Ich habe drei Stück davon, sie liegen zwischen den Seiten meines Breviers: Andachtsbilder. Und ich stehe dazu. Ist ja nicht wirklich modern, sowas. Sie haben den Ruch des Kitschigen, und die ach so fortschrittliche Kirche will davon so recht nichts mehr wissen. Dabei gilt: unsere Welt ist voller Bilder. Vom Selfie über die Werbung hin zu Sprach-Bildern, mehr als jemals. Und nur das Fromme hat sich daraus zurück gezogen. Und ist irgendwie ärmer geworden.
Wer außer preisgekrönten Architekten findet denn wirklich noch nackte Betonwände in Kirchen angemessen? Kaum jemand, denke ich. Das hat etwas von Zwang, von Vorenthalten. Dabei will unsere Emotion auch etwas Abhaben vom Glauben, und das ist auch gut so. Man muss ja nicht unbedingt die künstlerisch fragwürdigen Bilder aus dem 19. Jahrhundert nehmen. Wobei wir beim Thema wären: Kunst.
Unsere Welt ist voller Bilder
In München hat man sich des Themas angenommen: wie könnte so etwas heute aussehen, Andachtsbilder 2020? Ansehen kann man sich das derzeit in einer Ausstellung in der ehemaligen Karmeliterkirche. Wobei Andacht sehr weit verstanden ist. Es geht um Momente des Innehaltens, um ästhetisch vermittelte Begegnung mit Gott, mit sich selbst, mit der Welt um uns herum. Keine Pädagogik, kein Belehren, eher frei gehaltenes und meditatives An-Denken.
Über achtzig Stücke sind es geworden. Einigen sieht man noch an, dass sie aus der katholischen Formsprache entstammen, wenn auch entwachsen sind. Andere sind ganz neu und anders gestaltet. Und beim Jesus-Selfie ist auch eine gehörige Portion Ironie dabei. Die Bilder sind auch nicht dazu da, von mir ins Brevier gesteckt zu werden, es sind überwiegend Holz- und Metallarbeiten.
Selfie-Jesus
Solche Bilder werden zunehmend wichtig werden. Eben weil wir in einer Bild-Welt leben. Außerhalb unserer sich glaubensmäßig fortschrittlich gebenden europäischen Welt trifft man das noch viel mehr, es ist wichtig, das Glaube und Gebet auch ästhetisch vermittelt ist. Der viel geschmähte Volksglauben kennt das an vielen Stellen. Mit Papst Franziskus ist die Wertschätzung dieser Formen sogar in den Vatikan eingezogen, die Theologie des Volkes Gottes ist die argentinische Version der Befreiungstheologie und unterstreicht das, was Menschen für ihren Glauben brauchen. Sie geben nicht vor, sie wertschätzen erst einmal.
Nun müssen wir hier wohl erst einmal neu lernen, mit diesen Bildern umzugehen. Und deswegen finde ich die Ausstellung so interessant. Eben weil es nicht neue Formen des Alten bringt, sondern Neues. Es sind Versuche, da wird was ausprobiert.
Keine neue Formen des Alten
Einen großen Unterschied zu den alten Bildchen möchte ich aber noch einmal betonen: es ist keine Bebilderung von Lehre oder Bibel. Das war es ja, was in der Vergangenheit unter dem angestaubten Titel Andachtsbild verstanden wurde. Eine süßlich blickende Heilige, ein Maria mit Kinde (das ‚e‘ ist hier wohl wichtig), ein Kruzifix. Das findet sich hier nicht. Kreuze nur angedeutet, biblische Geschichten habe ich keine entdeckt. Engel gibt es, aber das passt ja auch irgendwie in unsere Moderne hinein.
Damit werden diese Bilder selbstständig. Sie dienen nicht der Vermittlung, sondern bleiben eher freie Assoziation. Wem so ein Bild in freier Wildbahn begegnen würde, der würde kaum auf den Titel ‚Andachtsbild‘ kommen. Das war früher anders, die Bildchen waren eindeutig zuzuordnen. Diese neuen Bilder brauchen also notwendigerweise den Zusammenhang und den Titel, alleine stehen sie nicht. Das ist anders.
Das Experiment ist es wert, finde ich. Und einen Besuch in der Ausstellung auch.
Der erste Text im Begleitheft zur Ausstellung „Ikonen – Was wir Menschen anbeten“ in der Kunsthalle Bremen ist mit „Die Ikonen und die Folgen. Wie das Göttliche sich zeigt“ überschrieben. Dort heißt es am Ende, dass sich im 19. Jahrhundert ein Bruch zwischen Religion und Kunst vollzog und das Andachtsbild in die Krise geriet. Ungefähr in der Mitte der Ausstellung, zwischen Bild Nr. 34 „Schwarzes Quadrat“ von Kasimir Malewitsch und Bild Nr. 36 „Weltgerichtsretabel“ von Anonym, 1621, war ich zutiefst religiös berührt vom Werk mit der Nr. 35, Janet Cardiffs „The Forty-Part Motet“, von 2001. Es entspricht meinem Empfinden vom Wahren, Guten und Schönen; vom Kern der Aussage „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Der Begleittext begleitet die Reihe ab Ausstellungs-Nr. 35 mit den Worten „… Der christliche Glaube versteht sich – wie der jüdische und der islamische Glaube – als Religion der sprachlichen Offenbarung: Das Göttliche vermittelt sich über das Wort.“… Hinzu kommt das zweite Gebot „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen“. Damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Deswegen habe ich keine Gefühle von Erhabenheit und Ergriffenheit in barocken Kirchen und mit barocker Malkunst. Deswegen bin ich eine große Freundin möglichst kahler Wände und einfacher architektonischer Formen wie ich sie gerade im letzten Sommerurlaub mal wieder in romanischen Kirchen und Kapellen in Südfrankreich gefunden habe.
In meinem Umfeld, im hessischen Odenwald, also in der Diaspora im Bistum Mainz, erlebe ich eine große Hilflosigkeit in der Ausgestaltung der Kirchenräume, aktuell bei der weihnachtlichen Gestaltung. Der Adventskranz wurde vom „Weihnachtsbaum“ abgelöst und in einer der Ecken sieht man eine Krippenszene. Aber die Gemeinde ist nicht sichtbar. Welche Möglichkeiten gibt es zur (natürlich datenschutzkonformen) Darstellung und Erkennbarkeit der neu gewählten Mitglieder von Pfarrgemeinde- und Verwaltungsrat? Wo werden die hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Pfarrei vorgestellt? Gibt es in der Gemeinde besondere Gruppen, Projekte und Angebote? Für wen wird um ein besonderes Gebet gebeten? Gibt es z.B. Gebets- und Gesprächspatenschaften für die Kinder in der Vorbereitung auf die Erstkommunion und für die Firmlinge? Wer wurde getraut? Wer getauft? Welche Medien bieten sich dafür an?
Apropos Medien: Bei der Jahresschlussmesse hat unser Pfarrer anhand von vier Bildern (Vorlage aus Bergmoser + Höller, Liturgie …) und mit Anregungen aus der Jahresmeditation dort die Messe gestaltet. Leider musste er in dem Kirchraum in Kirchbrombach (Gemeinde Brombachtal, Odenwaldkreis) dazu eine Leinwand vor den Altar stellen. Der Tisch mit dem Beamer verstellte dann für die Menschen in den hinteren Reihen zusätzlich den Blick auf die Bilder. Sinnvollerweise hat der Pfarrer der Gemeinde dann für das Jahr 2020 auch bessere Gestaltungsmöglichkeiten für die Nutzung moderner Medien in den Gottesdiensten gewünscht.
Ich wünsche mir manchmal – für mich und für meine Mitmenschen – in den Kirchen eine Wand mit den Funktionen der „Klagemauer“ in Jerusalem und einen Kreuzesstamm, an dem man sich anlehnen, an dem man sich festhalten und den man umarmen kann.
Bilder sind sehr wichtig, meine ich. Auch für Religionspädagogik und jeder kann sich – frei nach Taize – seinen Lieblingsvers und sein Lieblingsbild aussuchen, unsere Religion ist da sehr umfassend und liberal. Ich liebte mal sehr das letzte Abendmahl nach Salvador Dali, dem man sowas eher nicht zutraut, nur das er den schönen Jesus dort doch sehr blond und mit zu kurzen Haaren im Gesamtwerk darstellt, hat mich gestört, mir wäre der traditionelle noch lieber gewesen, aber das Gesamtgemälde war prägend, auch was die Aussage zur Eucharistie hergibt.
In Recklinghausen, im bekannten Ikonenmuseum, gibt es derzeit eine Ausstellung zu Ikonen. Ich hoffe, den Weg in die Ausstellung in München zu finden, liegt näher.
Dass die urchristliche Legende besagt, die ersten Ikonen malte Lukas, der Anatom und der Wortmaler des Weihnachtsevangeliums. Ein schöner Zufall.
Diese Skulpturen aus München wirken modern und dreidimensional. Ich meine, zur Geschichte der Ikonen gelesen und verstanden zu haben, die christlichen Maler der Antike haben eben extra einen Gegensatz zu den Statuen und Statuetten der Heiden und Römer schaffen wollen. Die Ikone als Opposition zum mächtigen Kaiser aus Stein. Edel und bescheiden.
Zum Volksglauben und zu ehemaligen Image der Priester: meine Oma (*1908) und ihre katholischen Freundinnen ließen kaum eine Primiz aus, die mit halbwegs tauglichen Mitteln erreichbar war. So um 1980 wurde dann die Wertschätzung für junge Priester, durchaus durch Mitwirkung der Medien, etwas konterkariert. Jedenfalls hatte jeder geweihte Priester für seine Primiz ein schönes Bildchen und einen Bibelvers dazu. Meine Oma liebte diese Devotionalien und behielt sie bis zum Tode.
Millionen Fotos werden heute in einer Stunde über Whatsapp etc. verschickt. Der Trend hört nicht auf. Die Szene mit Papst Franziskus und der übergriffen Besucherin, von Dutzenden Smartfons wird es bezeugt. Das war früher anders. Einer brachte mit der Inflation der Bilder die Parabel vom Reiskorn und den Schachfeldern und was passiert, wenn nach jedem Feld die Reiskörner verdoppelt werden.
Zahlten nicht die Amerikaner für eine erste Fotografie von „Bill the Kid“ (oder einer anderen Lichtgestalt der großen amerikanischen Geschichte) unlängst an die 5 Millionen Dollar?? Erstaunlich. Heute wäre er auf allen Selfies, zumindest bei jenen, die er nicht attackiert.
Jetzt an Neujahr wurde in einem Zeitungsartikel an das Jahr des Malers Raffael erinnert. Einen Satz fand ich recht bezeichnend: angeblich bis um 1850 war das bekannteste Gemälde der Welt die Sixtinische Madonna des Raffaels. Jedenfalls was sehr christliches.
Dann wurde der Inbegriff der Frau in der Kunstgeschichte auf Mona Lisa von Leonardo projiziert.
Kann ja etwas mit Aufklärung zu tun haben.
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