Man kann im synodalen Prozess erkennen, wie das „Projekt Franziskus“ funktioniert, was bei ihm Reform und Umkehr der Strukturen bedeutet. Je länger ich über die vergangenen Wochen nachdenke und das mit anderen debattiere, desto einleuchtender scheint mir diese These. An dieser Stelle einmal eine kleine Materialsammlung dazu, fertig ist das Ganze sicher noch nicht. Angedeutet hatte ich das Projekt hier ja schon einmal.
Selten waren die Kommentare zum Papst so völlig durcheinander wie nach der Bischofssynode vor zwei Wochen. Aus allen Richtungen der Kompassnadel kamen die Einschätzungen, der gemeinsame Nenner schien zu sein, dass man nicht wirklich einschätzen konnte, was da passiert ist. Bei einigen haben die Konservativen gewonnen, als ob es um Sieg oder Niederlage gegangen sei, bei anderen die war es ein Sieg Liberalen. Dritte sehen die Reform gestoppt, andere wissen so recht gar nicht, wie der Prozess und der Schlusstext zu deuten sind.
Meine These ist, dass man an der Synode gut sehen kann, was das eigentlich ist, das „Projekt Franziskus“. Dazu möchte ich ganz einfach noch mal die vier berühmten Prinzipien heran ziehen, die der Papst in Evangelii Gaudium selber ausführlich angeführt hat.
Zeit ist mehr wert als der Raum
Hier geht es um Besitz, um gesicherte Positionen, um Festlegungen, alles Metaphern des Raumes. Dagegen setzt der Papst den Prozess, das Vorangehen, Metaphern der Zeit. „Dieses Prinzip (des Vorrangs der Zeit) erlaubt uns, langfristig zu arbeiten, ohne davon besessen zu sein, sofortige Ergebnisse zu erzielen.“ Spannungen aushalten, geduldig sein, das ist mit diesem Prinzip verbunden.
Schauen sie auf die Synode: die Unsicherheit in der Bewertung liegt auch darin, dass man Ergebnisse will, Entscheidungen. Also Raum. Den gibt der Papst aber nicht. Sondern er setzt auf Prozess, und das ist anstrengender.
Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee
Das ist eigentlich selbsterklärend, aber dann doch etwas komplexer, als gedacht. Der Papst spricht in Evangelii Gaudium unter diesem Punkt von den „Formen der Verschleierung von Wirklichkeit“. Also, Idee ist nicht nur eine Gegenposition, sondern verschleiert in gewissen Formen diese Wirklichkeit. Und damit werden sie schädlich: „die engelhaften Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die in Erklärungen ausgedrückten Nominalismen, die mehr formalen als realen Projekte, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit.“
Auch davon gab es bei der Synode einige. Im Abschlusstext finden sich aber einige Formulierungen nicht, zum Beispiel die vom „objektiven Stand der Sünde“ und so weiter. „Sehen – Urteilen – Handeln“ war der Dreischritt der Überlegungen, und so holperig das mit der Umfrage zu Beginn auch war, die Einbeziehung der Wirklichkeit hat ihren festen Platz in den Überlegungen bekommen.
Einheit wiegt mehr als der Konflikt
Wer sich im Konflikt verstrickt, verliert die Perspektive und den Horizont. Wer zu viele sich selbst katholisch nennende Überwacher-Blogs im Internet liest, der verliert den Horizont und die Perspektive. Konflikte sind wichtig, man muss sich ihnen stellen und das nicht beschönigen. Aber die Hierarchie ist klar: Einheit geht vor.
Das haben auch viele Synodenmitglieder so gesehen und waren mehr als nur genervt von den Versuchen einiger – wenn auch weniger als noch im vergangenen Jahr – sich als Chef-Interpretatoren nach vorne zu spielen oder andere Meinungen anzugehen.
Das Ganze ist dem Teil übergeordnet
In meinen Augen war das das „eigentliche“ Thema der Synode: Lokalität und Universalität in medialen Gleichzeitigkeiten. „Man muss auf die globale Dimension achten, um nicht in die alltägliche Kleinlichkeit zu fallen. Zugleich ist es nicht angebracht, das, was ortsgebunden ist und uns mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität bleiben lässt, aus dem Auge zu verlieren.“ Oder mit Kardinal Nichols: Universalität gibt uns die Distanz, die eigene Kultur kritisieren zu können. Der Zentralismus der vatikanischen Kirche ist an seine Grenzen gestoßen, er hatte seine Zeit, seine wichtige Zeit gegen die Nationalismen des 19. und 20. Jahrhunderts, aber nun muss die Balance neu austariert werden.
Der Papst ist nicht der Löser unserer Probleme, wir müssen uns von unseren eigenen Perspektiven lösen
Das ist nun keines der Prinzipien, die sich in Evangelii Gaudium finden, aber als eigene Beobachtung würde ich es trotzdem gerne anfügen, es gehört dazu.
In den Papst wird viel hinein gelesen, vor allem von den Medien. Ob nun die „Reform der Kirche“ an die Frage nach Ehe und Familie zu koppeln sei, zu oft wird eine Anpassung oder gar Unterwerfung des Glaubens gefordert, obwohl nur von Öffnung gesprochen wird. Wir müssen lernen, von unseren Perspektiven zu lassen und uns neu einzulassen auf Themen. Nur dann wird aus einem Prozess das, was der Papst so gerne hat: ein alle Beteiligten gleichermaßen verändernder Dialog.
Wir konsumieren die Nachrichten, die uns in unseren Auffassungen generell stützen. Das erzählen uns Psychologen, und es ist ja auch plausibel. Wir müssen aber den Schritt zurück machen, den Schritt in eine andere Perspektive, um die Probleme, die wir haben, lösen zu können.
Dynamisierung, Missionsarisierung
Das ist überhaupt das Zentrum des Denkens des Papstes: „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln“, sagt der Papst: Gewohnheiten, Stile, Zeitpläne, Sprache, das alles soll der Verkündung dienen und nicht dem Selbsterhalt und der Selbstbestätigung. Aus sich heraus gehen, nennt der Papst das. Die Türen der Kirche aufmachen, um Jesus heraus zu lassen, nennt das der Papst. Kirchliche Reform in diesem Sinn heißt, „dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des „Aufbruchs“ versetzt“ (EG 27) Das klingt anstrengend. Vor allem in unserer gut durchstrukturierten Kirche hier in Deutschland. Aber ohne das kann man nicht verstehen, was der Papst will. Und auch die Dynamisierung, die im Papier der Bischofssynode steckt, nicht. Denn das vermeidet alle Festlegungen auf „objektiven Stand der Sünde“ und so weiter, also das Rechtsdenken. Es dynamisiert. Es will Aufbruch und vor allem Verkündigung.
Ablauf ist „wie im richtigen Leben“
Der Papst ist ein Jesuit, und das merkt man auch. Vor allem daran, dass er nicht zielorientiert, sondern methodengeleitet vor geht. Was heißt das? Das heißt dass er keinen großen Plan hat, nach dem er vorgeht und sich dann die Schritte dazu aussucht. Er weiß, wie er Probleme angeht, die sich stellen oder die ihm – Stichwort Reform der Kurie – gestellt werden.
Im Fall der Synode hat er die Methodik geändert, ohne das Ergebnis vorweg zu nehmen. Es war immer offen. Und das ist dann wir im wirklichen Leben, Offenheit bedeutet Unsicherheit, bedeutet Angst, bedeutet unterschiedliche Interpretationen, das ist nicht klinisch sauber, da geht es auch schon mal ruppig zu. Da muss man Vertrauen und Geduld haben und aushalten können, dass man manchmal halt nicht versteht.