Wahrheit ist Begegnung: diesen Satz haben wir schon einige Male aus dem Mund von Papst Franziskus gehört. Er ziert Buchtitel und Essays über ihn, ist wunderbar griffig und leicht überraschend in der Aussage, so dass man ihn gerne aufgreift.

Die Aussage spielt etwas mit dem Gedanken, dass Wahrheit zwischen Buchdeckeln zu finden sei, dass sie aufgeschrieben Sätze, logische Formeln oder Ähnliches sein soll. Und das macht sich immer gut.
„Die Wahrheit passt nicht in eine Enzyklopädie“, so der Papst am 8. Mai 2013, also sehr bald nach seiner Wahl. Sie ist „eine Begegnung mit der höchsten Wahrheit, Jesus, der großen Wahrheit.“
Durch Zufall beim Aufräumen meiner Aufzeichnungen bin ich über einen Text gestolpert, der die gleiche Frage angeht, nur aus einer ganz anderen Richtung. Er erklärt sozusagen, woher der Gedanke der Verbindung von Begegnung und Wahrheit stammt, einer Verbindung, die uns ansonsten eher ungewöhnlich erscheinen mag.
Beginn mit der Freiheit
Es ist ein Text aus dem Jahr 2009, eine Ansprache des damaligen Papstes Benedikt XVI. Benedikt zieht aber noch einen weiteren Begriff hinzu, um das Ganze rund zu machen, er beginnt bei der Freiheit.
„Der Mensch ist kein Absolutum, gleichsam als könne das Ich sich abkapseln und nur dem eigenen Willen gemäß handeln. Das ist gegen die Wahrheit unseres Seins. Unsere Wahrheit ist, dass wir in erster Linie Geschöpfe Gottes sind und in der Beziehung zum Schöpfer leben. Wir sind beziehungsorientierte Wesen. Und nur wenn wir unsere Beziehungsorientiertheit annehmen, treten wir in die Wahrheit ein – wenn nicht, fallen wir der Lüge anheim und zerstören uns am Ende in ihr.“
Und dann die Liebe
Wahrheit ist also etwas, was wir an der Schöpfung sehen können, was mit dem Willen, den Gott in die Schöpfung hinein gelegt hat, ablesen können, wenn wir das denn wollen. Dazu kommt dann noch eine weitere Beziehung, wir sind nicht nur auf Gott hin geschaffen, sondern diese Beziehung hat auch einen Namen: Liebe.
„Das ist also der erste Punkt: Geschöpf zu sein bedeutet, vom Schöpfer geliebt zu sein, in der Liebesbeziehung zu stehen, die er uns schenkt, mit der er uns zuvorkommt. Vor allem darauf beruht unsere Wahrheit, die gleichzeitig Berufung zur Liebe ist.“
Und dann wir untereinander
Das ist also die erste Wahrheit, wenn wir so wollen. Durch Gott geschaffen, auf Gott hin, in Liebe, die unser Auftrag ist, unsere Berufung. Das ist die erste Weise von ‚Wahrheit ist Begegnung‘, nämlich der mit Gott. Aber dabei können wir nicht stehen bleiben, laut Benedikt XVI., damals, 2009:
„Aber die kreatürliche Beziehungsorientiertheit bringt auch eine zweite Art der Beziehung mit sich: Wir stehen in Beziehung zu Gott, aber gemeinsam, als Menschheitsfamilie, stehen wir auch in Beziehung zueinander. Mit anderen Worten: die menschliche Freiheit bedeutet einerseits, in der Freude und im weiten Raum der Liebe Gottes zu stehen, aber sie setzt auch voraus, dass wir eins sind mit dem anderen und für den anderen. Es gibt keine Freiheit gegen den anderen. (..) Nur eine gemeinsame Freiheit ist eine menschliche Freiheit; im Zusammensein können wir in die Symphonie der Freiheit eintreten.“
Hier taucht das Wort ‚Wahrheit‘ nicht mehr auf, muss aber weiter mit gedacht werden. Auch die Beziehung zueinander ist ja im Schöpfungsgedanken drin, sie ist nicht erst nachträglich oder nachrangig.
Für andere sein
Benedikt XVI. hatte das damals am Freiheitsgedanken entlang entwickelt, wir selber sind wir nur (= frei sind wir nur), wenn wir für andere sind. Das ist auch Wahrheit, wie er sie oben bezeichnet hat.
Wahrheit ist Begegnung: ob beide Päpste das gleiche meinen, weiß ich nicht, aber es lohnt sich auf jeden Fall, weiter zu lesen und zu denken, um dem ein wenig auf die Spur zu kommen, was da so alles dahinter steckt.
Es gilt aber auf jeden Fall diese Einsicht: wenn ich von Wahrheit spreche, dann muss ich Beziehungen mitdenken, zu Gott und zum Nächsten. Das eine ist nicht ohne das andere.
(Zitate aus der Ansprache im römischen Priesterseminar 2009)
Die Argumentation von Benedikt XVI ist in sich schlüssig, brillant – und dennoch stellt sich bei mir eine Irritation ein: Vielleicht wird hier zu glatt argumentiert. Die raue Wirklichkeit blitzt nur in der Warnung vor intellektueller Überheblichkeit auf.
Was mich stört, ist die Engführung der Argumentation auf die Kirche, in der die Wahrheit Christi schon verkörpert sei. Ketzerische Frage: Was macht Kirche aus, und wer gehört ihr an? Ich möchte hier Papst Franziskus aus seinem Brief an die chilenischen Bischöfe zitieren: Ich bitte Sie „den Aufbau einer prophetischen Kirche fortzusetzen, welche weiß das Wichtigste ins Zentrum zu stellen: den Dienst am Herrn im Hungrigen, im Gefangenen, im Einwanderer, im Missbrauchten.“ In diesen Begegnungen an den Rändern kann die Wahrheit Christi von der Kirche immer wieder neu gefunden und dann auch verwirklicht werden.
Ich möchte hier noch pointierter und riskanter am Beispiel des Missbrauchs von Schutzbefohlenen argumentieren: Unbestritten ist das Entsetzen und die Scham, die diese Vorgänge in der Kirche ausgelöst haben.
In der eher institutionsorientierten Vorstellung von Kirche kommt nach dem Schuldbekenntnis aber gleich die Sorge, dass durch diese Vorgänge die gesamte Kirche als Gestalt Christi auf Erden beschädigt worden ist. Unsere Glaubwürdigkeit muss wiederhergestellt werden.
In der Perspektive einer prophetischen Kirche wird dagegen Christus selbst durch den Missbrauch gedemütigt und verletzt. Unsere persönliche Beziehung zu ihm hat großen Schaden genommen. Die Wiedergutmachung wird in beiden Fällen ganz unterschiedlich ausfallen.
Jesus und die Reichen
Lukas 19,1-10
Jesus zu Zachäus dem Zöllner
Ich muss heute bei dir zu Gast sein. Warum wohl? Fundrising!
Lukas 5,27-32
Gastmahl im Hause des Levi. Folgte mir nach! Warum wohl?
Ich befürchte, dass ich den Gag nicht ganz verstanden habe. Geht es darum, dass Jesus Reiche beruft, um was vom Reichtum abzubekommen?