Die Demokraten haben sich in Thüringen von der AfD vor sich her treiben lassen. Sie hatten versprochen, sich abzugrenzen, und sind daran gescheitert. Der Scherbenhaufen war groß. Das Gleiche – Abgrenzen – ist auch ein kirchliches Thema, wenn es um Populismus geht. Wie sollen sich Christen in der Politik verhalten? Ohne daran zu scheitern?
An dieser Stelle gab es immer mal wieder Einlassungen dazu, vor allem auch von Kommentatoren, die in den Positionen der AfD Christliches wiederzukennen meinen. Thüringen hat uns auch hier geholfen: Götz Kubitschek, Vordenker der AfD, kommentierte in seinem Blog: „So konstruktiv-destruktiv wie Höcke hat aus dieser Partei heraus noch keiner agiert.“ Konstruktiv-destruktiv, das sagt alles.
Wie sollen sich Christen in der Politik verhalten?
Aber was tun? Wie sich verhalten, jetzt und in Zukunft, die Dilemmata werden ja nicht weniger. Ein Freund hat mich auf einen Beitrag des Bischofs von San Diego aufmerksam gemacht, in den USA geht es in dieser Richtung ja noch wilder zu. Er ist nicht der erste Bischof, der sich klug aus katholischer Perspektive zu Wahlen äußert, aber er ist aktuell.
Bischof McElroy beginnt seine Überlegungen damit, dass es bemerkenswert wenig Reflexion in katholischer Morallehre über das Wählen gibt. Zu einzelnen inhaltlichen Punkten schon, aber über demokratische Prozesse nicht.
Er selber bemerkt dazu, dass es im Augenblick darauf ankomme, dass gläubige Wähler Brückenbauer wählen. Menschen, welche die Ausrichtung auf das Gemeinwohl im Blick haben. Und dabei gehe es natürlich auch um Positionen der Kirche zu sozialen Themen.
Kirchliche Positionen und konkrete Kandidaten
„Aber die Wahl von Kandidaten bedeutet letztlich die Wahl eines Kandidaten für ein öffentliches Amt, nicht die Wahl einer Haltung oder einer spezifischen Lehre der Kirche“, so McElroy. Das Wort Kompromiss kommt nicht vor, liegt aber irgendwie dahinter. Das ganze ist natürlich sehr US-Amerikanisch, vor allem immer auch mit Blick auf das Dilemma gesprochen, vor das Präsident Trump die amerikanischen Katholikinnen und Katholiken stellt. Aber einiges davon kann auch uns helfen.
Es geht um Brückenbauer, um Kandidaten – oder in unserem Kontext sowohl um Menschen als auch um Parteien – die sich dem Gemeinwohl verpflichtet wissen. All die Polemik gegen die C-Parteien, wie sie abschätzig genannt werden, hilft da nicht weiter. McElroy befasst sich in seinem Stück auch mit der Frage der Priorisierung von Themen. In den USA meint das die Frage des Lebensschutzes, welcher in seiner Engführung auf das ungeborene Leben die Christen spaltet. Bei uns gibt es andere Fragen, vor allem die Flüchtlings-Politik, aber ähnliche Debatten.
Klugheit leitet das Gewissen
Aber wie da ran gehen? Die katholische Soziallehre spricht davon, dass es die Klugheit ist, welche das Gewissen leitet. Und Bischof McElroy zitiert den Katechismus mit den Worten, dass es eben diese Klugheit ist, mit der moralische Prinzipien in konkreten Umständen angewandt werden. Das gilt auch für das Wählen, eine „heilige Pflicht“ der Christinnen und Christen.
Klugheit, nicht Prinzipienreiterei. Nicht ein Thema finden, wo man sich bestätigt fühlt. Nicht den Destruktiven auf den Leim gehen. Den Zynikern der Macht. Klugheit bedeutet Denken, abwägen, unterscheiden.
Papst Franziskus hat diesen Prozess der Entscheidungsfindung ebenfalls in den USA beschrieben, zuerst Träume und das Gemeinwohl, dann um die Praxis und konkrete Schritte. Also auch hier die Klugheit. Oder in Bischof McElroys Worten: „Das kluge Urteil ist keine sekundäre oder mangelhafte Modus der Unterscheidung im christlichen Gewissen. Es ist der primäre Modus.“
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Ein persönlicher Nachtrag: in den kommenden Tagen bin ich eher selten im Netz, deswegen kann das Freischalten von Kommentar-Beiträgen etwas dauern. Es hat persönliche, keine inhaltlichen Gründe. Bernd Hagenkord SJ
Christen und die Kirchenpolitik sollten in vielen Belangen neutral sein, was Parteipolitik betrifft. Natürlich gibt es Ausnahmen – 1937 “mit brennender Sorge”. Eventuell war es zu früh, denn 1 Jahr nach den größten olympischen Spielen aller Zeiten sah nur der damalige Papst die große Gefahr, die Welt war noch relativ entspannt, man applaudierte zB einem Wirtschaftswunder.
Umgesetzt wurde das also leider nicht oder sehr schwer (der faktische Widerstand brach, als zB einige Priester nach Dachau mussten), weil man der Gewalt einer Diktatur nix entgegen setzen konnte. Also doch noch radikaler neutral und kontemplativ? Freilich dann immer wieder Stätten für Ruhe, ggf. Asyl, geben. Und wenn es bei den Klöstern und Wallfahrten bleibt.
In den letzten Wochen hat sich für mich das Bild endgültig heraus kristallisiert, warum ich dieses Pontifikat nie ganz verstehen werde: die Kirche lehnt sich politisch sehr weit raus und der Papst ist in politischen und sozialen Fragen eine radikaler Reformer, wenn man will, sehr weit links (obwohl diese Pole ja überholt sind – ich meine seine Allianz mit Greta oder zB die weltliche Seite von Laudato Si oder Immigrationspolitik).
Dann war die Erwartung, er würde in den kirchlichen Strukturen, in der Innenpolitik (Themen wie Pflichtzölibat oder neuer Blick auf Sakramente und Frauen) eben auch “reformfreudig” sein. Das allerdings ist ein schwerer Irrtum: Franziskus als gestandener Jesuit tut das nicht. Warum soll man das von einem Ordensmann erwarten. In der Kirchenpolitik ist der Papst also stramm konservativ, wenn man vereinfacht, rechts (durchaus zu sehen, was den Gehorsam angeht). Franziskus ist für mich ein Papst, der ganz viel Gehorsam erwartet. Er ist es per se, und wird nicht von anderen (wie Kardinal Sarah) dazu gezwungen. Mein Bild.
Also in der Welt links, in der Kirche rechts. Das ist für mich Franziskus nach 7 Jahren.
Ich tu mir damit schwer und hätte ein anders gewickeltes Pontifikat leichter verstanden: in der Welt wertekonservativ (bürgerlich, Familie etc., meine ich – Gegenpol in einer Welt, die doch in die globalisierte Irre läuft), in der Kirche durchaus offen für neue Projekte, z.B. Ökumene oder neue Projekte für Laien/Frauen usw.
Das Grundproblem ist allerdings, dass wir alle viel zu viel über Politik und nicht über Glauben und Leben sprechen.
Die Politik ist eine gemeine Spinne, die uns einwebt, bis wir ersticken! In der Welt und in der Kirche. Und wird man von beiden Seiten umwoben, dann stirbt man schneller.
Ich hoffe auf eine besinnliche Fastenzeit. In diesem Jahr ist der Fasching/Karneval schon eine Katastrophe. Bildlich durch Corona-Absage in Venedig und Hessen. Die einfachste Erklärung (vor allem zum Wetter) wäre, wenn wir alle in einem intensiven “El Nino” leben, der dann irgendwann vorbei ist. Jeder “El Nino” endet spätestens nach einigen Jahren. Das lässt Hoffnung zu.
Ja Thüringen war für die politische Kultur in diesem Land eine Katastrophe. Da wurde ein bürgerlicher, liberaler Ministerpräsident gestürzt, um den Weg für einen Kommunisten freigzumachen, wobei eine ehemalige FDJ-Sekretärin die Strippen zog.
Den Sozialmus in seinem Lauf, halten eben weder Ochs noch Esel auf.
Habe Sie in Ihrer Aufzählung da nicht was vergessen?
@Martina
warum diese Destruktivität….??
Was hat das mit Dialog zu tun?
Martina, ich halte Ihre Weltsicht nicht für Kompatibel mit der Realität. Argumentieren oder Diskutieren gelingt so natürlich nicht.
Über Dietmar`s Überlegung über die Politik als Spinne scheint ein interessanter Gedanke, nachdenkenswert. Frommsein schützt nicht vor Verblendung.
Bezüglich Martina`s Sorge – diese kann ich so nicht teilen. Sehe die Sorge im Faschismus – europaweit. Und vielleicht müsste ein paar wirkliche Verlierer des Lebens innerhalb linker Gruppen bewusst gemacht werden, dass sie nicht sich als Waffe gebrauchen lassen dürfen, um noch mehr zu zerstören. Der Gedanke und die politische Motivation: „Macht das kaputt was euch kaputt ist“ ist eine furchtbare Täuschung mit dem Anspruch auf die Zerstörung von allem.
Die Sache in Thüringen zeigt schicksalshaft auf, wie vermeintlich gut gedachte politische Lösungen im Chaos und Nichtregierbarkeit enden –sicher nicht nur Strippenzieher im Hintergrund. Ein Katholik und Vater von mehreren Kindern mit Ideen für Fortschritt, Mittelstand etc. kommt in eine ungeheuerliche Versuchung. Und es gab einen Dominoeffekt innerhalb den Parteien Deutschlands, dessen Ausmaß niemand für möglich gehalten hätte. Eine Lösung gibt es immer noch nicht. Zwietracht und Einmischung von außen schaffen neue Knoten mit destruktiven Ansätzen. Es scheint um den Parteiensieg statt einer stabilen, vernünftigen zukunftsgewandten Politik zu gehen. Eigentlich die Eskalation von Konflikten.
Leider trat in der besagten Situation wie in vielen anderen Situationen das Phänomen des Minimums hervor. Und vermutlich sind die engagierten Politiker immer mehr Angriffsfläche für extremistische Erscheinungen, die eine emotionale Masse erreichen wollen in einem Spektrum von Verhöhnung, Ausgrenzung und alten vergötterten Vokabeln, die in den Wahn und zunehmender Aggression führen. Bisherige friedenserhaltende Konventionen innerhalb unserer Gesellschaft werden seit Jahren zerstört.
Da Papst Pius XII auch aufgeführt wurde, lese ich gerade in einer Ausgabe von 1982 etwas sehr Interessantes – vielleicht auch passend zur aktuellen kritischen Debatte.
Lese, dass er schon als Nuntius in München kurz nach dem 1. Weltkrieg von den Spartakisten bedroht wurde, auch mit Waffe, er in bedrohlichen Situationen versuchte klug, weitsichtig und schützend vor seinen nahestehenden Mitarbeiter zu handeln.
Zudem wurde er in diesem von einer Ordensschwester geschriebenen Buch so beschrieben: „tut sehr viel selbst, aber alles ist ganz und lange und eingehend überlegt, durchdacht und durchbetet. Er erkundigt sich, er fragt, er zerlegt es nach allen Seiten, er holt die Ansichten anderer ein, von denen er überzeugt ist, das sie die Sache verstehen und ein Urteil abgeben können, und erst dann kommt das Neue ans Licht. Auch bei Neuerungen, die er einführt und eingeführt hat, erblickt nichts das Licht des Tages, ehe es nicht alle Phasen dafür und dagegen durchlaufen hat.“
So anscheinend hatte jemand es formuliert als Antwort auf einen Zeitungsartikel, indem behauptet wurde, dass Papst Pius XII alles selber machen wollte und niemanden angehört hatte.
Hier stellt sich auch die Frage: Wer lügt und dies mit mögl. Interessen? Vielleicht auch heute?
Glaubwürdigkeit setzt Dialog und kritische Auseinandersetzung voraus. Papst Pius kannte sehr wohl auch Perspektivenerweiterung und vielleicht auch Perspektivenwechsel. Trotzdem konnte er die Tragik nicht aufhalten.