Punkt zwölf Uhr mittags explodierte Twitter: Genau um die Uhrzeit hatte ich meine eigene Zusammenfassung des Papsttextes „Evangelii Gaudium“ verbreitet, als alle anderen das auch taten, exakt zum Ablauf des Embargos. Und dann begann das Zitieren: Einzelsätze werden ge-tweeted was die Tastatur hergibt.
Dabei ist der Text doch das genaue Gegenteil: Bisher hatte der Papst selber immer kurze Stücke geliefert, Morgenpredigten, Einzelgedanken, einzelne Aspekte. Diese Exhortation – wie die Textgattung offiziell heißt – will den Zusammenhang sehen. Nicht die Einzelfragen. Wer bei diesem sehr programmatischen Text den Horizont außer Acht lässt, wird sich schnell verlaufen. Da macht eine Zeitung aus der Stelle zu den Bischofskonferenzen „more power to the bishops“, wo doch ‚Macht’ genau das Gegenteil dessen ist, was der Papst will. Oder eine us-amerikanische katholische Nachrichtenagentur machte einen – nur einen – Artikel daraus: Kirchliche Lehre zur Abtreibung ist nicht veränderbar. Kein weiteres Thema wurde angesprochen.
Ruhe braucht dieser Text. Es reicht nicht, die Überschriften und das „best of“ zu lesen, hier noch viel weniger als sonst. Wer nur sein Lieblingsthema sucht, der wird fündig, entstellt dann aber die Gesamtidee einer lebendigen, freudigen und vor allem verkündenden Kirche. Selber lesen macht schlau. Oder in diesem Fall: Selber lesen macht verstehen.
Was Papst Franziskus in seinem Text verkündet, erinnert mich an vielen Stellen an die rund eintausend Predigten, die der Jesuit Alois Schuh vor Jahrzehnten in Köln hielt; eindringliche Worte und Bilder – damals* für Köln, heute für die ganze Welt.
* “Wir sitzen abends vor dem Fernseher und sehen Hungernde – in Farbe – und hören ihre Schreie – Stereo – und schenken uns ein Glas Bier ein …”.
Lieber Andreas, ich glaube jeder realitätsbezogene Mensch sieht es genauso deutlich wie Alois dies tat, und will darauf hinweisen, oder?
“Selber lesen macht verstehen”. Ein schöner Satz. Aber einmal Hand aufs Herz, steht in diesem Evangelii Gaudium irgendetwas Neues drinne, was wir nicht schon längst gewusst hätten? Nein, möchte ich mit ALLER Entschiedenheit betonen. Aus einigen Kommentaren hier auf diesem Blog ist die Entäuschung der “kath.net” Fraktion, Österreichs und der Schweiz deutlich herauslesbar. Zuerst die Verdammung Medjugorjes und das drohende Ende des Wallfahrtsgeschäfts im Internet damit, dann die Verurteiung eines “konservaativen Christentums” ohne Jesus. Deutlicher ist die Anspielung auf gewisse konservative Kreise Österreichs und der Schweiz im Internet kaum möglich. Diese Plattformen im Internet, die sich glaubenstreu geben, sind es vielleicht nicht ganz so sehr, wie sie es der Öffentlichkeit glauben machen wollen. Insgesamt nichts Neues aus Rom. Papst Franziskus geht den richtigen Weg. Erzbischof Müller schirmt ihn ab gegen “Abweichler von “Links” zb Freiburg, aber auch gegenüber der esoterischen Richtung a la “kath.net”. Ein Kritikpunkt bleibt. Kardinal Marx erscheint einem manchmal etwas unglaubwürdig in Anbetracht einer “armen Kirche” im Sinne eines Papst Franziskus. Er verkörpert die “alte” Kirche, wohnt im Palais, fährt BMW 730i. Das sollte möglichst in Bälde abgestellt werden. Er wirkst ansonsten sehr unglaubwürdig! Und reformunwillig im Sinne der Orthopraxie!!!
Für mich, als bekennender Christ bietet “Evangelii Gaudium” eine willkommende Inspiration. Dieser Papst ist immer für eine Überraschung gut. Dialog mit der Orthodoxie der gemeinamen Werte willen. Präsident Putin erscheint mir persönlich dazu besonders geeignet hier Akzente zu setzen. “Tauwetter” ist angesagt trotz des kalten Winters. Präsident Putin ist wie geschaffen der neue Schutzherr der Christenheit zu werden. Politisch gesehen. Und der Papst, selbsst der sozialen Gerechtigkeit, aber auch der Orthodoxie verbunden, ist dazu der richtige Mann. Gegen den Zeitgeist des Todes. Eine Union zwischen Orthodoxie und Katholizismus im Sinne des Friedens und der Gerechtigkeit. Die Papiere liegen bereit. Man muss nur zugreifen und es anpacken!
Gewiß sehen wir realistisch vieles und haben manche Einsichten in unserer Gedächtnisbank abgelegt (oder auch in extrazerebralen Informationsspeichern dokumentiert). Aber nicht jeder ist fähig, das alles, was viele vermeintlich wissen und spüren, in einer Zusammenschau ausdrucksreich in eine Sprache zu bringen, die wachrüttelt wie das jähe Ziehen der Notbremse in einem schnell dahinfahrenden Intercity-Express.
Lieber Andreas, ich meinte nicht “wir”, sondern Alois Schuh, Papst Franziskus, auch andere wenige… und vielleicht Sie?
Soeben haben wir Thomas von Aquin zitiert “quidquid recipitur ad modum recipientis recipitur” – hier sehen wir, dass es doch mehrere Menschen gibt, die die Fähigkeit haben, dasselbe zu sehen und verständlich diese Realität, fast auf die selbe Art und Weise, an andere weiterzugeben.
Thomas Satz ist gewissermaßen ein Vorgriff auf die Aussage der Quantenphysik, dass der Beobachter stets in Wechselwirkung mit seiner Beobachtung (Experiment) steht, also nie unbeteiligt, außenstehend ist. Wenn das zwingend eine universale Grundstruktur der Welt ist, ließe sich weiterfragen, ob ein Schöpfer davon frei wäre und warum.