Niemals fühlt sich der Mensch so stärker, als wenn er sich als Opfer fühlen kann. Deswegen sind Verschwörungen so attraktiv. Beweisen kann man sie nicht, aber man kann behaupten, dass einem was vorenthalten wird – Recht, Geld, Wissen, Einfluss. Man kann sich ärgern, aufregen, schimpfen, man kann auch in Dresden demonstrieren gehen: Man behauptet eine Verschwörung und die resultierenden Gefühle sind sehr, sehr stark.
In jüngster Zeit haben Verschwörungen und Theorien dazu neuen Aufschwung erhalten. Vor allem in Parolen zu „Lügenpresse“ und so weiter wird klar, dass man sich gerne als betrogen sehen will. Aber das betrifft nicht nur Dresdener. Wen man sich mal aufmerksam im TV umschaut, dann merkt man auch dort ein frisches Interesse an Verschwörungen. Aber nicht einfach im Sinn von „All the Presdent’s men“ und Watergate, sondern komplexer. Vor allem aber mit einem besonderen Blick aus der Perspektive des durch eine Verschwörung Betrogenen.
Nehmen wir die BBC Serie ‚Sherlock‘ – preisgekrönt, zu Recht – eine sehr moderne Adaption eines alten Themas. Super Fernsehen. Was neu ist und was bei den Erzählungen von Conan Doyle nicht vorkommt ist der Plot um den Bruder von Sherlock – düsterer Geheimdienstmann und Vertreter des Establishments, das wirklich die Fäden in der Hand hat – und von Moriarty, der in den ursprünglichen Erzählungen nur wenig vorkommt. Dahinter ist dann !Spoileralert! eine Verschwörung, in der der Gute, in dem wir uns an der Seite von Sherlock identifizieren können, also Dr. Watson, an der Nase herum geführt wird, zu seinem eigenen Besten, wie Sherlock meint. Er wird benutzt. Freundschaft wird benutzt. Der Zuschauer fühlt mit dem guten Watson, der trauert um seinen Freund, aber letztlich doch betrogen wird zu einem guten Zweck.
Oder nehmen wir Scandal, eine US-Serie, die in der US Politik Washingtons spielt. Die Hauptfigur ist eine politische Fixerin, sie löst Probleme, oft außerhalb des Rechtes, aber immer im Sinn der Guten. Aber auch hier !Spoileralert! gibt es einen Subplot, der sich um eine der weiblichen Nebendarsteller dreht, und Folge für Folge wird man in die Verschwörung einbezogen, die sich dieses Mal nicht gegen die Hauptfigur richtet, sondern bei der sie Teil ist. Und Folge für Folge werden wir in diese Verschwörung einbezogen, wir werden als Zuschauer zu Komplizen, nur die Freunde und Mitarbeiter wissen nichts. Und schon gar nicht die Betroffene. Sie weiß, dass mit ihr gespielt wird, aber ihr bleibt nichts anderen übrig, als mitzuspielen. Sie ist machtlos, sie wird benutzt. Sie will wissen, aber zu ihrem eigenen Besten wird ihr nichts gesagt.
Gefühlt betrogen
Das kommt bekannt vor? Es sind nicht die einzigen Fälle, aber die beiden sollen hier mal als Beispiele dienen. Es gibt noch andere. Verschwörungen sind halt in Mode.
Und zwar auf eine andere Weise als früher, das ist mein Punkt. Wenn wir in die 90er zurück schauen, da war schon mal die große Verschwörung der TV-Star, the X-Files. Nur war die Verschwörung damals der Böse, nicht Teil des Guten. Mit weiblicher Vernunft und männlicher Intuition haben sich die abenteuernden Helden in die Verschwörung hinein geworfen, sie waren als Aufklärer unterwegs, „the truth ist out there“. Jetzt ist das anders. Die Wahrheit wird nicht mehr durch die Verschwörung verdeckt, die Verschwörung ist Teil der Wirklichkeit geworden. Die Guten bedienen sich ihr.
Blicken wir mal einen Augenblick auf die Struktur dahinter. Das erste Mal aufgefallen ist mir diese neue Lust an der Verschwörung bei Dan Browns Romanen. Der Held ist auf der Suche nach der Wahrheit hinter der Wirklichkeit, sozusagen. Alles, was er sieht, ist – nur – Symbol, das es zu entschlüsseln gilt. Wenn man das kann und tut, dann entdeckt man das, was einem von anderen vorenthalten wird. Mächtige Verschwörungen wollen uns diese Wahrheit vorenthalten, der kluge Entschlüssler kommt dem aber auf die Schliche.
Das liegt irgendwo zwischen den X-Files und Sherlock/Scandal und den anderen von heute. Aber man kann die Struktur dort sehr gut sehen, deswegen ziehe ich das hier einmal heran.
Damals habe ich mit einem Religionskurs an einer Schule über die Dan-Brown-Religion gesprochen, denn der Hintergrund von Brown ist ja immer religiös oder zumindest sucht er die Nähe. Das Ergebnis der Stunde war klassisch: Die Religion, die Dan Brown dort vertritt, hat einen anderen Kern als das Christentum. Die Religion Dan Browns lebt vom Wissen, das ist ihr Zentralbegriff. Sie lebt von Eingeweihten und den Unwissenden drum herum, ist elitär und letztlich ist Erlösung – das Finden des Wissens – etwas, was ich selber machen kann. Selbsterlösung durch Wissensgewinn. In der Antike nannte man das Gnosis, Papst Franziskus hat diese Idee neuerdings wiederbelebt, in dem er vor einem Neo-Gnostizismus, also der Vorstellung durch das Finden einer Wahrheit erlöst zu werden, warnt.
Ich zitiere den Papst aus einer Ansprache 2013, in der er unter anderem über den „gnostischen Entwurf“ des Christentums spricht: „Gewöhnlich tritt er in Elitegruppen mit dem Angebot einer erhabeneren, ziemlich leibfeindlichen Spiritualität auf.“ Und in Evangelii Gaudium 94 sagt er: „Die eine [Quelle der Weltlichkeit] ist die Faszination des Gnostizismus, eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen und Kenntnissen interessiert, von denen man meint, sie könnten Trost und Licht bringen, wo aber das Subjekt letztlich in der Immanenz seiner eigenen Vernunft oder seiner Gefühle eingeschlossen bleibt.“
Das Kernwort des Christentums hingegen ist nicht Wissen. Das Kernwort des Christentums ist Liebe. Konsequenterweise haben Dan Browns Helden auch kein love-interest, wie es in US-Filmen sonst de rigeur ist. Alles bleibt un-physisch, leib-los.
Verschwörung ist groß in Mode
TV Shows, Filme und Romane bilden immer die Gesellschaft ab, die sie schaut und konsumiert. Wenn sie das Gefühl nicht treffen, schaut und kauft sie keiner. Also darf man annehmen, dass die neue Lust an der Verschwörung irgendwie auch in unseren TV-Shows schauenden Gesellschaften hallt.
Wenn es also stimmt, dass dahinter eine Art von Gnostizismus steckt, dann ist das besorgniserregend. Meinen und vermuten wir wirklich, dass es hinter der Wirklichkeit eine strippenziehende Macht gibt? Dass wir dauernd betrogen werden? Die NSA und Edward Snowden lassen grüßen. Aber auch wenn wir das intellektuell nicht so sehen, dann zeigt uns die Popularkultur, dass dieses Gefühl zumindest unterhaltsam ist. Wir halten das nicht für absurd sondern akzeptieren das als spannendes Element einer aktuellen TV-Geschichte. Der Kitzel zieht. Die starken Gefühle des Betrogenseins und der Machtlosigkeit ziehen.
Ich wünsche uns nur, dass sich die darin verborgene Heldenfigur – der überlegene, wissende, elitäre, verborgen kämpfende und seine Freunde betrügende einsame Held – nicht allzu sehr auf unsere Kultur legt. So spannend und faszinierend der neue TV-Sherlock ist, bleibt es doch eine Versuchung. Und die hat einen ironischen Effekt: diese verschleiert nun tatsächlich die Wirklichkeit.
Was als vermeintliche Wirklichkeit daher kommt, ist genau betrachtet ihr Gegenteil. Also: Genießen, lachen, sich durch Spannung kitzeln lassen, und dann abschalten!
Lieber Pater Hagenkord!
Sie schreiben: Was als vermeintliche Wirklichkeit mit dem überlegenen, wissenden, elitären, einsamen Held daher kommt,ist genau betrachtet ihr Gegenteil. Ja, genau so ist es. Aber dann empfehlen sie: “Genießen, lachen, sich durch Spannung kitzeln lassen, und dann abschalten!“ Wieso abschalten, wenn es doch gerade spannend wird? Die Verschwörungstheorien, wo nur einer den Durchblick hat und alle anderen betrogen oder bekämpft werden, zeigen doch gerade das Scheitern des Gnostizismus an!
Zu der Dumheit des überlegenen Helden schreibt Robert Graves, In gebrochenen Bildern
(zitiert nach Karl E. Weick, Der Prozess des Organisierens, S.320)
Er ist schnell und denkt in klaren Bildern;
Ich bin langsam und denke in gebrochenen Bildern.
Sein Vertrauen in seine klaren Bilder macht ihn dumm;
Mein Misstrauen gegenüber meinen gebrochenen Bildern macht mich klug.
Er glaubt an die Bedeutsamkeit seiner Bilder, da er ihnen vertraut;
Ich stelle die Bedeutsamkeit meiner Bilder in Frage, da ich ihnen misstraue.
Da er an ihre Bedeutsamkeit glaubt, glaubt er an ihre Realität;
Da ich ihre Bedeutsamkeit in Frage stelle, stelle ich ihre Realität in Frage.
Wenn die Realität ihn widerlegt, zweifelt er an seinen Sinnen;
Wenn die Realität mich widerlegt, gebe ich meinen Sinnen recht.
Er lebt weiter in seinen klaren Bildern, schnell und dumm;
Ich lebe weiter in meinen gebrochenen Bildern, langsam und klug.
Er in neuer Verwirrung seines Verständnisses;
Ich in neuem Verständnis meiner Verwirrung.
Nachtrag
Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, ist mir der enge Bezug zu Evangelii Gaudium aufgefallen:
Statt von Bildern können wir auch von Vorstellungen, von Ideen sprechen. Dann sind wir bei Evangelii Gaudium, Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee (231 ff). Da heißt es „Die Idee – die begriffliche Ausarbeitung – dient dazu, die Wirklichkeit zu erfassen, zu verstehen und zu lenken (EG 232)“. Wir sollten bescheiden, demütig sein, was unsere eigenen Vorstellungen von der Wirklichkeit angeht; uns bewusst machen, dass wir in gebrochen Bildern denken. Wichtig ist es, Ideen dem Praxistest zu unterwerfen. „Das Wort nicht in die Praxis umzusetzen … bedeutet …. in Formen von Innerlichkeitskult und Gnostizismus zu verfallen, die keine Frucht bringen und die Dynamik des Wortes zur Sterilität verurteilen.“ (EG 233)
Bei http://de.radiovaticana.va/
Deutschsprachige Kirchen. – Klicke mit der Maus auf:
D: Georg Ratzinger begrüßt Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen
Und du kannst lesen:
Bad Request – Invalid URL
HTTP Error 400. The request URL is invalid.
Ich bin fest überzeugt, dass es keine Verschwörung ist!
Ich verehre Menschen wie Pater Delp und Dr. Werle, beide von der Pfarrei Heilig Blut.
Ich hoffe, dass Sie Pater Hagenkord oder Ihre Leser, mir Unterlagen aufzeigen können,
was der junge Joseph Ratzinger damals empfand. Es muss Ratzinger überwältigt haben, Nachfolger von zwei so christlichen Riesen zu sein. Ich finde nichts im Netz und habe bereits auch viele belesene Theologen befragt.
Es müsste doch darüber etwas zum Lesen und Weitergeben vorhanden sein.
Grüße aus Dobl
Antonius Theiler
Ich bitte um Entschuldigung für den „Bad Request“, ich kümmere mich morgen im Büro drum, wenn das geht.
Zum „Opfer sein“: die beste Gelegenheit, seine Mitmenschen so kennen zu lernen, wie sie leider auch sein können. Wer von unserer Gesellschaft geopfert wird, egal ob als missbrauchter Domspatz, Heimkind, im familiären Umfeld misshandeltes Kind, wegen Armut, einer Behinderung, seiner sexuellen Identität oder aus welchen Gründen auch immer, muss sehr viel Kraft aufbringen, um von dem psychosozialen Biomüllhaufen, auf den er von Anderen entsorgt wurde wieder runterzuklettern. Vielleicht macht sowas sogar stark. Wer es nicht selbst erlebt hat, möge hoffen, dass das Leben es weiterhin immer gut mit ihm meint. Ganz besonders im Alter. Wenn die Kräfte nachlassen. Und man vielleicht keine Kinder oder andere Angehörige hat, die dann für einen sorgen.
Die meisten der Menschen, die sich Bewegungen anschließen, welche vorgeben, einfache Antworten und Lösungen für komplexe Probleme zu haben, werden einmal Opfer gewesen sein. Allerdings sind nicht Diejenigen die TäterInnen, die von ihnen aktuell verantwortlich gemacht werden.
Dazu
http://www.fobi-aktiv.de/uploads/media/fobi-Fachtag_Kindler-2012-02-14.pdf
https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/was-ist-sexueller-missbrauch/
http://www.kindesmisshandlung.de/
http://www.borderline-muetter.de/cms/
http://www.trauma-und-sucht.de/
http://psychologienachrichten.de/?p=1500
Hier gibt es wirksame Hilfe (zertifizierte Psychotraumatherapie) für alle, die ihre Traumatisierungen soweit aufarbeiten wollen, dass sie anderen nicht mehr schaden. Ob bewusst oder unbewusst. Schuld beginnt für mich da, wo ich wider besseren Wissens eine Gelegenheit verstreichen lasse, mein Verhalten in Richtung Konstruktivität zu verändern.
http://www.degpt.de
http://www.emdria.de
VG
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick
„!“Zum „Opfer sein“: die beste Gelegenheit, seine Mitmenschen so kennen zu lernen, wie sie leider auch sein können. Wer von unserer Gesellschaft geopfert wird, egal ob als missbrauchter Domspatz, Heimkind, im familiären Umfeld misshandeltes Kind, wegen Armut, einer Behinderung, seiner sexuellen Identität oder aus welchen Gründen auch immer, muss sehr viel Kraft aufbringen, um von dem psychosozozialen Biomüllhaufen, auf den er von Anderen entsorgt wurde wieder runterzuklettern.“
Allerdings! Die Gesellschaft und gerne auch die Kirche!
Edit: Mich hätte man sterben lassen!
Was ist es wirklich, was uns trotz all dem Schmerz, der in uns steckt am Leben erhält, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr und von Zeit zu Zeit bis in die Ewigkeit? Wer hat diese Macht und führt uns in Versuchung damit Er uns aus dem Bösen erlösen kann? Hass ist keine Lösung für Nichts, denn er trägt das Herz vom Verstand in die Hand der Vergeltung. Ich hoffe und bete, Sie können Ihren Hass überwinden und den Glauben finden, der Ihnen ein wertvolles Leben schenkt. Wir sind Vernunft begabte Wesen und haben alle Möglichkeiten dieser Welt, um uns dieser Vernunft zu bedienen. Das macht uns zum Guten, wenn wir daran arbeiten auch gut zu sein.
Alexandra Senfft,Der lange Schatten der Täter, Nazi-Nachkommen stellen sich ihrer Familiengeschichte, ET: 22.5.2016
PS.: Ich bin rechtschutzversichert und kann mich gerne auch anderweitig jeglichem Ärger entziehen.