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Monat: Juni 2020

Immer weniger und weniger

Veröffentlicht am 28. Juni 202027. Juni 2020
Zahlen zu Kirchenaustritten In der Kirche: Was machen wir hier noch? Morgens im Petersdom, Rom

Es ist schlimmer, als vorher gesagt. Eine Studie – die so genannte Freiburger Studie – hatte schon ein hartes Licht auf die Realität der Kirchen in Deutschland geworfen. Die jetzt vorgestellten Zahlen zu Kirchenaustritten sagen, dass es 2019 noch viel schlimmer gekommen ist, als gedacht. Und alles vor Corona.

Analysen und Kommentare dazu gibt es viele, und die meisten sind auch richtig. Es gibt eine Aushöhlung des Systems Kirche, es gibt eine brüchig gewordene Bindung und Bindungsbereitschaft, eine schwindende Relevanz von Kirche für das eigene Leben. Und da haben wir das Thema Missbrauch noch nicht einmal angeschnitten.

Zahlen zu Kirchenaustritten

Die Frage ist nun, was daraus folgt. Zahlen sind ja nicht unschuldig, man muss sie lesen.

Mein erster Eindruck ist der eines nüchternen Realismus. Die Kirche von früher, die ist nicht mehr und kommt auch nicht mehr. Und jegliche Reform-Bemühungen, sei es im synodalen Weg oder sonstwo, bringen das nicht zurück. Reform bewahrt nicht, sie schafft für morgen, nicht für heute.

Außerdem ist das ja nicht das erste Mal, dass wir vor solchen Zahlen stehen. Jahr um Jahr schauen wir drauf und werden wieder geschockt, dass es schlimmer ist als gedacht.

Immer wieder schlimmer als gedacht

Was ja auch dazu führt, dass hektische Panik-Rufe ausbleiben. Zu sehr haben wir uns an die Abwärtsbewegung gewöhnt. Und die meisten Katholikinnen und Katholiken, die ich kenne, können all die Austritte gut nachvollziehen.

Mein zweiter Eindruck hat mit der Frage zu tun, was eine Zukunftsperspektive sein kann. Nicht zahlenmäßig, das steht in den Sternen. Nein, was Kirche sein will. Rückzug aufs Kerngeschäft auf der einen Seite oder immer mehr gesellschaftlich relevantes Engagement? 

„Wir müssen uns fragen, wie wir Menschen eine Heimat in der Kirche vermitteln können“ steht über dem Artikel zur Kirchenstatistik 2019 auf der Webseite der DBK. Die Frage beantwortet sich eigentlich von selber: die „Heimat Kirche“ ist weg. Kirche ist Option. Eine unter vielen. Und als solche muss sie erleben, dass sich mehr und mehr Menschen gegen sie entscheiden.

Heimat? Welche Heimat?

Das ist also nicht mehr Zukunftsperspektive. Aber was dann? Da stochern wir noch im Nebel. Und die Hoffnung, durch gut ausdiskutierte Papiere beim synodalen Weg daran etwas ändern zu können, wird uns betrügen.

Im Kern wirft uns der Realismus dieser Zahlen zurück auf das Geistliche. Was Kirche ist eben nicht nur unter uns verstehbar. Es entspricht einem gesunden Realismus, hier an dieser Stelle nach Gott zu fragen. Nicht weil Kirche keine Antworten auf Sinnfragen mehr hat, das wäre funktional und das hat die vergangenen Jahrzehnte ja auch schon nicht funktioniert. Sondern weil wir selber vor uns nicht wissen, was Gott mit der Kirche will. Wir haben Phantasien, wir haben vorfabrizierte Antworten, aber all das passt nicht mehr.

Erst wenn wir Kirchen-Verbliebenen wieder lernen, interessiert aneinander von Gott zu sprechen, werden uns die anderen abnehmen, dass es wirklich um Gott geht. In all den Debatten, die wir führen, zu Gerechtigkeit und Schöpfung gfehauso wie zur Frage nach dem Sinn des Lebens. Wenn Gott ins Spiel kommt, dann ist das eine Infragestellung von allem, was wir unter uns ausmachen. Dann ist das mehr als das, was wir selber entscheiden und abwägen. Das möchte ich zu den Zahlen noch einmal deutlich wiederholen.

Die Zahlen von 2019 verweisen uns. Nicht auf uns selber, nicht auf die Sozialstruktur Kirche, auf Relevanz-Verluste und finanzielle Ängste und Engpässe. Sondern auf die Frage, was Gott mit uns zu tun hat. Und das ist kein frommes Ablenken vom Thema, das ist Kern des Problems. In der Kirche von Gott zu sprechen ist Realismus, nicht Eskapismus. Und nur so kommen wir dem auf die Spur, was Kirche in Zukunft sein kann. Ganz gleich, wie groß sie sein wird.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Austritt, Deutschland, Glaube, Kirche, Kirchensteuer47 Kommentare zu Immer weniger und weniger

52 Papstversteher

Veröffentlicht am 26. Juni 202025. Juni 2020
Was meint der Papst damit Das besprochene Buch

Manchmal ist er schwer zu verstehen. Wenn Papst Franziskus von „Satan“ spricht, von „Unterscheidung“ oder eine seiner Sprachmetaphern wie das „Feld-Krankenhaus“ benutzt, dann sind es manchmal schon die Worte, die Verstehen nicht einfach machen.

Klerikalismus ist auch so ein Wort. Synodalität. Barmherzigkeit. Was meint der Papst damit? Wir können nicht einfach unser eigenes Verständnis dieser Worte darunter legen, soviel ist mal sicher. Da braucht es Verstehenshilfen.

Was meint der Papst damit?

Gleich zu Beginn des Pontifikates schon gab es erste Listen über Worte, die Papst Franziskus besonders oft benutzt. Die sozusagen seine Absichten sprachlich markieren. Auch hat er seinen ganz eigenen Sprachstil, den man erst einmal verstehen muss, um dahinter zu kommen.

Über Jahre habe ich versucht, immer mal wieder Verstehenshilfe zu liefern, hier im Blog. Nun ist mir eine andere Hilfe in die Hände gefallen, kurz und praktisch. Es ist ein Buch, „A Pope Francis Lexicon“ heißt es. Wie der Titel vermuten lässt, ist es Englisch, und hier ist auch gleich der Nachteil. Denn man muss um das Buch lesen zu können nicht nur Englisch können, sondern auch einen englischen kirchlichen Verstehenshorizont mitbringen. Für diejenigen aber, die damit was anfangen können, ist das eine gute Übersicht.

Eine gute Übersicht über die zentralen Worte

Satan. Barmherzigkeit. Tränen. Begegnung. Immigranten. Klerikalismus. All das sind so Worte, die im Buch behandelt werden.

52 recht kurz und übersichtlich gehaltene Artikel von ebensovielen Autoren zu diesen und anderen Begriffen sind im Buch versammelt. Unter den Autorinnen und Autoren sind einige Kardiäle, Vatikan-Insider, Papst-Kennerinnen und Kenner, aber auch Theologinnen und Theologen.

Alle vereint die Aufgabe, den Gebrauch von bestimmten Worten und Begriffen bei Papst Franziskus zu erklären. Was macht er mit den Worten und was will er damit aussagen? Manchmal ist es der argentinische Hintergrund, der hilft. Oder es sind es genaue Lektüren der Texte. Manchmal ist es die Spiritualität der Jesuiten. Oft genug aber eine Kombination von alldem.

Die Herausgeber – City Wooden und Joshua J. McElwee – kennen sich gut im Vatikan aus und haben ihre Autorinnen und Autoren gut gewählt. Ihnen gelingt es, ohne lang und breit zu zitieren zu erklären, was der Papst will. Und wie er zu verstehen ist, wenn er eines seiner Lieblingsworte benutzt.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Barmherzigkeit, Buch, Lexikon, Papst Franziskus, Sprache17 Kommentare zu 52 Papstversteher

üben, üben, üben

Veröffentlicht am 19. Juni 202018. Juni 2020
Sprache schafft Wirklichkeit Beten heißt üben. Foto: Pixabay

Sprache schafft Wirklichkeit. Aber schaffen wir auch durch das Verändern der Sprache neue Wirklichkeiten? Die Diskussion hier und anderswo über die Frage nach dem Wort „Rasse“ hat die Frage neu aufgeworfen. 

„Ich bin generell skeptisch, wenn Worte ausradiert oder manipuliert werden in der Hoffnung, mit dem Wort werde auch der böse Gedanke verschwinden“, sagt ein Kommentator bei Facebook. „Das klappt noch nicht einmal mit Büchern. Oder Portraits. Es ist das Denken, an das wir ‘ran müssen, nicht die Vokabel.“

Sprache schafft Wirklichkeit

Oder auch hier im Blog: „Wenn wir aber auf jedes Wort verzichten wollen, das in der Menschheitsgeschichte schon einmal mißbraucht worden ist, dann können wir unsere Sprache vergessen. Ich brauche keine Sprachpolizei.“

Es wird niemanden überraschen, dass ich hier widerspreche. Natürlich geht es nicht um das erzieherische Verbieten, um Sprachpolizei und ein Besserwissertum, das sich über andere Menschen ergießen will. Mein Antrieb ist ein anderer, und zwar geht es mir um eine Grundeinsicht, die letztlich in der DNA der Spiritualität meines Ordens eingeschrieben ist.

Es geht um das Üben.

Keine Sprachpolizei

Wer mit Ignatius von Loyola und den Männern und Frauen dieser Spiritualität unterwegs ist, der übt. Wobei üben nicht als ‚ausprobieren‘ zu verstehen ist, sondern als Einübung. Geistliche Übungen, Lateinisch: ‚exercitium, eingedeutscht ‚Exerzitien‘.

Für Ignatius war Beten – darum geht es ihm erst einmal – nicht ein frei fließender Gedankenstrom, kein leer-Werden, kein Seelen- oder Bewusstseinszustand. Sondern ein strukturiertes Tun. Mit Tendenz zu richtiger Arbeit. Mit Anleitungen, Wiederholungen und klarer Ausrichtung soll man üben, mit Gott zu sprechen. Oder auf Gott zu hören, Gott im eigenen Leben wahrzunehmen. Und das meint Ignatius sehr physisch und vergleicht das geistliche Üben mit „Umhergehen, Wandern und Laufen”, also „leibliche Übungen”.

„Umhergehen, Wandern und Laufen”

Und wenn ich viel übe, dann lerne ich. Wie beim Yoga, wie beim Fußball, wie in der Reha. Dann wird es Teil meines Lebens und meiner Sichtweise auf die Dinge. Darum geht es Ignatius: permanent mit Christus auf die Welt, die Menschen und sich selbst zu schauen. Und das geht halt nur mit Übung.

Zurück zum Sprachproblem: wenn wir uns reflektiert dazu entscheiden, ein Wort nicht zu benutzen, dann üben wir eine andere Sicht auf die Dinge. Wenn wir ‚Rasse‘ nicht mehr benutzen, dann müssen wir überlegen, was wir eigentlich sagen wollen. Und das will dann geübt werden.

Und dann ändert sich unsere Sicht auf die Welt und uns selber.

So schaffe ich Veränderung

Nicht automatisch, auch nicht immer so wie unser Wille sich das vorstellt – weswegen man das nicht als Voluntarismus bezeichnen kann – aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und wie es das Gebet und die geistliche Betrachtung vormachen: das lässt sich nicht dekretieren, nicht vorschreiben, auch nicht von außen. Das geht nur allmählich, dann aber tragfähig.

Verbote ändern keine Haltungen. Das ist richtig. Aber reflektiertes Einüben einer nicht ausgrenzenden Sprache hat die Chance, eine andere Sicht auf Menschen und uns selbst einzuüben. Und das wäre es doch wert, oder?

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Beten, Exerzitien, Rasse, Sprache, üben, Wirklichkeit29 Kommentare zu üben, üben, üben

Streicht „Rasse“ aus dem Hochgebet!

Veröffentlicht am 16. Juni 202015. Juni 2020
Darf man Rasse heute noch sagen Messbuch der Kirche, Hochgebet zum Thema Versöhnung

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kommt das Wort „Rasse“ vor. Auch im österreichischen Bundes-Verfasungsgesetz, mit derselben Stoßrichtung gegen Diskriminierung, hier aber im Bereich der öffentlichen Schulen (Artikel 14). Geht das noch? Darf man Rasse heute noch sagen? Müssen wir das nicht ändern?

Mit dieser öffentlichen Debatte im Hinterkopf bin ich in der vergangenen Woche über das Wort ‚Rasse‘ dort gestolpert, wo ich es gar nicht vermutet hätte. Ich bin kein Fan davon, Hochgebete in der Messe einfach zu verändern. Dem eigenen Geschmack oder den eigenen Ideen zu unterwerfen. Aber als mir gerade hier das Wort ‚Rasse‘ unterkam, habe ich rein instinktiv von ‚Herkunft‘ gesprochen.

Darf man Rasse heute noch sagen?

Das Wort kommt in einem der eucharistischen Hochgebete vor, und zwar in dem zur Versöhnung. Ausgerechnet.

„Wie du uns hier am Tisch deines Sohnes versammelt hast (…), so sammle die Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen zum Gastmahl der ewigen Versöhnung in der neuen Welt deines immerwährenden Friedens“.

Auch hier also meine Frage: geht das noch? Kann ich das so beten?

Es ist ein gesellschaftliches Konstrukt

Erst mal die Experten gefragt: Laut menschlicher DNA gibt es so etwas wie Rassen gar nicht. Rasse ist gesellschaftliches Konstrukt. Hat also mit der Art und Weise zu tun, wie wir uns die Welt vorstellen und in Begriffe fassen. Ich lasse jetzt einmal außen vor, wie dieses Wort in anderen Sprachen benutzt wird, in unserer Sprache ist es eindeutig biologisch besetzt, also wissenschaftlich überholt.

Und doch benutzen wir es weiter, in Grundgesetzen wie auch im Hochgebet.

Das Ganze wäre nicht so schlimm und als historisches Erbe abzutun, wenn die Idee der Rasse nicht so viele Opfer produzieren würde. Hat und noch tut.

Opfer

Das Wort ‚Rasse‘ setzt irgendwie voraus, dass es so etwas gibt. Und so wie das Wort in der deutschen Sprache – und Geschichte – verwendet wird, ist es ein biologisches Wort. Ein Unterschied von Menschen auf Grund von Genen oder dergleichen. Also ein nachweisbarer Unterschied.

Es gibt einen Unterschied der Geschlechter. Einen Unterschied nach Sprache. Nach Herkunft. Nach Kultur. Das sind wirkliche Unterschiede, die aber kein Grund zur Diskriminierung sein dürfen. Und dann gibt es die Nicht-Unterschiede. Die konstruierten Unterschiede, die wir hinterfragen müssen.

Identitätsmarker

Wobei: man muss schon aufpassen, die Vergangenheit nicht an moralischen Maßstäben von heute zu messen. Da braucht es Klugheit. Aber in diesem Fall meine ich ist es gerechtfertigt. Wie bei Statuen in den USA geht es um Identitätsmarker, um die Frage nach was wir uns ausrichten.

Es gibt Leute, die derlei Debatte in Sachen Grundgesetz als „Theoriekram“ abtun, man solle sich lieber aktiv engagieren. Das eine tun und das andere nicht lassen, mag ich antworten. Das ist kein Theoriekram. Begriffe schaffen Wirklichkeiten. Und wenn ich so rede, als ob es Rassen wirklich gäbe, setzt sich das fest.

Also: Das Wort sollte in unserer Liturgie nicht mehr vorkommen. Das liturgische Beten soll dem Auffassungsvermögen des Volkes angepasst und verstanden werden, so Papst Franziskus in einem Rechtstext. Liturgie ist halt kein Museum, sondern will und soll lebendig sein.

Noch wird meines Wissens an der deutschen Übersetzung des neuen Messbuches gearbeitet. Eine Gelegenheit, sich das Thema „Versöhnung“ noch einmal vorzunehmen. Wir wollen ja Liturgie ernst nehmen. Da wird es Zeit, den Menschen abwertenden falschen Begriff zu streichen.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Neulich im InternetSchlagwörter Debatte, Grundgesetz, Hochgebet, Kirche, Messe, Rasse36 Kommentare zu Streicht „Rasse“ aus dem Hochgebet!

Verschleierte Wirklichkeit

Veröffentlicht am 14. Juni 202013. Juni 2020
Die Realität ist in Wirklichkeit ganz anders Kirche und Welt, das ist so eine Sache. Wien, Stephansdom

„Die Realität ist in Wirklichkeit ganz anders“: Ein Satz meines ersten Geschichtsprofessors, der bei uns Studierenden regelmäßig für Gelächter gesorgt hat. Lachen über den Witz, aber auch Lachen über uns selbst.

Der Satz ist aber weise. Weil er den Finger darauf legt, dass wir unsere eigenen Realitäten haben, die von Tatsachen nicht immer gedeckt sind. Und damit meine ich noch gar nicht diejenigen, die George Soros oder Bill Gates hinter allem vermuten, die von einer angeblichen Weltregierung raunen, oder die hinter allen kirchlichen Debatten eine Zerstörung der Kirche vermuten. Damit meine ich erst einmal uns alle.

Die Realität ist in Wirklichkeit ganz anders

Der Philosoph Immanuel Kant warnt uns, dass die Wahrnehmung uns täuschen kann, erst durch die Vernunft gelangen wir Richtung Wirklichkeit. Also erst wenn wir lernen, uns selbst zu hinterfragen. Kurz formuliert: Denken hilft.

Aber wir tun das Gegenteil. Die Normalität verliert, stattdessen begegnen mir immer mehr Sonderwelten. Jeder und jede hat zu allem was gelesen und baut sich die eigene Weltsicht zusammen. Jedenfalls begegnet mir das immer mehr in den öffentlichen Debatten, auch und gerade in der Kirche. Die Wirklichkeit kommt uns abhanden.

Es regieren die Sonderwelten

Was daran ärgerlich ist, ist vor allem die Unangreifbarkeit. Dass man sich Meinungen bildet ist ja geschenkt, und dass man dabei Fehler macht auch. Das macht jeder und jede. Aber dass man auch angesichts von widersprechenden Argumenten oder Zahlen lieber dabei bleibt statt sich zu korrigieren – und das als Lernen positiv wahrzunehmen – das ist zunehmend ärgerlich. Und es nervt.

Papst Franziskus nannte das mal „Formen von Verschleierung von Wirklichkeit“ (Evangelii Gaudium 231). Heraus kommen die ganzen „-ismen“, die er da auch gleich mal aufzählt. Psychologisch mag das aller erklärbar sein, aber ab einem gewissen Punkt mag ich nicht mehr erklären oder verstehen oder verständnisvoll sein. Sondern will widersprechen. Oder selber mal was lernen. Was nicht immer ganz einfach ist.

Es nervt

Die Schrift sagt uns: „Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus bekennt als im Fleisch gekommen, ist aus Gott“ (1 Joh 4:2). Das ist die Stelle, die auch der Papst zum Thema Wirklichkeit zitiert. Der Kern des Christlichen, der Geist, liegt eben nicht in Überzeugungen und Weltbildern. In Sätzen und Büchern. In Bekenntnissen und Interpretationen. Sondern in der Wirklichkeit.

In den Worten eines Bischofs: „Gott liebt uns durch die Wirklichkeit kann ich da nur drüber schreiben. Diese Wirklichkeit anzunehmen und trotzdem nüchtern zu bleiben und sehen, wo wir jetzt gemeinsame Schritte finden können, ist eine große Herausforderung, der wir uns jetzt deutlich zu stellen haben.“

Fliehen ist feige. Sich Scheuklappen aufsetzen verkennt sie. Sich ihr stellen ist anstrengend. Aber der Geist will uns genau dahin führen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Fake News, Glauben, Papst Franziskus, Realismus, Tatsachen, Verschwörungstheorie5 Kommentare zu Verschleierte Wirklichkeit

In Memoriam Klaus Berger

Veröffentlicht am 10. Juni 2020
ein großer Sprecher von Gott Klaus Berger 2017 bei einem Vortrag an der Universität Gregoriana in Rom

Und wieder geht ein großer Sprecher von Gott. Klaus Berger, Exeget, Frager, Schreiber, Sprecher, starb am vergangenen Montag. Unbequem war er und immer eine Bereicherung. Nie um ein Wort verlegen, gerne auch blumig und kantig, so hat er sich jahrelang zu Jesus und Kirche und Theologie geäußert. Gemeinsam mit seiner Frau hat er eine eigene Übersetzung des NT heraus gebracht, in eigener Reihenfolge der Texte und samt der Apokryphen. Da war keine Scheu in ihm, die ihn vor solch einem Werk zurück gehalten hätte.

In den vergangenen Jahren hatte ich mehrfach das Vergnügen, in kleinerem Kreis mit ihm zu tun zu haben. Ein anstrengendes Vergnügen war es, man konnte sich wunderbar an ihm reiben und irgendwie hatte ich auch immer das Gefühl, dass das auch seine Absicht war. Nicht abschauen, nicht ablesen, sondern selber denken.

Ein großer Sprecher von Gott

Dazu verwirrte er gerne. Mit Worten zum Beispiel: „Es herrscht ein bestimmtes Jesusbild vor, dass immer noch den Schlafzimmern des 20. Jahrhunderts entstammt”, so in einem Interview in Rom. Der Jesus, von dem er sprach, war einer, der „wirklich Neues [bringt], was häufig ja verschüttet ist, nicht zuletzt durch die dogmatischen Handbücher, durch die Katechismen und durch die Praxis der Kirchen.“ Und das Neue machte er sichtbar, in dem er das Alte aufrüttelte und durchschüttelte.

Hagenkord: Was würden Sie denn sagen, wie man sich Jesus nähern kann?

Berger: „Indem man anhand von Texten gnadenlos fragt: Wie soll ich das verstehen? Es geht zunächst um das Verstehen eines Fremden, der fremd geworden ist und in anderen Jahrhunderten wahrscheinlich nicht weniger fremd war (..). Es geht um die Begegnung mit einem, der fremd ist und diese Begegnung macht einen schon heiß, wenn man kurz davor ist, etwas davon mit zu bekommen. Es ist wie beim Topfschlagen (…), Theologen können helfen aber die Menschen müssen den entscheidenden Schlag selber machen. Wirkliche Begegnung mit Gott.“

Hagenkord: Bleibt uns der Jesus aber nicht doch auch nach allem Erklären und dann Nachfragen letztlich fremd?

Berger: „Ich finde, dass man jeden Tag gespannt sein darf, was man an genau diesem Tag aus dem Text herausfindet. Das ist bei manchen Texten manchmal ohne Ergebnis, dass man nichts findet, aber meistens ist es doch so, dass man weiter geführt wird, wirklich weiter geführt wird, so dass Jesus nicht fremd bleibt, sondern neue Eigenschaften von sich zeigt. Genau wie meine Frau auch. Meine Frau liebe ich in vergleichbarer Weise, dass ich gespannt bin, was ich heute an ihr entdecken kann.“

Hagenkord: Ruhe und beruhigt sein ist das Gegenteil von Bibellektüre?

Berger: „Ja. Man muss bereit sein, sich überraschen zu lassen und bereit sein, die liebsten Überzeugungen aufzugeben.“

Kirchlich, bildreich, liturgisch

Dabei war Berger immer auch kirchlich. Verwirrend kirchlich, eine Zeit lang wurde eifrigst spekuliert, ob er nun katholisch oder evangelisch sei, Klarheit und kirchliche Eindeutigkeit im Rahmen der Konvention war seine Sache nicht. Und liturgisch war er, da lag seine Bindung an den Orden der Zisterzienser, die ihm wichtig war und die ihn geprägt hat.

Er war ein Mann der Sprache, nicht nur der überlieferten. Seine eigene war bildreich. Ob er nun biblische Theologie mit Geflügelsalat verglich oder in ruhigen aber bestimmten Tönen über die Theologie schimpfte, die Jesus verharmlose. Nicht zuletzt deswegen war es stimmig, dass er sich zuletzt ausführlich dem bildreichsten Buch des Neuen Testamentes gewidmet hat, der Offenbarung des Johannes. „Die Kirche des Wortes lebt in der Welt der Bilder“, so Berger.

Ein großer Sprecher von Gott war er. Und sein unbequemes sprachlich anstrengendes Aufrütteln wird uns fehlen.

 

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Steine auf dem Weg

Veröffentlicht am 7. Juni 20206. Juni 2020
Ist der synodale Weg vorbei Unterwegs: Köln, Hauptbahnhof und Dom

Es klingt ein wenig wie Triumphgeheul: in der Zeitung „Die Tagespost“ hofft ein Kommentar auf ein „Versanden in Bedeutungslosigkeit“ des synodalen Weges. Das Unterfangen ähnle bereits einem „konkursreifen Betrieb“. Ist das so? Ist der synodale Weg vorbei, noch bevor er richtig begonnen hat?

Richtig ist, dass wir nicht einfach wieder zurück können zum Vorher. Jetzt ohne die in der Corona-Krise gewonnen Erfahrungen und Einsichten einfach weiter zu machen wäre fahrlässig. Deswegen bin ich eindeutig dafür, jetzt nicht eine zweite Vollversammlung abzuhalten, sondern einen Zwischenschritt zu gehen, der genau das ermöglicht.

Ist der synodale Weg vorbei?

Das ist kein autoritatives Entscheiden der Leitung, sondern ein verantwortungsvolles und reflektiertes Umgehen mit den Themen in einer außergewöhnlichen Situation.

Aber wie können wir weiter gehen? Jedenfalls nicht damit, dass wir uns in Gewinner und Verlierer aufteilen. Wer setzt sich durch? Wessen Ansicht von Kirche dominiert? Das ist die Einstellung hinter dem eingangs zitierten Kommentar, aber das bringt uns nicht weiter.

In der gleichen Zeitung wies vor einigen Tagen Kardinal Rainer Maria Woelki darauf hin, das für viele der synodale Weg gar kein offener Prozess sei, sondern klar auf bestimmte Vorgaben zusteuern müsse. Da stimme ich zu. Immer wieder gibt es Stimmen, die jetzt schon vorgeben wollen, was heraus zu kommen habe. Übrigens nicht nur auf der gerne als „progressiv“ beschriebenen Seite, diese Einstellung gibt es überall.

Offenheit ist gefragt

Wir brauchen aber das Risiko der Offenheit. Hinter all den Debatten steht doch die Frage, warum es sich heute lohnt, zu glauben. Die traditionellen Plausibilitäten brechen weg. Wir müssen neu entdecken, wie wir Kirche leben können. Dabei darf es dann nicht um Dominanz-Fragen gehen: Wer bestimmt? Wer sagt, was heraus kommen darf? Und dabei darf ich auch nicht Glauben gegen Reform ausspielen. Bischof Heiner Wilmer hat das auf sehr persönliche Art in der vergangenen Woche beschrieben.

Jetzt öffentlich Geschütze gegeneinander zu richten, bringt niemandem etwas. Viel mehr ist Knotenlösen gefragt, Geduld, Offenheit. Das ist und bleibt anstrengend. Ein fertiges Muster gibt es nicht. Den Weg müssen wir schon selber gehen. Aber es wird ein wenig einfacher, wenn wir uns zumindest nicht gegenseitig Steine in den Weg legen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, katholisch, Kirche, Krise, Kritik, synodaler Weg12 Kommentare zu Steine auf dem Weg

Robust oder nachdenklich

Veröffentlicht am 5. Juni 20208. Juni 2020
Selbstbewusstsein tut der Kirche gut Screenshot BR Sendung vom vergangenen Sonntag

Robuster hätte ich auftreten sollen. Nach meiner Einladung am vergangenen Wochenende, beim BR zu Kirche und Corona zu sprechen, habe ich eine ganze Reihe von Rückmeldungen bekommen. Die meisten lassen sich so zusammen fassen: Selbstbewusstsein tut der Kirche gut. Und dieses hätte ich vermissen lassen.

Ob das stimmt, das überlasse ich den Zuschauenden. Ich finde aber wichtig, dass wir über die richtigen Dinge sprechen. Es sind Schwächen sichtbar geworden, die vor der Krise von Gewohnheit oder Tradition noch nicht sichtbar waren. Dass sich Kirche wandelt, ist ja nicht neu. Seit Jahrzehnten sprechen Pastoraltheologen und Soziologen davon, dass es einen Traditionsabbruch gibt, dass wir weniger werden, dass die Bedeutung institutionalisierter Religion in der Gesellschaft abnimmt.

Selbstbewusstsein tut der Kirche gut. Wirklich?

Meine Reaktion darauf ist, das ernst zu nehmen. Natürlich gibt es nach wie vor starke Kirchen, lebendige Gemeinden, christlichen Einsatz. Das will ich gar nicht klein reden. Nur zeigt uns der Blick aufs Ganze einen anderen Horizont. Was ich ja auch nicht zum ersten Mal so sage.

Mein Anliegen – und das war dann auch der Tenor meiner Antworten auf einige der Emails – ist es, die Signale nicht untergehen zu lassen. Wir können lernen. Was für eine Gestalt Kirche in 20 oder 30 Jahren haben wird, kann ich auch nicht sagen. Aber ein reines Festhalten an dem, was war, wird uns nicht weiter bringen.

Was uns in Zukunft trägt

Die Energie und der gelebte Glaube können uns weiter tragen, einzeln und als Gemeinschaft, wenn wir die Realität ernst nehmen. Das ist mein Anliegen. Das ist sicherlich eher auf der nachdenklichen denn auf der robusten Seite. Aber ich finde es wichtig.

Was meinen Sie? Was sind die Dinge, die uns in die Zukunft tragen?

 

P.S. Der Beitrag ist leider nicht mehr in der Mediathek zu sehen. Stand: 8. Juni.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Interview, Kirche und MedienSchlagwörter BR, Corona, Kirche, Krise13 Kommentare zu Robust oder nachdenklich

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