Über einhundert Reden für das Konzil hat er (mit)geschrieben, er hat übersetzt, beraten und geforscht: Pater Peter Gumpel war während des Zweiten Vatikanums einer der Insider hinter den Kulissen.
Es ist die Zeit der Erinnerung ans Konzil: Wenn die Gedenkveranstaltungen beginnen – wenn sie nicht schon laufen – werden wieder Artikel erscheinen unter den Titeln „Was bleibt“ oder „Was hat es gebracht“ etc. Ganz in der Tradition der „oral history“ ist es aber auch spannend, denen zuzuhören, die damals dabei waren. Es sind nicht mehr sehr viele, die das Konzil noch selber erlebt haben, um so wichtiger ist es, jetzt zuzuhören. Einige Gespräche, die wir in den vergangenen Monaten für Radio Vatikan geführt haben, sind an dieser Stelle schon gebloggt worden. Hier nun ein weiteres, in vieler Hinsicht ein ganz besonderes.
Jesuitenpater Peter Gumpel war und ist immer noch Teil eines in Rom legendären Teams: Gemeinsam mit Pater Paolo Molinari, den er 1950 im Studium kennen gelernt hatte, arbeite er in der Kurie, also der Verwaltung, des Jesuitenordens. Während des Konzils waren die beiden echte Insider: Keine Entscheidungsmacher, keine Konzilsväter, aber Übersetzer, Forscher, Helfer, Schreiber, und – im Fall Pater Molinaris – Peritus des Papstes.
Vor einigen Tagen habe ich mit Pater Gumpel über seine Beteiligung am Konzil und über seine Sicht heute nach 50 Jahren sprechen können.
Vom Schreiben eines Konzilsdokumentes
Begonnen hatte seine Beteiligung am Konzil auf eine Weise, wie sie heute kaum noch vorzustellen ist. Pater Paolo Molinari, Gumpels Chef, Freund und Mitarbeiter, sollte auf die Schnelle einen Artikel für eine theologische Fachzeitschrift verfassen: 30-40 Seiten in drei Wochen, keine ganz einfache Sache. Pater Gumpel riet zur Zusage und so entstand in nur zwölf Tagen ein Artikel zur „Verehrung der Heiligen in der Kirche“, Molinari schrieb, Gumpel half. 1961 war das.
Eine der ersten Reaktionen auf diesen Artikel kam von Msgr. Floris Capovilla, dem Privatsekretär von Papst Johannes XXIII.. Zwei oder drei Tage nach dem Erscheinen habe dieser ihn, Gumpel, angerufen. Der Papst würde den Artikel in diesem Augenblick lesen, sei beeindruckt und wolle nun mit dem Verfasser sprechen. Also bekam Pater Molinari eine Privataudienz, in der Johannes XXIII. ihm einen Auftrag erteilte: In den Vorbereitungsdokumenten für das Konzil, das im kommenden Jahr (1962) beginnen sollte, sei sehr viel über die Kirche auf Erden, aber wenig über die Verbindung der Kirche auf Erden mit der Kirche im Himmel gesagt worden. Um das zu ändern möge er doch bitte eine Textvorlage machen. So begann die Beteiligung des Teams Molinari/Gumpel.
Ein kurzer Blick voraus: Nach einigen Änderungen in der Form ist aus diesem Text der später das komplette Kapitel VII. von Lumen Gentium geworden. Johannes XXIII. hatte Molinari zum Peritus Papalis ernannt, also zum theologischen Berater, und ihn in die theologische Kommission des Konzils berufen. Ein Amt, das wohl einmalig in der Geschichte im Team ausgeübt wurde, wie schon beim Verfassen der Artikels: Molinari als Berater, Gumpel als Helfer.
Das Team in Aktion
Aber zurück zum Beginn des Konzils. Als Mitarbeiter Molinaris hatte Pater Gumpel freien Zutritt zur Konzilsaula, er habe davon aber nicht sehr viel Gebrauch gemacht. Unvorstellbar für uns heute, so eine Chance nicht genutzt zu haben, bei den historischen Ereignissen nicht dabei sein zu wollen. „Normalerweise haben wir das so gemacht“, erzählt Gumpel, „Molinari musste jeden Morgen von Montag bis Freitag in der Konzilsaula gegenwärtig sein, jeden Nachmittag und auch Sonnabend und Sonntag hatten sie Sitzungen der theologischen Kommission. Wie konnte der Mann sich vorbereiten?“ Die Lösung: Pater Gumpel. Das Team teilte die Arbeit, Molinari war beim Konzil dabei, Gumpel besorgte Material, sortierte, übersetze und sorgte dafür, dass die Inhalte stimmten.
Eine weitere Aufgabe Pater Gumpels, die davon erzählt, wie das Konzil funktionierte: Papst Paul VI. wollte einen Jesuiten haben für die englischsprachigen afrikanischen Bischöfe. „Eines der großen Probleme beim Konzil war ja die lateinische Sprache. Es machte vielen Bischöfen – die ihre Theologie ja meistens nicht auf Latein studiert hatten – Mühe, Latein zu schreiben oder auch nur zu verstehen“, so Gumpel. Er selber hatte eine gute lateinische Ausbildung erhalten, also sorgte er als Theologe dafür, dass diese Gruppe von Bischöfen nicht sprachlich abgehängt wurde. Einmal pro Woche gab es im Hotel Columbus an der Via della Conciliazione direkt am Petersplatz ein Treffen dieser Missionsbischöfe. Dazu passt dann auch der Schwerpunkt der Arbeit des Teams Molinari/Gumpel:
Schwierigkeit Latein: Helfer der Bischöfe
„Unsere Hauptaufgabe beim Konzil hatte noch einen ganz anderen Grund. Abgesehen vom siebten Kapitel von Lumen Gentium, das ganz von Anfang bis Ende von Molinari geschrieben ist – nach Anweisungen von Papst Johannes XXIII. und später auch von Paul VI., mit dem wir sehr viel Kontakt hatten – haben wir zusammen mehr als einhundert Konzilsreden schreiben müssen. Es hatte sich herumgesprochen, dass wir bereit waren, für die Leute Sachen in lateinischer Sprache zu machen. Und da machten wir ganz merkwürdige Erfahrungen.“ Gumpel erzählt von einem Bischof aus den USA, der bei der vierten und letzten Session unbedingt etwas sagen wollte, damit seine Leute zu Hause sähen, was er da eigentlich so mache. Das Thema sei ihm egal gewesen, aber diesen Auftrag hätten die beiden abgelehnt: Man helfe gerne, aber als Theologen treffe man nicht die Entscheidungen über Themen oder Inhalte. Dafür seien die Bischöfe da.
Diese Art von Unbestechlichkeit sprach sich herum. Pater Gumpel erzählt von einem Erzbischof und Kardinal aus Lateinamerika, der gleichzeitig einem großen Orden angehörte. Dieser sei eines Tages zu ihm gekommen mit der Bitte um fachlichen Rat, da er es Leid sei, in seinem Orden ständig ungebeten Ratschläge und vor allem Bitten, Aufforderungen und Beeinflussungen zu hören. Also schrieben die beiden von da ab auch diesem Bischof die Reden.
Es ist gut, dass die Professoren nicht regieren
Gumpel bezeichnet das als die „Arbeitsebene des Konzils“. Experten seien genau das, Experten. Er habe es immer für unredlich gehalten, dass Gelehrte, also Professoren und Experten, versucht hätten, das Konzil nach ihren Meinungen zu beeinflussen. Viele hätten das versucht, über ihre jeweilige Kompetenz hinaus. Das käme dieser Rolle aber nicht zu: „Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass eine sehr weise Maßnahme ist, dass die Regierung nicht in den Händen von Professoren ist, sondern in den Händen von Leuten, die einen gesunden Menschenverstand haben. Menschen, die vielleicht ihre Theologie weniger kennen als die Professoren und auch die Hilfe der Professoren nötig haben, aber dann selber entscheiden, was sie machen, tun und lassen.“
A propos Meinung: Pater Gumpel war auch dabei, als es darum, ging, die Richtung des Konzils zu entscheiden. „Es gab im Konzil eine Großgruppe, das waren die Leute aus Nordeuropa. Die hatten sich schon vorher zusammen getan und beraten, was ja ihr gutes Recht war. Die hatten viele Kontakte untereinander und hatten vielfach schon Dokumente ganz neu geschrieben, was ja legitim ist. Andere haben das nicht gemacht, die haben sich nie zusammengetan. Mehrer Bischöfe haben sich darüber beschwert, sie hätten über die Sache reden und beten wollen und dann von Fall zu Fall entscheiden wollen. Es sei ihnen nie der Gedanke gekommen, dass sich eine Bischofskonferenz zusammentut oder dass sich gar mehrere Konferenzen zusammen tun und damit eine Großgruppe entsteht, die die Sache dominiert. Und genau so war das, jedenfalls in den ersten beiden Perioden des Konzils.“
Der Einfluss Europas
Er selber bewerte den Einfluss der nordeuropäischen Bischöfe im Allgemeinen als positiv. Der Widerstand richtete sich vor allem gegen die Dominanz, nicht gegen die Inhalte. Damit räumt Pater Gumpel ein Vorurteil beiseite, im Konzil hätten sich zwei Gruppen – kirchenpolitisch als recht und links oder als konservativ und liberal zu bezeichnen – gegenüber gestanden. Es sei eben nicht so, dass es hier nach kirchenpolitischen Ausrichtungen gegangen sei. Im Gegenteil, viele diesen seien erst nachträglich an die Debatten, Positionen und Akteure herangetragen worden.
„Die Einteilung Konservative – Progressisten ist sehr fragwürdig. Sicher, es gab Leute, die sich mehr an der Tradition ausrichteten, andere, die neuen Problemen gegenüber aufgeschlossener waren, fortschrittlicher waren, aber das geht oft durcheinander. Ich habe das selber damals in persönlichen Gesprächen mitgemacht. Wenn einer in einigen Punkten beinahe ein Erzkonservativer war, war derselbe Mann auf anderem Gebiet viel progressiver als die Progressisten. Man kann die Leute nicht etikettieren, wie das einige gemacht haben. Sicher, es gab kleinere Gruppen, wo man solche Etiketten benutzen könnte, aber bei vielen eben auch nicht.“
Der Blick von außen schaffe eben nicht Klarheit darüber, wie es beim Konzil selber zugegangen sei. Überhaupt sei das eine Sache, die man bei der Beurteilung des Konzils nicht vergessen dürfe: Die Beeinflussung durch die Presse. Bereits beim Ersten Vatikanum seien immer wieder Dokumente an die Medien weitergegeben worden, und dadurch sei Druck entstanden, obwohl es ein völliges Schweigegebot gegeben habe. „Das hätte eigentlich bei der Vorbereitung eine Warnung sein müssen,“ man habe das völlig unterschätzt. Die Weitergabe von Dokumenten und Informationen an Journalisten sei verzweckt worden. Man müsse nur die Konzilsakten lesen und dagegenhalten was wann wo in den Medien veröffentlicht wurde, würde das auch für die anschaulich, die damals nicht dabei gewesen seien. Man könne genau sehen, wie Berichte die Beratungen beeinflusst haben. „Ich selber habe wiederholt bei Interviews zum Zweiten Vatikanum gefragt, über welches Konzil wir denn reden, über das wirkliche Konzil wie es aus den Akten hervor geht, oder über das Konzil so wie es von euch Journalisten in der Presse dargelegt wurde. Diese Beeinflussung ist bis auf den heutigen Tag so.“
Die Kunst des Kompromisses
Das Konzil habe es den verschiedenen Lesarten aber auch einfach gemacht: Ganz eindeutig seien die Texte häufig nicht. Das habe am Charakter des Konzils und seiner Absicht gelegen, so Gumpel. Man habe im Konzil eine Erfahrung aus dem Ersten Vatikanum vermeiden wollen: Damals waren einige Bischöfe vorzeitig im Protest abgereist. Diesen offenen Bruch wollten alle unbedingt vermeiden. Der Preis dafür seien Kompromisse in den Texten gewesen; eine Gruppe wollte dies, eine andere das, also habe man Wege gesucht, beides in den Konzilstexten unterzubringen. Man wollte – vom Papst abwärts – einstimmige Abstimmungen, also brauchte man Kompromisse. Die Meinungen seien auch im Zweiten Vatikanum häufig so scharf gegeneinander gestanden, dass eindeutigere Texte nicht approbiert worden wären. Im Text würde etwas gesagt und dann würde das direkt danach wieder abgeschwächt, „mit der einen Hand wird etwas gegeben, mit der anderen etwas zurück genommen“, man habe also in einigen Dokumenten keine ganz klare Linie. Daraus seien Schwierigkeiten der Interpretation entstanden, die bis heute anhielten: Einige konzentrierten sich auf den einen Teil des Kompromisses, andere auf einen anderen Teil, und dadurch entstünden bis heute ganz verschiedene Interpretationen des Konzils.
Zurück zur Arbeit von Pater Gumpel: Die Reden des Arbeitsteams – geschrieben oder auch nur übersetzt – wurden entweder in der Aula gehalten oder auch nur zum Studium zu den Akten gegeben. So eine Rede war schwer zu schreiben, die Redezeit war beschränkt auf zehn Minuten. Und da Latein langsam vorgetragen werden müsse, „sonst kapierten die Leute sowieso nichts,“ war da wenig Zeit für viele Argumente. Also haben sie immer nur bei den von ihnen geschriebenen Reden einen einzelnen Aspekt herausgestellt, aber alles nur auf Wunsch und nach Absprache mit den Bischöfen.
Diskussionen im Konzil?
A propos Reden: Beim Ersten Vatikanum habe es Reden gegeben, die über eine Stunde gedauert hatten, das habe man beim Zweiten nicht mehr gewollt, auch mit Blick auf die Menge der Teilnehmer nicht. Im Konzil von Trient waren bei der Eröffnung 31 Konzilsväter, beim Ersten Vatikanum 727. 1961 waren es dann weit mehr als 2.500. Hier sei ein großer Mangel im Zweiten Vatikanum sichtbar: Es gab kaum Zeit.
Auch hatte das Konzil von Trient zwei Gruppen von Beratern. Zuerst haben die Theologen diskutiert, dann erst die Konzilsväter. Dadurch seien die Väter genau informiert über die Diskussionen und die Themen, die zur Diskussion standen. Beim Ersten Vatikanum habe man immerhin noch so lange reden können, wie man wollte, auch das eine Methode, seine Standpunkte für oder gegen etwas genau darzulegen und abzuwägen. Das habe es beim Zweiten Vatikanum nicht gegeben. Die Redezeit musste auf 10 Minuten beschränkt werden. „So wie es dann beim Konzil war: Einer redete über diesen Punkt, ein anderer über einen anderen, das war nie eine zusammenhängende Darlegung der Prinzipien, die hinter der ganzen Debatte standen.“
Nicht nur, dass die Themen in der Aula für alle nicht tief genug hätten behandelt werden können, für viele sei das schlicht eine Überforderung gewesen: „Viele Bischöfe hatten jahrelang und jahrzehntelang nicht mehr auf der Schulbank gesessen. Jetzt mussten sie monatelang zuhören, was der eine und dann der andere sagt. Das war eine enorme physische, aber auch psychische Leistung, das alles zu verarbeiten. Und dann kam der Faktor Müdigkeit dazu: Fünf Stunden in der Aula zu sitzen und eine Rede nach der anderen zu hören, ich bin froh, dass ich dazu nicht verdonnert wurde.“