Religion enthält grundsätzlich die Gefahr von Missbrauch. Gestern Abend (Mittwoch), in einem Kino in Friedrichshain in Berlin, wurde in einer Preview Christoph Röhls Film „Verteidiger des Glaubens“ über Joseph Ratzinger und die Missbrauchs-Frage gezeigt. Und danach durfte ich mit dem Regisseur auf der Bühne debattieren.
Röhl ist bekennender Nichtglaubender. Was ja für eine journalistische Perspektive gut sein kann. Und über seinen Film kann man viel sagen, an einigen Stellen mag ich dort vorgebrachten Positionen widersprechen, andere Stellen mag ich mitreden.
Verteidiger des Glaubens
Aber das hier soll keine Filmkritik sein. In dem Gespräch danach kamen wir auch auf die Frage, wo genau Missbrauch eigentlich beginnt. Der Regisseur sagte am Schluss etwas Bemerkenswertes: Religion beginne da missbräuchlich zu werden, wo schwache Menschen auf der Suche nach Sinn mit Heils- und Erlösungsversprechen gelockt würden.
Ist das so? Meine erste Reaktion, die ich aber nicht ins Mikro gesagt habe, war: ich würde zustimmen, wenn er gesagt hätte, Missbrauch begänne wo Religion zum Mittel wird. Ich glaube, das hat er auch gemeint. Wenn Religion eben um den Menschen kreist und es um Macht oder Ordnung oder was auch immer geht.
Macht und Ordnung?
Im Film geht es um Joseph Ratzinger, um Irland, um die Legionäre Christi, es geht um Missbrauch und Moderne und Konzil, es sind fast schon zu viele Themen, die verhandelt und gezeigt werden. Irland hat sehr viel Platz, während die Theologie Ratzingers verkürzt dargestellt wird.
Aber der Punkt ist ja, dass so ein Film zum Reden einlädt. Zum Widerspruch, aber auch zur Nachfrage. Und die Frage nach dem „blinden Fleck“, wie es der Moderator Joachim Hake von der katholischen Akademie Berlin formuliert hat, wird durch den Film zum Thema. Wo sind blinde Flecke bei Joseph Ratzinger? Oder wo hat vielleicht der Film selber blinde Flecke?
Blinde Flecke
Das ist überhaupt die wichtigste Frage nach dem Film: was sehen wir nicht? Wollen oder können wir nicht sehen? Was Röhl versucht, paradigmatisch wie er sagt bei Joseph Ratzinger zu zeigen, gilt auch für uns. Etwa die Frage nach dem Klerikalismus, der eine Spielart der Verzweckung von Religion ist.
Röhls Film ist zurückhaltend genug, um Gespräche darüber anzuregen. Er will nicht überwältigen, durch Skandal oder steile Thesen. Auch wenn er selber wie ich meine auch blinde Flecken hat, ist er doch eine Einladung zur Debatte.
Ein zurückhaltender Film
Es gab im Laufe der Publikumsreaktionen einen Beitrag, den ich bezeichnend fand. Ein Ingenieur, der selber in jungen Jahren den Theologieprofessor Ratzinger gehört hatte, sprach davon, was er alles inspirierendes bei diesem Denker gehört hatte. Im Film kommt diese Theologie eher als Karikatur vor, das sah der Zuschauer offensichtlich einen solchen blinden Fleck.
Und da sind wir bei der Frage: können wir schwächen und blinde Flecken entdecken, ohne gleich ein Urteil zu fällen? Das Inspirierende behalten? Sind wir selber zurückhaltend und fragend genug, nicht sofort Urteile zu fällen? Oder dient die Personalisierung, wie sie der Film mit Joseph Ratzinger vornimmt, nicht auch zum Abschieben des Problems auf einzelne Personen?
Wo beginnt Missbrauch? Röhl versucht sich an seiner Antwort, als Geschichte der Tragödie eines Mannes, wie er sie erzählt, wird er seinem Thema und der gewählten Person nicht gerecht. Aber er stellt die Frage, nach den blinden Flecken, nach Theologie, nach Kirchenbild, nach Wegschauen. Und als Beitrag in der Debatte sind das Fragen, die immer wieder gestellt werden müssen.
Kommentare der Weltpresse zu Vatikan-News (insbesondere Springer-Verlag, Bild-Zeitung etc. pp.)
Ist folgendes Zufall:
im Februar nach der Kinderschutz-Konferenz wurde jede positive Interpretation im Keim erstickt, in dem man den Fall Pell in einer Kampagne zelebrierte.
Jetzt versucht man es wieder, weil die Synode doch Sympathie für Katholisches und den Vatikan bringen kann. Da geht man weiter und baut mal eine diffuse mediale Anklage gegen den deutschen Papst Benedikt XVI auf.
Also meine Meinung zur Weltpresse und zur Frage, ob man im 21. JH religiöse Themen mit DIESEN Medien diskutieren kann, verfestigt sich in Skepsis und im Negativen. Es geht nur sehr punktuell, z.B. Herder oder christliche Fernsehsender oder von mir aus mit einer DVD mit einer alten Aufnahme Don Camillo und Pepone.
Der Vatikan (oder auch der Orden SJ) könnte überlegen, die ungefähr 400-600 Mitarbeiter in den Kommunikationsabteilungen anders einzusetzen. Z.B. ein Referat für Christenverfolgung. Ganz konkret halt.
Man muss erkennen, wenn man in der Sackgasse ist, rein weltlich gesprochen.
Der Großteil der Presse soll zum Teufel gehen. Um es mit einer alpenländischen Floskel zusammenzufassen
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zu den Legionären gibt es viele Dokumentationsfilme online. Es war ein haarsträubender Fall von systematischen Missbrauch. Es ging um sexuellen Missbrauch in einer Männerhierarchie, ganz klar. Ob die Päpste das rechtzeitig erkannt haben? Wer will das endgültig urteilen.
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Viele Theater und Operninszenierungen (Idomeneo, dieser Sommer in Salzburg, wurde auf diesem blog diskutiert) sind in den letzten Monaten sehr kritisch zur katholischen Kirche (nota bene: vor allem oder nur zu dieser), obwohl das Libretto es tlw. nicht hergibt. Das ist schon ein Trend.
Es zeigt aber auch, dass die religiösen Fragen noch immer eine große Provokation sind. Das sehe ich positiv.
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Den Zeitgeist von Kultur und Medien in der angeblich so aufgeklärten (in vielen Dimensionen sehr intoleranten) EU sehe ich zusammengefasst als BELEIDIGUNG und Farce für unsere abendländische Kultur und Vergangenheit, um es populistisch zu sagen. Auch in Deutschland und Österreich.
Also sehen Sie es als Beleidigung an, wenn Wahrheiten, hier die Wahrheit dass die katholische Kirche durch ihre Strukturen und bis in höchste Kreise Missbrvertudcht und Täter geschützt hat?
Der Missbrausskandal wird die Kirche verändern. Das „ach früher war es aber schöner“ ist vorbei. Und da die Kirche in ihrer Struktur immer noch nicht den Knall gehört hat, wird Sie von außen verändert.
Sie können weiter die Augen verschließen oder Sie nehmen die Chance wahr die uns die Welt bietet!
Blinde Flecken fallen nur für ontologisch argumentierende Erkenntnistheorien aus dem Rahmen. Für anthropologisch, soziologisch, biologisch, neurologisch orientierte Ansätze, also für den Rest der Wissenschaft, sind sie normale Begleiterscheinungen des Erkennens. Wie kann man die eigenen blinden Flecken ausleuchten? Durch Perspektivenwechsel, indem man also versucht, die Dinge einmal wohlwollend mit den Augen des Anderen zu sehen. Ich greife hier die schöne Formulierung von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI aus seinem Vorwort zum 1. Band seines Jesus Buchs auf, wo er schreibt:
„Gewiss brauche ich nicht eigens zu sagen, dass dieses Buch in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens „nach dem Angesicht des Herrn“ (vgl. Ps 27,8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.“ (S. 22)
Verständnis braucht einen Vorschuss an Sympathie. Und an diesem Punkt mache ich der Theologie von Joseph Ratzinger den Vorwurf, dass sie zu sehr immanent argumentiert und die moderne Gesellschaft Deutschlands nur im Gegensatz zur Kirche wahrnimmt. Das Postulat von der notwendigen Entweltlichung der Kirche ist jedenfalls nicht geeignet, einen fruchtbaren Dialog mit der Gesellschaft zu fördern. Deshalb wird dieser Theologie auch ihr blinder Fleck erhalten bleiben.
Und der Blinde Fleck des alten Papstes geht ja so weit, dass er lieber die 68er beschuldigt als seine persönliche Verantwortung im Missbrauchs Skandal klar zu benennen.
Er versündugt sich so in meinen Augen an der Kirche.
Schöne Argumentation von Herrn Compes.
Blinder Fleck… was, wenn wir die ersten Anzeichen einer Christenverfolgung ignorieren… ich sprech mal von digitaler Christenverfolgung (gemeint: sehr subtil und akkordiert – ein Vokabel dazu war im 20. Jh.: Propaganda; Gewalt wird vermieden, wobei es Atheisten gibt, die durchaus applaudieren, wenn sich zB Muslime und Hindus gegenseitig bekämpfen)
Heute Morgen, das Wetter ist wirklich so, wie man sich den 1. November ausmalt, hab ich mir beim frühen Spazieren eine emotionale Frage gestellt. Ich muss voraus schicken, dass ich wirklich sehr besorgt bin, wie sich die EU entwickelt, soziologisch, politisch, militärisch. Ich meine, wir haben unsere Demokratie, also die reine Form (die es eventuell um 1990 reiner gab), schon lange wieder verloren, das ist aber vermutlich nicht das Thema zu Filmen wie Röhl (blinder Fleck).
Also ich stelle eine gewagte aber ernst gemeinte These auf, manche sollen es als Verschwörungstheorie gleich wieder weglegen:
in der EU gibt es eine gezielte abgestimmte erste Form der Christenverfolgung ( Motivation z.B. vor allem das ewige Ärgernis, dass die Geschichte der katholischen Kirche ja doch nicht so kriminell ist, wie alle immer darstellen wollen. Und dass man die Geschichte von Spätantike und Mittelalter wegen der vielen Spuren nicht ganz auslöschen kann).
ich sag dazu: DIGITALE CHRISTENVERFOLGUNG. Vorerst.
Was später kommt, die physische, kann sich ja zufällig entwickeln.
In der Verfassung der EU gibt es keinen Gott. Ich halte das für einen Skandal, andere nicht.
Wegschauen, wieder ein blinder Fleck.
Eminenz Kardinal Hollerich oder Kardinal Marx (selbst dem Heiligen Vater, Franziskus) kann ich in der Tagespolitik da nur sehr verwirrt folgen, wenn wir Katholiken auf diese EU, die ja Gott leugnet, eingeschworen werden.
Ich bin dazu wirklich ein blindes verwirrtes Schaf. Erblindet auf beiden Augen. Ich finde hier in die faktische Kirchenpolitik nicht zurück. Was nicht schlimm ist, weil diese nicht so wichtig ist wie die spirituelle Ebene der Kirche. ich flüchte z.B. zu Caterina von Siena (ggf. auch in die Bücher von Joseph Ratzinger)
Ich meine, viele digitale Angriffe basieren ideologisch und ontologisch auf dem Eurokommunismus um 1920-1945. Also Frankfurter Schule, Hemingway, Sartre usw. Jene, die immer vom guten Marxismus in Europa träumten und später meinten, die Gewalt in Moskau ist ja nur ein Betriebsunfall. Die Nostalgie des spanischen Bürgerkrieges, oder alles, was dann die Verherrlichung der Ikone che Guevara frönte, als emotionale Basis. Die Freimaurer lass ich mal weg.
Brüssel heute folgt theologisch und politisch viel mehr dem Mindset des Eurokommunismus im 20. Jahrhundert als der christlichen Philosophie. Das gilt unter anderem für den wichtigsten Politiker der letzten 20 Jahre, der in der DDR gut ausgebildet wurde. Angela Merkel.
Man hat nur dazu gelernt: Kolchosen in der Schule Stalins und Lenins haben wenig Produktivität gebracht. Die multinationalen Konzerne, hier muss man sich auch mit der Börse abfinden, wenn es der Weltherrschaft dienlich ist, sind doch viel besser. Von der Ideologie sind Amazon oder Google eindeutig marxistisch, also 100% weltlich, das Ding ist wichtiger als der Mensch. Und Gott wurde soundso als pathologische ERfindung abgeschafft.
Wir sollten nicht blind sein, wo unsere Demokratie scheibchenweise de-montiert wird (ein Beispiel: Digitalisierung und Erlauben der Gesichtserkennung nach Vorbild China).
In diesem Sinne: auch die Bild-Zeitung ist soziologisch verglichen mit 1988 verdammt euro-kommunistisch, bürgerlich ist da nix mehr. Familien, Bauern, kleine Betriebe, Kirchen, alles muss lächerlich gemacht werden. Kritik an einem starken Staat, an der Polizei, an den Konzernen findet man andererseits fast nie. Blinde Flecken?
Die Kritik der Katharina Blum war ja sehr abgekapselt.
Ist also Springer kommunistisch? Eurokommunistisch. Könnte sein. Ich mach mir im Novembernebel Sorgen.
Bürgerlich ist die Bild-Zeitung nicht.
Solange man über digitale Christenverfolgung schwafeln kann, kann es mit der Krise ja nicht wirklich weit sein.
Was denken Sie, wie sich die Opfer des C Missbrauchs durch Kleriker gefühlt haben und immer noch fühlen? Die sind nicht digital verfolgt sondern ganz real missbraucht und durch Vertreter der Institution diskreditiert und mundtod gemacht worden.
Es tut mir leid. Eine digitale Christenverfolgung scheint mir sa ein wunderbarer blinder Fleck zu sein um sich der Realität zu verschließen.
Vielen Dank für Dietmar und Paul Compes für Ihre Ausführungen, die sehr wohl nachdenklich machen. Die Wirklichkeit, die hier aufgeführt wird, scheint neue Dimensionen zu erhalten. Bin über die Begrifflichkeit „schwafeln“ irritiert.
In diesem Kontext fiel mir die schwierige Rede von em. Papst Benedikt ein ( sogar als „Hassrede“ gebrandmarkt). Es war die berühmte Rede 2006 in Regensburg.
Es gab dann 2007 einen Brief von muslimischen Gelehrten, die einen ehrlichen Dialog suchten.
„Insbesondere nach dem Türkeibesuch Papst Benedikt XVI. beurteilten viele zunächst kritische Stimmen die Rede neu. Die islamische Zeitung „Zaman“ sprach davon, dass „der Dialog der Religionen nun wirklich in Gang gekommen sei“ und Die Zeit – zunächst sehr barsch in ihrer Kritik – sprach nun anerkennend vom
„Weisen im Morgenland“ der „in der islamischen Welt zur wichtigsten Autorität des Westens wird“.
(aus „Licht der Welt“ 2010)
Es scheint, dass dieses Bild für einige nicht akzeptabel war. Somit sucht man bzw. hat schon längst Argumente gefunden, um eine Person zu diffamieren. Auch einen ungewöhnlichen Dialog nicht mehr zuzulassen. Die ersten „Steine“ wurden schon geworfen.
Ich habe den Film noch nicht gesehen. Aber es scheint eine bewusste Inszenierung mit einer manipulierenden Botschaft.
Benedikt XVI. Hatte sich selbst vorgenommen mit seinem Rücktritt zu schweigen.
Er hat sich an sein eigenes Wort nicht gehalten. Das ist schon schlimm genug.
Dass er dann aber zur wichtigen Frage des Missbrauchs nichts anderes hin bekommt als die Schuld anderen zuzuschieben ist erbärmlich.
Er mag ein großer Theologe sein. Ich teile einige seiner theologischen Ansichten nicht. In Punkte Missbrauch und Aufarbeitung des selben hat er versagt und sich in meinen Augen an der Kirche versündigt. Alles drumherumgescjwafel lenkt von dieser Tatsache ab.