Ein langer Text. Und ein kaum wahrgenommener Text. Dabei ist das Thema eines der zentralen Themen dieses Papstes und die Autoren sind sowas wie der theologische Think-Tank des Vatikan: Die Internationale Theologische Kommission, angegliedert an die Glaubenskongregation, hat vor einiger Zeit einen Text veröffentlicht – vorerst nur auf Italienisch – der sich um das Thema „Synodalität“ dreht.
Wie gesagt, das Ding ist lang und ausführlich, historisch und biblisch, und sehr grundlegend. Deswegen vielleicht nicht unbedingt anwendungsfreundlich, aber das ist ja auch nicht die Intention. Es geht um die Grundlage, wie Synodalität auf Katholisch zu denken ist.
An dieser Stelle nur einige Beobachtungen aus der Lektüre, mir weiter geholfen haben, das Projekt Franziskus etwas besser zu verstehen.
Kreisförmige Bewegungen
Wer diesen Blog ab uns zu mal liest, weiß vielleicht, dass ich selber „Synodalität“ mit „Neufindung der Balance zwischen Universal und Lokal“ übersetze. Soll heißen, es geht weder von oben herab, noch geht es um eine Regionalisierung, sondern es geht um eine Balance. Und genau hierzu gibt mir der Text einige Anstöße.
Mehrere Male wird im Text von einer kreisförmigen Bewegung gesprochen: Der Glaubenssinn der Gläubigen, die Unterscheidung auf verschiedenen Ebenen der Kirche und der Themen, und schließlich die Leitung der Kirche durch die Bischöfe bleiben aufeinander bezogen.
Das eine ersetzt nicht das andere, alle gehören zusammen. Kreisbewegung „fördert die Taufwürde und die Mit-Verantwortlichkeit aller, würdigt die Existenz der verschiedenen Charismen, welche der Heilige Geist dem Volk Gottes schenkt, und erkennt den besonderen Dienst der Hirten in der kollegialen und hierarchischen Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom an“, heißt es im Text (Nr. 72).
Warum kreisförmig? Weil das eine immer auf das nächste verweist und das wieder weiter, dadurch entsteht Dynamik. Erst einmal im Kopf, aber wenn das auch wirklich gelebt wird, dann auch real.
Nicht so wie im Schulbuch
Erinnern Sie sich an die Grafiken in den Schulbüchern, zur Weimarer Verfassung etwa oder zur Französischen Revolution? Da wurde gerne mit Pfeilen erklärt, wer wen wählt, ernennt, kontrolliert etc. Aber genau das ist mit dem Verweis von dem einen auf das andere hier nicht gemeint. Die kreisförmige Bewegung ist keine Legitimations-Schleife, keine Verfassung. Dafür – und das macht der Text auch immer wieder klar – steht einzig der Bezug auf den Herrn, ohne den das alles leer wäre.
Noch ein Eindruck, den man gar nicht genug betonen kann: Synodalität ist nicht etwa ein Regierungswerkzeug, wie es die Demokratie für die Republik ist. Sie ist sowohl „Entscheidung wie auch Gemeinschaftsereignis“ (Nr. 79). Sie ist kein Mittel. Sie verweist nicht darauf, die Autoritäts-Strukturen der Kirche zu ändern, das macht der Text sehr klar. Der Bischof bleibt der Bischof. Nur ist der Bischof nur wirklich Bischof, wenn er hört und mit Vertretern – nicht immer kann man mit allen sprechen, also braucht es Deligierte – spricht, berät, unterscheidet.
Das Papier löst aber auch die Hierarchie der Wichtigkeit auf: Autorität in der Kirche und Gaben des Geistes stehen „co-essenziell“ nebeneinander, sprich das eine ist nicht wesentlicher und damit wichtiger als das andere (Nr. 74).
Ein Gemeinschaftsereignis: Synodalität ist also nicht das Instrument zur Verhandlung von Inhalten: ich möchte etwas, wir möchten etwas, und dann schauen wir, wie das mit den anderen zusammen geht und wer was entscheiden darf.
Gemeinschaftsereignis
Das Matthäusevangelium gibt für die Synodalität den Ton an: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“, verspricht der Herr (Nr. 103, Mt 18:20). Gemeinschaftsereignis ist also immer auch Christusereignis. Diese Dimension von Synodalität darf nicht verloren gehen, sonst hat das mit dem Hören auf den Geist keinen Sinn.
Aufeinander hören und gemeinsam auf den Geist Gottes hören, so kann man den Duktus des Papiers zusammen fassen (Nr. 110).
Es bleibt naturgemäß sehr theologisch, wie das genau in Struktur umzusetzen ist, bleibt zu schauen. Einige Beispiele macht der Text, etwa bezüglich von Regionalsynoden oder Bischofskonferenzen. Aber wenn der synodale Weg wirklich der Weg der Kirche im 21. Jahrhundert sein soll, wie das Dokument den Papst zitiert, dann heißt das ja auch, dass sich noch viel ändern muss.
Bis wir wirklich in diesem Sinn eine synodale Kirche sind.
Ich finde es bemerkenswert, dass von Angestellten/Beauftragten der Kirche Strukturen gesucht werden, die die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Getauften/Gefirmten ausdrücken soll.Das ist grundsätzlich gut! Falls damit auch der Versuchung klerikal geschlossener Kreise mit diversen Eigeninteressen Paroli geboten werden soll, umso besser.
Nun stoße ich aber leider schon auf die erste Gräte. Meiner Erfahrung nach können diese geschlossenen Kreisstrukturen (gerne „inner circle“ genannt, faktisch also nach einem „Höllenkreis“) sich auch zwischen Klerikern und Laien bilden. Sogenannte Pastoralteams vor Ort in Kirchengemeinden bilden ab einer gewissen Größe fast gesetzmäßig einen geschlossenen Kreis (Ausnahmen wären was Wunderbares). In der Regel kommen die Mitglieder (zumindest im hiesigen Bistum) aus einem ähnlichen sozialen Umfeld und haben einen vergleichbaren sozialen Aufstiegsschritt gemacht. Dieser Teamkreis hat deshalb auch den Zweck einer Schutzfunktion / Echokammer vor den „Gläubigen da draußen“. Thematisch bearbeitet werden dort eher selten die allgemeinen Probleme und Anliegen der Gemeinde vor Ort, z. B. bei der Predigt( selbstverständlich schon verwaltungstechnisch die individuellen Anliegen bei der Sakramentenspendung) , überproportional thematisiert werden die Anliegen und Reformwünsche der hauptamtlichen und geweihten Mitarbeiter sowie politisch übergeordnete aktuelle Themen. Der zweite Kreis, der sich um diesen „inner circle“ bildet, sind sogenannte Ehrenamtliche, die, wie in der Monarchie, eine Art Günstlingswesen bilden. Hier bleibt, wer die Ansichten des „inner circle“ kritiklos teilt. Einen weiteren Kreis könnte man in der Gottesdienstgemeinde sehen, die etwas heterogenere Strukturen aufweist. Diese Kirchgänger teilen aber im Großen und Ganzen doch ähnliche Überzeugungen wie die haupt- und ehrenamtlich Engagierten. Als „Ränder“ könnten die abwertend titulierten „Karteileichen“ gelten, die, falls überhaupt, noch zum Sakramentenempfang erscheinen und ansonsten nur noch als Kirchensteuerzahler geführt werden. Dieser sogenannte Rand ist vermutlich „der Kirche“ liebstes Kind. Diese Kirchenglieder fordern selten, haben geringe und überschaubare Ansprüche, und zahlen regelmäßig den Unterhalt für die angestellten Gläubigen. Dieser Rand darf aus verständlichen Gründen nicht zu stark „aufbrechen“ ;-). Dann gibt es noch den Kreis der hilfsbedürftigen „Objekte“ der Gesamtgesellschaft, die betreut werden und so den moralischen Grund der Existenzberechtigung der institutionalisierten Kirche in die Gesellschaft hinein liefern.
So funktionieren im Groben diverse Kirchenkreise, die ich kenne. Ist das nun die Beste aller Gesellschaften? Vielleicht für manche mehr, für andere weniger. Worin besteht nun der Vorteil der angestrebten synodalen Kreisbewegungen? Die Gefahr eines selbstreferentiellen Systems besteht auch hierbei. Und genauso spannend finde ich die Frage, mit welchen Nachteilen werden die anvisierten Vorteile erkauft? Wie können die Kreise offen gehalten werden, um Nachteile zu minimieren? Ist ein offener Kreis noch ein funktionaler Kreis? Das sollte auch offen diskutiert und angesprochen werden. Soviel zu den Strukturreformen.
Ich sehe in Strukturveränderungen allerdings nicht das Superheilmittel. In der Hauptsache kommt es doch immer auf die Begegnung einzelner Menschen an. In der Begegnung und vertiefenden Beziehung zweier Menschen kann die Glut des Glaubens angefacht werden, sie kann aber auch, Gott bewahre, verschüttet werden. Mehr zu den vornehmsten Aufgaben eines Priester in diesem Zusammenhang dann aber vielleicht ein anderes Mal.
Im wesentlichen kann ich Ihren Beobachtungen zustimmen. Nach meiner Meinung ist „zu viel“ Geld vorhanden das verteilt und verwaltet werden muss, eine Art moderne Pfründeverwaltung.
Synodalität und ‚Leadership’
Wie ist Synodalität zu denken? Ich versuche mir darauf einen sozialwissenschaftlichen Reim zu machen. Dort wird die Frage diskutiert, wie Organisationen in turbulenten Zeiten, in Zeiten also, in denen sich das Umfeld ständig ändert, noch vernünftig geführt werden können. Die Lösung, die hier entwickelt worden ist, lautet: „Leadership is distributed sensemaking“, das heißt Führung unter Einbeziehung aller Beteiligten. Das ist nicht so trivial, wie es vielleicht den Anschein macht.
– In einer komplexen Umwelt sollten Entscheidungsprozesse in einer Organisationen nicht mehr zentralisiert werden. Ein solches Führungsmodell würde der Komplexität der Entscheidungssituation nicht gerecht werden.
– Stattdessen sollten alle Organisationsmitglieder in den Prozess eingebunden werden, sich ein Bild von der Situation zu machen, in der die Organisation sich bewegt. Dieses Bild wird in jedem Fall differenziert und vielschichtig sein.
– Diese Komplexität ist kein Makel, der den Entscheidungsprozess behindert, sondern im Gegenteil die Voraussetzung dafür, um angemessene Handlungsoptionen entwickeln zu können.
– Leadership sollte nun das intern entwickelte Bild aufnehmen, um vor diesem Hintergrund Entscheidungen für das Organisationshandeln zu treffen.
– Diese Entscheidungen können nur vorläufig sein, da sich die äußeren Rahmenbedingungen ständig ändern. Als Entscheidungen einer spezifischen Organisation werden sie aber gleichzeitig den Identitätskern dieser Organisation aufweisen und ihn so weiter profilieren.
– Der Prozess des Sensemaking und der Entscheidungsfindung in synodalen (?) Organisationen ist also grundsätzlich fortlaufend, nie abgeschlossen.
Die für den Sozialwissenschaftler spannende Frage ist hier, inwieweit das Prinzip der Synodalität in der Kirche dem Modell des modernen Organisationshandelns entspricht. Ich bin also auf die Übersetzung von LA SINODALITÀ NELLA VITA E NELLA MISSIONE DELLA CHIESA gespannt.