Frömmigkeiten sind immer auch Kirchlichkeiten: Als am vergangenen Sonntag ganz groß die Volksfrömmigkeit(en) gefeiert wurde, machten sowohl Erzbischof Fisichella in seiner Begrüßung des Papstes als auch der Papst selber deutlich, dass diese Formen einer „Reinigung“ bedürfen. Schwärmerei kann Formen annehmen, die dann mit dem Glauben nur noch wenig zu tun haben und ein Eigenleben bekommen.
Gleichzeitig wird aber auch immer wieder die gute, fruchtbare Seite dieser Volksfrömmigkeit betont, gerade hier zeige sich direkt die Umsetzung eines Vertrauens und einer Anbetung, so der Papst.
Das erinnert mich an meine kurze Zeit in Chile: Manchmal muss man als Fremder auf die Dinge sehen, um die eigenen Traditionen schätzen zu lernen.
Da gab es zum Beispiel in Duao eine Petrus-Fahrt; alle Fischer des Dorfes stiegen in ihre kleinen mit Außenbordern betriebenen Bote und fuhren über eine Lagune, bepackt mit allen Bewohnern der Ortes, die irgendwie herein passten. Auf einem offenen Boot stand eine kleine Petrus-Statue, im Boot dahinter der Priester im Ornat. Petrus ist als Patron der Fischer „zuständig“ für den Lebensunterhalt der Menschen in dem Dorf, also bekommt er eine Aufmerksamkeit, die den zweiten Heiligen des Tages – Paulus – völlig verdrängt. Ich habe mich manchmal gedacht, wie viel von dem sich schließlich auf Christus bezieht, habe aber beschlossen, kein Richter sein zu wollen und das dem Pater überlassen, der diesen Schritt für die Menschen nachvollziehbar und nicht zu theologisch vollzogen hat.
Natürlich waren da auch Jungenstreiche dabei, wer hat den stärksten Motor und so, das Ganze war keine Frömmigkeitsübung reinsten Wassers. Aber es hatte etwas sehr menschliches, weil es die gesammelten Sorgen und Bedürfnisse einer nicht wirklich wohlhabenden Gegend erst in einen Gottesdienst und dann in ein gemeinsames Fest brachte.
In Talagante – in der Nähe von Santiago – habe ich das Corpus-Christi Reiten erlebt. Zu Fronleichnam wird alles gesattelt, was vier Beine hat oder auch zwei Räder und dann wird jedem und jeder die Kommunion gebracht, gleich wie weit weg er oder sie wohnt. Andere gehen in die Krankenhäuser und ins Gefängnis. Ein ganzer Ort ist auf den Beinen um sicher zu stellen, dass mindestens an diesem Tag alle und auch wirklich alle am Tisch des Herrn dabei sind.
Die Reiter haben eine eigene Bruderschaft. Eine Schwester, die in der Gemeinde arbeitet, sagte mir, dass dieser Tag wahrscheinlich der einzige ist, an dem sich viele in der Kirche zeigen. Und wie sie sich zeigen: Große Sporen, bestickter Poncho, verzierte Sättel, weiße Hosen, breiter Hut mit viel Silberstickerei. Brauchtum? Frömmigkeit? War-schon-immer-so? Eine Mischung von allem?
Aber auch hier bin ich mit der Einstellung „ich bin kein Richter“ ganz gut gefahren. Als dann die Feuerwehr mit den Wasserkanonen einen flüssigen Torbogen für das zurück kommende Allerheiligste bildete, wurde es für meine Augen zwar etwas viel, aber das gehört eben dazu. Auch hier hat die Schwester gemeinsam mit Pfarrer und anderen sicher gestellt, das der Herr Jesus Christus bei all dem Brauchtum im Zentrum des Geschehens blieb, wie weit er auch immer in den Herzen angekommen war.
Am vergangenen Sonntag waren es die riesigen gold- und silberverzierten Kreuze auf dem Petersplatz, welche von den verschiedenen Bruderschaften getragen wurden. Sie erzählen auf den ersten Blick von einer reichen Tradition. Aber irgendwie ist der Jesus in der Mitte schon etwas klein gegen all die Verzierung. Papst Franziskus selber wies auf das eigentliche Zentrum hin:
„Diesen Glauben, der aus dem Hören auf das Wort Gottes hervorgeht, bringt ihr in Formen zum Ausdruck, welche die Sinne, die Gefühle und die Symbole der verschiedenen Kulturen einbeziehen. Und auf diese Weise tragt ihr dazu bei, ihn den Menschen zu vermitteln, besonders den einfachen, denen, die Jesus im Evangelium ,die Kleinen‘ nennt.”
Der Glaube – erzählen die Reiter und die großen Kreuze und die Fischer in den Boten – ist nicht immer eine Sache des Wortes. Gefühl und Brauchtum gehören auch dazu. Und wenn der Papst von ,den Kleinen‘ spricht, meint er das nicht herablassend. Nicht jeder muss wortgewandt sein und Wissen, es gibt auch andere Formen.
Es ist leider zur Gewohnheit geworden, das irgendwie kitschig zu finden, bei uns gehen diese Brauchtümer immer mehr zurück. Das ist kein Zeichen von zunehmender Aufklärung, sondern eher von Verarmung. Schade.
Lieber Pater Hagenkord,
vielleicht bin ich etwas zu abendländisch, um nicht zu sagen deutsch, aber ich würde es sehr begrüßen, wenn Kirche bei einigen Formen der Volksfrömmigkeit behutsam gegensteuert. Wenn Gott und Jesus fast kaum mehr erkennbar ist, Gaudi und Folklore derart im Vordergrund stehen und die quasi magische Wunderfixiertheit überhand nimmt, halte ich eine behutsame Zurückführung auf den Glaubenskern für angebracht. Ich habe z.B. die nüchterne Distanziertheit Roms gegenüber den Geschehnissen in Medjugorje für sehr weise gehalten. Besonders bedenklich: Fast immer dominiert an den Fixpunkten der Volksfrömmigkeit ein einträgliches, geschäftstüchtiges Rahmenprogramm, was viele redliche Motivation überdeckt. Das Christentum ist nicht für Fremdenverkehr und Massenunterhaltun zuständig. Die Evangelien berichten von einem Jesus, der bei sich anbahnender Wunderbegeisterung eher auf die Bremse tritt. Auch Paulus tritt bei seiner Mission eher nüchtern auf und gerät z.B. in Apg 19,24 mit den Silbeschmieden, die den Pilgern Andenken verkaufen, aneinander. Ist nicht ganz mit Lourdes und San Giovanni Rotondo vergleichbar, aber die äußere Szenerie wird nicht ganz unähnlich gewesen sein. Die Richtung weist die Dogmatisch Konstitution Lumen Gentium des 2. Vatikanum: “Zugleich mahnt sie (=die Heilige Synode) aber in ihrer Hirtensorge alle, die es angeht, bemüht zu sein, jegliche vielleicht da und dort eingeschlichenen Mißbräuche, Übertreibungen oder Mängel fernzuhalten oder zu beheben. Alles sollen sie erneuern zu vollerem Lob Christi und Gottes. Sie mögen also die Gläubigen darüber belehren, daß echte Heiligenverehrung nicht so sehr in der Vielfalt äußerer Akte als vielmehr in der Stärke unserer tätigen Liebe besteht, durch die wir zum größeren Wohl für uns und die Kirche “im Wandel das Beispiel, in der Gemeinschaft die Teilnahme, in der Fürbitte die Hilfe” der Heiligen suchen.”
Liebe Grüße
Johannes
Zur Volksfrömmigkeit fällt mir ein Wort des heiligen Paulus ein, das im 2.Brief an Timotheus zu lesen ist:”….Den Schein der Frömmigkeit werden sie wahren, doch die Kraft der Frömmigkeit werden sie verleugen…” Wie sehr dieses Wort wahr ist erleben wir vielleicht vor allem in den Kreisen der Kleriker und Ordensleute selbst, darin viele Probleme unter dem Talar, bzw. Ordensgewand versteckt werden bis man jene Probleme einfach nicht mehr verstecken kann, bzw. nicht mehr versteckt und “unter den Tisch” gekehrt werden können. Dies gilt ebenso für die Frömmigkeit des Volkes, so dass auch hier ohne jeden Zweifel eine “Reinigung” von Nöten ist, die eben eine Frömmigkeit nicht zur Schau soll, sondern eben von wahrer Frömmigkeit ein Zeugnis abzulegen hat, in der es eben nicht um uns selber geht, sondern um ein wahrhaftiges und ehrliches Zeugnis für Jesus Christus. Darin sollte unsere Frömmigkeit nicht auf Zeichen und Wunder bauen, die nach den Worten selbigen Apostel eher trügerisch als hilfreich seind (2.Thess. 2,9), sondern eben allein auf das Wort Gottes und dem Gehorsam diesem gegenüber und nicht weniger auf die Kraft des Gebetes.
Hierzu vielleicht ein Gedanke von Walter Ballhausen:”Christen müssen deutlich machen, dass es nicht ausreicht, nur die Welt zu verändern. Man muss sich selbst verändern, sich bekehren. Man wird nur dann glaubwürdig die Ungerechtigkeit der Welt bekämpfen, wenn man selbst von der Ungerechtigkeit lässt. ……Wir müssen durch unser Leben zeigen, dass unsere Kraft von Gott herkommt. Das ist der heilige, fromme Wandel unserer Hoffnung auf die Vollendung.”
Geehrter Guardianus, gerade heute fiel mir ein Gedanke von Georg Schulz in die Hände, der schreibt, dass wir uns nicht in unserer Frömmigkeit niederlassen sollen allenfalls diese unecht ist. “Echte Frömmigkeit weiß, dass jeden Tag neu Schicksal und Herz mit dem Willen Gottes in Einklang zu bringen sind, dass man aus den frommen Gedankenbahnen heraus muss, um sich täglich einzubürgern in Gottes lebendige Wirklichkeit. ….Darum gilt es, immer wieder aus der geschlossenen Welt unserer Frömmigkeit auszuwandern…..Gott will immer von neuem geliebt und deshalb immer von neuem gesehen werden…”
Vielleicht kann Volksfrömmigkeit unter diesen Überlegungen auch für den Glauben schädlich werden, wenn diese eben nicht immer wieder “gereinigt” wird von Äusserlichkeiten die eben von Jesus Christus wegführen oder doch zumindest ablenken: uns selbst und unseren Glauben, unsere Tradition an Stelle Ihn in die Mitte stellen. Vielleicht ist die sog. “Volksfrömmigkeit” schon eine festgefahrene Gedankenbahn und somit zu einer “Einbahnstrasse” geworden, eine eigene “geschlossene Welt”, aus der wir wieder heraus müssen um wirklich im besten Sinne und nach dem Willen Gottes fromm zu sein….. – echt und wirklich zu sein, darin wir Gott wirklich lieben und nicht in Bildern einer niedergelassenen Frömmigkeit, die offenbar unecht und somit auch unwirksam und fruchtlos ist.
Versuchen Sie doch einmal das Gegenteil zu sehen: Vielleicht ist Volksfrömmigkeit der direkteste und inkulturierteste Ausdruck von Glauben, wie er durch die Generationen weiter gegeben wird. Vielleicht muss man nicht erst nach Schattenseiten suchen, sondern das Gute wertschätzen, dass es dort gibt. Auch abstraktes Reden über Gott und sein Wort kann dem Glauben schädlich sein.
Ja, da stimme ich Ihnen zu, aber können und dürfen wir Glauben von Frömmigkeit trennen? Wenn wir also im Glauben stets unterwegs, also beweglich sein müssen ohne das bisherige zu vergessen oder wirklich uns von diesem zu lösen, als vielmehr auf diesem aufbauend, ist es dann mit der Frömmigkeit nicht genauso? Vielleicht ist das auch ein Gedanke von Georg Schulz.
Gehe ich also den Weg des Glaubens und der Frömmigkeit, so ist es doch unmöglich den bisher gegangenen Weg wegzudenken, da die bereits zurück gelegte Wegstrecke mich erst hier her gebracht hat und somit auch die Möglichkeit weiterhin besteht, den Weg zu Ende gehen zu können, darin “ich” aber auch dieses “hier” verlassen muss um weiter zu kommen. Ohne jeden Zweifel ist also m.E, alles Wert zu schätzen….der ganze Weg eben, darin sich eben auch vieles wandelt…der Einsicht und der Erkenntnis nach und doch wesentlich gleich bleibt, was dahingehend ja kein Widerspruch sein dürfte. Ich wollte auch nicht “Schattenseiten” suchen, geehrter P.Hagenkord, sondern mit der Sonne gehen…..! Aber Danke für Ihren Einwand.
Zugegeben, auch Frömmigkeit darf sich wandeln. Aber wenn gerade heute so viele Leite gerade in unseren Breiten diese Formen suchen frage ich mich, ob wir das nicht zu sehr vernachlässigt haben. Gerade das Katholische ist immer auch sinnlich gewesen, Kerzen, Banner, Kreuze, Wallfahrten, und so weiter. Das ist zeitlich und verhaftet, aber letztlich etwas sehr Menschliches. Und deswegen gehört es zum Glauben dazu.
Ja, sicherlich, P.Hagenkord. Da wird wohl der berühmte “goldene Mittelweg”, bzw. ein ge-bzw. bereinigter Weg hierfür gefunden werden müssen, darin wir uns aber wohl immer bewusst zu machen haben, dass die wesentliche Frömmigkeit darin zu finden ist, den Glauben zu leben, der eben in der Liebe wirksam wird: wenn wir in Seiner Liebe wirklich bleiben und diese zu leben suchen nach besten Kräften…