Religion bleibt weltweit bedeutend. In Deutschland nehmen aber die Kirchenaustritte zu. Das sind zwei Schlussfolgerungen aus einer internationalen Studie, aber was bedeutet das? Man kann das geographisch sehen: Während international Religion wichtig bleibt, nimmt sie bei uns ab. Das stimmt aber auch nicht so ganz, denn auch bei uns gibt es immer wieder Aufrufe, den Kern von Religion nicht zu verschleudern. Ganz egal ist das also auch hier nicht.
Die Frage nach dem Kern und der Bedeutung von Religion hier bei uns ist ja auch durch die Situation aufgegeben, hören wir also auf die Stimmen, die uns mahnen. Bei einer habe ich das ja hier schon gemacht, da gibt es aber noch viel mehr.
Kern von Religion
Da wäre zum Beispiel Peter Sloterdijk, Philosoph. Der sieht in einem Interview in der Augsburger Allgemeinen Religion endlich frei:
„Es gibt eigentlich nichts mehr, was die Religion für sich alleine hat, … . Das heißt aber, die Religion ist frei geworden: Sie braucht zu nichts mehr gut zu sein, sie muss nicht mehr funktionieren, sie hat keinen gesellschaftlichen Funktionsauftrag, der nicht auch anders wahrgenommen werden könnte. Und diese erhabene Sinnlosigkeit und Undienlichkeit des religiösen Empfindens ist der Grund ihrer Freiheit.”
Das ist ein starkes Stück: wir als Gemeinschaft der Glaubenden spielen keine Rolle, haben keine Funktion mehr in der weiteren Gesellschaft. Das bedeutet natürlich Relevanzverlust, aber dafür bekommt Religion Freiheit. Im Umkehrschluss wäre es falsch, diese Freiheit wieder aufzugeben, nur um weiterhin für die Gesellschaft wichtig zu sein. Abgesehen davon, dass uns die Entwicklung zeigt, dass das auch gar nicht mehr gehen wird.
Frei von Sozialarbeit?
Den Finger auf unsere innerkirchlichen Debatte legt Sloterdijk mit der Zustimmung zur These, dass Religion nur dann zu ihrem Kern komme, wenn sie sich frei mache von Sozialarbeit. Für ihn ist das interessanterweise eine Kontroll- und Machtfrage. Religion siedle dort, wo Selbstgefühl in Mitgefühl übergehe, aber eben nicht weiter.
Da trifft Sloderdijk auf das, was ich an dieser Stelle schob über den Text des Journalisten Ulrich Greiner geschrieben habe. Seine als Kritik formulierte Analyse sagt, dass sich Kirche statt ihren Auftrag zu erfüllen zu einem Teil der Zivilgesellschaft werden wolle.
Angestiftet durch Relevanzverlust
Nun hören wir noch einmal in die innerkirchlichen Debatten hinein, angestiftet vom andauernden und nicht aufzuhaltenden Relevanzverlust. Wir – Kirchen – seien nicht mehr sprachfähig. Wie litten unter Selbstverzwergung, weil wir uns nicht äußerten. Die wirklich großen Themen der Welt greife radikal nur noch der Papst an – Umwelt und soziale Fragen – während hier bei uns die Suche nach Ausgewogenheit gelte.
Das passt nun so gar nicht zu den Aussagen, die sich an Kirche reiben und den echten Kern des Glaubens einfordern. Das Heilige, die Sünde, die Erlösung.
Sünde und Erlösung
Einen dritten Text aus der Fülle der Weihnachtsbetrachtungen darf ich an dieser Stelle anführen, aus dem Standard. Der bricht die Debatte schön herunter: wir würden zu wenig über die zentralen Themen Sünde und Erlösung sprechen. Der Glaube an den Dreifaltigen Gott habe Folgen, die Folge der Umkehr, aber das erschöpft sich nicht in guten Taten.
Wichtig hier auch der Hinweis, dass allein das Machen unserer Hausaufgaben – Missbrauch – allein Kirche nicht wieder attraktiv werden lässt. Es braucht Verkündigung. Der Journalist schrieb zu Weihnachten provokant sogar von Mission, aber der Begriff ist eher verbrannt.
Um nicht banal zu werden: natürlich reicht es nicht, nun einfache Begriffe oder vorgestrige Konzepte wieder aufzurufen. Wir müssen heute antworten, das ist die Aufgabe.
Erst einmal die Frage zulassen
Aber der Kern hat ja was: sprechen wir außer auf den Kanzeln noch von Sünde und Erlösung, wenn es um unseren Glauben geht? Spielt das eine Rolle?
Vielleicht haben wir ja noch gar keine fertige Antwort. Vielleicht sind diese Texte uns ja eine Hilfe, erst einmal die Frage zuzulassen, ob da nicht was dran sei? So weiter geht es jedenfalls nicht, ein Wiedererstarkten der Bedeutung von Kirche in der Gesellschaft ist ausgeschlossen. Und so können uns die Texte helfen bei der Unsicherheit, die eben auch zum Glauben dazu gehört, wie Papst Franziskus es wunderbar formuliert hat:
„Ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ist ein Glaube in der Krise; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“