„Die Welt ist Gottes so voll“: Der Satz von Alfred Delp begleitet mich im Gebet seit meinem Eintritt in den Orden. Ein wenig schüchtern, wenn ich an die Umstände im Gefängnis denke, unter denen er ihn aufgeschrieben hat. Und doch ist es diese zuversichtliche Haltung, auf die ich immer zurück falle, wenn mich die Fragen nach Gott umtreiben. Oder wenn generell das Thema Sprechen von Gott aufkommt.
Aber wenn ich darüber nachdenke, wie sich dieser Satz von Delp über die Jahre entwickelt hat, dann muss ich auch sagen, dass Gott mir über die Jahre immer fremder geworden ist. Und ich habe nicht das Gefühl, dass das eine schlechte Nachricht ist. Das Gebetsleben wird damit nicht einfacher und natürlich hätte ich lieber eine Überzeugung, ein Gefühl, eine Einstellung die auf Sicherheit baut. Das will Gott aber offensichtlich nicht.
Gott wird fremder
Wie gesagt, ich halte das nicht für eine schlechte Nachricht. Denn dass die Welt Gottes voll ist, das kann man auch falsch verstehen. Seit zehn Jahren lebe ich in Rom, genauer: im und um den Vatikan herum, da ist Gott allüberall sichtbar, in Kunst, in Leben, in Kitsch beim Händler nebenan genauso wie bei Rubens, Michelangelo oder Caravaggio. Und dieser Gott ist mir ein wenig zu selbstverständlich. Ein „ist“- Gott: Gott ist dies, jenes, hier, dort. Da kann ich Gott nicht sehen oder nicht begegnen.
Mich beschleicht wenn über Gott geredet wird immer der Verdacht, dass ich Gott klein gemacht habe. Ein kleiner und beherrschbarer Gott entsteht in meinem Kopf immer dann, wenn ich ihn mit Worten begrenzen will. Selbst Gottesnamen wie „barmherzig“, „Frieden“ oder „Schöpfer“ helfen mir nur bedingt. Damit erscheint mit Gott irgendwie handhabbar.
Sprechen von Gott
Mit einem Gott, der von uns auf Augenhöhe betrachtet wird, will ich auch eigentlich gar nichts zu tun haben. Wenn all das, was wir über Gott sagen und glauben, für mich einen Sinn haben soll, dann fühle ich mich mit der wachsenden Fremdheit zu Gott zwar nicht wohl, aber auf der anderen Seite ist das auch der einzige Gott, mit dem ich was anfangen kann.
Deswegen meine ich, dass die zunehmende Fremdheit Gottes für mich nicht unbedingt etwas Schlechtes ist.
Im Augenblick lese ich wieder einmal die Bibel vollständig, von Genesis bis zur Offenbarung, hintereinander. Jeden Tag ein Kapitel, oder auch mal zwei. Und wieder bin ich überrascht, wie dort die Menschen ihre Erfahrungen mit Gott erzählen. Da macht Gott Moses „für Pharao zum Gott“. Da fordert Gott den Tod der Feinde und wenn Israel nicht wirklich jeden umbringt, wird Gott zornig. Da verhärtet Gott Herzen, um Rache nehmen zu können. Staunend stehe ich vor der Fremdheit, die mich von diesem Gott trennt. Und das ist der Gott, von dem die Welt so voll ist.
Gott bleibt Suche. Gott „ist“ niemals. Wenn wir es begreifen, dann ist es nicht Gott.
Dieser Text ist auf der Grundlage von einem Text entstanden, den ich für ein kleines Buch geschrieben habe.
Vielen Dank für diesen Einblick in Gott aus Ihrer Sicht als Jesuit, ich habe mir das Buch gerade bestellt.
Zwei Ausdrücke haben mich betroffen gemacht: „Gott klein machen“ und „mit Gott auf Augenhöhe“. Dies empfinde ich jedes Mal, wenn der Priester am Schluss der Orationen betet“ : statt „durch Jesus Christus unseren Herrn und Gott“ – „durch Jesus Christus unseren Bruder und Herrn“, oder: „durch unseren Mensch gewordenen Bruder und Herrn“.
Jesus ist als Mensch uns gleich geworden, außer der Sünde, wie ein Bruder.. Aber kann man „Gott“ mit „Bruder“ ersetzen oder gleichstellen?
Ich ersetze „Gott“ nicht durch das Wort „Bruder“. Ich verstehe allerdings das Wort „Herr“ gleichsam als Eigenname Gottes: „Herr“ (griech.: Kyrios) ist im griechischen Alten Testament die Übersetzung von JHWH, und das ist der Gottesname. Auch der Apostel Paulus benutzt dies für Jesus: „Jesus ist der Herr“ (Röm 10,9: 2. Lesung vom heutigen 1. Fastensonntag) oder: „dass … alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist“ (Phil 2,11)
Ist es nicht gerade ein klein machen, wenn man den Begriffen abhängig von den eigenen Empfindungen Bedeutungen zuschreibt?
Was auch immer es bedeuten mag, dass Jesus menschgewordener Gott ist und unser Herr ist, die Bedeutung richtet sich meiner Vermutung nach eher weniger danach, welche Bedeutungen ich als besser oder schlechter empfinde.
Den Versuch die Welt zu begreifen habe ich trotz erkennbarer eigener Grenzen nie aufgegeben.
1944 geboren, die erkennbaren Begrenzheiten menschlicher Bemühungen und die weltenurnspannende Grenzenlosigkeit und Relativität unseres Daseins wahrnehmend, hat mich der Gedanke Teilhard du Gardins, sich von der Unbegreifbarkeit Gottes nicht verwirren zu lassen, stark bewegt. Ich lebe heute aus einer inneren, mir eigenen Überzeugung, seine Existenz sei im Menschen angelegt, dessen Lebenslauf in dieser Herausforderung beheimatet ist. Aus diesem Blickwinkel lässt sich der Anspruch der Erde an die Menschheit und die Menschen auf die Zukunftsfähigkeit mit klaren Positionen an die gemeinsamen Bedingungen des Miteinanders begründen.
Über 2000 Jahre Geschichte und Religionsgeschichte können nur wenige überblicken; es reichen 100 Jahre zurückzuschauen, um ausgehend von der Gestalt Jesu, erkennbar im AT und NT und in der Geschichte, weiterhin einen revolutionären Denkansatz für eine friedenstiftende Zukunft zu verfolgen.
Ich möchte Ihnen recht geben begreifen können wir Gott nicht. Aber ich darf ihn jeden Tag aufs neue besser verstehen lernen. Indem ich achtsam und aufmerksam mit mir und meinen Umfeld umgehe. Nur so kann ich ihm täglich begegnen in der Natur, in anderen Menschen und in mir selbst.
… wir! können ihn jeden Tag besser verstehen lernen, wenn wir! uns aufeinander einlassen. Bitte erlauben Sie mir diese kleine Korrektur zum besseren Verständnis.
Wir können ja klar, jedoch fängt es zu erst mal bei jeden einzelnen an. Denn ich kann keinen anderen zu etwas bewegen was ich nicht selber vollziehe.
Das Universum ist etwas Unbegreifliches. Habe erst vor wenigen Wochen mit einem Atheisten disķutiert, der es als unglaubliche Blasphemie dem Universum gegenüber empfunden hätte, wenn ich behauptet hätte, es MUSS von jemandem erschaffen worden sein.
Und das ist tatsächlich der „Big Bang des Gottesglaubens“, wo man einsieht, dass Gott nicht von uns erschaffen worden ist, sondern wir von ihm. Dass Gott sich den Menschen zum Ebenbild erschaffen hat.
Kein Sperling fällt vom Baum – bei uns sind sogar die Haare gezählt – wenn wir glauben, dass der Herr sich um jedes Detail kümmert – und das glaube ich -, dann können wir aus der Größe des Universums die Größe Gottes erahnen.
Ein Quantenphysiker würde formulieren: „Gott kennt Ort und Impuls jedes Mikroobjektes“ 🙂
Natürlich muss man beim Interpretieren der Bibel daran denken, WER das WANN für WEN geschrieben hat. Wenn also im alten Testament teilweise Dinge über Gott geschrieben stehen, die wir heute nicht mehr begreifen, so heisst das nicht, dass Gott uns deswegen ferne sein muss, es heisst nur, dass er auch damals den Menschen sehr nahe war.
Trotzdem glaube ich nicht, dass eine Seele Gott in Wahrheit erkennen könnte, ohne augenblicklich das irdische Leben zu verlassen. Solange wir Leben, erkennen wir nur die Zehennägel Gottes.
„Ein Quantenphysiker würde formulieren: “Gott kennt Ort und Impuls jedes Mikroobjektes” “
Ich denke nicht; sondern eher:
Gott kennt die Wellenfunktion jedes Mikroobjektes.
Und wann und mit welchen Werten sie kollabieren wird.
Ich habe mich mit diesem – nicht unbedingt ernsthaft gemeinten – Satz auf die Unschärferelation bezogen und wollte damit ausdrücken, dass Gott auch das Unmessbare nicht verborgen bleibt.
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich ein simpler Dipl.-Ing der Elektrotechnik bin und von den höheren Weihen der Quantenmechanik eigentlich nichts verstehe. Also über das Kollabieren der Wellenfunktion bin ich nicht im Bilde, werde mich in meiner Pension aber sicher mit solchen Fragen beschäftigen 🙂
Ein Jammer….diese falsche Auslegung immer…dieser personifizierte Gott, so ist das nicht gemeint im Neuen Testament….Gott ist Geist, unsere geistige Haltung ist gefordert und Auftrag…dann, Gott ist Liebe….das ist es!Tun! Jeder von uns ist dann Gott und handelt in Liebe …das schafft den Himmel auf Erden!
Was ist eine Person?
Was ist Geist?
Was ist Liebe?
Was ist Himmel?
Eine seltsames, quasi-intelligent-religiöses Palaver.
Ausgangspunkt war ein Delp-Zitat, geschrieben mit gefesselten Händen in der Kerkerzelle, ahnend, dass sein Stündlein geschlagen hat.
Und da kritzelt dieser Delp auf ein Kassiber (unter Lebensgefahr haben mutige fromme+intelligente Frauen – zwei Mariannen – dieses herausgeschmuggelt — sonst wüßten wir Nachgeborenen gar nichts davon):
„Die Welt ist Gottes so voll“.
Da gibt’s doch nichts mehr zu räsonieren!
Liebe fromme Leute (sonst wärt Ihr ja nicht beim Hagenkord-Blog):
DELPS ZEUGNIS KÖNNEN WIR NUR BEGREIFEN WENN WIR DIE KLAPPE HALTEN UND STILL WERDEN.
Quasi-intelligent-religiöses Palaver? Das kommt ziemlich arrogant rüber, dafür dass Sie Demut predigen.
Ich kann Delp und sein Leben würdigen, still werden und zu begreifen suchen, was das für ihn bedeutet hat. Ich kann aber auch fragen, was das für mein Leben heute bedeutet, dieser Satz mit dieser Geschichte. Und das lasse ich mir auch nicht nehmen. Vielleicht sind Sie mit dem Urteil etwas zurückhaltender, das würde Delp eher gerecht.
Ja. Danke für den Hinweis. Entschuldigung! Meine Zunge sitzt manchmal zu lose…