell sichtbar bei den alten Menschen, die oft ihrem Schicksal überlassen sind, wie auch bei den Jugendlichen, die keine Bezugspunkte und keine Zukunfts-Chancen haben; es wird sichtbar bei den vielen Armen, die unsere Städte bevölkern; es wird sichtbar in dem verlorenen Blick der Migranten, die hierher gekommen sind, auf der Suche nach einer besseren Zukunft“.
Die EU hält sich also zurück. Sie ist verunsichert, wer oder was sie sein soll. Und die Menschen spüren das, vor allem die Schwachen.
Auf der Suche nach Zukunft
Dann folgt in der ersten Rede das Hohelied auf die Förderung und den Schutz der Würde des Menschen, einer Antriebsfeder aller europäischen Zusammenarbeit und Identität. Und dann weiter, zurück zur Diagnose: „unhaltbarer Überfluss“, der „den Nächsten gegenüber gleichgültig ist“, Steigerung des Misstrauens der Bürger in die Institutionen Europas, und die Betrachtung des Menschen als Teil einer Wohlstands-Maschine: „Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt zu werden, der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt, so dass er – wie wir leider oft beobachten – wenn das Leben diesem Mechanismus nicht mehr zweckdienlich ist, ohne viel Bedenken ausgesondert wird“. Mir selber – wenn ich diese persönliche Bemerkung einfließen lassen darf – ist das in den 90er Jahren aufgefallen, als man in der Politik gar nicht mehr über Deutschland sprach, sondern fast nur noch über den ‚Wirtschaftsstandort Deutschland‘. Eine tief gehende Entmenschlichung, deren Gift wir auf den Plätzen Dresdens und anderswo Wirkung zeigen sehen. Weiterlesen “Ein Blick vom Ende der Welt – Europa und der Papst”