Es muss eine komische Sache sein, wenn „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ zum Hoffnungsträger wird. Aber den Wert davon erkennt man halt nur, wenn man sie nicht hat. Die Kirche kennt keine Gewaltenteilung was Leitung angeht. Und eben auch keine Überprüfung der Verfahren, spricht Verwaltungsgerichtsbarkeit. Kirchliche Macht ist immer auch religiös begründet, das macht es schwer, die kontrollieren zu lassen.
Kardinal Marx hatte das in seine Ansprache bei der Kinderschutz-Konferenz eingebaut. Es war so etwas die eine Theologie der guten Verwaltung. Erst klang das sehr merkwürdig, das Hohelied auf die Bürokratie. Aber dann wies er eben auch auf die Schwächen hin, bei uns in den deutschsprachigen Kirchen hat Missbrauch eben das Gesicht von Verwaltung. Vertuschung und Versetzungen haben genau so stattgefunden, auf dem Verwaltungswege.
Kirchliche Macht
Seine Ansprache hat aber noch wegen eines anderen Punktes bei mir einen Nachhall. Und zwar formulierte er auch die Frage nach der Bereitschaft zur Kontrolle. Nach abstrakten Instanzen für abstrakte Verfahren rufen ist eine Sache. Aber er stellt noch eine weitere Frage: „inwieweit ist man bereit, sein eigenes Handeln vor anderen zu rechtfertigen und sich in gewissem Rahmen kontrollieren zu lassen?“ Hier geht es ans Eingemachte. Kirchliche Macht ist halt immer auch persönlich.
Wenn Teilung von Macht nicht nur formal wird sondern persönlich, wenn es auf einmal um meine persönliche Bereitschaft geht, sich kontrollieren zu lassen, da wird es haarig. Dann sind es auf einmal eben nicht mehr nur strukturelle Dinge, die zur Verhandlung stehen, dann wird es schnell persönlich. Und muss es auch werden, wenn man den Gedanken zu Ende denkt.
Die Freiheit der Christen
Lasse ich andere in mein persönliches Leben hinein schauen? Und zwar nicht etwa einen geistlichen Begleiter oder einen Freund, sondern jemand wie einen Oberen oder jemanden, der mit dem Blick der Kontrolle kommt? Bei einer ganzen Generation von Klerikern gehen spätestens an dieser Stelle die Warnblinker an, hatten sich sich doch mit und nach dem Konzil von einer engen Kontrollkirche befreit. Einer Kirche oder einem Orden, der alles genau vorschrieb und die Freiheit der Christen und des Glaubens oft genug unter den Gehorsam setzte.
Das zu verteidigen ist noch kein Klerikalismus, kein Standesdenken. Die hier gewonnene Freiheit ist ein Wert, auch ein religiöser Wert. Aber wie verträgt sich das mit der Bereitschaft, sich kontrollieren zu lassen? Kirchliche Macht und Autorität, meine persönliche Autorität und deren Ausübung kontrollieren und damit automatisch in Frage stellen zu lassen?
Infragestellung von Autorität
Nun wird niemand etwas dagegen haben, wenn es um Kinderschutz und überhaupt Schutz von Schwachen in der Kirche geht, Verbrechen können und dürfen damit nicht gedeckt werden. Aber was ist, wenn das weiter geht?
Was ist, wenn damit die Kirchenoberen wieder Kontroll-Instrumente in die Hand bekommen? Was ist, wenn es nicht bei dem Bereich stehen bleibt, der bei der Konferenz behandelt wurde? Wenn die Instrumente, die nun entwickelt werden, auch für andere Bereiche priesterlichen und kirchlichen Lebens angewandt werden?
Ratschlag an den Novizen
Ich kann mich an die Formulierung aus dem Noviziat erinnern, 26 Jahre ist das her: „Bedenken Sie, welche Standards Sie setzen“. Das war der Rat an uns Jung-Jesuiten. Das war der an Kant geschulte Ratschlag, zu bedenken, dass es nicht nur die eigene Entscheidung ist, die hier zur Debatte steht, sondern das wir irgendwie für den ganzen Orden agieren. Und um gekehrt: dass wir uns selber kontrollieren müssen, ob das was wir in unsere Freiheit tun wirklich dem Ordensleben entspricht.
Und dann der nächste Schritt, nämlich sich kontrollieren lassen. Lebensstil zum Beispiel, wie sieht es damit aus? Würde ich mich da kontrollieren lassen? Oder das nicht unheikle Thema der Priesterkleidung, würde ich da Vorgaben akzeptieren? Denn wenn stärker Kooperation und Verbindlichkeit eingefordert wird, warum sollte das nur bei einem Thema stehen bleiben?
Richtige Strukturen, richtige Haltung
Kardinal Marx hatte völlig Recht, dieses Thema bei der Konferenz aufzumachen. Es geht um die richtigen Strukturen, aber dahinter geht es auch um eine richtige Einstellung zu meiner persönlichen Freiheit und die Bereitschaft, die in gewissem Rahmen kontrollieren zu lassen. Eine gute Leitung gehört eben dazu.
Und damit sind wir wieder beim Kern: es ist eine Einstellungsfrage. Es ist die Frage nach meinem Umgang mit Freiheit und Verantwortung. Es ist das Zentralthema der Religion der Zukunft, wie ich es auch bei Papst Franziskus sehe: kein Machtwort, kein Dreinschlagen, sondern ein beharrliches und von vielen Rückschlägen begleitetes Arbeiten an einem Wandel der Haltung.
Danke an Kardinal Marx, dass er dieses heikle Thema aufgemacht hat. Denn das zu diskutieren darum kommen wir nicht herum. Besser früher als zu spät.