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PaterBerndHagenkord.blog

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Kategorie: Allgemein

Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

Veröffentlicht am 10. Januar 2021
Zwei Päpste Vorgänger und Nachfolger: Foto vom 5. Juli 2013. Quelle: Wikimedia Commons

Franziskus ist nun länger Papst als es sein Vorgänger Benedikt war. An diesem Wochenende „überholt“ er seinen Vorgänger, was die Länge der Regierungszeit angeht. Der gleiche Zeitraum, aber trotzdem zwei Pontifikate voller Unterschiede. Aber auch voller Kontinuität. Zwei Päpste, die das Amt geprägt haben und prägen, beide bis heute.

Für das Domradio habe ich mir die beiden Pontifikate einmal vergleichend vorgenommen. Das möchte ich hier nicht wiederholen, aber drei Punkte dann doch zur Diskussion stellen.

Zwei Päpste

Erstens sind da die Kontinuitäten, etwa in der fortgesetzten Abkehr vom monarchisch-sakralen. Auch wenn es hier bei Benedikt XVI. immer mal wieder geruckelt hat, etwa in liturgischer Kleidung oder Inszenierung, und auch wenn Franziskus hier unzweifelhaft viel stärker aufs Gaspedal drückt, bleibt es eine Kontinuitätslinie, die bereits weit vor Benedikt beginnt.

Kontinuitäten gibt es aber auch im Negativen, etwa in den Dauerskandalen. Schon Benedikt war eigentlich gewählt worden, um den dysfunktionalen Vatikan in de Griff zu bekommen. Piusbrüder, Vatileaks und andere Skandale blieben ihm aber nicht erspart. Unter Franziskus ist das noch eimal schlimmer geworden, was sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht ist.

Vatileaks und Finanzskandale

Schlecht, weil für alle sichtbar ist, wie dilettantisch mit Geld umgegangen wurde. Gut, weil das nicht mehr unter dem Teppich bleibt. Aber auch bei Franziskus wird deutlich, dass er das nicht in den Griff bekommt. Seine Reformen bleiben unübersichtlich und im Monatsrhythmus kommen neue Geschichten ans Licht. Dass von der groß angekündigten Vatikan-Reform so gar nichts zu sehen ist, ist nach sieben Jahren schon enttäuschend. Auch das ist – leider – Kontinuität.

Zweitens sind da die „points of no return“, die Papst Franziskus gesetzt hat. Entscheidungen über die Art und Weise, Papst zu sein, hinter die keiner seiner Nachfolger wieder zurück kann. Während Benedikt XVI. sich in allem bis hin zu Hermelin und Brokat bemüht hat, Tradition zu inszenieren, liegt Franziskus die gelungene symbolische Kommunikation am Herzen. Sicherlich selber kein Revolutionär will er aber die Symbole nicht übermächtig werden lassen, sie sollen dem Amt und der Botschaft dienen. Das Amt soll und darf sich der Macht der Symbole beugen.

Das Papstamt wird nie mehr sein wie vorher

Roter Schulterumhang, rote Schuhe, all das gehört der Vergangenheit an. Was Benedikt in einem einzelnen Akt – seinem Rücktritt – an Prägung geschafft hat, da machte und macht Franziskus fast täglich weiter. Das Papstamt wird nach Franziskus nie mehr das sein, was es davor hat sein wollen.

Drittens möchte ich aber noch einmal auf das eingehen, was beide in ihrer Unterschiedlchkeit verbindet: es gibt kein Papstamt jenseits der Persönlichkeit des Inhabers. Der eher schüchterne Theologe und sein Amtsverzicht genauso wie der alles umarmende Kommunikator „sind“ Papst, sie haben das Amt nicht inne, sie sind das Amt. Nur so konnte überhaupt der Rücktritt seine Kraft entfalten.

Person und Amt verschmelzen

Nun haben wir aber in den vergangenen Jahrzehnten lernen müssen, was für Gefahren in der charismatischen Verankerung von Autorität und Macht liegen. Keiner der beiden Päpste, weder Franziskus noch Benedikt, haben dem etwas entgegen gesetzt. Wenn überhaupt, dann war Benedikt eher noch Diener des Amtes als Franziskus, dessen Persönlichkeit wie die von Papst Johannes Paul II. vollständig mit dem Amt verschmilzt.

Das wird so nicht mehr sehr lange gut gehen können. Die Aufgabe, die Weltkirche zusammen zu halten übersteigt schon jetzt die Kraft dieses Papstes. Ein neu aufgestellter und reformierter Vatikan könnte helfen, eine neue Rolle von Synoden auch, da gibt es viele Möglichkeiten. Aber je vielgestaltiger und vielstimmiger die katholische Weltkirche wird, um so weniger wird die Authentizität und das Charisma eines Einzelnen ausreichen, hier Einheit zu garantieren.

Hier wird sich ein Nachfolger – wann auch immer und wer auch immer – mindestens so stark von Franziskus absetzen müssen wie Franziskus von Benedikt.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, VatikanSchlagwörter Amtszeit, Papst Benedikt, Papst Franiskus, Papstamt, Rücktritt, Vatikan8 Kommentare zu Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

In den USA sind wir nicht nur Zuschauer

Veröffentlicht am 7. Januar 20217. Januar 2021
Destruktion Jasper Johns: American Flag, MOMA, New York. Bild aufgenommen während des Papstbesuches in den USA 2015.

Vier Tote und viel demokratischer Schaden: zum Schluss zeigt das System Trump noch einmal, worauf es aufgebaut ist. Auf Lüge. Auf Destruktion. Wobei das Schauspiel innerhalb des Kapitols in Washington noch schlimmer ist das das, was der Mob draußen angerichtet hat. Wir haben das Gesicht dieser Destruktion gesehen, “Es ist hässlich und ruft uns zum Handeln auf,” wie ein US-Bischof sagt.

Mit der Bemerkung könnten wir Beobachter es bewenden lassen. Könnten. Aber auch hier,  in einem religiösen Blog, gilt es die Auswirkungen zu registrieren. Zum Beispiel, dass es in einem nie dagewesene Maß in den vergangenen Jahren darum gegangen ist, die Bedeutung von Wahrheit zu zerstören.

Destruktion

Wobei es dabei gar nicht um den philosophischen Sinn von Wahrheit geht, sondern schlicht um das Übereinstimmen von Fakten und Aussagen. Darum, dass Behauptungen belegt werden müssen.

Machen wir uns nichts vor, im Kleinen ist das auch in andere Zusammenhänge eingesickert. Verunglimpfung sind prägender Teil der Debatte geworden. Auch wenn es Minderheiten sind, unsere Mediengesellschaft kann von Kontrast gar nicht genug bekommen. Also geben wir den Schreihälsen Macht über uns.

Und Stichwort US-Kongress: es gibt auch bei uns, es gibt auch in der Kirche Menschen, die meinen, ihr Süppchen auf solchen Feuern kochen zu können. Die auf Verunglimpfung und Faktenfreiheit und nur auf Applaus setzen.

Versuchung Authentizität

Und hier wird es spannend, auch für Kirche. Die Versuchung in alldem lautet, es mit Authentizität zu probieren. Wo die Wahrheit unsicher wird, wo die Unsicherheit regiert, auf die überzeugende Persönlichkeit zu setzen. Das ist eine Versuchung, weil eben auch die Authentizität, das Charismatische, zunächst keinen Wahrheitsbezug hat, sondern einen Selbstbezug. Wir brauchen mehr als gewinnende Persönlichkeiten, um die Probleme zu lösen, die sich uns stellen.

Wir schauen mit entsetzen auf die USA, aber irgendwo im ganz kleinen gilt es die Lektion auch für uns zu ziehen.

Kategorien Allgemein, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und VernunftSchlagwörter Authentizität, Kongress, Politik, Trump, USA, Wahrheit12 Kommentare zu In den USA sind wir nicht nur Zuschauer

Weihnachtsgrüße, verspätet

Veröffentlicht am 6. Januar 20217. Januar 2021
der Blog war stumm Die Krippe auf dem Petersplatz, 2017

Liebe Leserinnen und Leser meines Blogs, in den vergangenen Wochen habe ich einiges an emails bekommen: der Blog war stumm. Und das auch noch ganz ohne Ankündigung. Ganz uncharakteristisch.

Dafür bitte ich um Nachsicht. Das Ganze hatte gesundheitliche Gründe – kein Corona, Gott sei Dank – und war nicht wirklich eine Entscheidung von mir. Es ging nicht anders.

Der Blog war stumm

Aber nun soll es weiter gehen. Und zwar am letzten Weihnachts-Hochfest, dem Tag der Erscheinung des Herrn, mit verspäteten Wünschen zum Fest. Möge der Mensch gewordene Herr an unserer Seite bleiben und sein Segen und seine Präsenz und durch dieses Jahr begleiten.

Alles Gute Ihnen, auf bald an dieser Stelle

P Bernd Hagenkord SJ

Kategorien Allgemein, Neulich im InternetSchlagwörter Blog, Weihnacht10 Kommentare zu Weihnachtsgrüße, verspätet

Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Veröffentlicht am 18. Dezember 202017. Dezember 2020
Reform der Kurie Eingang zum Apostolischen Palast: Was hinter diesen Türen vorgeht, bleibt immer noch verborgen

Eine Liste von vatikanischen Krankheiten wird es nicht noch einmal werden. Auch die Tugend-Liste gab es schon. Was wird Papst Franziskus zur Reform der Kurie in diesem Jahr zu sagen haben?

Am kommenden Montag ist es wieder soweit: der Papst wird die Spitzen seiner Kurie – also seiner Verwaltung – zum Weihnachtsfest empfangen und seine Jahresansparache halten. Gelegenheit für Grundsätzliches, das war schon in den vergangenen Jahren so.

Reform der Kurie

Das Grundthema war immer schon die „Reform“ der Kurie, was auch immer genau das heißen mag. Immer wieder hat der Papst angekündigt, diese dem künftigen Papst von den Kardinälen vor der Wahl aufgegebene Reform zügig umzusetzen. Und doch lesen wir immer und immer wieder von neuen Skandalen, vor allem aber nicht nur finanziellen. Das zeigt zum einen, wie wichtig diese Reform ist. Das zeigt zum anderen aber auch, wie wenig diese bisher voran gekommen ist.

Aber seinen wir ehrlich: vieles von dem, was wir als Skandal wahrnehmen, ist Heilungsschmerz. Es gibt Aufräumarbeiten in Sachen Finanzen, Dinge werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern sie kommen ans Licht. Das ist erst einmal etwas Gutes.

Nach sieben Jahren Papst Franziskus

Aber dass es nach fast sieben Jahren Franziskus immer noch so viele Baustellen gibt, das verwundert schon.

Angefangen hatte Papst Franziskus sehr geistlich, sehr grundsätzlich, und sehr scharf: Die berühmten und heute schon fast vergessenen „15 Krankheiten der Seele“. Danach wurde er realistischer, aber auch dann noch stand der Zentralbegriff seines Verständnisses von Reform im Zentrum: der Bekehrung.

Das ist das eine. Aber er ist eben als Papst auch verantwortlich für die Umsetzung und die strukturelle Absicherung der Reformschritte. Seit Jahren tagt der Kardinalsrat, um eine neue „Vatikan-Verfassung“ zu erarbeiten, einmal gab es schon eine Fassung, fertig um an die Bischöfe der Welt verschickt zu werden. Aber seitdem: Schweigen.

Seitdem: Schweigen

Ab und zu wird es laut hinter den Mauern, ab und zu kommen gute Nachrichten über eine Neubesetzung oder die Neueinrichtung dieser oder jener Stelle. Auch hat es in diesem Jahr neue Vorschriften zur Vergabe von Aufträgen gegeben, was kluge Beobachter für den radikalsten der Schritte in der Unkultur der Arbeit dort sehen.

Aber Beobachtern fällt auch auf, dass einige Stellen eben nich neu besetzt wurden, die des Finanz-Revisors etwa dauerte ein ganzes Jahr. Oder auch die Nachfolge für Kardinal Pell, der ein Jahr vor Gericht stand und dessen Posten in Rom unbesetzt blieb. Man wird von außen den Eindruck nicht los, dass das mit der Reform wenn es praktisch wird dann doch nicht so einfach ist. Oder gewollt.

Viele kleine Schritte hat der Papst getan, etwa bei der Besetzung von Stellen. Darauf weist er in seinem Buch hin, da geht es etwa um den Frauenanteil und darum, Fachleute in Kontrollgremien zu holen. Aber die Kurie präsentiert sich nicht in einem Zustand, dass kleine Schritte reichen.

Kleine Schritte reichen nicht

Priester seien wie Flugzeuge, hatte der Papst in seiner Weihnachtsansprache 2014 gesagt: sie fallen nur auf, wenn sie abstürzen. Da ist was dran, auf die guten Seiten schauen wir zu wenig. Aber als Entschuldigung reicht das nicht mehr.

Es gibt Reformbemühungen in der Kirche, sehr viele. Es wäre zum Beispiel hilfreich, diese konstruktiv zu begleiten und nicht durch sehr allgemein gehaltene Kritik von oben zu schwächen. Und das schon gar nicht, wenn die eigene institutionelle Glaubwürdigkeit immer wieder neu in Frage gestellt wird.

Wenn die Institution Kirche nicht ihrem Sinn – des Lebens und der Verkündigung des Glaubens – im Wege stehen soll, dann muss sie sich entwickeln. Dann muss sie reformiert werden. Das ist eine Aufgabe für Bekehrung. Aber auch eine für die Verantwortung der Autoritäten in der Kirche. Und besonders im Vatikan. Es wird Zeit. Nicht nur zu Weihnachten.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Rom, VatikanSchlagwörter Geld, Korruption, Kurie, Papst Franziskus, Reform, Vatikan, Weihnachtsansprache20 Kommentare zu Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Im Chor der Rechtschaffenen?

Veröffentlicht am 13. Dezember 202013. Dezember 2020
Der Kern des Glaubens Der Blick nach oben: Trinität und Maria

Wenn das Christliche über das Christliche hinaus langt, dann erntet es gemischte Reaktionen. Erst neulich beklagte eine große deutsche Zeitung, dass Kirchen „das Profane“ predigen und „im Chor der Rechtschaffenen“ singen. Austauschbarkeit sei die Folge.

Der Kern des Glaubens sei aber das Heilige, die Hinwendung zu Gott, vor allem die liturgische. Immer wieder hören wir diese Kritik: statt sich um ihren Auftrag zu erfüllen werde Kirche zu einem Teil der Zivilgesellschaft.

Der Kern des Glaubens

Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das nachvollziehen und sehe die Kritik als wertvoll an, weil sie auf Schwachpunkte hinweist. Aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt, und der kommt in diesem Text auch vor. Denn das „Eigentliche“ des Glaubens ist nicht dem Diesseits entgegen gesetzt, wie der Journalist schreibt. Es ist kein Widerspruch. Die Anbetung des Heiligen ist kein Rückzug aus der Welt. Und wenn sie das wird, dann verpasst sie Gott.

Diesem als Widerspruch formulierten Gedanken begegnet man leider immer wieder. Schmerzhaft ist das vor allem, wenn christlich engagierte Menschen das Geistliche als Ablenkung oder als weniger wichtig oder als „konservativ“ oder dergleichen abtun.

Als Christinnen und Christen gehört aber beides in unseren Glauben. Das eine ohne das andere wird leer, das andere ohne das eine Austauschbar. Rückzug ist keine Option. Denn in Gott zeigt sich nicht die Verneinung, sondern die Bejahung der Welt und des Menschen. Das Christliche muss über das Christliche selbst hinaus langen, das ist die Dynamik des Festes, auf das wir zugehen. In diesem Sinne Ihnen noch gesegnete Adventstage.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Anbetung, Christentum, Diesseits, Engagement, Gesellschaft, Glaube17 Kommentare zu Im Chor der Rechtschaffenen?

Francescotopie

Veröffentlicht am 9. Dezember 20209. Dezember 2020
Unsere Welt ist nicht alternativlos Dynamik und Bewegung: Stillstand geht nicht mehr

Unsere Welt ist nicht alternativlos. Auch wenn wir so leben, als ob. Wir tun so, als ob unsere Welt und unsere Form von Gesellschaft der Gipfel des Zivilisatorischen wären. Fortschritt, Messbarkeit, Rationalität und Vorrang des Ökonomischen sind die Grundkonstanten unseres Denkens. So haben wir uns unsere – westliche – Welt gebaut. Und wir tun so, als müsse das so sein.

Aber die Welt ist nicht alternativlos. Behauptet auch Papst Franziskus: „Die COVID Krise hat sichtbar werden lassen, dass unsere Lösungen und unsere Weise die Welt zu organisieren nicht der Realität entspricht. … Eine Wirtschaft, die Wachstum um jeden Preis als oberstes Ziel betrachtet, ist nicht weiter haltbar.“

Unsere Welt ist nicht alternativlos

Dahinter verbirgt sich eine Vision. Keine gesetzte Vision, kein genaues Konzept, keine Prophetie einer besseren Welt. Dahinter verbirgt sich vielmehr eine Dynamik, beginnend mit der Einsicht, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich möchte diese besondere Version einer Vision Franziskotopie nennen.

Das Wort habe ich sozusagen geklaut. Oder geliehen. Und zwar vom senegalesischen Autor Felwine Sarr, dessen Buchtitel „Afrotopia” ich etwas abgewandelt habe. Sarr spricht davon, dass wir die „Vorstellung von menschlichem Vorschritt“ aus der kollektiven Vorstellung der Welt verdrängen müssen. Nur so schaffe man Raum für andere Möglichkeiten. „Das Offene denken bedeutet, das Leben, das Lebbare, das Gangbare anders zu denken als im Modus der Quantität und der Habgier.“ (Sarr, S.14)

Anders denken als im Modus der Quantität

Ganze Kapitel dieses Buches klingen wir mit Papst Franziskus parallel gelesen. Sarr spricht natürlich über Afrika und dessen genuine, nicht von außen bestimmte Zukunft. Bisher würde ein ganzer Kontinent von außen beschrieben, die Mythen des Westens, ausgedrückt in „gängigen Worthülsen wie ‚Entwicklung‘“, abzulösen. Interessant ist, dass das ein geistiges Buch ist, das von Vorstellungen von Welt und von Mythen spricht. Besonders hier gibt es starke Parallelen zum Papst, auch wenn die Absichten unterschiedlich sind.

Ähnlich argumentieren aber auch die vom Papst in seinem Buch genannten Wissenschaftlerinnen. Oder die sich in deutscher Sprache gut verkaufende Ökonomin Maja Göbel, die von Denkbarrieren spricht und schreibt.

Franziskotopie, das wäre also der „andere Ort“ – Topos – von dem man aus denkt. Ausgangspunkt für den Papst ist der Rand, von dem man aus schauen muss, um neue Perspektiven zu entdecken. Aber sind auch allgemein religiöse Überzeugungen, die einzigartige und nicht von Fortschritts-Vorstellungen geprägte Einsichten schaffen können. Religionen „sind Quelle des Guten“, sagt Papst Franziskus. „Sie erzeugen Überzeugungen der Solidarität und des Dienstes, welche die Gesellschaft als Ganzes stärken können. Sie sind Orte der Versöhnung, an denen die Menschen erfahren, aus dem Markt Ihnen niemals wird geben können: ihren Wert als Menschen, und nicht nur ihren Wert als Arbeitnehmer oder Verbraucher.“

Keine Statik, kein Stillstand

Franziskotopie – das Wort ist aber auch geliehen von Michel de Certeau SJ und seiner Idee der Heterotopie, des „Andernorts”. Das sind keine statisch verstandenen Orte, sondern dynamische Räume des Vorläufigen. Orte organisieren Dinge, nebeneinander, in Beziehung zueinander, übereinander, all das folgt vor allem der einen Regel, dass nicht zwei Dinge gleichzeitig am selben Ort sein können. Räume hingegen oder Andern-Orte entstehen erst durch Richtungen und durch Zeit, schreibt Certeau. Raum besteht in der Begegnung von beweglichen Dingen. Er ist nie stabil, wie auch das gesprochene Wort nicht.

Sehr abstrakt, zugegeben, aber man darf ja ruhig mal den Kopf anstrengen. In jedem Fall soll das sagen, dass die Ideen des Papstes nicht in freiem Raum schweben. Er ist mit seinem spirituellen Beitrag Teil einer weiteren Debatte.

Und dass wir die führen müssen, dass machen uns die Krisen klar. Ein zurück kann es nicht geben, wie der Papst formuliert: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Covid, Gesellschaft, Papst Franziskus, Papstbuch, Vision, Zukunft1 Kommentar zu Francescotopie

Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Veröffentlicht am 4. Dezember 20204. Dezember 2020
Träumen ist keine Phantasterei Ein sehr persönlicher Papst

Es geht um etwas, was uns übersteigt. Was größer ist. Wohin wir nur kommen, wenn wir uns zu träumen erlauben. Träumen ist keine Phantasterei, träumen bedeutet hinaufreichen, über den Horizont blicken, sich nicht von vermeintlichen Mauern einschränken zu lassen.

So etwas braucht es heute. Und deswegen hat Papst Franziskus ein Buch darüber geschrieben. Heute kommt es auf den Markt: „Wage zu Träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.” Es ist kein Ratgeber-Buch, kein seichter Ermutiger. Es ist ein Projekt, das Großes will.

Träumen ist keine Phantasterei

Das Träumen war immer schon wichtig für diesen Papst. „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln…“ schreibt er in Evangelii Gaudium (27). Traum ist ein Schritt zur Veränderung, zum Wandel. Traum ermöglicht. In den Augen des Papstes selbst da, wo wir das gar nicht mehr sehen. Deswegen ruft er zum Beispiel Obdachlosen zu „Hört nicht auf zu träumen!“ Das Träumen, von dem der Papst spricht, ist kein Rückzug. Kein in sich Kehren, keine Innerlichkeit. Es will zu konkretem Handeln führen.

Dieses Buch will träumen. Was aus diesem Papst aber keinen Traumtänzer macht, im Gegenteil. Träumen ist nicht etwa eine Abkehr vom Realismus. Es braucht einen geschärften und ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit, um träumen zu können. Und träumerisch-realistisch war auch schon die jüngste Enzyklika. Und so kommt auch der ins Buch. Manchmal holzschnittartig, immer aufrüttelnd, oft sehr persönlich.

Ein sehr persönliches Buch

Wie gesagt, es ist ein sehr persönliches Buch geworden, vielleicht das Persönlichste. Der Papst erzählt von eigenen Krisen, von Rückschlägen und seiner Krankheit und berichtet auch vom Frust, den er damals in Deutschland erlebt hat. Aber er berichtet auch von dem, was er etwa im Studium von Romano Guardini gelernt hat. Über den wollte er ja promovieren, woraus nichts wurde. Aber geprägt hat Guardini den Papst sehr: „Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst.“

An dieser Stelle werde ich sicherlich noch auf das Buch zurück kommen, zuerst aber vielleicht zwei Dinge. Erstens: es lohnt die Lektüre!

Aufbau gegen Widerstände

Und zweitens möchte ich einen Aufruf des Papstes heraus nehmen, den ich für bezeichnend halte: das Nehemia-Projekt. Der Papst spricht über den Propheten und das alttestamentliche Buch gleichen Namens, in dem es um den Wiederaufbau Jerusalems nach der Katastrophe geht. Um Aufbau auch gegen Widerstände von außen. Und um die Freude, die Stärke schenkt. Das ist das, was ihn an Nehemia beschäftigt und wo er Berührungspunkte zu seinem eigenen Traum-Wagnis sieht. Und so schreibt er:

„Jetzt ist der Augenblick für ein neues Nehemia-Projekt gekommen, einen neuen Humanismus, der die Aufbrüche von Geschwisterlichkeit nutzbar machen und der der Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen ein Ende setzen kann. Wir müssen wieder das Gefühl haben, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für andere haben“.

Und damit wären wir auch beim Anlass des Buches: wie kommen wir aus der Corona-Krise heraus? Was wollen wir danach aufbauen? Wie unsere Welt, in der so viel zusammen gebrochen sein wird, neu gestalten? Dass Papst Franziskus mit der Art und Weise, wir wir unsere Welt vor allem wirtschaftlich geordnet haben, nicht einverstanden ist, ist kein Geheimnis. Auch aus religiösen Gründen nicht. Aber während der Papst in der Vergangenheit eher allgemein gesprochen hatte, ist es nun eine sehr konkrete und weltweite Krise, für die er eine Perspektive entwickelt.

Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist, das ist das Mantra des Buchs. Und deswegen: „Wir brauchen die Fähigkeit der stillen Reflexion, Rückzugsorte von der Tyrannei des Dringenden.“ Wir brauchen die Fähigkeit zu träumen.

Was will der Papst mit seinem Buch?

Was will der Papst mit seinem Buch? Zunächst einmal nimmt er eine von ihm gewohnte Perspektive ein: Man sieht die Realität besser von ihren Schwachstellen aus, von der Peripherie. Das wird in der Krise besonders sichtbar. Nicht die Stärken bestimmen seinen Blick auf die Welt, sondern eben diese Schwächen.

Mit diesem Blick schaut er auf Covid, aber daneben zählt er auch die anderen Schwächen und Krisen der Welt auf, die im Augenblick in den Hintergrund gerückt sind, etwa fehlende Schulbildung für viele Kinder oder den Hunger. Seine Angst ist, dass wir alle hart daran arbeiten, den Zustand von vor der Krise wieder her zu stellen. Seine Angst ist es auch, dass das, was in der Krise sichtbar geworden ist, nachher wieder zugedeckt wird. Und so einsichtig das ist für Menschen, deren Existenz jetzt bedroht ist, so war das System von davor doch Teil des Problems. Deswegen sein Mantra: Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist. Es ist an uns, das zu gestalten.

Das Mantra des Papstes

Und genau darum geht es in dem Buch: gestalten. Die Gleichgültigkeit und das sich nicht zum Nachbarn und Schöpfung kümmern, das seien keine Optionen mehr. Leider sei unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Welt genau darauf aufgebaut. Und geschützt werde das von einer inneren Haltung, der – wie er es nennt – „abgeschlossenen Geisteshaltung“, der er eine großen Teil des Buches widmet. Es ist eben keine abstrakte Kritik am „System“, sondern konkret, für jede und jeden handhabbar. Wir können auf uns selber schauen, wenn es um die Überwindung der Krise geht. Und das ist sein Anliegen.

Nicht „man müsste mal“, sondern ganz praktische schauen auf sich selbst und die eigene Haltung und das eigene Herauskommen aus der Krise. Natürlich hat der Papst auch wieder Wirtschaftskritik im Gepäck, das Wachstums-Prinzip sei nicht länger haltbar. Er argumentiert auch für ein Gundeinkommen und hat andere konkrete Ideen. Aber der Kern ist dann doch das, was wir geistlich als „Umkehr“ bezeichnen.

Der „Feind der menschlichen Natur“

So ist der spannendste Teil des Buchs eben die spirituelle Anleitung. Er spricht vom „Feind der menschlichen Natur“, also von dem, was uns von uns selbst, vom Nächsten und von Gott entfernt und letztlich destruktiv ist. Er macht sichtbar, wie dieser „Feind“ agiert und unser Leben beeinflusst. Er bedient sich durchweg einer spirituellen Sprache, welche die Worte Versuchung, böser Geist, Geisteshaltung und Demut kennt.

Der Schlussakkord: Wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir die Idee zurück gewinnen, dass wir als Volk ein gemeinsames Ziel haben. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.

Das Ziel Gemeinwohl, das Ziel „träumen”

Gemeinwohl ist das Ziel, ausgedrückt in dem in unserer Sprache vielleicht etwas sperrig klingenden Wort „Volk“. Gemeinwohl ist viel mehr als die Summe des Wohls der Einzelnen. Und das ist ja aktuell, wie der Impfstoff-Nationalismus dieser Tage sehr deutlich zeigt.

„Indem wir diese Fragen stellen, öffnen wir uns für das Handeln des Geistes. Wir können beginnen zu unterscheiden, neue Möglichkeiten sehen, wenigstens in den kleinen Dingen um uns herum oder in den alltäglichen Dingen, die wir tun. Und indem wir uns diesen kleinen Dinge überlassen, beginnen wir, uns eine neue Weise des gemeinsamen Lebens vorzustellen, des Dienstes an unseren geliebten Mitgeschöpfen. Wir können anfangen, zu träumen.“

Was den Papst interessiert, sind nicht einzelne Rezepte, sondern der Prozess des Wandels. Es geht ihm religiös gesprochen um die Dynamik der Bekehrung. Um ein „Pilgern“, ein sich bewegen, ein nicht da stehen bleiben, wo man es vermeintlich behaglich eingerichtet hat und wohin man zurück will. Das geht aber nicht mehr,

Denn noch einmal: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Wir kommen nicht aus der Krise heraus, wie wir hinein gegangen sind. Es ist an uns, das zu gestalten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Aufbau, Buch, Corona, Covid, Gesellschaft, Krise, Papst Franziskus, Politik, War zu Träumen5 Kommentare zu Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Veröffentlicht am 1. Dezember 20201. Dezember 2020
Der Welt geht es nicht gut Ein Buch, frisch aus Rom

Rassismus und Ausgrenzung. Die Missbrauchskrise. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik. Eine zerstörerische Form der Wirtschaft. Und natürlich allem voran die weltweite Corona-Krise: Der Welt geht es gerade nicht besonders gut. Papst Franziskus äußert immer wieder dazu, nun aber ausführlich und konkret an der Corona-Krise aufgehängt. Und er tut es  ausdrücklich aus einer geistlichen Perspektive. (Nebenbemerkung: die muss man nach den medialen Verarbeitungen der Vergangenheit allerdings erst gegen Widerstände entdecken. Aber das lohnt sich).

Es ist ein ganzes Buch geworden, entstanden aus Gesprächen und Austausch mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh. Die erste Version des Buches, die Originalsprache Englisch, ist seit heute auf dem Markt. Eine deutsche Übersetzung folgt am 4. Dezember. Und dann schreibe ich hier auch mehr zum Inhalt. Aber etwas schon mal vorweg:

Der Welt geht es nicht gut

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Dieses Papst-Zitat steht über dem nun veröffentlichten Buch, und es gibt sehr gut die Zielrichtung wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst sich dazu äußert, nun tut er es aber ausführlich und darüber hinaus leidenschaftlich und sehr persönlich.

Zur Transparenz ein persönliche Bemerkung: In den vergangenen Monaten konnte ich nicht nur das Buch schon lesen, sondern ich war auch an seiner Übersetzung beteiligt. Spannend, auch weil der Papst selbst bis zuletzt sehr aktiv bei der Erstellung beteiligt war.

Ein sehr persönliches Buch

Und auch wenn es ein Papstbuch ist, der Helfer beim Zustandekommen war der Papstbiograph Austen Ivereigh. Und dem habe ich zum Erscheinen einige Fragen gestellt:

Hagenkord: Austen, du hast das Projekt begonnen und ausführlich mit dem Papst an diesem Thema gearbeitet, was sagt Franziskus, das andere noch nicht gesagt haben?

Austen Ivereigh: Dies ist das erste Buch eines Papstes als Antwort auf eine globale Krise, ein Buch, das uns geistliche Orientierung inmitten einer Krise bietet. Natürlich hat er das schon seit dem berühmten Urbi et Orbi vom 27. März dieses Jahres an getan, aber hier tut er dies in einer konzentrierten, intimen, direkten Weise. Er spricht sozusagen zu jedem von uns als Individuen und zu uns allen als Gemeinschaft.

Das große Thema des Buches ist, wie wir vermeiden können, die Chance dieser Krise zu verpassen, indem wir Gott in die Geschichte – in unsere Geschichte – hineinlassen und den Versuchungen und Hindernissen ausweichen, die dazu führen, dass wir diese Chance verpassen. Es ist so etwas wie eine ausführliche Meditation zum Hölderlin-Zitat aus dem Prolog des Buches: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“.

Ich glaube nicht, dass dies jemals zuvor getan wurde. Und obwohl das der Schwerpunkt ist, erstreckt sich das Buch weit über viele Themen, die er als Papst noch nie zuvor, zumindest nicht auf diese Weise, angesprochen hat. Von diesen Themen möchte ich sein Verständnis von Leitung durch Frauen als Zeichen der Zeit erwähnen; außerdem seine Meditation über die „abgeschottete Geisteshaltung“ als eine Form der Abwendung von der Sendung der Kirche – die Versuchung von Eliten und kleinen Gruppen von Puristen, sei es auf der linken oder rechten Seite der Kirche; ich möchte nennen seine Sichtweise auf die Unterscheidungsprozesse während der Bischofssynoden seines Pontifikats; und schließlich die These in Teil III des Buches, dass unsere vielfältigen Krisen ihren Ursprung im Verlust des Sinns für die Würde des Volkes haben und wie wir die Wiederherstellung dieser Würde zum zentralen, übergeordneten Prinzip unserer post-Covidischen Welt machen müssen. All dies ist neu. 

Hagenkord: Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst über unseren Weg aus der Krise spricht, es gibt sogar ein kleines Buch mit seinen Texten. Was macht diesen neuen Text besonders?

Ivereigh: Was ‚Let Us Dream‘ als Text einzigartig macht, ist, dass er die Frucht der vielen Gespräche ist, die Franziskus und ich im Laufe des Sommers geführt haben, aber dass er nicht als Interview, sondern als Narrativ geschrieben ist. Es ist in drei Teile gegliedert: „Eine Zeit zum Sehen”, „Eine Zeit zum Wählen” und „Eine Zeit zum Handeln“.

Jeder Abschnitt fühlt sich sehr unterschiedlich an, aber jeder ist ein wichtiger Teil eines Prozesses der Umkehr: Lernen, die Wirklichkeit zu betrachten und von dem, was wir sehen, berührt zu werden; lernen, zu unterscheiden, was von Gott ist und was Gott ablenkt oder untergräbt; und mutig im Einvernehmen mit dem Guten Geist handeln, um eine neue Zukunft herbeizuführen: eine Wirtschaft, die sich um die Armen kümmert, Zugang zu Arbeit ermöglicht und der Natur Raum gibt; eine Politik, die den Menschen nicht nur eine Stimme, sondern einen Platz am Tisch gibt; und eine Gesellschaft, die die Geschwisterlichikeit widerspiegelt, anstatt sie zu untergraben.

Auch wenn ich die Fragen gestellt und die ersten Entwürfe gemacht habe, habe ich eigentlich nur das Gerüst bereitgestellt, an dem er seine Einsichten und Anleitungen aufhängen konnte. Auch die Tatsache, dass es sowohl in Englisch als auch in Spanisch verfasst wurde – wir haben zwei Originaltexte erstellt, von denen die anderen Übersetzungen, einschließlich der deutschen, angefertigt wurden – war ein weiteres Novum in der Geschichte solcher Bücher. Es gab bereits erste Reaktionen dazu, wie natürlich Franziskus auf Englisch klingt. Ich scherzte mit ihm, dass er in ‚Let Us Dream‘ der am natürlichsten englisch klingende Nachfolger des heiligen Petrus seit Adrian IV. im zwölften Jahrhundert ist, der einzige englische Papst überhaupt! Das gefiel ihm, glaube ich. 

Hagenkord: Glaubst du, dass Franziskus eine Chance hat, mit diesen Themen gehört zu werden?

Ivereigh: Er wird bereits gehört. Teile des Buches wurden zusammen für einen großen „Op Ed” in der New York Times letzte Woche verwendet, der einen großen Eindruck hinterließ. Es wurde in La Repubblica in Italien, ABC in Spanien und The Times hier im Vereinigten Königreich auszugsweise veröffentlicht. Und es hat wegen seiner akuten Beobachtungen über die Krise, über Frauen, über die Verfolgung der Uiguren (die eine verärgerte Reaktion der chinesischen Regierung auslöste) eine weltweite Berichterstattung ausgelöst – also ja, er wird gehört.

Und all das, bevor das Buch tatsächlich herauskommt und gelesen wird. Meine Hoffnung für ‚Let Us Dream‘ ist, dass sich die Menschen jenseits der Schlagzeilen und der aufmerksamkeitsstarken Dinge darin, die verblassen werden, mit der spirituellen Weisheit und Leitung im Herzen des Buchs beschäftigen. 

Hagenkord: Der Papst will unsere Meinung oder unsere Denkweise ändern. War er bei seinem ersten Leser, also bei dir, erfolgreich?

Ivereigh: Auf Englisch sprechen wir von „preaching to the choir”, und in meinem Fall gebe ich gerne zu, dass ich nicht nur sein Biograf, sondern auch ein Schüler bin. Mein Denken und meine Denkweise haben sich durch Franziskus in den letzten sieben Jahren grundlegend verändert.

Du könntest also erwarten, dass ich von meiner Einstellung nicht viel ändern musste, während ich mit ihm an ‚Let Us Dream‘ arbeite. Und doch hat es mich verändert.

Ich stelle mir die Frage, ob ich mich während dieser wiederholten Lockdowns hinter meine Rollen und Funktionen zurückziehe oder ob ich, wie Franziskus drängt, hinausgehe, um zu dienen. Ich denke viel über seine Herausforderung an uns nach, diese Gelegenheit zum Wandel nicht ungenutzt verstreichen zu lassen; ich höre den Nachrichten zu und frage mich: Warten wir nur darauf, zum Status quo ante zurückzukehren? Die Antwort darauf lautet größtenteils ja.

Und doch verfolgt mich das, was der Papst uns sagt: dass wir nicht zurückgehen können, dass man in einer Krise wie dieser entweder besser oder schlechter wegkommt, aber nicht mehr derselbe sein wird. Ich denke also, die Herausforderung des Buches ist, wenn überhaupt, größer denn je. 

Und ich glaube, dass es die Menschen verändern wird, so wie mich.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Austen Ivereigh, Corona, Ivereigh, Krise, Papst Franziskus, Wirtschaft2 Kommentare zu „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Synodalität noch mal neu lernen

Veröffentlicht am 27. November 202024. November 2020
Der Synodale Weg holpert Erster Advent 2019: Pressekonferenz zum Stadt des Synodalen Weges mit Karin Kortmann (ZDK) und Kardinal Rheinhard Marx (damals Vorsitzender der DBK)

Er feiert seinen ersten Geburtstag: vor einem Jahr, am ersten Advent, hat die Kirche den Synodalen Weg begonnen. Zum Lösen der Knoten. Und bei aller Schwierigkeit sah es auch nach einem guten Start ins Leben aus. Bis dann Corona kam. Der Synodale Weg holpert seitdem, es ist nicht mehr so ganz klar, wie und vor allem wann es weiter geht. Die geplante zweite Vollversammlung musste ein erstes Mal verschoben werden, stattdessen gab es Regionalkonferenzen. Die zwar in der Geschäftsordnung oder Satzung nicht vorgesehen sind und deswegen keine Beschlusskompetenz haben, aber anders war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen nicht möglich.

Nun gibt es schon wieder eine Verschiebung, wieder ist Corona der Grund. Das Ersatz-Format ist anders, aber fest steht, dass wieder keine Abstimmungen formaler Natur stattfinden können. Wie gesagt, der Weg ist holperig geworden. Und der erste Geburtstag, der eigentlich sowas wie die Halbzeit einleiten sollte, lässt vermuten, dass das Ganze noch viel länger dauern wird.

Der Synodale Weg holpert

Dabei ist es aber nicht so, also ob im vergangenen Jahr nichts geschehen sei. Da ist schon ziemlich viel Wegstrecke zurück gelegt worden, positiv wie auch negativ. Negativ, weil sich immer mehr mehr Menschen abwenden von „ihrer“ Kirche. Das wird auch di Synodalität nicht auf einen Schlag wieder gut machen können.

Weiter gekommen sind wir in der Debatte um den Missbrauch, so schräg das gerade in diesen Tagen auch klingen mag. Was ich damit meine: vor einem Jahr gab es noch den konzertierten Versuch, den Auslöser des Prozesses, die MHG-Studie, zu deletimieren. Und damit den Synodalen Weg auch. Gerade die traurigen Ereignisse um die Kölner Studie und den Umgang damit haben aber sehr deutlich gemacht, dass der Missbrauch und die damit zusammenhängenden Phänomene in den Prozess hinein gehören. Wir können kein Forum „Macht in der Kirche“ machen, ohne über den Missbrauch von Macht zu sprechen.

Nicht nur Text

Weiter gekommen sind wir auch als geistlicher Prozess. Wobei gerade hier – in meinen Augen – die größte Gefahr für den Synodalen Weg lauert. Wenn wir diese Dimension nicht für voll nehmen und nur Texte verabschieden wollen, dann passiert gar nichts. Weswegen die Bischöfe sich auch klar in ihrer Vollversammlung dahinter gestellt haben, die Laien im ZDK haben den Synodalen Weg und damit diese Frage gar nicht besprochen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Abschluss der DBK Herbstvollversammlung hat Bischof Georg Bätzing die Debatte der Bischöfe zusammen gefasst und gesagt: „Das Evangelium so in den Mittelpunkt des synodalen Weges stellen, dass es ein geistlicher Weg wird.“ Und später: „Viele Bischöfe wünschen sich, dass die beiden geistlichen Begleiter noch viel pro-aktiver werden.“ Sie sollen nicht ‚Gebetsanimateure‘ sein, sondern „darauf achten, dass wir miteinander auf einem geistlichen Fundament unterwegs sind. Da wünschen wir uns auch mehr Interventionen, wenn die Wahrnehmung da ist, hier gleitet etwas vielleicht ab“.

„Hier gleitet etwas vielleicht ab”

Mir scheint, dass sich unter dem Begriff „geistlicher Prozess“ verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen versammeln. Auch sind die geistlichen Elemente, wie wir sie vorbereitet hatten, teilweise zum Ort des Streits geworden, etwa wenn Leute den Raum verlassen oder gar nicht erst zur gemeinsamen Messe kommen. Aber trotzdem ist das ein Fortschritt, weil darüber gesprochen wird.

Nur kurz möchte ich hinweisen auf die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema, sei es bei Tagungen oder auch in Fachzeitschriften. Auch das bringt uns weiter.

Jetzt also wieder eine Verschiebung. Schon aus der ersten haben wir gelernt, wir brauchen das Risiko zur Offenheit und dürfen uns nicht durch das Format vor der Realität verbergen.

Das Präsidium möchte – richtigerweise, wie ich finde – aus der Not der erneuten Verschiebung eine Tugend machen: Das sei eine „Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat“, heißt es in dem Brief an die Mitglieder des Synodalen Wegs. Das ist schon auch ein geistlicher Schritt: sich nicht an Formate festklammern.

Der Weg ist halt anders, als wir gedacht hatten.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Kirche, Missbrauch, synodaler Weg10 Kommentare zu Synodalität noch mal neu lernen

Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

Veröffentlicht am 24. November 202023. November 2020
Papstbuch zu Corona Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand? Die italienische Zeitung La Repubblica vom Montag

Krisen lösen etwas aus. Und wenn wir aufmerksam sind, dann können wir aus ihnen etwas lernen. So in etwa die Kurzversion von den ersten Gedanken aus dem kommende Woche erscheinenden Papstbuch zu Corona. Gestern – Montag – gab es einen ersten Vorabdruck in der italienischen Tageszeitung La Repubblica.

Die Aufmachung ist schon mal dramatisch: „Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand?“ titelt die Zeitung. Und auch wenn es nicht wirklich der Zielrichtung des Buches entspricht sondern eher dem Verkaufswillen der Herausgeber, so macht das doch eines klar: es geht um viel.

Papstbuch zu Corona

Franziskus berichtet sehr persönlich über eigene Krisen, über die Krankheit seiner Jugend zum Beispiel. Aber auch über die Entwurzelung, die er in Deutschland erlebt hat. Alles Krisen, die ihn haben nachdenken lassen. Und das sei bei Covid genauso. Die Krise kann uns zum Beobachten und Nachdenken bringen. Dazu will das Papstbuch jedenfalls anregen, dazu mehr, wenn es auf dem Markt ist. Wen das jetzt schon interessiert, können Sie hier schon mehr lesen.

Aber ohne dem Papst zu nahe zu treten: wir können uns unsere eigenen Gedanken machen. Die Debatten der ersten Welle zu Gottesdiensten und Seelsorge etwa können wir nun mit unserer Erfahrung noch einmal führen, in Österreich noch dringender als in Deutschland. Drei Punkte möchte ich nennen, die wir da wichtig erscheinen.

Nicht kritiklos

Erstens: Verantwortlichkeit, aber nicht kritiklos. Die meisten Christinnen und Christen handeln verantwortlich, auch was Gottesdienste und etwa Besuche im Krankenhaus angeht. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit Kritiklosigkeit. Demokratisch geführte Debatten sind zunehmend wichtig. Ein Beispiel: Der Theologe Jan Heiner Tück kritisiert die Entscheidung der Bischöfe Österreichs, das Aussetzen von Gottesdiensten mitzumachen. Das hebelt die Verantwortlichkeit nicht aus, belebt aber die Debatte.

Zweitens: aus der ersten Welle lernen. Wir haben im Sommer emotional wohl die falschen Schlüsse gezogen: es sei vorbei. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Mein Kopf war auf eine zweite Welle vorbereitet, aber innerlich gab es da doch die Haltung, dass das jetzt doch wohl vorbei sei. War es aber nicht. Vor allem was die Notwendigkeit sozialer Kontakte angeht, haben wir lernen können. Alte Menschen, Alleinerziehende, Kinder, das kann man nicht einfach abschalten. Auch der Primat der Wirtschaft gilt nicht mehr so unausgesprochen selbststündlich, so hart das für die Betroffenen auch ist.

Drittens: über den Tellerrand hinaus blicken. Hier finde ich wird es spannend. Auch wenn jetzt alle mächtigen Länder davon sprechen, den entwickelten und produzierten Impfstoff gerecht zu verteilen – mit der selbstverständlichen Ausnahme von Präsident Trump – wird sich in der Praxis zeigen, ob unsere Gesellschaften dazu wirklich den Mumm haben. Und ob wir dazu wirklich groß genug denken und fühlen.

Über den Tellerrand hinaus

Vor allem Letzteres wird dem Papst wichtig sein. Man muss nicht in die Glaskugel schauen um zu wissen, was Franziskus besonders am Herzen liegt. Und das sieht er auch in der von Corona verursachten Krise. Es benutzt die Krise nicht für seine Themen, aber er sieht in der Krise Anzeichen, dass wir ein Umdenken brauchen. In der Wirtschaft. In der Gesellschaft. Zwischen uns. In uns.

Seien wir gespannt auf die Lektüre.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Rom, VatikanSchlagwörter Buch, Corona, Covid, Papst Franiskus11 Kommentare zu Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Veröffentlicht am 19. November 202018. November 2020
Die Opfer stören Keine Angst haben davor, was das vielleicht mt der Kirche macht.

„Die Opfer stören.“ Es ist ein Satz von vielen aus einem Kommentar von vielen zu den jüngsten Berichten vom Umgang mit Missbrauch: Aachen, Köln, McCarrick. „Die Opfer stören“, dieser Satz beschreibt eine Unruhe, die immer noch, auch nach all den Jahren, die Debatte um Missbrauch und den Umgang damit bezeichnet: auch jetzt noch geht es zu sehr um Täter, um System, um Ruhe.

Vor einigen Jahren habe ich mal davor gewarnt, dass Kirche sich nicht „in die Prävention“ flüchten darf. Die Aufarbeitung darf nicht zu kurz kommen, und dazu muss man, müssen wir zuhören. Auch und weil es stört. Das Gleiche gilt nun von den Berichten und Studien: wir müssen weiter die Haltung des Hörens üben. Üben, weil wir das offensichtlich noch nicht können.

Die Opfer stören

Vorsicht, das Ganze darf nun aber nicht – schon wieder – im Appell verhallen. Hören hat Folgen, das wissen wir mindestens aus der Bibel. Und denen zuhören, die von Macht und deren Missbrauch in der Kirche erzählen, muss für uns Folgen haben. Appelle reichen also nicht, ohne Konsequenzen wird das hohl.

„»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit« (1 Kor 12,26). Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben.“ Bei diesen Worten von Papst Franziskus frage ich mich unwillkürlich, ob das stimmt. Leiden wir mit? Nicht in dem Sinn, dass wir nun die Opfer und Überlebenden bevormunden, weil wir anderen ja auch leiden. Aber in dem Sinn, dass eben auch wir beteiligt sind. Jeder und jede von uns in der Kirche.

Dröhnende Ideologien

„Die Wunden „verjähren nie“.”, so der Papst weiter. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“ Mit Entsetzen habe ich deswegen die vielen Kommentare hier im Blog gelesen, die meinen, die Verbrechen ideologisch umdeuten zu müssen. Sie haben die Kommentare nicht gelesen, weil ich es als meine Aufgabe als Moderator betrachte, die Lautstärke dieser Stimmen herunter zu regeln. Die überdröhnt die Stimme der Opfer oder Überlebenden, oder versucht es zumindest. Zum Schweigen bringen, wie der Papst sagt.

Das Hören ist für uns als Glaubensgemeinschaft wesentlich: wir sind nicht alleine Christinnen und Christen, und wir werden auch nicht alleine erlöst. „Gott wollte in eine soziale Dynamik eintreten“, sagt der Papst, wir gehören dazu. Nicht hören zu wollen oder die Verantwortung an einige wenige zu delegieren, ist nicht zuletzt auch religiös und theologisch falsch.

Keine geistliche Verharmlosung

Der Papst empfiehlt deswegen auch genuin religiöse Rezepte: Buße und Gebet. Nicht, um die Debatte ins Fromme zu verlegen, nicht um das Ganze geistlich zu verharmlosen. Sondern weil „Buße und das Gebet helfen, unsere Augen und unser Herz für das Leiden der anderen zu schärfen und die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen, die so oft die Wurzel dieser Übel sind.“ Herrschen und Besitzen, also die Kontrolle haben, das wird uns genommen, wenn wir im Geist der Buße und des Gebets hören.

Ärger, Wut und Frust über die Täter, das Vertuschung-System, über Päpste und Bischöfe, über den Klerikalismus und all das andere sind wichtig und haben ihren Ort. Aber weiter vorne muss das Hören stehen, das Hören auf die die stören. Weil nur von dort her die Perspektive stimmt.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, RomSchlagwörter Bistum Aachen, Erzbistum Köln, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Vatikan13 Kommentare zu »Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Uns fehlt die Utopie

Veröffentlicht am 16. November 202012. November 2020
Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs Mehr als nur Realität: Der Himmel über Berlin

Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland: zu diesem Titel hatten mich die Dominikaner eingeladen, einen Artikel zu schreiben. Auf den ich an dieser Stelle gerne hinweisen möchte.

Früher gab es den Traum vom Zurück zur Urkirche, jetzt sind wir mit Blick auf Austrittszahlen zaghaft geworden. Und auch die Unglückspropheten um den Synodalen Weg herum sind klein gedacht und streng an der Gegenwart ausgerichtet. Und für die hatte eigentlich schon Papst Johannes XXIII. klare Worte: „weder genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil“ bescheinigte er ihnen.

Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs

Dabei wäre die literarische Form der Utopie wichtig. Jesu Worte über seine Kirche, „bei euch soll es nicht so sein“, „liebet einander“, und natürlich der Sendungsauftrag haben durchaus utopische Züge. Auch die Apostelgeschichte kennt eine Ur-Gemeinde, die in unseren Ohren utopisch klingt: Alle hatten alles gemeinsam und waren „ein Herz und eine Seele“. Das alles ist nicht gerade eine Beschreibung der Kirche der Gegenwart, es ist aber eine Utopie, unsere Utopie, die Kirche anleiten soll.

Utopien – positiv wie negativ – brauchen ja keinen Regeln zu gehorchen. Realismus ist ihnen von ihrer literarischen Natur aus fremd. Utopien denken über die Wirklichkeit hinaus und schaffen neue Welten. Sie wollen das „immer weiter so wie es ist“ zertrümmern, sie drücken Sehnsucht und Angst aus. Sie entziehen sich jeder Form von Kontrolle.

Radikale Ideen

Radikale Ideen aber – ganz gleich ob sie sich in positive oder negative Form kleiden – lassen Weite entstehen. Es sind nicht Orte des Realen, sondern wie die Übersetzung des Wortes schon zeigt, Nicht-Orte. Sie sind ambivalente Orte. Und als solche handeln sie von Phantasie, nicht von Realismus und Ordnung.

Diese die Selbstverständlichkeiten unserer Kirche durchbrechenden Narrative vermisse ich im synodalen Weg. Natürlich muss zum Schuss oder auch nur als mittlere Perspektive Realisierbares dabei heraus kommen. Trotzdem braucht es die kritische Dimension des Utopischen. Utopie darf nicht in falschem Optimismus die Augen verkleben und Dystopie nicht kleinmachende Angst erzeugen.

Was es mit dem Roman „Katholiken“ und dem Synodalen Weg zu tun hat, das steht im vollständigen Text im Heft „Wort und Antwort“.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Zweites Vatikanisches KonzilSchlagwörter Artikel, Dominikaner, synodaler Weg, Utopie13 Kommentare zu Uns fehlt die Utopie

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