Es geht für die deutschsprachige katholische Kirche um nichts weniger, als um die Suche „nach Wegen, in den Ruinen zerbrochener Machtsysteme zu wohnen”. Ein Satz, der mir seit einiger Zeit nachgeht. Er stammt vom Theologen Johannes Hoff, aus einem Buch über Theologie nach der Postmoderne, und ist so schlicht aus dem Zusammenhang gerissen natürlich verzerrend.
Trotzdem fällt er mir immer wieder ein, wenn ich mit unserer Kirche zu tun habe. Vor allem, wenn ich durch deutsche Innenstädte laufe. Oder österreichische, das macht hier keinen Unterschied.

Dort sehe ich keine Ruinen. Dort sehe ich schöne Kirchen. Nicht immer sind es noch Kirchen, oft genug sind es Museen, wie auf dem Bild hier. Das Bild ist überhaupt der Anlass für diese Zeilen: Man sieht auf engstem Raum drei Kirchen, drei große Kirchen noch dazu. Die mittlere ist Museum, links und hinten – der Dom in München – sind und bleiben Kirchräume.
Das sind keine Ruinen, im Gegenteil. Aber genauso wie die Innenräume unserer Kirchen nicht für die Liturgie gebaut sind, wie wir sie jetzt feiern, und jedes Mal irgendwie ein Widerspruch in mir drin steckt, wenn ich in einer großen Kirche an einer Messfeier teilnehme, genauso spüre ich den Widerspruch zwischen diesen Kirchen und dem Wort „Ruine” weiter oben.
Vielleicht ist der Satz ja falsch. Vielleicht ist er nur deswegen falsch, weil er – weil ich ihn aus dem Zusammenhang gerissen habe – übertreibt.
Dynamik
Aber der mindestens gespürte Widerspruch bleibt: ich sehe die Kirchen, ich sehe den Anspruch, ich sehe all das Gute, was die Kirchen machen, die Gemeinden, die offiziellen Vertreter. Und ich sehe den Traditionsabbruch, die leeren Räume, den fehlenden Nachwuchs nicht nur bei Priestern und Ordensleuten, sondern überall in den Kirchen.
Deswegen vielleicht bleibt mir der Widerspruch zwischen den Ruinen hier und den Kirchen dort so sehr bewusst.
Und ein Zweites: ich empfinde das nicht unbedingt als negativ. Das mag jetzt komisch klingen, aber ich glaube, das so beschreiben zu können: Ruine ist ein Zustand. Eine prächtige Kirche ist ein Zustand, ist etwas Festes. Die Spannung dazwischen ist dagegen dynamisch, jedenfalls nehme ich sie so wahr.
Wir mögen alle vielleicht manchmal in die Klage über unsere Kirche einstimmen, über Überforderung und Unterforderung, über Rückzug und Großgemeinden und so weiter. Mindestens bei mir aber überwiegt die Dynamik. Die ist nicht immer angenehm und ich behaupte auch gar nicht, den Ausgang der Geschichte ahnen und daraus Zuversicht gewinnen zu können. Fern davon.
Aber diese Spannung sagt mir auf jeden Fall, dass wie weiter nachdenken, ausprobieren, umkehren, bezeugen, sprechen, schweigen, was auch immer müssen, um eine Kirche für die Zukunft zu sein.
Die neue Welt ist noch nicht da
Ein wenig Weisheit habe ich beim emeritierten Papst gefunden: „Ich gehöre nicht mehr zur alten Welt, aber die neue ist auch noch nicht wirklich da“: Der Satz gesagt steht im Buch „Letzte Gespräche“. Er sei ein Papst „zwischen den Zeiten“ gewesen, sagt er. Um dann anzufügen, dass man immer erst nachträglich Zeiten und Zeitenwenden erkennen und einschätzen könne.
Zwischen den Zeiten, vielleicht sind wir das ja. Und die Spannung – die Dynamik darin – mag und helfen, darin nicht stecken zu bleiben.