Politiker verlangen Obergrenzen für Flüchtlinge. Diese oder jene Summe sei schaffbar, alles was mehr ist nicht. Diese oder jene Summe Summe stelle auch sicher, das Integration gelinge. Wo die das her haben, erschließt sich mir nicht, aber es kommt scheinbar gut an.
Ein weiterer Schnipsel Europa heute: Ungarn schulde Deutschland nichts, genauso wenig wie Deutschland Ungarn etwas schulde, so im Januar Ministerpräsident Orban in der Bild-Zeitung. Europäischer Zusammenhalt am maximalen Eigennutz, auf der Abrechnungstabelle sozusagen, gedacht.
Wenn ich solche Sätze höre, wird es immer weniger verwunderlich, dass mit Papst Franziskus jemand in dieser Woche den Karlspreis bekommt, der noch nicht wirklich mit vielen Aussagen zu Europäischer Einigung etc. hervorgetreten ist. Wer wäre denn noch in Frage gekommen? Die Grenzzäune vielleicht? Weit und breit sehe ich kaum jemanden, der auf hohem Niveau für die Einheit Europas Verdienste trägt. Und nun verweisen die Preisverleiher auf die Reden in Straßburg, die der Papst gehalten hat (November 2014 war das, Europaparlament und Europarat) und auf seine aufrüttelnden und mahnenden Worte. Aber all das weist auf das Zentrum, weist auf Politik und weist auf die Entscheider.
Wenn ich an den Papst und an Europa denke, dann fällt mir nicht als erstes Straßburg und der Papstbesuch im politischen Europa ein. Mir fallen Besuche in Sarajewo, Lesbos, Albanien und auf Lampedusa ein.
Der Papst sagt immer wieder, dass die Welt anders aussieht, wenn man sie von der Peripherie aus sieht. Die Wirklichkeit stellt sich anders da, und das sei die Perspektive, die ein Christ einnehmen müsse, denn es sei die Perspektive Christi.
Wohlstand, vom Rand aus gesehen
Von Sarajewo, Albanien, Lesbos und Lampedusa aus hat der Papst das getan. Es waren Besuche und Begegnungen, aber darüber hinaus natürlich auch Symbolhandlungen. Europa, wie es den Papst nun würdigt, sieht von dort aus anders aus. Da sind Menschen, die sehnsüchtig auf unseren Wohlstand blicken. Dieser Wohlstand ist von der Peripherie aus gesehen nicht etwas zu Verteidigendes, sondern etwas, was anderen Menschen vorenthalten wird. Albanien ist immer noch von Vendettas und Arbeitslosigkeit geprägt, der Balkan ist Route für viele Flüchtlinge zu uns. Die Augen von dort sehen ein anderes Europa.
Sie sehen Sicherheit und Chancen, sie sehen Demokratie und Toleranz, sie sehen die Abwesenheit von Waffen und Hunger, sie sehen Infrastruktur und Arbeitsplätze. Und sie wollen teilhaben daran. Und die Werbung bringt die Botschaft vom reichen Europa in alle Teile dieser Welt, kein Wunder, dass so viele Menschen glauben, wir alle lebten in dieser bonbonbunten Idealwelt.
Papst Franziskus bekommt den Aachener Karlspreis für Verdienste für die Einigung Europas. Ich denke, darin liegt eine Chance. Der genuine Beitrag des Papstes, der über Mahnungen hinaus geht, liegt in der Betonung dieser Perspektive. Europa sieht anders aus, als wir uns das vorstellen. Die Augen der Sehnsüchtigen, der Hungernden und Verfolgten, die schildern uns ein anderes Europa. Und dieses Europa – so stelle ich mir das vor – verleiht diesem Papst seinen Preis.