Die Zeit ist schnell über das jüngste Papstschreiben hinweggegangen, was eigentlich schade ist. Es liest sich wie eine Aktualisierung und Fortschreibung von Evangelii Gaudium, was immer noch die Programmschrift für die Reform der Kirche ist. Und deswegen nutze ich diesen Ort hier, um einige Aspekte noch mal aufzugreifen.
„Der Heilige verschwendet seine Energien nicht damit, über fremde Fehler zu klagen; er kann über die Schwächen seiner Brüder und Schwestern schweigen und vermeidet verbale Gewalt, die zerstört und misshandelt“ (GE 116): Wir Christen haben ein Problem. Wir sind seit einiger Zeit fixiert darauf, festzustellen, was der jeweils andere falsch macht.
Vor der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. habe ich hier im Büro mal das Archiv durchgeblättert, was mir mein Vorgänger hinterlassen hat. Artikel in christlichen Zeitschriften – vor dem Internet – aus den 80er Jahren. Die Sprache von damals war nicht weit weg von der, die sich heute im Netz findet: ad personam, unterstellend, spekulativ, immer die schlimmste mögliche Lesart annehmend und dann gegen jemanden richtend. Und Urteile fällend.
So völlig neu ist das Phänomen also nicht, und es kommt auch nicht nur aus einer bestimmten Richtung.
Der Papst spricht in Gaudete et Exsultate von der verbalen Gewalt, die auch Christen benutzen. Verleumdung, üble Nachrede, ohne Respekt, alles schlimmer gemacht dadurch, dass die Sprache eine Härte hat, die man sich im „echten“ Leben nie trauen würde zu benutzen. Seine Analyse: hier wird „im wütenden Abladen von Rachegelüsten die eigene Unzufriedenheit“ kompensiert. Und wieder von der Analyse weg schaut er auf das Geistliche und setzt noch einen drauf: „Es ist auffällig, dass unter dem Vorwand, andere Gebote zu verteidigen, das achte Gebot – ‚Du sollst kein falsches Zeugnis geben‘ – zuweilen komplett übergangen und das Ansehen anderer gnadenlos zerstört wird.“ (GE 115)
„Nein zum Krieg unter uns“
In Evangelii Gaudium hieß das „Nein zum Krieg unter uns“, dort zitiert er auch das Johannesevangelium, in dem die Wirksamkeit des christlichen Zeugnisses an die gegenseitige Liebe geknüpft wird (EG 99). Hier fügte der Papst aber auch eine Erklärung an, die im neuen Schreiben fehlt: „Für diejenigen, die durch alte Spaltungen verletzt sind, ist es schwierig zu akzeptieren, dass wir sie zur Vergebung und zur Versöhnung aufrufen, weil sie meinen, dass wir ihren Schmerz nicht beachten oder uns anmaßen, sie in den Verlust ihrer Erinnerung und ihrer Ideale zu führen“ (EG 100). Weiterlesen “Raus aus der verbalen Gewalt”