[Ein Nachtrag zu einer Zeile in einem Post vor einiger Zeit, nach einigen Gesprächen mit Kollegen]
Es gehört zum Wesen des Journalismus, sich vor allem Dingen zuzuwenden, die nicht klar sind. Wo es Widerspruch, unterschiedliche Meinungen, Auseinandersetzungen und Mangel an Information gibt. Kontroverse und Polarisierungen, da sind wir gerne zu Hause.
Im Journalistensprech heißt das dann gerne „umstritten“. Seit Jahren führe ich eine kleine private Liste über die Verwendung dieses Wortes und meiner – nicht repräsentativen – Beobachtung nach hatte die überbordende Verwendung in den vergangenen Monaten etwas nachgelassen. Erfreulicherweise. Jetzt sehe ich es wieder in Verwendung, bei umstrittenen Päpsten, umstrittenen Bischöfen und so weiter. Deswegen meine Zeilen an dieser Stelle.
Das Großartige an dem Wort „umstritten“ ist, dass es immer wahr ist. Sobald ich, der Journalist, etwas „umstreite“, ist es umstritten. Der Gebrauch des Wortes macht es also zutreffend. Eigentlich wäre das ein Grund, das Wort nicht zu benutzen, aber da es so schöne Reizsignale aussendet, findet man es gerne in journalistischen Texten vor. „Polarisierung!“ ruft es mir zu, und in meinen Bildschirm schauend kann ich der Versuchung nicht widerstehen.
Manchmal macht das Wort auch erst eine Nachricht. ‚Person X sagt ABC’ ist keine Nachricht; dass irgendwer eine Äußerung von sich gibt, sollte nicht gleich die Tastatur in Bewegung setzen. Aber wenn Person X „umstritten“ ist, dann äußert sich X ja vielleicht zu dem Konflikt, den wir dank des benutzten Adjektives jäh zu vermuten gedungen sind.
Umstritten bedeutet, dass da etwas Schlimmes ist, Streit und so weiter. Dass die Berichterstattung diesen Konflikt oft durch diese Berichterstattung erst herstellt, bleibt außen vor.
Deswegen mein Vorschlag, zugegeben ein naiver: Das Adjektiv niemals im passiven Sinn von „ist umstritten“ benutzen, sondern immer nur im aktiven Sinn unter Nennung des Namens, wer denn da etwas „umstreitet“.
Ein kleines unbedeutendes Plädoyer für etwas mehr Klarheit. Und eine Warnung vor weiterer unbedarfter Nutzung.
Die Form “etwas ist umstritten” weist doch nebenbei darauf hin, dass es real mehrere Personen gibt, die unterschiedlicher Auffassung sind. Das kommt meines Erachtens nicht heraus, wenn “ich etwas umstreite”. Dann kann ich im Extremfall in Bezug auf die Sache auch ein Robinson Crusoe ohne Freitag sein.
Steht so wohl nicht im Duden, ist aber als Anliegen gut. Ein schönes Bildwort dafür ist: Es gibt Menschen, die solange den Kopf schütteln, bis sie ein Haar in der Suppe finden!
Interessant! Und wie steht “umstritten” zu “unbestreitbar”? Jesus ist für uns gläubigen Christen unbestreitbar Gottes Sohn, obwohl wir wissen, dass dies aus Sicht anderer Weltreligionen weder unbestritten noch unumstritten so ist. Also ist letztendlich sogar Jesus umstritten und sogar bestreitbar, falls es letzteres Wort überhaupt gibt.
Was ich damit sagen will: Die reinste Wortbedeutung von “umstritten” ist nicht schlimm, beschreibt einfach etwas ganz Normales, dass es nämlich fast für alles unterschiedliche und auch streitbare Sichtweisen gibt.
Dem Wort “umstritten” ist aber irgendwie die Bedeutung “zurecht aufgrund eines Makels oder ernsten Verdachtes umstritten” zugekommen.
Dieser Artikel scheint mir unumstritten umstritten zu sein.
Manche Menschen leiden an chronischer Langeweile….mir wollen sich einige Beiträge einfach nicht erschliessen?