Unter all den Verben der Bewegung, die der Papst so gerne benutzt, ragen einige heraus: Gehen, folgen, aus sich heraus gehen und vor allem umkehren. Letzteres ist ein biblisches und jesuanisches Wort und setzt sozusagen den Kurs für alle nachfolgenden Bewegungen. Und das geht bis ins Extreme, bei einem Angelusgebet (6. April dieses Jahres) deutet er die Erweckung des Lazarus in dieser Weise:
„Christus resigniert nicht vor den Gräbern, die wir uns selbst gebaut haben mit unseren Entscheidungen zum Bösen und zum Tod. Er lädt uns ein, befiehlt uns fast, aus dem Grab herauszukommen, in das unsere Sünden uns geworfen haben. Er ruft uns beharrlich dazu auf, aus dem Dunkel des Gefängnisses herauszukommen, in das wir uns selbst eingeschlossen haben, indem wir uns mit einem falschen, selbstsüchtigen, mittelmäßigen Leben zufrieden gegeben haben. Lassen wir uns ergreifen von diesen Worten, die Jesus heute jedem von uns wiederholt. Lassen wir uns befreien von den „Binden“ des Stolzes.“
Sprachlich das Gegenstück zur Umkehr ist die Barmherzigkeit Gottes, die kein Ende finde und die immer da sei, wie weit weg wir auch immer sein mögen.
„Unser Vater wird niemals müde, zu lieben, und seine Augen werden nie müde, dabei auf die Straße zu schauen, auf der der Sohn, der weggegangen ist und verloren war, zurückkehrt. Wir können von der Hoffnung Gottes sprechen: Unser Vater wartet immer auf uns, er lässt nicht nur die Tür offen, sondern er wartet auch auf uns. Dieser Vater wird auch nicht müde, den anderen Sohn zu lieben, der – obwohl immer bei ihm – doch nicht an der Barmherzigkeit teilhat, an seinem Erbarmen.“ (Bußliturgie, 28. März 2014)
Wir können uns auf Gott verlassen, immer, sollen uns aber auch selber in Bewegung setzen.
„Viele Christen stehen einfach still! Es gibt so viele unter ihnen, die nur eine schwache Hoffnung haben. Ja, sie glauben an den Himmel und dass alles gutgehen wird. Das ist schön, dass sie das glauben, aber sie sehnen sich gar nicht danach. Sie halten sich an die Gebote und Verbote, alles, alles… aber sie stehen still. (..) Dann gibt es andere wiederum, die den falschen Weg einschlagen. Das kann jedem von uns einmal passieren, das wissen wir. Das Problem aber ist nicht, den falschen Weg einzuschlagen, sondern auf diesem dann zu bleiben, obwohl man genau weiß, dass man falsch liegt! (…) Das sind irrende Christen – sie ziehen umher und gestalten ihr Leben so, als ob es sich um einen existenziellen Tourismus handeln würde. Sie gehen ziellos umher, ohne dass sie die Versprechen ernst nehmen. Sie gehen und täuschen sich selber etwas vor, indem sie sich sagen: Ach, ich gehe! Nein, du läufst gar nicht, du hängst einfach herum. Das sind Irrende… Der Herr will, dass wir nicht still stehen und den falschen Weg einschlagen, aber er will auch nicht, dass wir herumhängen. Er bittet uns, dass wir auf Seine Versprechen schauen und vorwärts gehen, so wie es der Beamte im Evangelium tat, denn er glaubte an das Wort Jesu! Der Glaube lässt uns voranschreiten zum Versprechen Gottes.“ (Morgenmesse 31. März 2014).
Und so weiter und so weiter. Die Textstellen sind recht wahllos herausgegriffen, man könnte fast unendlich viele anfügen, in denen der Papst diesen Gedanken entwickelt. Nicht vergessen dabei darf man aber, dass diese Umkehr nicht folgenlos bleibt. Es schließt sich immer ein weiterer Gedanke an: Gott ist nicht nur der Beginn der Liebe, sondern ruft uns in Jesus Christus dazu auf, seine Weise des Liebens zu übernehmen:
„Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13:34). In dem Maß, in dem Christen diese Liebe leben, werden sie in der Welt glaubwürdige Zeugen Christi. Die Liebe kann nicht ertragen, in sich selbst abgeschlossen zu sein. Durch ihre Natur ist sie offen, verbreitet sich und ist fruchtbar, sie schafft immer neue Liebe.”
Damit werde die Liebe dann ihrerseits im Leben aktiv und missionarisch, die Kursjustierung führt nicht nur aus sich selbst heraus, sondern an die Ränder und Peripherien, um die Markierungsworte des Papstes zu benutzen.
Gestern stieß ich auf eine Statistik, die ein britischer Freund und Jesuit erstellt hat (siehe oben), seit Jahrzehnten ist David in der Exerzitienbegleitung aktiv, und da ist die Frage nach Bekehrung, Umkehr, Reue, Gottesbegegnung und dem eigenen Leben ja ein zentraler Punkt. Seine Ergebnisse haben mich aber etwas stutzig gemacht (Danke David, dass ich das benutzen darf).
Je praktischer das wird, desto weniger positive Antworten gibt es. Dass Exerzitien dem Gebetsleben gut tun, das ist gut und richtig. Aber dass nur weniger als zwanzig Prozent „Change in lifestyle“ als Ergebnis von Exerzitien angeben, sollte uns eine Frage stellen.
In Vorträgen etc. werde ich nicht müde zu behaupten, dass die Franziskus-Revolution oder Reform oder wie auch immer wir das nennen wollen bei uns selbst stattfinden muss, sonst wird sie nicht stattfinden. Das Sprechen von Barmherzigkeit, das so gut ankommt, braucht eine Entsprechung im Leben.
Wenn wir die Reform / Umkehr aus der Person heraus verlagern und in die Institution und bei uns sich außer dem Gottesbild nicht viel ändert, dann ist das mit Verlaub ziemlich hohl. Ich zitiere noch einmal Johann Baptist Metz, der über die Kirche der Zukunft spricht: „(Hier hilft) nur eine bis in die Wurzeln gehende Umkehr, die auch die ökonomischen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Lebens einbezieht.“ (aus: Jenseits bürgerlicher Religion, 1980). Die ökonomischen Grundlagen, das bedeutet natürlich auch den Reichtum Europas, aber ich darf das hier einmal ausweiten: Das bezieht das praktische Leben, den Lebensstil etc. ein.
Davids’ Statistik stellt mir die Frage, wie weit unsere Begeisterung und Spiritualität uns eigentlich trägt. Nicht als Vorwurf, sondern als Selbstanfrage.
Barmherzigkeit und Umkehr entsprechen sich, aber – um an dieser Stelle meine englischen Freunde noch einmal zu zitieren – the proof of the pudding is in the eating, ob etwas echt ist stellt sich im Tun und Probieren heraus.
Das „Projekt Franziskus“ lässt die Dinge nicht so, wie sie sind. Auch hier ist der Papst ganz nah an der Botschaft Jesu Christi.
Das ist doch ganz in meinem Sinn, Umsetzen kann, sollte ich doch erst bei mir. Was ich selber nicht umsetzen kann, kann ich auch nicht von einem anderen Verlangen. Das gilt für den einzelnen genauso wie für Institutionen, wie sie sich auch immer nennen mögen.
So pauschal stimmt das nicht, denn dann dürfte es keine Theater-, Literatur-, Kunst-, Restaurant- und sonstige Kritiker geben, deren Aufgabe es nicht ist, das, was sie in Kritik verpackt verlangen, selber umzusetzen.
@Otto
Ich denke auch das stimmt nicht so ganz. Der Kritiker ist Teil des Ganzen. Ich bin der Meinung, dass ein glaubwürdiger Kritiker sich in seinem Fachgebiet gut auskennen muss, am besten sollte er es selbst erlernt oder gar ausgeübt haben. Auch wenn er nicht genügend Talent mitbringt, sollte er schon, wenn er in seinem Fachgebiet tätig wird, zumindest nach seinen Fähigkeiten das umsetzen, was er von anderen verlangt. Sonst wird er unglaubwürdig.
Wichtig ist, dass der Kritiker – Stallgeruch seines Metiers vorausgesetzt – selber sein Urteil frei von Abhängigkeiten und Interessen bilden kann, sonst ist es nichts wert. Das Kritisierte selber zu verbessern dürfte aber in sehr vielen Fällen an den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen scheitern. Sie können zwar z.B. einen Kirchenbau kritisieren, aber selber besser bauen …? (vgl. Limburg)
@otto
Da ist viel Wahres dran, was das persönliche Talent betrifft sind ihm Grenzen gesetzt. Hier kann er sicher kritisieren, auch wenn er es selbst nicht besser machen kann. Aber darf z.B der aufgeführte Litheraturkritiker, wenn er glaubwürdig bleiben will, den Stil, die Wortwahl, eines Autors kritisiern, wenn er sich selbst dessen Stils, Wortwahl bedient ?
Sollte man vielleicht mal hinterfragen ob Kritiker – solche die Sie hier Ansprechen immer gezielt die richtige Kritik anbringen – ist sicher auch eine Sache der Auslegung. Im übrigen meinte ich Institutionen die ja meistens auch Richtlinien haben die ggf sehr hoch sein können ob die immer so umgesetzt werden?
“Das Sprechen von Barmherzigkeit, das so gut ankommt, braucht eine Entsprechung im Leben”: Das könnte z.B. schon in der Schule beim Notengeben usw. beginnen. Ich kannte einen Religions- und Lateinlehrer, ein Jesuit, der hat manchmal in den letzten fünf bis zehn Minuten seines Unterrichts Schülern, die auf die kommende Stunde nicht ganz vorbereitet waren, Zeit gegeben, ihre Hausaufgaben zuende zu machen.
Man kann keinen generellen Maßstab setzen, wie eine Umkehr auszusehen hat. Ich denke, jeder einzelne Mensch wird von Gott geliebt und geschätzt. Und so wie es unterschiedliche Wege zu Gott gibt, so gibt es unterschiedliche Wege zur Umkehr. Wenn ein Atheist auf einmal beginnt zu beten, ist das für mich schon eine gewaltige Umkehr (für mich persönlich eine größere Umkehr als wenn ein Christ tätige Nächstenliebe ausübt, weil eigentlich selbstverständlich, wenn man sein Christsein lebt). Ich denke, man muss jetzt nicht in Aktionismus verfallen und denken, dass wenn ich nicht handle, ich dann ein schlechter Christ bin. Wenn ich zum Beispiel alt und krank bin, dann habe ich gar nicht die Kraft zur Tat. Als Christ kann ich aber mein Leiden, meine Schwächen annehmen, auch wenn ich den Sinn nicht verstehe. Das ist auch Umkehr – nämlich mich selbst loszulassen und Gott voll und ganz zu vertrauen. Umkehr bedeutet eigentlich nichts anderes als anzuerkennen, dass ich nicht Herr über mein Leben bin, sondern Gott. Alles andere ergibt sich dann wie von selbst. Wer Jesus folgt, das hat Folgen… Und noch ein Zitat meiner Lieblings“heiligen“: Die Frucht der Stille ist das Gebet. Die Frucht des Gebetes ist der Glaube. Die Frucht des Glaubens ist die Liebe. Die Frucht der Liebe ist das Dienen. Die Frucht des Dienens ist der Friede! ( Mutter Teresa )
In den tieferen Persönlichkeitsstrukturen gibt es vermutlich keine radikale Umkehr sondern nur eine moderate Änderung zum Anderen, Neuem oder Besseren hin. Auch ein Paulus hatte noch immer den vitalen Eifer eines Saulus, nur auf ein neues, anderes Ziel hin bezogen.
Dann denke ich mir, haben Sie das Wesen der Liebe nicht verstanden, lieber @Otto. In der tiefen Persönlichkeitsstruktur geht es sehr wohl um eine radikale Umkehr. Paulus hat vor seiner “Umkehr” keine “Liebe” gekannt und empfinden können. Denn wer tötet und wie “bessesen” Andersdenkende verfolgt und belehrt, ist eher von Gottlosigkeit und Hass (“fehlende Liebe”) beherrscht, und kann kein Frieden empfinden. Die Eifer würde ich hier “nebensächlich” bezeichnen. Paulus, hat nicht auf “eigene Ziele” hingearbeitet, wie früher Saulus, sondern konnte in Demut aufgeben und mit Geduld das “Wirken” Gott überlassen 🙂
Das ist der Unterschied.
Ob Paulus von seinen Eltern und Verwandten Liebe erfahren und gekannt hat, weiß ich nicht, ist aber vernünftigerweise anzunehmen. Und so mag seine “Begegnung” mit dem Auferstandenen ihn (unbewußt) auch daran wieder erinnert und hierzu erweckt haben. Ein Manko bei vielen Gestalten der Bibel ist es doch, dass wir gar nichts oder nur bruchstückhaft, sprich herzlich wenig darüber wissen, wie sie in ihrem Elternhaus groß geworden und geprägt worden sind. In dieser Hinsicht ist die heutige Zeit fortschrittlicher.
Sie schließen die Veränderung des Gottesbildes innerhalb der Kirche aus, wenn ich Sie -P.Hagenkord- richtig verstanden, bzw. Ihren Text richtig gelesen habe, aber darf sich der Mensch überhaupt ein Gottesbild machen, welches eben dann irgendwann -und wie zu einem “Standbild” wird? Können wir die Liebe, die wir ja -gleich einem Johannes- als Gott haben erkennen dürfen, irgendwie in eine Schablone festsetzen, die dann so und nicht anders auszusehen hat…also nicht mehr lebendig ist, sondern eben “nur” ein Bild: immer gleich aussehend und gleich “funktionierend”? Muss also nicht hier unsere Umkehr beginnen, bevor wir von deren weitreichenden Weite sprechen, darin wir eben jede Art von Gottesbild gemäß dem Willen des Wortes, das Gott ist, in uns vernichten….., wie ja auch Sie selbst nicht wollen, dass irgendeiner Sie “festnagelt” in dessen Vorstellung, bzw. in, mit und durch eine mit Ihnen gemachte Erfahrung? …….Wenn wir also zu Gott umzukehren haben, müssen wir dann nicht auch von Ihm ausgehen: nicht von einem Bild, sondern von der Wirklichkeit, welches ist das lebendige Wort und welches sogar Fleisch angenommen hat…?
Gut, es ist auch so zu lesen, dass sich alles ändert, außer: das eigene “ich”. Dass dann alles hohl ist, wenn dieser Wahrheit entsprechen würde, das ist wohl wahr. Aber wenn “ich” “mich” ändere, ändert sich dann auch “mein” Gottesbild: “mein” Standbild von Gott?
Natürlich muss es heißen: “…wenn ich mich nicht ändere…”