Der Papst hat ein großes Projekt vor: „Warum heute ein Jubiläum der Barmherzigkeit begehen? Ganz einfach, weil die Kirche in dieser Zeit großer epochaler Veränderungen gerufen ist, die Zeichen der Gegenwart und Nähe Gottes vermehrt anzubieten. Dies ist nicht die Zeit für Ablenkung, sondern im Gegenteil um wachsam zu bleiben und in uns die Fähigkeit, auf das Wesentliche zu schauen, wieder zu erwecken. Es ist die Zeit für die Kirche, den Sinn des Auftrags wieder neu zu entdecken, den der Herr ihr am Ostertag anvertraut hat: Zeichen und Werkzeug der Barmherzigkeit des Vaters zu sein (vgl. Joh 20,21-23),“ so hat Papst Franziskus in einer Predigt seine Motivation für die Einberufung deises Jahres erklärt. Und ganz schlicht in einem Tweet vom 30. November: „Das Jubiläum der Barmherzigkeit erinnert uns daran, dass Gott uns mit offenen Armen erwartet, so wie der Vater den verlorenen Sohn.“
Und dieses große Projekt beginnt heute.
Drei Dinge scheinen mir wichtig zu sein, um bei all dem Pilgeransturm und den Papstevents den Kern nicht zu übersehen. Bereits beim Papstbesuch in der Zentralafrikanischen Republik, wo er eine „Vorpremiere“ für das Heilige Jahr hat stattfinden lassen, ist offenbar geworden, wie wenig wir eigentlich mit diesem Konzept „Heiliges Jahr“ anfangen können. Irgendwie schön, irgendwie religiös, Barmherzigkeit ist wichtig aber wie das mit den realen Problemen der Kirche zu verbinden ist, das bleibt mit Fragezeichen verbunden.
Aus dem Zitat scheint mir die „Nähe Gottes“ der erste Punkt zu sein, der wichtig ist. Wo ist die? Oder besser, wie kann ich heute in unserer modern gewordenen Welt neu davon sprechen? So viel von unserem Sprechen ist noch der Vergangenheit entnommen, unsere Vorstellungen sind noch nicht „updated“, sind noch von unserer vergangenen Welt geprägt. Vorstellungswelten und Horizonte prägen unseren Glauben, wie sollte es auch anders sein, in ihnen formuliert sich das, was wir glauben, formulieren sich unsere Gebete und unser Kirche-Sein. Aber wie geht das heute?
Die Theologie macht sich seit Jahren Gedanken dazu, ich kenne einige gute Artikel und Bücher, die genau mit dieser Frage streiten. Jetzt wird es Zeit – scheint uns der Papst zu sagen – und breiter dazu zu verhalten. „Nähe Gottes – machen Sie mal ein Beispiel“, sozusagen. Nichts einfacher als das: Barmherzigkeit. Das klingt jetzt sehr vereinfacht, ist aber der Eckstein dessen, was der Papst vorhat. Er spricht von den epochalen Veränderungen auf der ganzen Welt. Wir mögen uns noch so sehr an der alten Welt festhalten, die uns ein gutes Leben erlaubt hat und die unsere Erwartungen prägt. Aber diese Welt ändert sich. Mal wieder. Und dazu braucht es das update.
„Nähe Gottes? Machen Sie mal ein Beispiel!“
Mein zweiter Punkt sind die „Wachsamkeit“ und die „Fähigkeit, auf das Wesentliche zu schauen“, welche der Papst in seinem Schreiben nennt. Damit beschreibt er geistliche Haltungen. Sie sind sehr jesuanisch, tief in den Evangelien verankert, es gibt eine ganze Reihe von Erzählungen Jesu dazu. Kluge und törichte Jungfrauen etwa oder der Herr, der wiederkommt, wenn wir ihn nicht erwarten.
Dieses Kommen Jesu ist aber in der Gegenwart zu erwarten, scheint der Papst zu sagen. Nicht als endzeitliches Geschehen, sondern als Jesus hier unter uns. Wo ist er zu entdecken? Dem komme ich nur auf die Spur, wenn ich wachsam bin. „Aufmerksam“ als Wort funktioniert nicht ganz so gut, damit könnte man auch meinen, schon zu wissen, auf was man aufmerksam sein muss. Bei „wachsam“ scheint mir das nicht zu sein, das ist weiter, genereller, eine Grundhaltung.
„Das Wesentliche“ klingt ein wenig altmodisch und ich selber vermeide das Wort auch eher. Aber damit ist der Kern gemeint, das was dem, was ich gerade beobachte oder wo ich gerade drin stecke, zu Grunde liegt. Da braucht es Klugheit, glaubende Augen, den Blick aus dem Evangelium heraus auf die Dinge und Menschen, all das. Weiterlesen „Durch die Heiligen Pforten“