Fortsetung des Interviews mit dem emeritierten Würzburger Bischof, der während der dritten Session des Konzils als Journalist in Rom war: Frère Roger und die Ökumene. Und: Die Rolle von Joseph Ratzinger
Eine ganz besondere Begegnung während des Konzils, auch das ist in Ihrem Buch nachzulesen, hatten sie während des Konzils in Rom mit dem Gründer und ehemaligen Prior der Bruderschaft von Taizé, Frère Roger. Wie genau hat diese Begegnung ausgesehen?
Er war ja vom ersten Augenblick des Konzils an dabei. Er war in jeder Sitzung ein aufmerksamer Zuhörer und Beter. Und ich hatte ein ökumenisches Gebetbuch vorbereitet, das in dieser Form so damals nicht vertraut war, weil es Gebete aus allen christlichen Konfessionen zusammengefasst hat, gegliedert nach dem Hohepriesterlichen Gebet um die Einheit, das ja auch bei der Begegnung von Athenagoras und Paul VI. griechisch und lateinisch gebetet wurde. Und mir lag daran, dass auch ein evangelisches Schlusswort hinzugefügt werden konnte. Der Prior wollte das Buch erst einmal gründlich lesen. Das fand ich natürlich gut, denn wenn jemand nur aus Gefälligkeit einige Allgemeinplätze von sich gibt, dann ist das ja nichts wert. Er hat es also längere Zeit gelesen und mich dann mit einem Schlusswort überrascht, für das ich heute noch dankbar bin. Ich hatte bei der Gebetsauswahl keine Gebete eingefügt, die evangelische Christen sich nicht hätten zu Eigen machen können, also keine marianischen Gebete, die in ein katholisches Gebetsbuch hineingehören. Aber um eine möglichst breite Basis zu haben, hatte ich darauf verzichtet. Das hat er wohl gemerkt. Und dann hat er von sich aus ein marianisches Gebet hinzugefügt, dass bei ihnen in Taizé öfter gebetet würde. Und das fand ich als ökumenisches Signal sehr hilfreich. Ich hatte mit Blick auf die Partner auf etwas verzichtet, was mir sonst wichtig ist. Ich hatte es nicht preisgegeben, aber in diesem Zusammenhang hatte ich es nicht herausgestellt. Und er ergänzt es nun als evangelischer Christ und das zeigt, wie man im wechselnden Kontakt einander helfen kann.
Und dann hat er im Nachwort noch etwas erwähnt, was mir auch wichtig ist, nämlich den geistlichen Ökumenismus, dass es auf geistliche Grundhaltungen entscheidend ankommt. Das Konzil hat ja im Ökumenismusdekret gesagt, das Gebet und Opfer und Hören auf das Wort Gottes, der geistliche Ökumenismus, die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung ist. Das heißt, wenn die Seele schwächelt, dann schwächelt auch die Ökumene, und wenn die tot ist, dann ist alles Schreiben und Reden nutzlos. Und das gilt ja auch für heute und das ist es ja auch, was jeder Christ beitragen kann. Da waren wir also einer Meinung. Und es hat sich ja auch in Taizé immer wieder gezeigt, dass der Versuch, immer wieder konsequent Grundwahrheiten zu bedenken, zu meditieren, ins Gebet hineinzunehmen, Tausende von Jugendlichen anzieht. Die werden ja nicht mit irgendwelchen Sensationen gefüttert, sondern es geht um die Kernwahrheiten und den Versuch, das in das gemeinsame Beten und Diskutieren mit hineinzunehmen. Und das ist etwas, was heute so aktuell ist, wie damals.
Was würden Sie sagen, ist das Vermächtnis, das Frère Roger uns in ökumenischer Hinsicht hinterlassen hat?
Das Beispiel seines Lebens, mit allem Ernst und mit aller Tiefe. Es gibt ja auch einen modischen Ökumenismus, wenn ich das so sagen darf, der nicht so tief geht. Manchmal wird er auch von Ignoranz geprägt, dass man gar nicht weiß, was die ganzen Kirchen lehren und man denkt, es ist ja sowieso alles irgendwie dasselbe. Er ging wirklich in die Tiefe und hatte die Gabe, die politischen Dimensionen der christlichen Verantwortung deutlich zu machen, auch die sozialen Verpflichtungen. Damit dieses Missverständnis, man zöge sich in ein geistliches Haus zurück, erst gar nicht aufkommen konnte. Dieses Miteinander und das Beispiel der ganzen Kommunität, das ist sein Erbe, das es auch zu hüten gilt.
Mit vor Ort in Rom waren ja als junge Männer auch einige Theologen, die später zu echten theologischen Schwergewichten werden sollten, wie zum Beispiel Rahner, Ratzinger, Frings. Hatten Sie zu Ihnen engeren Kontakt?
Ratzinger war ja der persönliche theologische Berater von Kardinal Frings. Der hat in Stille intensiv gearbeitet. Ich habe ihn damals nicht getroffen. Wir waren im Studium in München schon mal zusammen bei Prof. Söhngen, den wir beide sehr geschätzt haben, er hat bei ihm auch seine Promotion und Habilitation gemacht. Aber in den Tagen vom Konzil hatten wir verschiedene Aufgaben. Rahner habe ich mehrfach erlebt, weil er auch abends bei den Veranstaltungen zu bestimmten Themen gesprochen hat, wo dann auch diskutiert wurde. Das war sehr eindrücklich. Es ist schon etwas anderes, ob ich ein Buch eines Autors lese oder ihn live erlebe. Ich habe immer wenigstens eine lebendige Begegnung mit einem Autor gesucht. Dann verstand man seine Sätze ganz anders.
War es dabei so, dass sich so etwas wie deutsche Zirkel gebildet haben?
Es gab offizielle abendliche Informations- oder Diskussionsveranstaltungen. Da kam man als Journalist dazu und manchmal gab es auch einen größeren Kreis von Interessenten. Dann gab es aber natürlich auch Leute, die sich geistig näher waren, und die darum zusammentrafen. Es gab zum Beispiel eine ganze Gruppe, die vor allem bewegt war von der Not der Armen, die auch versucht hat, die Anliegen der Armen mit in die Konzilstexte hereinzubringen. Dann gab es natürlich Begegnungen mit den Mitbrüdern aus der damaligen DDR, die jetzt beim Konzil sein konnten. Und das wurde natürlich ausgenutzt. Ich erinnere mich auch noch an den tschechischen Kardinal Bera, der eindrucksvoll aus seiner Situation im Konzil gesprochen hat. Also solche Begegnungen gab es und die haben sicher mit dazu beigetragen, dass es voran ging und dass man sich als große Gemeinschaft gefühlt hat.
Jetzt stehen wir ja als nächste und übernächste Generation vor dem Konzilsjubiläum. Wie kann der Geist des Konzils uns erreichen, bei uns weiterarbeiten? Was würden Sie sich diesbezüglich wünschen?
Ein ganz einfacher Wunsch wäre es, dass man die Konzilstexte zur Kenntnis nimmt. Oft redet man vom Geist des Konzils, ohne irgendeinen Satz zu kennen und das ist ein Nonsens. Ich habe bei Vorträgen manchmal einzelne Sätze zitiert und dann erst später gesagt, sie halten mich wohl für einen wilden Neuerer, wenn ich das so sage, aber es steht in dem Konzilstext. Das ist für Manche dann eine Überraschung. Vieles, was da gesagt wurde, ist erst zu entdecken. Da muss man erst lernen, mit der Vielfalt der Möglichkeiten positiv umzugehen. Es gibt auch Interpreten, die immer nur sagen, das ist ein Kompromiss, da kommen die Konservativen auch noch rein und geben ihre Sache dazu. Das kann man vergessen. Dass es in wichtigen Fragen nicht einfach eine Patentlösung gibt, hängt mit der Armut unseres Geistes und dem Reichtum der Offenbarung zusammen. Und oft kann einem Einer, der einem selbst zunächst nicht liegt, etwas deutlich machen, das man aus der eigenen begrenzten Perspektive nicht so sieht. Dieses Auseinanderdividieren müsste man wirklich überwinden, um auch wieder zu einer glaubwürdigen Gemeinschaft im gemeinsamen Zeugnis zu kommen.
Und dann ist natürlich Vieles als Aufgabe übrig geblieben. Das Konzil ist ja kein Abschlussunternehmen, sondern ein Aufschlussunternehmen. Nicht ein Ziel, sondern ein Start. Und da ist noch viel zu tun. In der Ökumene ist ja auch unendlich viel passiert, was man damals noch nicht für möglich gehalten hat. Vor einiger Zeit gab es vom Einheitsrat eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit den ersten offiziellen Partnern nach dem Konzil, dem Lutherischen Weltbund, dem reformierten Weltbund, den Anglikanern und den Methodisten. Und wenn man das sieht, dann sind so viele Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht, die wir noch lange nicht in der Praxis umgesetzt haben, die noch lange nicht in der offiziellen Lehre angenommen sind. Das ist auch noch eine wichtige Aufgabe, von deren Bewältigung sehr viel abhängt. Wir haben ja die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre erreicht, wo wir mit den Lutheranern und inzwischen auch mit den Methodisten gemeinsam gesagt haben, was wir als Grundwahrheiten ansehen und miteinander bekennen können und bekennen müssen. Aber es gibt viele andere Komplexe, die beispielsweise die Sakramente betreffen und die Lehre von der Kirche und Anderes mehr. Da warten noch viele Aufgaben auf uns.
Was wären konkrete Aufgabenfelder für die Pastorale?
Die Pastoral ist ja in allen Ländern wieder unterschiedlich. Und das Wichtigste ist, dass man die Grundaussagen des Konzils über die „Communio“, Communio war ja ein Grundbegriff, der durch viele Texte hindurchgeht, bestimmt, dass alle Christen eine gleiche Würde und eine analoge Verantwortung haben. Das Laien nicht zu belehren sind, sondern, dass sie auch durch ihr Zeugnis etwas voranbringen können und müssen. Das muss auch bei den Neustrukturierungen, die bei uns fällig sind, neu ins Bewusstsein kommen. Vieles ist sicher nur möglich bei diesen neuen Organisationsformen, wenn das Apostolat der Laien voll zum Zuge kommt. Und das Konzil hat ja da eine wichtige Klärung herbeigeführt. Auch vor dem Konzil sprach man von dem Laienapostolat, meinte aber das Apostolat, das es vom Bischof oder Pfarrer abhängt, der dem Religionslehrer die Missio Canonica oder einem Kirchenmusiker oder Mesner einen Auftrag gibt. Das ist die eine Seite, aber nicht die entscheidende. Das eigentliche Apostolat des Laien geht von Christus aus. Es ist eine Berufung, die durch die Taufe und dann die Firmung bestärkt wird. Und wenn das richtig zur Geltung kommt, dann haben wir ganz neue Möglichkeiten, die wir auch heute noch gar nicht so sehen.
Sie haben ja betont, wie unterschiedlich die Teilnehmer waren, die zum Konzil zusammenkamen. Gab es von außen so etwas wie Gegner des Konzils?
Ja, die gab es natürlich. Es gab Leute, die vor einem „Teufel im Konzil“ gewarnt haben, der alles durcheinanderbringt. Es gab Kräfte, die entschieden dagegen waren, dass man Positives im Verhältnis zu den Juden sagt. Es gab auch die Furcht, dass jetzt dies und jenes anders würde. Es gab zum Beispiel bei der Diskussion zum Verhältnis zu den Juden sehr starke Attacken aus arabischer Sicht, weil die aus ihrer Situation heraus nicht gerade Freunde des jüdischen Volkes sind. Und die hielten jede positive Äußerung für gefährlich. Und das hat dann Leute auch wieder zögern lassen, weil man sagte, wenn wir jetzt trotzdem gegen diese arabischen Einwände positiv vorangehen, dann müssen die Christen in den arabischen Ländern darunter leiden. Wir können ja sicher in Rom etwas sagen, das tut uns nicht weh, aber wie ist es da? Das war also eine ernste Frage, die auch in der Behandlung, in der Diskussion eine wichtige Rolle spielte. Mein Vorgänger, Bischof Josef Stangl, hat in einer Sitzung, wo das besprochen wurde, ein sehr tapferes, deutliches Votum gebracht und sehr positiv gesagt, wir sind der Wahrheit und dem jüdischen Volk unser Zeugnis schuldig und da dürfen wir uns nicht von außen lenken oder bremsen lassen.
War der Kommunismus ein Thema, das auch in diesem Zusammenhang aufgegriffen wurde?
Es gab ja in der Pastoralkonstitution, Kirche in der Welt von heute, die Frage des Atheismus, die ja „schlimmer“ ist oder folgenreicher ist als der Kommunismus als politisches System, die aber von dem nicht zu trennen ist. Man hat dazu ja klare Worte gefunden. Aber man hat bewusst auf eine extreme Konfrontation verzichtet. Was dann aber auch im Kontext des Konzils geschehen ist, gerade mit Blick auf die osteuropäische Kirche, das war die Vereinbarung mit den polnischen Bischöfen, dass die uns geschrieben haben, also an die deutschen Bischöfe, und die deutschen Bischöfe wieder reagiert haben – im Blick auf ein neues Verhältnis, auf die Verzeihung des Unrechtes und den Neubeginn eines positiven Verhältnisses. Das war natürlich für die polnischen Bischöfe gefährlich, weil ihre kommunistischen Herrscher das absolut ablehnten. Sie haben sie auch attackiert und als vaterlandslose Gesellen beschimpft, die ihr Vaterland verraten gegen die Deutschen, die es überfallen haben. Für die war das dann schon tapfer. Aber der eben schon genannte Kardinal Bera hatte dann auch wieder die Gabe, obwohl er selbst unter den Kommunisten gelitten hat, doch Brücken zu bauen. Nicht im Sinne einer oberflächlichen Verbrüderung, sondern im Sinne der Verantwortung, die man an dieser Stelle wahrzunehmen hat.
Was könnte und sollte das Konzil weiterhin bewirken?
Das, was es als Zielvorgabe von Johannes XXIII. empfangen hat: Erneuerung der Kirche im Blick auf die Fragen und Probleme unserer Zeit. Die kann man nicht mit einigen Patentlösungen oder idealen Texten bewältigen, da muss in der Kirche selber eine tiefe Erneuerung platzgreifen. Und die ist immer wieder fällig. Da gibt es kein Ende. Es gibt kein „Wir sind jetzt erneuert genug“, kein „Wir sind jetzt perfekt und können alles bewältigen“. Das ist eine bleibende Herausforderung und davon hängt Entscheidendes ab. Es muss weiter Diskussionen, Begegnungen, Austausch geben. Aber das Entscheidende ist die wirkliche tiefgreifende Erneuerung des christlichen Lebens, Glaubens und Hoffens, dass wir uns wieder positiv und zuversichtlich zeigen. Damit wir nicht dauernd um uns und unsere kleinen Nöte kreisend, bemitleidend oder attackierend. Beides hilft nicht weiter.
Was sind die angesprochenen drängenden Fragen für Sie?
Das christliche Zeugnis ist eine permanente Herausforderung. Wir sind aufgerufen, das, was wir empfangen, mit anderen zu teilen. Auch in konkreten Taten. Die Weltverantwortung und die Verantwortung für die Schöpfung rücken ja immer mehr in den Blick. Entscheidend ist nach wie vor auch, dass die getrennten Christen nun bald so weit zusammenkommen, wie es nur möglich ist. Denn davon hängt ab, was weltweit geschieht. Wenn etwas nur im katholischen Bereich erneuert und dann auch verkündet wird und andere sagen das Gegenteil, dann sind wir in der Öffentlichkeit nicht glaubwürdig, dann ist das christliche Zeugnis eben beeinträchtigt. Deswegen kommt der ökumenischen Aufgabe auch weiterhin größtmögliche Bedeutung zu.
Die Fragen stellte Veronica Pohl