Erster Teil einer kleinen Interviewreihe
Das Zweite Vatikanische Konzil ist Geschichte, seine Eröffnung jährt sich in diesem Jahr zum 50. mal, im Oktober werden hier in Rom aber das ganze Jahr über auch schon in der ganzen Welt gedacht, gefeiert, erinnert. Dem will ich mich nicht entziehen. Gemeinsam mit der Kollegin Veronica Pohl habe ich eine Reihe von Interviews mit Menschen geführt, die damals dabei waren. Sie waren allerdings nicht als Theologen dabei, sondern als Zeitgenossen: Als Priesterseminarist, als Journalist, als Helfer. Ein Blick also auf das Konzil, wie es nicht so bekannt ist.
Das erste Interview haben wir mit dem emeritierten Bischof von Würzburg, Paul-Werner Scheele geführt. Der war damals als Journalist bei der dritten Session des Konzils 1964 dabei und berichtet von Ökumene, von der Arbeit als Journalist und den „deutschen Zirkeln“ in Rom.
Sie selbst haben das Konzil, genauer gesagt die dritte Session, als Journalist begleitet, und waren in Rom vor Ort. Wie kann man sich den Arbeitsalltag eines Journalisten vorstellen, der unmittelbar vom Zweiten Vatikanum berichtet?
Ein Arbeitstag war in der Regel sehr lang, denn es gehörte nicht nur das direkt auf das Konzil bezogene Geschehen dazu, sondern auch die vielen Begegnungen, die zum Kontext gehörten. Ich wohnte in der Villa „Mater Dei“, da waren deutsche Bischöfe, aber auch Bischöfe aus Peru und Australien untergebracht. Es war also dort schon eine kleine konziliare Gemeinschaft. Denn das Große am Konzil war ja, dass es erstmals die Menschen weltweit vereint hat.
Der normale Alltag begann entweder in der Konzilsaula, gelegentlich hatte ich ja die Möglichkeit, vor Ort alles mitzubekommen, oder aber am späten Vormittag damit, Pressekonferenzen zu besuchen. Die Pressekonferenzen waren sehr informativ. Ich konnte ja gelegentlich meine Erfahrungen in der Aula mit den Informationen der Pressekonferenz vergleichen und habe immer wieder gemerkt, da wurde hervorragend gearbeitet. Gerade die deutsche Konferenz hatte einen guten Ruf. Es gab immer wieder Ausländer, die nicht zu ihrer nationalen Pressekonferenz gingen, sondern zu der deutschen.
Und dann gab es ja immer wieder neue Begegnungen. Es gab Veranstaltungen, wenn gewisse Themen von qualifizierten Theologen dargelegt wurden, da konnte man als Journalist auch dabei sein. Es waren viele Bischöfe da und auch begleitende Theologen. Aber die Journalisten, die offiziell installiert waren, hatten auch die Gelegenheit, dazu zu kommen. Und für mich gab es zudem noch den Kontakt mit dem Einheitsrat. Mein Erzbischof Lorenz Jäger von Paderborn gehörte ja zu denen, die das Entstehen des Einheitssekretariates angeregt hatten. Und mein Chef, der erste Direktor des Möhler-Institutes, gehörte auch zu den Mitgliedern des Einheitsrates – so gab es von da aus schon eine natürliche Verbindung.
Wie kann man sich vorstellen, ist um die Entscheidungen, die später auf den Konferenzen mitgeteilt wurden, gerungen worden? Was haben Sie auf dem Konzil selbst als Klima, als Atmosphäre des Gesprächs miterlebt?
Es gab ein realistisches Bild von den Themen, die anstanden, und besonders auch von den Entscheidungen, das war ja das Spannende. Dazu muss man aber auch eine gewisse Kenntnis des ganzen Geschehens haben. Denn oft wurden Entscheidungsfragen vorgelegt, nachdem die Diskussion schon Tage zuvor über die Bühne gegangen war. Und das wurde tatsächlich durch den Dr. Fittkau, das war der Leiter der katholischen Pressearbeit, hervorragend vermittelt. Was man aber live erleben musste und was Viele nie erfahren haben und nicht bedenken, ist, dass das Konzil zunächst kein Parlament ist, es ist eine geistliche Communio, eine Gemeinschaft, die etwas feiert. Sie feiert den Glauben. Am Anfang jeder Sessio wurde das Buch der Heiligen Schrift feierlich hereingetragen und auf einem Thron deutlich als Zeichen der Mitte, des Herrenwortes gezeigt – und dann wurde die Eucharistie gefeiert. Und das immer auch in den unterschiedlichsten Formen. Es gehörten ja zur Gemeinschaft der Konzilsbischöfe die unierten Christen der Ostkirchen, und so gab es dort auch immer zuerst ein liturgisches Geschehen. Und dann wurde darum gerungen, was ist der Glaube, was sagt er uns heute, was müssen wir heute den Menschen sagen. Johannes XXIII. hatte ja als Konzilsziel einmal formuliert: Es geht darum zu sagen, was das „Reich Gottes“ heute bedeutet. Und darum wurde gerungen. Und da gab es unterschiedliche Ansichten. Und das ist ja etwas Positives. Man hatte ja immer einmal den Eindruck gehabt, es würden da kämpferische Truppen oder Sekten gegeneinander ins Feld ziehen. Man kann auch, wenn man bestimmte Glaubenswahrheiten artikulieren will, sich sehr gut verstehen und gleichwohl unterschiedliche Perspektiven haben.
Würden Sie sagen, dass unter den Konzilsteilnehmern eher die progressiven Kräfte dominierten oder eher Befürchtungen und eine gewisse Zurückhaltung bestimmend waren?
Ich habe eindeutig die Mehrheit als hoffnungsorientiert, zum Teil sogar als hoffnungsfroh, als hoffnungsoptimistisch erfahren. Es war wirklich eine Aufbruchssituation, die man sich heute so nicht vorstellen kann, wo dauernd immer wieder etwas kritisiert und beklagt wird. Oder man kommt mit Statistiken an, die auch nicht gerade berauschend sind. Damals war es ein wirklicher Aufbruch und dazu trug auch bei, dass sich die Bischöfe erstmals auch weltweit untereinander kennenlernten. Es war zum ersten Mal ein wirkliches Weltkonzil. Die großen Konzilien der Geschichte waren ja zunächst Konzile der ostkirchlichen Christenheit – und dann kamen westchristliche dazu und auch das letzte Konzil vor dem Zweiten Vatikanum war mehr oder weniger europazentriert. Und jetzt war konkret die Weltkirche da! Und das hatte Viele wirklich beflügelt und auch zu neuen Kontakten zwischen Christen in Europa und in Asien und Afrika geführt. Das war ein Erlebnis, das viele Bischöfe mündlich in ihre Diözesen weitergegeben haben.
Also würden Sie rückblickend die Atmosphäre eher als international, weniger als römisch oder vatikanisch bezeichnen?
Eindeutig. Das kann man dann auch in einzelnen Texten wieder finden. Denn die haben ja weithin einen universalen Horizont.
Wie nah kann man als Journalist an die Konzilsteilnehmer heran?
Zum Teil kannte man ja etliche von ihnen und die Konzilsmische war natürlich sehr unterschiedlich. Es gibt welche die sind pressescheu. Mario von Galli, der übrigens bei jeder Pressekonferenz da war und dann auch einer der besten Vermittler im deutschen Fernsehen und im deutschen Rundfunk war, erzählte mal anekdotenhaft, wie er einen alten Bekannten getroffen hat, der auch zum Konzilsteam gehörte. Der hat ihn gefragt, was machst du denn hier? Ich bin Journalist, hat Galli geantwortet. Weiche von mir!, hieß es dann von seinem Bekannten. Der hatte wohl kein gutes Bild davon. Aber nein, wenn man sich kannte, konnte man schon auch sehr viel Gutes erfahren und das war dann eigentlich kein Problem.
Und wie heiß wurden die laufenden Konzilsthemen intern, etwa untereinander in Ihrer Hausgemeinschaft, diskutiert?
Es gab erst mal eine Vielzahl an Meinungen, aber das gehörte ja schon zu der Gemeinschaft in der Villa „Mater Dei“ dazu. Der Bischof Hermann Volk, der als Theologe ganz engagiert war und sehr aktiv ins Geschehen eingegriffen hat, der konnte zum Beispiel nicht einfach abschalten, wenn er aus der Aula kam. Und wenn man dann zum Essen beisammen war, ging es dann weiter. Sein Weihbischof Reuss, ein sehr engagierter Mann, und der Erzbischof von Freiburg waren dann da meistens dabei. Natürlich war das Konzil weithin Gegenstand der Gespräche und so bekam man dann auch Manches mit.
Wusste man als Journalist immer genau, was aktuell am Konzil verhandelt wird?
Die Tagesordnung und die Themen waren ja bekannt und man bekam auch Kurzfassungen von den Textentwürfen. Das war also kein Geheimnis. Wie es im Einzelnen dann weiterging, war auch den Konzilsbischöfen nicht permanent bewusst. Denn das waren ja sehr unterschiedliche Themen. Es war ja nicht so, dass man ein einziges Thema behandelt hätte, wie die Kirchenkonstitution, und nichts anderes. Sondern da waren ja in der Sitzung auch die Fragen der Religionsfreiheit und dann kam das Ökumenismusdekret, dann der Text zu den Weltreligionen und speziell zum Judentum. Es war ja eine sehr gute Organisation notwendig, um all die Themen behandeln zu können.
Und dann gab es etwas, was ich mir später bei den Diskussionen in manchen Gremien immer wieder gewünscht habe. Manche Diskussionen heutzutage laufen so, dass man gegen etwas ist und dann wird nicht ganz klar, für was man ist. Das hängt dann alles ein bisschen in der Luft. Beim Konzil gab es eine erste Diskussionsrunde, bei der man den Text im Grundsätzlichen annehmen oder ablehnen konnte. Das war eine erste Phase. Und je nach dem Ergebnis der Abstimmung ging es dann differenziert weiter. Dann waren die zuständigen Kommissionen dran. Dann gab es die zweite Phase, da musste man, wenn man etwas ablehnte und etwas anders wollte, eine präzise Formulierung vorlegen. Also konnte man nicht einfach sagen, es müsste ganz anders sein oder es müsste dynamischer sein. Solche Sprüche waren dann nicht gefordert. „Juxta modum“ hieß der Terminus technicus, dann konnte und musste man das, was man meinte, präzise sagen, etwa: statt dieser Formulierung möchte ich diesen Satz vorschlagen oder: diese Formulierung möchte ich ersatzlos streichen. Und das alles in lateinischer Sprache zu verfolgen, das forderte also von den Konzilsbischöfen schon eine sehr große Anstrengung und Konzentration. Aber es war auch diese präzise Ordnung, die dafür sorgte, dass nicht ein Palaver bis zum Ende der Welt stattfand, sondern dass man zu einer konkreten Form kommen konnte.
Wie würden Sie den viel zitierten Geist des Konzils beschreiben?
Nun, es war ein Geist der Hoffnung und der Zuversicht, aber auch des Ringens. Man merkte immer mehr, wie wichtig die Themen waren. Und hinzu kam ja auch, dass die Öffentlichkeit in einem Maße positiv zum Konzilsgeschehen stand, wie man das sonst gar nicht gewohnt war. Das heißt, der einzelne Bischof konnte auch erkennen, wir werden gehört, und was wir tun, hat auch seine Wirkung. Natürlich gibt es auch Ängstliche, die dann meinen, es geht jetzt zu weit. Es gab ja auch ganz neue Themen. Die Einheit der Christen war ja für Viele ganz neu. Es gibt ja Länder, in denen es nur Katholiken gibt. Die haben nie evangelische oder orthodoxe Mitchristen in ihrer Nähe erlebt. Und die taten sich zunächst schwer und fürchteten auch, dass das Katholische jetzt zu kurz käme oder verfälscht würde.
Anderen ging das dann nie weit genug. Es ist ja eine sehr bunte Gesellschaft, wenn man sich das Bischofskollegium näher anschaut, und das zeigte sich auch beim Konzil. Aber im Ganzen habe ich doch erlebt, dass es sehr positiv zuging, auch wenn man sich gelegentlich geärgert hat, wenn etwas nicht so schnell voranging, wie man mochte. Da dachte man dann, es gibt Querschüsse. Aber das gehört einfach auch zum menschlichen Ringen, dass es nicht vom ersten bis zum letzten Tag eine Jubelveranstaltung war. Es war ja eine liturgische Feier mit einer hohen Beanspruchung der Verantwortung, und auch des Glaubenswissens.
Wie haben Sie damals den Widerhall in der Medienlandschaft in Deutschland erlebt?
Ich war manchmal sehr enttäuscht, wie bruchstückhaft und dilettantisch berichtet wurde. Eine Zeitung zum Beispiel hatte einen römischen Reporter, der mehr auf römische Skandalgeschichten vom Adel in Italien eingestellt war, abgestellt. Und das prägte wohl manchmal auch seine Intention bei der Konzilsberichterstattung – und die eigentlichen theologischen Grundfragen sind Manchem dann entgangen. Ich war ja der einzige Theologe, der von Deutschland von einer Zeitung nach Rom geschickt wurde. Die Anderen haben irgendwelche Korrespondenten genommen, die sowieso in Rom waren. Ich hatte außerdem immer eine große Zeitungsseite zur Verfügung. Das erlaubte mir natürlich, auch mehr ins Detail zu gehen und auf die Zusammenhänge hinzuweisen. Besonders lag mir ja an den ökumenischen Implikationen und Dimensionen.
Das war dann auch das Thema, dass Sie am meisten gefangen genommen hat während der dritten Session?
Oh ja. Es gab ja schon sehr bald nach der ersten Session ein Buch von einem evangelischen Theologen, Hampe, der auch eine sehr gute Konzilsberichterstattung und später eine gute Aufarbeitung der konziliaren Themen geleistet hat. Der hatte dann auf dem Titelblatt Johannes XXIII. und Martin Luther, um zu zeigen, dass es dort auch um Themen ging, die schon in der Reformation diskutiert wurden und die auch evangelische Christen bewegen. Und es waren ja auch die Beobachter der verschiedenen Kirchen da. Und durch den Kontakt zwischen Möhler-Institut und Einheitsrat kam man auch mit denen zusammen und sie gehörten dazu und konnten ihre Vorschläge einbringen, konnten natürlich nicht abstimmen, aber sie haben doch auch Manches mitgeprägt.
Sie zitieren in ihrem Buch mit Ihren Konzilsberichten auch Cullmann, den evangelischen Exegeten, der sagt, mit dem Ökumenismusdekret werde zum ersten Mal von den nichtkatholischen Christen gesprochen ein einer Weise, die ganz neue Spielräume für die Ökumene eröffnet. Wo lag denn genau der ökumenische Quantensprung?
Das Wichtigste ist auch hier zunächst nicht die einzelne Formulierung, sondern das, was Kardinal Bea, der ja als erster Präsident des Einheitsrates besondere Verdienste hatte, als „Generalmobilmachung auf dem Weg zur Einheit“ bezeichnet hat. Es wurde ja von Anfang an die ökumenische Bewegung begrüßt als ein Werk des Heiligen Geistes, und es wurde versucht, sich in diese Begegnung hineinzubegeben. Und dazu gehörten dann auch positive Aussagen über die Mitchristen. Die waren für Viele noch neu. Es war ja dann auch so, dass am Anfang die ersten Abstimmungen vom erhofften Ergebnis her gesprochen sehr ungünstig verliefen, aus meiner Perspektive. Aber durch den Austausch, die Diskussion und die hinzugenommene Information hat sich das ja gewandelt, sodass am Ende eine überragende Abstimmung zustande kam, die zeigte, dass alle Konzilsväter sich diesen Appell zur Einheit zu eigen machten.
Wenn Sie heute Ihre Berichte wiederlesen, müssen Sie da manche Hoffnungen revidieren?
Ich habe diese Berichte geschrieben und jahrelang waren die für mich weg, vergessen. Beim Umzug sind sie erst wieder aufgetaucht. Dann habe ich sie von vorne bis hinten gelesen und gestaunt, dass ich da nichts zu wiederrufen hatte. Das nicht jede Hoffnung sich erfüllt hat, habe ich zur Kenntnis genommen. Das hat mich aber auch nicht erschüttert. Es ist uns ja kein Paradies versprochen und dem Wort des Konzils geht es nicht anders, als dem Bibelwort, es fällt auf unterschiedlichen Boden. Wie es der Herr ja im Gleichnis sagt, gibt es unterschiedliche Samen: Samen des Wortes, die auf den Weg fallen, oder auf Felsengrund. Und das geht mit dem Konzilswort genauso. Es ist nicht jedes Wort gleichermaßen rezipiert worden, bis zur Stunde noch nicht. Aber der Grundduktus, der Aufbruch, und die wichtigste Aussagen wirken noch heute weiter. Ich war selbst überrascht, dass ich da nichts zu revozieren hatte. Und dann gab es eine neuerliche Diskussion über das Konzil und da habe ich gedacht, ich gebe das mal so raus, ich habe ja nichts geändert, obwohl ich noch was hätte modifizieren oder präzisieren können. Ich habe es für redlich gehalten, den Text so, wie er publiziert wurde, wieder einem neuen Publikum zu unterbreiten.
Wenn sie jetzt Rückschau halten auf das Konzilsgeschehen, vielleicht auch auf die persönlichen Erlebnisse und Begegnungen. Was sticht da aus ihrer Erinnerung besonders prägnant hervor?
Besonders bewegt hat mich natürlich der Kampf um das Ökumenismusdekret und dann der Sieg, wenn ich das schlagwortartig so sagen darf, die überragende Abstimmung nach vielem Hin und Her und der Sorge, die man zwischenzeitlich hatte. Hinzu kommt dann der Text zum Verhältnis zu den Juden und zu den anderen Religionen. Beide Themen haben mich schon von Studentenzeit an beschäftigt und sind ja heute noch aktuell. Da ist ja auch eine neue Basis gefunden worden für das Verhältnis zu den Juden, was ja nun besonders qualifiziert ist, es unterscheidet sich ja in Vielem vom Verhältnis zu den anderen Weltreligionen. Aber auch die gehören ja heute zu unserer Welt und sind mehr und mehr unsere Partner. Die Frage, was verbindet uns mit ihnen, was unterscheidet oder trennt uns von ihnen, und vor allem danach, was wir miteinander tun können, dazu ist ein wichtiger Start gelungen. Auch das hat mich sehr beeindruckt.
Und ein liturgisches Ereignis habe ich auch nie vergessen. Während dieser dritten Sessio wurden die Märtyrer von Uganda heiliggesprochen und Papst Paul VI. hat ausdrücklich dann die anglikanischen Märtyrer mit erwähnt und mit einbezogen in die Verehrung. Das war etwas ganz Neues. Es gab früher die theologische Meinung, Märtyrer gibt es im vollen Sinne nur in der katholischen Kirche, weil das Martyrium ja besagt, dass man für den Glauben stirbt. Und man dachte, Glaube ist voll nur in der katholischen Kirche verwirklicht ist. Man hat die anderen deshalb zwar respektiert, aber nicht als Märtyrer angesprochen. Auch das hat sich also grundlegend geändert und Papst Johannes Paul II. hat ja mutig weitergeführt, was das Konzil hier angestoßen hat. Aber dass ich das so unmittelbar in der Aula drinnen miterleben durfte, das hat mich sehr bewegt.
Paul VI. hat ja auch zwei wichtige Reisen unternommen während des Konzils, einmal nach Indien und einmal ins Heilige Land. Wie denken Sie haben diese Reisen das Konzilsgeschehen mitbeeinflusst?
Beide Reisen waren ja auch ein Ausdruck des konziliaren Prozesses. Vor dem Konzil hat Papst Johannes XXIII. eine kleine Reise nach Loretto gemacht, um für das Konzil zu beten. Das war schon eine Sensation. Heute ist uns ganz vertraut, dass der Papst in alle Länder der Erde fährt, vor allem Papst Johannes Paul II. hat das ja ausgiebig praktiziert. Damals war das aber etwas ganz Neues! Auch die Reise nach Indien zu dem eucharistischen Kongress, aber in ein Land, in dem Christen in der Minderheit sind, hat schon Staunen erregt. Ganz besonders gewirkt hat dann aber die Reise ins Heilige Land, die Begegnung mit dem orthodoxen Patriarchen und die Weise, wie auch zelebriert wurde. Was sich damit dann doch angebahnt hat, das war ein wichtiger Impuls für die ökumenischen Bemühungen des Konzils. Und es ist ja heute noch, wenn man die Texte von der Begegnung in Jerusalem nachliest, nicht nur ein ökumenisches Zeichen enthalten, sondern auch eins der Konzilsintention, die man mit den Worten beschreiben kann: Zurück zu den Quellen. Zurück zum biblischen Ursprung – und von da aus Erneuerung. Und das war nun in dem Ereignis auch für eine Öffentlichkeit eher zugänglich, als die Einzelheiten einer theologischen Diskussion.
Fortsetzung folgt …..