Stärke ist, eine Entscheidung zu treffen. Stärke ist, eine Position zu haben und deswegen auch unbequeme Entscheidungen zu treffen und dazu zu stehen. Stärke ist, auszuhalten und eben stärker zu sein, nicht nachzugeben.
Schwäche ist, eben keine Entscheidung zu treffen, sich nicht fest zu legen, keine Position zu verteidigen. Man kann flexibler bleiben, aber man ist dann nicht stark.
Die Bibel sieht das etwas anders, da sind es regelmäßig die Nachgeborenen Söhne, die gewinnen, die Isaaks, Josephs und Davids, und nicht die von der Gesellschaft Vorgesehenen, die Starken. Die Schrift hat es geradezu zum Prinzip, dass unsere Vorstellungen von der Ordnung der Stärke auf den Kopf gestellt wird, vor allem durch das Mittel des Traums, des Schwächsten weil unkontrollierbarsten unserer Zugänge zur Welt.
Die Theologie des Neuen Testaments bringt das im Kreuz auf die Spitze: Der Allmächtige wird klein und schwach, in einer Krippe, setzt sich nicht durch Stärke durch, sondern überwindet das Stärkste was es gibt auf der Welt – den Tod – durch die eigene Schwäche und den Tod am Kreuz.
Das mindestens sollte uns zu denken geben, wenn wir an Autorität im Christentum denken.
Das allein sollte uns zu denken geben, wenn wir Stärke und Schwäche und ihre Beziehung zu Autorität bedenken, vor allem wenn es um diesen Papst geht.
Er zieht oft und gerne Kritik auf sich, eine „Hermeneutik der Spontaneität“ wird ihm vorgeworfen, dass er sein Schreiben Amoris Laetitia nicht erkläre, dass nicht klar sei, was er wolle und so weiter. Matthias Matussek nimmt die Extremposition ein, wenn er in einem Artikel den Papst „beliebig, gefällig, anbiedernd“ nennt. Und dann alles mögliche herbeizerrt, bis hin zu nicht überprüfbaren Behauptungen, um zu provozieren.
Man will klare Entscheidungen, bekommt aber Prozesse
Auch andere wollen den Papst provozieren oder erwarten sich Reaktionen und Klarstellungen. Aber genau das macht der Papst nicht. Und hier liegt der Kern dessen, was ich einmal das „Paradox Franziskus“ nennen möchte.
Papst Franziskus nimmt absichtlich eine Position der Schwäche ein, indem er immer wieder nicht entscheidet, nicht seine Autorität nutzt, um Streitfragen oder überhaupt Fragen zu entscheiden. Nehmen wir Amoris Laetitia: er könnte auf die so genannten Dubia der Kardinäle antworten und die Streitfrage schließen, etwa durch ein Dokument der Glaubenskongregation oder anders. Aber das will er nicht. Er will die Fragen offen halten, damit sich etwas entwickelt.
„Zeit ist wichtiger als der Raum“, nennt er das, also Prozesse sind wichtiger als das Einnehmen von Positionen. In einem solchen Prozess ist man aber in einer Position der Schwäche, Position einnehmen hingegen wäre eine Position der Stärke. Weiterlesen “Das Franziskus-Paradox”