Skip to content
  • Home
  • Über mich
  • Jesuiten

PaterBerndHagenkord.blog

Vatican News

powered by Vatican News

Kategorie: Die deutschsprachige Kirche

Endlich frei! Aber ist das eine gute Nachricht?

Veröffentlicht am 23. Januar 202122. Januar 2021
Kern von Religion Mit Jesus das Kreuz tagen. Oder trägt Jesus mein Kreuz? Fenster in der Jesuiten-Kapelle in Pullach bei München

Religion bleibt weltweit bedeutend. In Deutschland nehmen aber die Kirchenaustritte zu. Das sind zwei Schlussfolgerungen aus einer internationalen Studie, aber was bedeutet das? Man kann das geographisch sehen: Während international Religion wichtig bleibt, nimmt sie bei uns ab. Das stimmt aber auch nicht so ganz, denn auch bei uns gibt es immer wieder Aufrufe, den Kern von Religion nicht zu verschleudern. Ganz egal ist das also auch hier nicht.

Die Frage nach dem Kern und der Bedeutung von Religion hier bei uns ist ja auch durch die Situation aufgegeben, hören wir also auf die Stimmen, die uns mahnen. Bei einer habe ich das ja hier schon gemacht, da gibt es aber noch viel mehr.

Kern von Religion

Da wäre zum Beispiel Peter Sloterdijk, Philosoph. Der sieht in einem Interview in der Augsburger Allgemeinen Religion endlich frei:

„Es gibt eigentlich nichts mehr, was die Religion für sich alleine hat, … . Das heißt aber, die Religion ist frei geworden: Sie braucht zu nichts mehr gut zu sein, sie muss nicht mehr funktionieren, sie hat keinen gesellschaftlichen Funktionsauftrag, der nicht auch anders wahrgenommen werden könnte. Und diese erhabene Sinnlosigkeit und Undienlichkeit des religiösen Empfindens ist der Grund ihrer Freiheit.”

Das ist ein starkes Stück: wir als Gemeinschaft der Glaubenden spielen keine Rolle, haben keine Funktion mehr in der weiteren Gesellschaft. Das bedeutet natürlich Relevanzverlust, aber dafür bekommt Religion Freiheit. Im Umkehrschluss wäre es falsch, diese Freiheit wieder aufzugeben, nur um weiterhin für die Gesellschaft wichtig zu sein. Abgesehen davon, dass uns die Entwicklung zeigt, dass das auch gar nicht mehr gehen wird.

Frei von Sozialarbeit?

Den Finger auf unsere innerkirchlichen Debatte legt Sloterdijk mit der Zustimmung zur These, dass Religion nur dann zu ihrem Kern komme, wenn sie sich frei mache von Sozialarbeit. Für ihn ist das interessanterweise eine Kontroll- und Machtfrage. Religion siedle dort, wo Selbstgefühl in Mitgefühl übergehe, aber eben nicht weiter.

Da trifft Sloderdijk auf das, was ich an dieser Stelle schob über den Text des Journalisten Ulrich Greiner geschrieben habe. Seine als Kritik formulierte Analyse sagt, dass sich Kirche statt ihren Auftrag zu erfüllen zu einem Teil der Zivilgesellschaft werden wolle.

Angestiftet durch Relevanzverlust

Nun hören wir noch einmal in die innerkirchlichen Debatten hinein, angestiftet vom andauernden und nicht aufzuhaltenden Relevanzverlust. Wir – Kirchen – seien nicht mehr sprachfähig. Wie litten unter Selbstverzwergung, weil wir uns nicht äußerten. Die wirklich großen Themen der Welt greife radikal nur noch der Papst an – Umwelt und soziale Fragen – während hier bei uns die Suche nach Ausgewogenheit gelte.

Das passt nun so gar nicht zu den Aussagen, die sich an Kirche reiben und den echten Kern des Glaubens einfordern. Das Heilige, die Sünde, die Erlösung.

Sünde und Erlösung

Einen dritten Text aus der Fülle der Weihnachtsbetrachtungen darf ich an dieser Stelle anführen, aus dem Standard. Der bricht die Debatte schön herunter: wir würden zu wenig über die zentralen Themen Sünde und Erlösung sprechen. Der Glaube an den Dreifaltigen Gott habe Folgen, die Folge der Umkehr, aber das erschöpft sich nicht in guten Taten.

Wichtig hier auch der Hinweis, dass allein das Machen unserer Hausaufgaben – Missbrauch – allein Kirche nicht wieder attraktiv werden lässt. Es braucht Verkündigung. Der Journalist schrieb zu Weihnachten provokant sogar von Mission, aber der Begriff ist eher verbrannt.

Um nicht banal zu werden: natürlich reicht es nicht, nun einfache Begriffe oder vorgestrige Konzepte wieder aufzurufen. Wir müssen heute antworten, das ist die Aufgabe.

Erst einmal die Frage zulassen

Aber der Kern hat ja was: sprechen wir außer auf den Kanzeln noch von Sünde und Erlösung, wenn es um unseren Glauben geht? Spielt das eine Rolle?

Vielleicht haben wir ja noch gar keine fertige Antwort. Vielleicht sind diese Texte uns ja eine Hilfe, erst einmal die Frage zuzulassen, ob da nicht was dran sei? So weiter geht es jedenfalls nicht, ein Wiedererstarkten der Bedeutung von Kirche in der Gesellschaft ist ausgeschlossen. Und so können uns die Texte helfen bei der Unsicherheit, die eben auch zum Glauben dazu gehört, wie Papst Franziskus es wunderbar formuliert hat:

„Ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ist ein Glaube in der Krise; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Sprechen von GottSchlagwörter Gesellschaft, Glaube, Heilig, Kirche, ReligionSchreiben Sie einen Kommentar zu Endlich frei! Aber ist das eine gute Nachricht?

Die Tücken des Geistlichen: Zum Synodalen Weg

Veröffentlicht am 16. Januar 202110. Januar 2021
der geistliche Charakter der Kirche Quo Vadis, Kirche?

Die Aufmerksamkeit wird von Maximalforderungen geprägt: wer über den Synodalen Weg spricht ist sich der medialen Aufmerksamkeit sicher, wenn er oder sie Forderungen stellt: dies oder jenes dürfe auf keinen Fall passieren, dieses oder jenes müsse auf jeden Fall passieren, solche Formulierungen prägen die Debatte.  Aber sie zerstören auch das, was der Synodale Weg eigentlich sein soll: ein geistlicher Prozess. Schnell hatten sich DBK und ZdK auf diese Dimension geeinigt, als es los ging, das Ganze sollte nicht nur „wir reden miteinander“ sein, der geistliche Charakter der Kirche solle den Weg prägen.

Wer die Debatten in Frankfurt zu Beginn des vergangenen Jahres im Stream verfolgt hat, hat mitbekommen, wie schwierig das ist. Geschäftsordnung und Satzung sind nicht wirklich Themen des Gebetslebens und die Debatte von Texten hat eine eigene Dynamik, die sich als sperrig herausstellt, wenn man geistliche Dimensionen einführen will.

Der geistliche Charakter der Kirche

Aber was will das überhaupt sein, so ein „geistlicher Prozess“? 

Er ist geistlich, wenn er sich um ‚Unterscheidung‘ bemüht, würde ich nach einem Jahr Synodaler Weg sagen. Ein Begriff aus der ignatianischen Tradition, der mit Papst Franziskus in den allgemeinen kirchlichen Sprachgebrauch gefunden hat. Aber es ist ein sperriger Begriff, besonders in der deutschen Sprache, in der das Wort eine Alltagsbedeutung hat, die nicht sofort beim Verstehen des Geistlichem hilft. Versuchen wir also eine Annäherung:

Die Kirche in Deutschland hat sich Themen gesetzt, von Autorität und deren Kontrolle über die Rolle der Frauen bis zu Moraltheologie und priesterlicher Lebensform. Das große Problem dabei ist, dass nicht wirklich klar ist, wohin das führen wird. Zu Entscheidungen? Zu Forderungen an Rom und die Weltkirche? Wird es sich verlaufen, wie frühere Prozesse auch schon? Wird es nichts bringen?

Der Begriff der ‚Unterscheidung‘ kann uns aus diesem Dilemma befreien, auch wenn er keine schnellen Lösungen anbietet. Lange vor seiner Papstwahl hatte Pater Jorge Mario Bergoglio eine wunderbare Formulierung dafür gefunden: „Ideen werden diskutiert, Situationen werden unterschieden.“ Unterscheidungen schauen auf Situationen, sie sind keine Werkzeuge, Fragen zu beantworten. Es gilt, sauber ‚Unterscheidung‘ von ‚Entscheidung‘ zu trennen.

Ideen und Situationen

Es ist also gar nicht so einfach, ‚Unterscheidung‘ für den synodalen Prozess anwendbar zu machen. Aber nur so, davon bin ich überzeugt, wird es gelingen, die Unterschiede in Balance zu halten und kreativ und gemeinsam voran zu gehen. Es werden eben nicht die Abstimmungen der Maximalforderungen sein, die einen Erfolg ausmachen.

Nicht selten begegnet dem Begriff „geistlicher Prozess“ ein gewisses Misstrauen. Hier solle etwas auf die fromme Ebene gehoben werde und den Problemen die Spitze genommen werden, könnte man vermuten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Unterscheidung ist keine Verharmlosung von Themen. Wenn es geistlich wird, dann wird es erst wirklich ernst, weil Gott ins Spiel kommt.

Eine zweite Überlegung: Die Frage bei jedem Unterscheidungsprozess – ob individuell oder in Gemeinschaft – ist und bleibt die nach den Eingrenzungen durch Vorgaben und Regeln. Dazu gilt es, das Verhältnis von Unterscheidung und Rahmen zu verstehen. Und das ist eindeutig.

Und was ist mit Vorgaben und Regeln

Bei der Unterscheidung geht es um das, was Karl Rahner einmal die „Konkretheit und Unableitbarkeit des menschlichen freien Handelns“ genannt hat. Soll heißen: man kann die Entscheidungen des Handelns nicht vom allgemein Gültigen her klären, sonst wäre das „Konkrete zu einem bloßen Fall des Allgemeinen“ degradiert.

Die sich auf Ignatius von Loyola berufende Tradition will nichts weniger, als den Betenden in Kontakt zu bringen mit dem Willen Gottes. Nicht mit allgemeinen Prinzipien. Es geht nicht um eine Übung der Anwendung allgemeiner menschlicher, christlicher und kirchlicher Normen auf einen Einzelfall, es geht nicht um die Einzelrealisation des Allgemeinen. Wenn Gott ins Spiel kommt, dann immer über alle allgemeinen Normen hinaus.

Eine Wahl – das Ergebnis der Unterscheidung – erfolgt in der Einmaligkeit der Begegnung zwischen Gott und Mensch.

Begegnung mit Gott

Rahner besteht darauf, dass die Kirche als Handelnde in dem Gebetsprozess des Individuums nicht vorkommt. Sie ist Rahmen, sie ist Ort, sie ist Vorgabe und Vermittlung, handelt selber aber nicht zwischen Gott und Mensch, wenn es um Unterscheidung geht. Das macht den Einzelnen nicht zum Herrn über die Kirche, Rahmen und Ort bleiben Rahmen und Ort, es gibt kein „für mich ist das aber so oder so“. Aber es gilt auch die Unmittelbarkeit im Gebet. „Der Wille Gottes ist nicht einfach und restlos vermittelt durch die objektiven Strukturen von Welt, allgemeiner Gültigkeit des Christlichen und der Kirche“, um noch einmal Rahner zu zitieren.

Zu dieser Leitplanke gehört aber auch notwendigerweise ihr Gegenstück: Regeln und Normen geben den Rahmen vor, lehrt uns Ignatius. Sie sagen uns, wo überhaupt eine Unterscheidung stattfinden kann und wo nicht. Regeln werden nicht ungültig, wenn ich auf den Geist Gottes höre. Aber es kann zu Reibungen kommen. Ein Missverständnis besteht zum Beispiel darin, dass Unterscheidung der Weg zum Individualismus oder gar Voluntarismus sei. Was mir richtig erscheint, das gilt. Das ist nicht gemeint. Die Gemeinschaft, die Traditonsgemeinschaft der Kirche, die heilige Schrift, die Worte des Herrn, all das wird natürlich nicht meinen – fehlbaren – Unterscheidungsprozessen unterworfen.

Wo kann überhaupt eine Unterscheidung stattfinden?

Ein Beispiel: In den geistlichen Übungen des Ignatius geht es darum, die eigene Berufung zu finden und zu unterscheiden. Aber Ignatius ist sehr streng wenn es darum geht, wo alles eben keine Unterscheidung möglich ist. Nämlich immer dann, wenn bereits eine Entscheidung getroffen ist.

Ich bin bereits Priester? Ordensfrau? Oder habe eine andere Berufung angenommen? Dann ist die Unterscheidung eben nicht die Methode, das jetzt ungültig zu machen. Wenn Ordensleute nach zehn oder fünfzehn Jahren in ihrer Ausbildung noch einmal den Monat der Exerzitien durchlaufen, ist die Suche deswegen nicht die, ob ich eine Berufung habe. Es kann nur um die Suche nach Bestätigung durch den Geist gehen und um die Frage, was daraus jetzt für das Leben folgt. Unterschieden wird, wie sich die eigene Berufung weiter ausgestalten kann, vertiefen kann.

Die Unableitbarkeit des Prozesses aus den Normen auf der einen und die Rahmengebung durch die Regeln auf der anderen Seite scheinen einen Widerspruch zu bilden. In jedem Fall stehen sie in Spannung zueinander. Hier gilt es gilt nun, eine Balance zu finden. In jedem Fall ist deutlich, das ich Unterscheidung weder als Umsetzungsvehikel für eigene Einsichten noch für Begrenzungen der Offenheit des Prozesses benutzen darf.

Konsequenzen!

Das Ganze bleibt aber fruchtlos, wenn es keine Konsequenzen hat. Und das ist ja auch ein wenig die Problemperspektive des synodalen Wegs: was folgt nun daraus? Unterscheidung ist eine „innere Haltung, die in einem Glaubensakt verwurzelt ist”, so nennt das der Papst. Bleiben wir bei Franziskus, auch wenn es viele andere Referenzen dafür gibt.

Unterscheidungen in einem geistlichen Prozess erschöpfen sich nicht darin, intellektuelle Übung zu sein. Sie sind kein Abwägen, sondern immer ein Hören auf den Geist Gottes. Und das ist immer die Frage, wohin der Geist uns führen will. Wir können fast gar nichts über Gottes Geist sprechen, ohne Vokabeln der Bewegung oder Aktivität zu benutzen.

Keine Produktion von Eindeutigkeit

Weil es um die Umsetzung und Praxis der Unterscheidung geht, muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, was Unterscheidung nicht ist. 

Erstens geht es nicht darum, Zeichen zu suchen, die Gott sendet. Das ist ein Missverständnis, das einem häufiger begegnet. Ein Zeichen würde ja die ‚Unterscheidung‘ aufheben, weil sich daraus eine Eindeutigkeit ergäbe. Bekomme ich ein Zeichen, ist ja alles eindeutig. Es geht bei Unterscheidung um Sorgfalt, um Gebet und immer wieder Gebet, es geht um Nuancen und innere Freiheit, es geht um das Handeln Gottes in mir, es geht um Erfahrung und Wahrnehmung. Das ist das Gegenteil von Eindeutigkeit.

Das kann Angst auslösen, weil es keine automatisch sich ergebenden Lösungen für Probleme gibt. Und das ist das Zweite, das Unterscheidung in einem geistlichen Prozess nicht ist: Methode. Ich kann nicht einfach eine Situation in einen Entscheidungsgenerator hinein geben und heraus kommt ein durch Ethik, Moral, Gesetz und Tradition gedecktes Ergebnis. Ohne eigenes Zutun. Genau das ist Unterscheidung nicht.

Geduld, Geduld

Letzte Zutat: Geduld. Unterscheidung ist kein „jetzt, sofort“ Generator. Die Zeitmaßstäbe Gottes entsprechen niemals den unseren. Wir müssen uns zurück lehnen können, beten und warten können, großherzig sein, das Unkraut auch mal wachsen lassen. Der Unterscheidungsprozess des Synodalen Wegs hat vielleicht hier seine größte Schwäche: die Ungeduld vieler Katholikinnen und Katholiken mit der Kirche scheint zu drängen, die Enttäuschungen und der Vertrauensverlust von Kirche ebenso. Aber Gott lässt sich nicht drängen.

Unterscheidung in Gemeinschaft, wie sie der synodale Weg vorhat, hat viele Klippen zu umschiffen. Eines ist klar: ein gemeinsames geistliches Vorgehen garantiert keinen Erfolg und produziert nicht quasi automatisch Ergebnisse. Stattdessen fügt sie dem auch so schon anspruchsvollen Programm noch weitere Problemdimensionen hinzu.

Aber es gibt keine Alternative, wenn der synodale Weg tatsächlich ein geistlicher Prozess sein soll. Machen wir uns – jeder einzeln und in Gemeinschaft – dieses Vorgehen zu eigen, dann hat der Geist Gottes eine Chance, uns zu verwandeln. Und damit wären wir dann beim Grundanliegen, das Papst Franziskus dem synodalen Weg mitgegeben hat: der Umkehr und der Verwandlung in eine Kirche, die den Glauben lebt, bezeugt und verkündet, statt um sich selbst zu kreisen.

.

Dieser Beitrag ist die stark gekürzte Version eines Artikels, die Vollversion finden Sie in der Zeitschrift „Ordens Korrespondenz“, Heft 4/2020.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter geistlich, Kirche, synodaler Weg4 Kommentare zu Die Tücken des Geistlichen: Zum Synodalen Weg

Im Chor der Rechtschaffenen?

Veröffentlicht am 13. Dezember 202013. Dezember 2020
Der Kern des Glaubens Der Blick nach oben: Trinität und Maria

Wenn das Christliche über das Christliche hinaus langt, dann erntet es gemischte Reaktionen. Erst neulich beklagte eine große deutsche Zeitung, dass Kirchen „das Profane“ predigen und „im Chor der Rechtschaffenen“ singen. Austauschbarkeit sei die Folge.

Der Kern des Glaubens sei aber das Heilige, die Hinwendung zu Gott, vor allem die liturgische. Immer wieder hören wir diese Kritik: statt sich um ihren Auftrag zu erfüllen werde Kirche zu einem Teil der Zivilgesellschaft.

Der Kern des Glaubens

Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das nachvollziehen und sehe die Kritik als wertvoll an, weil sie auf Schwachpunkte hinweist. Aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt, und der kommt in diesem Text auch vor. Denn das „Eigentliche“ des Glaubens ist nicht dem Diesseits entgegen gesetzt, wie der Journalist schreibt. Es ist kein Widerspruch. Die Anbetung des Heiligen ist kein Rückzug aus der Welt. Und wenn sie das wird, dann verpasst sie Gott.

Diesem als Widerspruch formulierten Gedanken begegnet man leider immer wieder. Schmerzhaft ist das vor allem, wenn christlich engagierte Menschen das Geistliche als Ablenkung oder als weniger wichtig oder als „konservativ“ oder dergleichen abtun.

Als Christinnen und Christen gehört aber beides in unseren Glauben. Das eine ohne das andere wird leer, das andere ohne das eine Austauschbar. Rückzug ist keine Option. Denn in Gott zeigt sich nicht die Verneinung, sondern die Bejahung der Welt und des Menschen. Das Christliche muss über das Christliche selbst hinaus langen, das ist die Dynamik des Festes, auf das wir zugehen. In diesem Sinne Ihnen noch gesegnete Adventstage.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Anbetung, Christentum, Diesseits, Engagement, Gesellschaft, Glaube18 Kommentare zu Im Chor der Rechtschaffenen?

Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Veröffentlicht am 4. Dezember 20204. Dezember 2020
Träumen ist keine Phantasterei Ein sehr persönlicher Papst

Es geht um etwas, was uns übersteigt. Was größer ist. Wohin wir nur kommen, wenn wir uns zu träumen erlauben. Träumen ist keine Phantasterei, träumen bedeutet hinaufreichen, über den Horizont blicken, sich nicht von vermeintlichen Mauern einschränken zu lassen.

So etwas braucht es heute. Und deswegen hat Papst Franziskus ein Buch darüber geschrieben. Heute kommt es auf den Markt: „Wage zu Träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.” Es ist kein Ratgeber-Buch, kein seichter Ermutiger. Es ist ein Projekt, das Großes will.

Träumen ist keine Phantasterei

Das Träumen war immer schon wichtig für diesen Papst. „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln…“ schreibt er in Evangelii Gaudium (27). Traum ist ein Schritt zur Veränderung, zum Wandel. Traum ermöglicht. In den Augen des Papstes selbst da, wo wir das gar nicht mehr sehen. Deswegen ruft er zum Beispiel Obdachlosen zu „Hört nicht auf zu träumen!“ Das Träumen, von dem der Papst spricht, ist kein Rückzug. Kein in sich Kehren, keine Innerlichkeit. Es will zu konkretem Handeln führen.

Dieses Buch will träumen. Was aus diesem Papst aber keinen Traumtänzer macht, im Gegenteil. Träumen ist nicht etwa eine Abkehr vom Realismus. Es braucht einen geschärften und ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit, um träumen zu können. Und träumerisch-realistisch war auch schon die jüngste Enzyklika. Und so kommt auch der ins Buch. Manchmal holzschnittartig, immer aufrüttelnd, oft sehr persönlich.

Ein sehr persönliches Buch

Wie gesagt, es ist ein sehr persönliches Buch geworden, vielleicht das Persönlichste. Der Papst erzählt von eigenen Krisen, von Rückschlägen und seiner Krankheit und berichtet auch vom Frust, den er damals in Deutschland erlebt hat. Aber er berichtet auch von dem, was er etwa im Studium von Romano Guardini gelernt hat. Über den wollte er ja promovieren, woraus nichts wurde. Aber geprägt hat Guardini den Papst sehr: „Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst.“

An dieser Stelle werde ich sicherlich noch auf das Buch zurück kommen, zuerst aber vielleicht zwei Dinge. Erstens: es lohnt die Lektüre!

Aufbau gegen Widerstände

Und zweitens möchte ich einen Aufruf des Papstes heraus nehmen, den ich für bezeichnend halte: das Nehemia-Projekt. Der Papst spricht über den Propheten und das alttestamentliche Buch gleichen Namens, in dem es um den Wiederaufbau Jerusalems nach der Katastrophe geht. Um Aufbau auch gegen Widerstände von außen. Und um die Freude, die Stärke schenkt. Das ist das, was ihn an Nehemia beschäftigt und wo er Berührungspunkte zu seinem eigenen Traum-Wagnis sieht. Und so schreibt er:

„Jetzt ist der Augenblick für ein neues Nehemia-Projekt gekommen, einen neuen Humanismus, der die Aufbrüche von Geschwisterlichkeit nutzbar machen und der der Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen ein Ende setzen kann. Wir müssen wieder das Gefühl haben, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für andere haben“.

Und damit wären wir auch beim Anlass des Buches: wie kommen wir aus der Corona-Krise heraus? Was wollen wir danach aufbauen? Wie unsere Welt, in der so viel zusammen gebrochen sein wird, neu gestalten? Dass Papst Franziskus mit der Art und Weise, wir wir unsere Welt vor allem wirtschaftlich geordnet haben, nicht einverstanden ist, ist kein Geheimnis. Auch aus religiösen Gründen nicht. Aber während der Papst in der Vergangenheit eher allgemein gesprochen hatte, ist es nun eine sehr konkrete und weltweite Krise, für die er eine Perspektive entwickelt.

Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist, das ist das Mantra des Buchs. Und deswegen: „Wir brauchen die Fähigkeit der stillen Reflexion, Rückzugsorte von der Tyrannei des Dringenden.“ Wir brauchen die Fähigkeit zu träumen.

Was will der Papst mit seinem Buch?

Was will der Papst mit seinem Buch? Zunächst einmal nimmt er eine von ihm gewohnte Perspektive ein: Man sieht die Realität besser von ihren Schwachstellen aus, von der Peripherie. Das wird in der Krise besonders sichtbar. Nicht die Stärken bestimmen seinen Blick auf die Welt, sondern eben diese Schwächen.

Mit diesem Blick schaut er auf Covid, aber daneben zählt er auch die anderen Schwächen und Krisen der Welt auf, die im Augenblick in den Hintergrund gerückt sind, etwa fehlende Schulbildung für viele Kinder oder den Hunger. Seine Angst ist, dass wir alle hart daran arbeiten, den Zustand von vor der Krise wieder her zu stellen. Seine Angst ist es auch, dass das, was in der Krise sichtbar geworden ist, nachher wieder zugedeckt wird. Und so einsichtig das ist für Menschen, deren Existenz jetzt bedroht ist, so war das System von davor doch Teil des Problems. Deswegen sein Mantra: Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist. Es ist an uns, das zu gestalten.

Das Mantra des Papstes

Und genau darum geht es in dem Buch: gestalten. Die Gleichgültigkeit und das sich nicht zum Nachbarn und Schöpfung kümmern, das seien keine Optionen mehr. Leider sei unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Welt genau darauf aufgebaut. Und geschützt werde das von einer inneren Haltung, der – wie er es nennt – „abgeschlossenen Geisteshaltung“, der er eine großen Teil des Buches widmet. Es ist eben keine abstrakte Kritik am „System“, sondern konkret, für jede und jeden handhabbar. Wir können auf uns selber schauen, wenn es um die Überwindung der Krise geht. Und das ist sein Anliegen.

Nicht „man müsste mal“, sondern ganz praktische schauen auf sich selbst und die eigene Haltung und das eigene Herauskommen aus der Krise. Natürlich hat der Papst auch wieder Wirtschaftskritik im Gepäck, das Wachstums-Prinzip sei nicht länger haltbar. Er argumentiert auch für ein Gundeinkommen und hat andere konkrete Ideen. Aber der Kern ist dann doch das, was wir geistlich als „Umkehr“ bezeichnen.

Der „Feind der menschlichen Natur“

So ist der spannendste Teil des Buchs eben die spirituelle Anleitung. Er spricht vom „Feind der menschlichen Natur“, also von dem, was uns von uns selbst, vom Nächsten und von Gott entfernt und letztlich destruktiv ist. Er macht sichtbar, wie dieser „Feind“ agiert und unser Leben beeinflusst. Er bedient sich durchweg einer spirituellen Sprache, welche die Worte Versuchung, böser Geist, Geisteshaltung und Demut kennt.

Der Schlussakkord: Wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir die Idee zurück gewinnen, dass wir als Volk ein gemeinsames Ziel haben. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.

Das Ziel Gemeinwohl, das Ziel „träumen”

Gemeinwohl ist das Ziel, ausgedrückt in dem in unserer Sprache vielleicht etwas sperrig klingenden Wort „Volk“. Gemeinwohl ist viel mehr als die Summe des Wohls der Einzelnen. Und das ist ja aktuell, wie der Impfstoff-Nationalismus dieser Tage sehr deutlich zeigt.

„Indem wir diese Fragen stellen, öffnen wir uns für das Handeln des Geistes. Wir können beginnen zu unterscheiden, neue Möglichkeiten sehen, wenigstens in den kleinen Dingen um uns herum oder in den alltäglichen Dingen, die wir tun. Und indem wir uns diesen kleinen Dinge überlassen, beginnen wir, uns eine neue Weise des gemeinsamen Lebens vorzustellen, des Dienstes an unseren geliebten Mitgeschöpfen. Wir können anfangen, zu träumen.“

Was den Papst interessiert, sind nicht einzelne Rezepte, sondern der Prozess des Wandels. Es geht ihm religiös gesprochen um die Dynamik der Bekehrung. Um ein „Pilgern“, ein sich bewegen, ein nicht da stehen bleiben, wo man es vermeintlich behaglich eingerichtet hat und wohin man zurück will. Das geht aber nicht mehr,

Denn noch einmal: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Wir kommen nicht aus der Krise heraus, wie wir hinein gegangen sind. Es ist an uns, das zu gestalten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Aufbau, Buch, Corona, Covid, Gesellschaft, Krise, Papst Franziskus, Politik, War zu Träumen6 Kommentare zu Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Synodalität noch mal neu lernen

Veröffentlicht am 27. November 202024. November 2020
Der Synodale Weg holpert Erster Advent 2019: Pressekonferenz zum Stadt des Synodalen Weges mit Karin Kortmann (ZDK) und Kardinal Rheinhard Marx (damals Vorsitzender der DBK)

Er feiert seinen ersten Geburtstag: vor einem Jahr, am ersten Advent, hat die Kirche den Synodalen Weg begonnen. Zum Lösen der Knoten. Und bei aller Schwierigkeit sah es auch nach einem guten Start ins Leben aus. Bis dann Corona kam. Der Synodale Weg holpert seitdem, es ist nicht mehr so ganz klar, wie und vor allem wann es weiter geht. Die geplante zweite Vollversammlung musste ein erstes Mal verschoben werden, stattdessen gab es Regionalkonferenzen. Die zwar in der Geschäftsordnung oder Satzung nicht vorgesehen sind und deswegen keine Beschlusskompetenz haben, aber anders war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen nicht möglich.

Nun gibt es schon wieder eine Verschiebung, wieder ist Corona der Grund. Das Ersatz-Format ist anders, aber fest steht, dass wieder keine Abstimmungen formaler Natur stattfinden können. Wie gesagt, der Weg ist holperig geworden. Und der erste Geburtstag, der eigentlich sowas wie die Halbzeit einleiten sollte, lässt vermuten, dass das Ganze noch viel länger dauern wird.

Der Synodale Weg holpert

Dabei ist es aber nicht so, also ob im vergangenen Jahr nichts geschehen sei. Da ist schon ziemlich viel Wegstrecke zurück gelegt worden, positiv wie auch negativ. Negativ, weil sich immer mehr mehr Menschen abwenden von „ihrer“ Kirche. Das wird auch di Synodalität nicht auf einen Schlag wieder gut machen können.

Weiter gekommen sind wir in der Debatte um den Missbrauch, so schräg das gerade in diesen Tagen auch klingen mag. Was ich damit meine: vor einem Jahr gab es noch den konzertierten Versuch, den Auslöser des Prozesses, die MHG-Studie, zu deletimieren. Und damit den Synodalen Weg auch. Gerade die traurigen Ereignisse um die Kölner Studie und den Umgang damit haben aber sehr deutlich gemacht, dass der Missbrauch und die damit zusammenhängenden Phänomene in den Prozess hinein gehören. Wir können kein Forum „Macht in der Kirche“ machen, ohne über den Missbrauch von Macht zu sprechen.

Nicht nur Text

Weiter gekommen sind wir auch als geistlicher Prozess. Wobei gerade hier – in meinen Augen – die größte Gefahr für den Synodalen Weg lauert. Wenn wir diese Dimension nicht für voll nehmen und nur Texte verabschieden wollen, dann passiert gar nichts. Weswegen die Bischöfe sich auch klar in ihrer Vollversammlung dahinter gestellt haben, die Laien im ZDK haben den Synodalen Weg und damit diese Frage gar nicht besprochen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Abschluss der DBK Herbstvollversammlung hat Bischof Georg Bätzing die Debatte der Bischöfe zusammen gefasst und gesagt: „Das Evangelium so in den Mittelpunkt des synodalen Weges stellen, dass es ein geistlicher Weg wird.“ Und später: „Viele Bischöfe wünschen sich, dass die beiden geistlichen Begleiter noch viel pro-aktiver werden.“ Sie sollen nicht ‚Gebetsanimateure‘ sein, sondern „darauf achten, dass wir miteinander auf einem geistlichen Fundament unterwegs sind. Da wünschen wir uns auch mehr Interventionen, wenn die Wahrnehmung da ist, hier gleitet etwas vielleicht ab“.

„Hier gleitet etwas vielleicht ab”

Mir scheint, dass sich unter dem Begriff „geistlicher Prozess“ verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen versammeln. Auch sind die geistlichen Elemente, wie wir sie vorbereitet hatten, teilweise zum Ort des Streits geworden, etwa wenn Leute den Raum verlassen oder gar nicht erst zur gemeinsamen Messe kommen. Aber trotzdem ist das ein Fortschritt, weil darüber gesprochen wird.

Nur kurz möchte ich hinweisen auf die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema, sei es bei Tagungen oder auch in Fachzeitschriften. Auch das bringt uns weiter.

Jetzt also wieder eine Verschiebung. Schon aus der ersten haben wir gelernt, wir brauchen das Risiko zur Offenheit und dürfen uns nicht durch das Format vor der Realität verbergen.

Das Präsidium möchte – richtigerweise, wie ich finde – aus der Not der erneuten Verschiebung eine Tugend machen: Das sei eine „Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat“, heißt es in dem Brief an die Mitglieder des Synodalen Wegs. Das ist schon auch ein geistlicher Schritt: sich nicht an Formate festklammern.

Der Weg ist halt anders, als wir gedacht hatten.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Kirche, Missbrauch, synodaler Weg10 Kommentare zu Synodalität noch mal neu lernen

Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

Veröffentlicht am 24. November 202023. November 2020
Papstbuch zu Corona Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand? Die italienische Zeitung La Repubblica vom Montag

Krisen lösen etwas aus. Und wenn wir aufmerksam sind, dann können wir aus ihnen etwas lernen. So in etwa die Kurzversion von den ersten Gedanken aus dem kommende Woche erscheinenden Papstbuch zu Corona. Gestern – Montag – gab es einen ersten Vorabdruck in der italienischen Tageszeitung La Repubblica.

Die Aufmachung ist schon mal dramatisch: „Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand?“ titelt die Zeitung. Und auch wenn es nicht wirklich der Zielrichtung des Buches entspricht sondern eher dem Verkaufswillen der Herausgeber, so macht das doch eines klar: es geht um viel.

Papstbuch zu Corona

Franziskus berichtet sehr persönlich über eigene Krisen, über die Krankheit seiner Jugend zum Beispiel. Aber auch über die Entwurzelung, die er in Deutschland erlebt hat. Alles Krisen, die ihn haben nachdenken lassen. Und das sei bei Covid genauso. Die Krise kann uns zum Beobachten und Nachdenken bringen. Dazu will das Papstbuch jedenfalls anregen, dazu mehr, wenn es auf dem Markt ist. Wen das jetzt schon interessiert, können Sie hier schon mehr lesen.

Aber ohne dem Papst zu nahe zu treten: wir können uns unsere eigenen Gedanken machen. Die Debatten der ersten Welle zu Gottesdiensten und Seelsorge etwa können wir nun mit unserer Erfahrung noch einmal führen, in Österreich noch dringender als in Deutschland. Drei Punkte möchte ich nennen, die wir da wichtig erscheinen.

Nicht kritiklos

Erstens: Verantwortlichkeit, aber nicht kritiklos. Die meisten Christinnen und Christen handeln verantwortlich, auch was Gottesdienste und etwa Besuche im Krankenhaus angeht. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit Kritiklosigkeit. Demokratisch geführte Debatten sind zunehmend wichtig. Ein Beispiel: Der Theologe Jan Heiner Tück kritisiert die Entscheidung der Bischöfe Österreichs, das Aussetzen von Gottesdiensten mitzumachen. Das hebelt die Verantwortlichkeit nicht aus, belebt aber die Debatte.

Zweitens: aus der ersten Welle lernen. Wir haben im Sommer emotional wohl die falschen Schlüsse gezogen: es sei vorbei. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Mein Kopf war auf eine zweite Welle vorbereitet, aber innerlich gab es da doch die Haltung, dass das jetzt doch wohl vorbei sei. War es aber nicht. Vor allem was die Notwendigkeit sozialer Kontakte angeht, haben wir lernen können. Alte Menschen, Alleinerziehende, Kinder, das kann man nicht einfach abschalten. Auch der Primat der Wirtschaft gilt nicht mehr so unausgesprochen selbststündlich, so hart das für die Betroffenen auch ist.

Drittens: über den Tellerrand hinaus blicken. Hier finde ich wird es spannend. Auch wenn jetzt alle mächtigen Länder davon sprechen, den entwickelten und produzierten Impfstoff gerecht zu verteilen – mit der selbstverständlichen Ausnahme von Präsident Trump – wird sich in der Praxis zeigen, ob unsere Gesellschaften dazu wirklich den Mumm haben. Und ob wir dazu wirklich groß genug denken und fühlen.

Über den Tellerrand hinaus

Vor allem Letzteres wird dem Papst wichtig sein. Man muss nicht in die Glaskugel schauen um zu wissen, was Franziskus besonders am Herzen liegt. Und das sieht er auch in der von Corona verursachten Krise. Es benutzt die Krise nicht für seine Themen, aber er sieht in der Krise Anzeichen, dass wir ein Umdenken brauchen. In der Wirtschaft. In der Gesellschaft. Zwischen uns. In uns.

Seien wir gespannt auf die Lektüre.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Rom, VatikanSchlagwörter Buch, Corona, Covid, Papst Franiskus11 Kommentare zu Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Veröffentlicht am 19. November 202018. November 2020
Die Opfer stören Keine Angst haben davor, was das vielleicht mt der Kirche macht.

„Die Opfer stören.“ Es ist ein Satz von vielen aus einem Kommentar von vielen zu den jüngsten Berichten vom Umgang mit Missbrauch: Aachen, Köln, McCarrick. „Die Opfer stören“, dieser Satz beschreibt eine Unruhe, die immer noch, auch nach all den Jahren, die Debatte um Missbrauch und den Umgang damit bezeichnet: auch jetzt noch geht es zu sehr um Täter, um System, um Ruhe.

Vor einigen Jahren habe ich mal davor gewarnt, dass Kirche sich nicht „in die Prävention“ flüchten darf. Die Aufarbeitung darf nicht zu kurz kommen, und dazu muss man, müssen wir zuhören. Auch und weil es stört. Das Gleiche gilt nun von den Berichten und Studien: wir müssen weiter die Haltung des Hörens üben. Üben, weil wir das offensichtlich noch nicht können.

Die Opfer stören

Vorsicht, das Ganze darf nun aber nicht – schon wieder – im Appell verhallen. Hören hat Folgen, das wissen wir mindestens aus der Bibel. Und denen zuhören, die von Macht und deren Missbrauch in der Kirche erzählen, muss für uns Folgen haben. Appelle reichen also nicht, ohne Konsequenzen wird das hohl.

„»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit« (1 Kor 12,26). Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben.“ Bei diesen Worten von Papst Franziskus frage ich mich unwillkürlich, ob das stimmt. Leiden wir mit? Nicht in dem Sinn, dass wir nun die Opfer und Überlebenden bevormunden, weil wir anderen ja auch leiden. Aber in dem Sinn, dass eben auch wir beteiligt sind. Jeder und jede von uns in der Kirche.

Dröhnende Ideologien

„Die Wunden „verjähren nie“.”, so der Papst weiter. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“ Mit Entsetzen habe ich deswegen die vielen Kommentare hier im Blog gelesen, die meinen, die Verbrechen ideologisch umdeuten zu müssen. Sie haben die Kommentare nicht gelesen, weil ich es als meine Aufgabe als Moderator betrachte, die Lautstärke dieser Stimmen herunter zu regeln. Die überdröhnt die Stimme der Opfer oder Überlebenden, oder versucht es zumindest. Zum Schweigen bringen, wie der Papst sagt.

Das Hören ist für uns als Glaubensgemeinschaft wesentlich: wir sind nicht alleine Christinnen und Christen, und wir werden auch nicht alleine erlöst. „Gott wollte in eine soziale Dynamik eintreten“, sagt der Papst, wir gehören dazu. Nicht hören zu wollen oder die Verantwortung an einige wenige zu delegieren, ist nicht zuletzt auch religiös und theologisch falsch.

Keine geistliche Verharmlosung

Der Papst empfiehlt deswegen auch genuin religiöse Rezepte: Buße und Gebet. Nicht, um die Debatte ins Fromme zu verlegen, nicht um das Ganze geistlich zu verharmlosen. Sondern weil „Buße und das Gebet helfen, unsere Augen und unser Herz für das Leiden der anderen zu schärfen und die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen, die so oft die Wurzel dieser Übel sind.“ Herrschen und Besitzen, also die Kontrolle haben, das wird uns genommen, wenn wir im Geist der Buße und des Gebets hören.

Ärger, Wut und Frust über die Täter, das Vertuschung-System, über Päpste und Bischöfe, über den Klerikalismus und all das andere sind wichtig und haben ihren Ort. Aber weiter vorne muss das Hören stehen, das Hören auf die die stören. Weil nur von dort her die Perspektive stimmt.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, RomSchlagwörter Bistum Aachen, Erzbistum Köln, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Vatikan13 Kommentare zu »Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Uns fehlt die Utopie

Veröffentlicht am 16. November 202012. November 2020
Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs Mehr als nur Realität: Der Himmel über Berlin

Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland: zu diesem Titel hatten mich die Dominikaner eingeladen, einen Artikel zu schreiben. Auf den ich an dieser Stelle gerne hinweisen möchte.

Früher gab es den Traum vom Zurück zur Urkirche, jetzt sind wir mit Blick auf Austrittszahlen zaghaft geworden. Und auch die Unglückspropheten um den Synodalen Weg herum sind klein gedacht und streng an der Gegenwart ausgerichtet. Und für die hatte eigentlich schon Papst Johannes XXIII. klare Worte: „weder genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil“ bescheinigte er ihnen.

Utopien und Dystopien im Rahmen des Synodalen Wegs

Dabei wäre die literarische Form der Utopie wichtig. Jesu Worte über seine Kirche, „bei euch soll es nicht so sein“, „liebet einander“, und natürlich der Sendungsauftrag haben durchaus utopische Züge. Auch die Apostelgeschichte kennt eine Ur-Gemeinde, die in unseren Ohren utopisch klingt: Alle hatten alles gemeinsam und waren „ein Herz und eine Seele“. Das alles ist nicht gerade eine Beschreibung der Kirche der Gegenwart, es ist aber eine Utopie, unsere Utopie, die Kirche anleiten soll.

Utopien – positiv wie negativ – brauchen ja keinen Regeln zu gehorchen. Realismus ist ihnen von ihrer literarischen Natur aus fremd. Utopien denken über die Wirklichkeit hinaus und schaffen neue Welten. Sie wollen das „immer weiter so wie es ist“ zertrümmern, sie drücken Sehnsucht und Angst aus. Sie entziehen sich jeder Form von Kontrolle.

Radikale Ideen

Radikale Ideen aber – ganz gleich ob sie sich in positive oder negative Form kleiden – lassen Weite entstehen. Es sind nicht Orte des Realen, sondern wie die Übersetzung des Wortes schon zeigt, Nicht-Orte. Sie sind ambivalente Orte. Und als solche handeln sie von Phantasie, nicht von Realismus und Ordnung.

Diese die Selbstverständlichkeiten unserer Kirche durchbrechenden Narrative vermisse ich im synodalen Weg. Natürlich muss zum Schuss oder auch nur als mittlere Perspektive Realisierbares dabei heraus kommen. Trotzdem braucht es die kritische Dimension des Utopischen. Utopie darf nicht in falschem Optimismus die Augen verkleben und Dystopie nicht kleinmachende Angst erzeugen.

Was es mit dem Roman „Katholiken“ und dem Synodalen Weg zu tun hat, das steht im vollständigen Text im Heft „Wort und Antwort“.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Zweites Vatikanisches KonzilSchlagwörter Artikel, Dominikaner, synodaler Weg, Utopie13 Kommentare zu Uns fehlt die Utopie

Politikverbot ist Machtspiel

Veröffentlicht am 9. November 20208. November 2020
Der Papst beteiligt sich an der Debatte Kreuzskulptur

Kirche und Politik, das kann ja nicht gut gehen. Die jüngste Enzyklika des Papstes war der wohl politischste Text, der aus dem Vatikan gekommen ist. Und das in einer Zeit, in der Politik und Vernunft unter Beschuss stehen. Der Papst beteiligt sich an der Debatte, was aber den eigenen Leuten nicht Recht ist.

Er wolle aus der Kirche eine Hilfsorganisation machen, eine NGO, lautet der Vorwurf. Dass Franziskus quasi seit Amtsantritt immer wieder sagt, dass er genau das nicht will, zählt nicht. Kirche, und vor allem Vatikan, soll sich bitte raus halten. Warum ist das so? Warum haben einige Kreise in der Kirche etwas dagegen, wenn der Papst sich in diese Richtung äußert? Und was für Wirkungen hat das?

Der Papst beteiligt sich an der Debatte

Der Vorwurf lautet vor allem, dass der Papst eine „linke“ Agenda habe. Wenn man sich das genauer anschaut, dann ist der Papst tatsächlich „staatsgläubig“, er glaubt, dass es Institutionen braucht, um Recht abzusichern. Er ist aber nicht – und hier ist die Wurzel der Kritik – wirtschaftsgläubig.

Ist das schon links?

Der Papst will Verantwortung nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft. Er vertritt nicht eine Individualethik, wo jeder sich vor sich selbst rechtfertigen muss. Sondern auch eine gesellschaftliche Ethik, wo Nationen und Gesellschaften Verantwortung übernehmen müssen.

Ist das schon links?

„Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. … Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

Ist das links? Das Zitat stammt übrigens aus der Rede von Benedikt XVI. vor dem Bundestag im September 2011. War das links?

Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit

Der Kern der Kritik am Papst und der Angeblichen Verwandlung der Kirche in eine NGO ist aber noch ein anderer. Es ist der Versuch, den Papst zu delegitimieren. Die Aufforderung, sich aus Politik heraus zu halten, ist nichts anderes als der Versuch, die Debatte zu monopolisieren.

Fragen nach Gerechtigkeit und Gleichheit, Schöpfung und dem Leben sollen auf keinen Fall von einer kirchlichen Autorität besprochen werden. Das wollen die Mächtigen der Welt schön unter sich ausmachen.

Die Mächtigen unter sich

Und wenn man sich ansieht, aus welchen Ecken diese Kritik gefüttert wird, dann stellt man schnell fest, dass es die Besitzbürger sind, die hier den Papst zu delegitimieren suchen.

Das Politikverbot für den Papst ist selber ein Machtspiel. Und zwar auf Kosten derer, die keine Anteile an der Debatte haben. Die erst noch beteiligt werden müssen und wollen. Die will man heraus drängen oder heraus halten.

Man darf, kann und soll die einzelnen Thesen debattieren und kritisieren. Das ist selbst schon politisches Tun. Aber wenn wir hören oder lesen, dass sich Bitteschön jemand nicht an einer Debatte beteiligen darf, dann sollten wir sehr vorsichtig sein.

Der Papst stellt Macht und deren Legitimierung und Organisation in Frage. Und nie war das so wichtig wie heute.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und VernunftSchlagwörter Ethik, Gesellschaft, Kirche, Moral, NGO, Papst Franziskus, PolitikSchreiben Sie einen Kommentar zu Politikverbot ist Machtspiel

Die Antwort auf die Mörder

Veröffentlicht am 5. November 20205. November 2020
Meinen Hass bekommt ihr nicht! Wien: Die Kirche und ihre Sichtbarkeit

„Meinen Hass bekommt ihr nicht!“: diese Antwort war oft zu hören in den vergangenen Tagen, nach den Anschlägen von Paris und zuletzt in Wien. Da kommen Terroristen mit Waffen und Hass und wollen der Gesellschaft diesen Hass aufdrücken, durch Angst und Gewalt. Aber genau das verweigert man ihnen.

Es gibt aber auch die anderen Antworten, den Typ Antwort der selber auf Formen von Gewalt zurück greift, von Gegengewalt, wie er sich gibt. Auch hier zum Blog gab es einige sehr hässliche Wortmeldungen, die zwar laut auftraten, letztlich aber nur ängstlich waren.

Meinen Hass bekommt ihr nicht!

Letztere konzentrieren sich vor allem auf das „islamistisch“ in der Motivation der Täter. Radikalisierte Religion, ideologisch aufgeladene Gewalt, dieser sozial-religiöse Bereich wird mit einer ganzen Religion gleich gesetzt und zur Stärkung der eigenen, vermeintlichen Identität genutzt.

Was auch immer da dran ist: da müssen die Religionen auf den Plan. Und es gab eine ganze Reihe von Stellungnahmen dazu, auch wenn die vielleicht nicht immer gleich medial wahrgenommen wurden. Ein Zeichen, dass die vielleicht nicht mehr reichen. Dass man die schon oft gehört hat und dass man sich eine klarere Aussage wünschen würde.

Antwort der Religionen

Aber was kann das sein? Wir kann und soll Religion, wie soll der glaubende Mensch reagieren? Jedenfalls nicht nur durch das Aufsagen von Selbstverständlichem: Solidarität, Nächstenliebe, Hand reichen. Das ist wichtig, aber in dem Augenblick vielleicht nicht angebracht.

„Unser christlicher Glaube, der uns zum Gebet für unsere Feinde animiert, verbietet nicht die Tränen die Unruhe und die Wut“, zitieren Zeitungen den Internet-aktiven Priester Pierre-Hervé Grosjean, der damit die innere Unruhe nach Paris beschreibt. Das ist wichtig: die bekommen zwar nicht unseren Hass, aber Tränen, Unruhe, Wut, die sind ja da.

Die Gewalt macht uns alle kollektiv zu Schwachen. Die Waffen schreien uns an, unsere Gesellschaft fühle sich vielleicht überlegen, habe aber so einer einfachen Sache wie einer Pistole oder einem Messer nichts entgegen zu setzen. So brüchig sei das alles. Deswegen muss aus der Unruhe, aus der Wut und noch mit den Tränen auch ein „Nein“ kommen. Nein, wir sind nicht schwach. In unserer Kultur setzt sich nur halt nicht der mit der größten Waffe durch, der mit dem Willen zu töten. Sondern anderes. Und dieses andere, das müssen wir, auch und vielleicht besonders als Gläubige, jetzt sicher machen.

Tränen Unruhe Wut

Und wenn man genauer hinschaut, dann hat das in der Vergangenheit funktioniert: früher nannte man solche Gewalttäter „Märtyrer“. Dann wurde immer und immer wieder darauf hingewiesen, dass Märtyrer „Zeuge“ bedeutet, Zeuge für den eigenen Glauben, und dass die Täter genau das wollen. Also hat man es ihnen weggenommen. Heute benutzt kaum noch wer dieser Wort für die Mörder, und das ist richtig so. Hier hat ein Wandel stattgefunden.

Oder schauen wir auf #SayTheirNames, das Nennen der Namen der Opfer. Nach dem Anschlag von Hanau hatte das zum ersten Mal wirklich Wirkung: Anstatt uns vom Mörder hypnotisieren zu lassen und alle Aufmerksamkeit auf ihn zu richten – was er ja will – schauen wir auf die Menschen, die es betrifft. Und nehmen der Gewalt etwas von ihrer zersetzenden Wirkung.

Sichtbar machen

Sichtbar machen, das ist jetzt unsere Antwort. Verweigern wir den Tätern die Religion als Motiv. Nennen wir es Hass. Verweigern wir den Mördern die Aufmerksamkeit, die sie so dringend brauchen. Und schenken wir sie denen, gegen die sie sich wendet.

Und Religion muss immer und immer wieder deutlich sagen, warum es geht. Und die Religionen müssen es gemeinsam tun, wie vor eineinhalb Jahren etwa international vorgemacht.

„Wir erklären mit Festigkeit, dass die Religionen niemals zum Krieg aufwiegeln und keine Gefühle des Hasses, der Feindseligkeit, des Extremismus wecken und auch nicht zur Gewalt oder zum Blutvergießen auffordern… Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren.“

Dafür steht Religion. Auch öffentlich. Und stärker wird sein und bleiben, wer sich für unsere plurale, heterogene Gesellschaft einsetzt und die Rolle von Religion in ihr schützt. Religion steht für Mündigkeit, für Reife, für Zweifel und Suche. Nicht für blindes Folgen.

Wir stehen für Dialog, für das Ausloten des Gemeinsamen auch zwischen den Religionen.

Wir stehen für den Glauben an einen Gott, den wir den Barmherzigen nennen. Den Schöpfer und den Gott, der Leben gibt.

Machen wir genau das schichtbar. Lassen wir uns von Mördern nicht in die Ecke drängen. Sie sollen unseren Hass nicht bekommen. Tränen, Wut, das ja, aber dann wird der Glaube eben nicht mit Gegengewalt reagieren. Sondern mit der Sichtbarmachung dessen, was die Mörder uns nehmen wollen. Barmherzigkeit. Solidarität. Dialog. Geschwisterlichkeit.

 

Kategorien Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, Neulich im InternetSchlagwörter Anschlag, Gewalt, Islamismus, Paris, Religion, Wien14 Kommentare zu Die Antwort auf die Mörder

Corona: Man schnappt sich die Freiheit, die sich halt bietet

Veröffentlicht am 3. November 20202. November 2020
Kein Gottesdienst Theresienwiese, München Foto (c) Andreas Bohnenstengel

Ein Jürgen Fliege macht noch keinen Gottesdienst. Auch wenn Grabkerzen am Allerheiligenfest angezündet und der vielen Verstorbenen gedacht wird, muss das noch kein Gottesdienst sein. Zum Beispiel der Event auf der Theresienwiese. Auch wenn da gebetet wurde: alles nur Show.

Es war eine „Querdenker“-Demo gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Und weil zu viele Leute da waren, nannte deren Rechtsanwalt das kurzerhand nicht mehr Demo, sondern Gottesdienst. Denn dann hätten die Zahlen-Beschränkungen nicht gegolten.

Kein Gottesdienst

Alles nur üble Show. Liturgie und Gottesdienst ist was anderes. Und alles was Rang und Namen hat, nennt das auch eine Farce. Oder nutzt andere Worte. Auch wenn ich selber ein erklärter Freund gesellschaftlichen Engagements der Kirche bin: das da am Allerheiligenfest war Missbrauch von Religion.

Darauf könnten wir es beruhen lassen. Wenn die Stadt die Demonstranten nicht hätte gewähren lassen. Erst einmal jedenfalls. Auch wenn die Presseberichte danach von nicht eingehaltenem Schutzkonzept berichten, das es ja auch für Gottesdienste hätte geben müssen.

Der Schmutz der Theresienwiese

Wie zynisch muss man eigentlich sein, die angeblichen Freiheiten dadurch verteidigen zu wollen, indem man genau diese verrät? Zur Freiheit gehört auch die Freiheit der Religionsausübung, und genau die wurde hier in den Schmutz der herbstlichen Theresienwiese gezogen.

Alle vernünftigen Kräfte des Landes, der Kirchen und der Stadt München sind sich in ihrer Einschätzung einig. Warum als noch aufregen?

Weil es Anmaßung ist. Und das braucht Widerspruch. Sonst sickert das ein, wird jedes Mal ein Stück normaler und plötzlich haben wir die Freiheit der Religionsausübung ausgehöhlt. Nicht von angeblichen Diktatoren, sondern von selberklärten Freiheitsanwälten.

Liebe Quer“denker“, ihr dürft ja gerne jede Meinung haben, auch ohne Ahnung, aber bitte gefährdet nicht andere damit. Und auch nicht die Freiheiten, die ihr angeblich zu verteidigen gekommen seid.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Demo, Kirche, München, Querdenker6 Kommentare zu Corona: Man schnappt sich die Freiheit, die sich halt bietet

Den Blick auf Jesus nicht verstellen

Veröffentlicht am 30. Oktober 202030. Oktober 2020
Klerikalismus in der Liturgie Ort des Geschehens, Ort der Inszenierung

„Wo Gott kein Fest mehr wird, hat er aufgehört, Alltag zu sein“: ein Satz von Kurt Marti, der zur Zeit an meinem Rechner klebt. Der passt zu einer Tagung, an der ich – online – in den vergangenen Tagen teilgenommen habe. „Gottesdienst und Macht“ war diese untertitelt, der Untertitel „Klerikalismus in der Liturgie“ gab die Richtung an.

Es ging um Macht. Um Vollmacht, Autorität, um Zugang und Ausübung von Macht in der Liturgie. Und spätestens seit der MHG-Studie wissen wir, dass wir dringend über Macht und deren Missbruch sprechen müssen. Auch in der Liturgie, wie Bischof Ackermann zur Begrüßung sagte.

Klerikalismus in der Liturgie

Den Vorträgen und Debatten bin ich natürlich auch als Priester gefolgt. Auch mir stellt sich ja die Frage, wie ich selber auftrete, handle, Vollmacht als Priester ausübe. Es war also auch eine kleine Gewissens- und Praxis-Prüfung für mich. Außerdem ist Liturgie ja kirchlich kein harmloses Thema, mindestens die Debatte um die außerordentliche Form des Ritus zeigt das immer wieder.

Nun gab es bei der Debatte und der Tagung zwei verschiedene Kritiken an Amt und Macht: zum einen den Klerikalismus. Also nicht im Dienst an Gottesdienst und Gemeinde zu handeln, sondern für sich selbst. Oder auch: die Differenz zum eigenen Profil zu machen. Daneben gab es aber auch grundsätzliche Kritik: die Weise, wie theologisch und liturgisch Amt und Dienst begründet und gestaltet würden, sei nicht sachgerecht.

Nun mag ich die ganzen Debatten hier nicht nachzeichnen, sie ist ja auch noch nicht vorbei und wird mindestens im Synodalen Weg auch weiter geführt.

Glaube ist Fest

Mir geht es hier eher um den Satz vom Eingang. Diesen Charakter von Liturgie, also das Fest, darf das zeichenhafte Handeln nicht verdecken. Fest meint jetzt nicht gute Laune und so, sondern eine Sondersituation, die eben nicht Alltag ist. Im Fest sind die Dinge anders als im Alltag.

Dem steht aber nicht nur Klerikalismus entgegen. Wenn ich im Winter in der Kirche sitze und um mich herum die Menschen in Mänteln in Sitzbänke einsortiert sind, dann frage ich mich schon, ob das noch irgendwas mit Fest zu tun hat.

Wir müssen uns wieder um das Fest kümmern, um die Ausgestaltung und um das, was dem entgegen steht. Das Sprechen über und dann das Gestalten von Liturgie ist eine Quelle von Erneuerung. Wenn wir uns zum Ziel setzen, den Blick auf Jesus nicht zu verbauen. Es gibt Amt und Regeln, es gibt das allgemeine Priestertum und das geweihte Priestertum. Es gibt eine Vielfalt von Liturgien, zu denen vielleicht auch noch neue kommen können. Die Corona-Zeit ermöglicht vielleicht Kreativität aus Not.

All das will belebt sein. Theologisch, aber auch praktisch. Ohne da wird das nichts mit der Umkehr der Kirche und der Ausrichtung auf Verkündigung.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Glaube, Kirche, Klerikalismus, Liturgie3 Kommentare zu Den Blick auf Jesus nicht verstellen

Beitrags-Navigation

Ältere Beiträge

Links

  • Helfen Sie meinem Blog
  • Radio Vatikan
  • RV-Newsletter bestellen

Neueste Beiträge

  • Endlich frei! Aber ist das eine gute Nachricht?
  • Die Tücken des Geistlichen: Zum Synodalen Weg
  • Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt
  • In den USA sind wir nicht nur Zuschauer

Kategorien

  • Allgemein
  • Benedikt XVI.
  • Bischofssynode
  • Die deutschsprachige Kirche
  • Franziskus
  • Geschichte
  • Glaube und Gerechtigkeit
  • Glaube und Vernunft
  • Interview
  • Kirche und Medien
  • Kunst, Kultur und Können
  • Neulich im Internet
  • Ökumene
  • Papstreise
  • Rom
  • Spiritualität / Geistliches Leben
  • Sprechen von Gott
  • Vatikan
  • Zweites Vatikanisches Konzil

Artikelarchiv

  • Januar 2021
  • Dezember 2020
  • November 2020
  • Oktober 2020
  • September 2020
  • August 2020
  • Juli 2020
  • Juni 2020
  • Mai 2020
  • April 2020
  • März 2020
  • Februar 2020
  • Januar 2020
  • Dezember 2019
  • November 2019
  • Oktober 2019
  • September 2019
  • August 2019
  • Juli 2019
  • Juni 2019
  • Mai 2019
  • April 2019
  • März 2019
  • Februar 2019
  • Januar 2019
  • Dezember 2018
  • November 2018
  • Oktober 2018
  • September 2018
  • Juli 2018
  • Juni 2018
  • Mai 2018
  • April 2018
  • März 2018
  • Februar 2018
  • Januar 2018
  • Dezember 2017
  • November 2017
  • Oktober 2017
  • September 2017
  • August 2017
  • Juli 2017
  • Juni 2017
  • Mai 2017
  • April 2017
  • März 2017
  • Februar 2017
  • Januar 2017
  • Dezember 2016
  • November 2016
  • Oktober 2016
  • September 2016
  • August 2016
  • Juli 2016
  • Juni 2016
  • Mai 2016
  • April 2016
  • März 2016
  • Februar 2016
  • Januar 2016
  • Dezember 2015
  • November 2015
  • Oktober 2015
  • September 2015
  • August 2015
  • Juli 2015
  • Juni 2015
  • Mai 2015
  • April 2015
  • März 2015
  • Februar 2015
  • Januar 2015
  • Dezember 2014
  • November 2014
  • Oktober 2014
  • September 2014
  • August 2014
  • Juli 2014
  • Juni 2014
  • Mai 2014
  • April 2014
  • März 2014
  • Februar 2014
  • Januar 2014
  • Dezember 2013
  • November 2013
  • Oktober 2013
  • September 2013
  • August 2013
  • Juli 2013
  • Juni 2013
  • Mai 2013
  • April 2013
  • März 2013
  • Februar 2013
  • Januar 2013
  • Dezember 2012
  • November 2012
  • Oktober 2012
  • September 2012
  • August 2012
  • Juli 2012
  • Juni 2012
  • Mai 2012
  • April 2012
  • März 2012
  • Februar 2012
  • Januar 2012
  • Dezember 2011
  • November 2011
  • Oktober 2011
  • September 2011
  • August 2011
  • Mai 2011

Schlagwörter

Barmherzigkeit Benedikt XVI. Bischofssynode Deutschland Deutschlandreise Dialog Evangelii Gaudium Familie Flüchtlinge Franziskus Frieden Gebet Generalaudienz Gesellschaft Glaube Glauben Gott Internet Jahr des Glaubens Jesus Kirche Kommunikation Kuba Liturgie Medien Missbrauch Neuevangelisierung Papst Papst Franziskus Papstreise Politik Predigt Radio Vatikan Reform Religion Rom Sommerreise Spiritualität synodaler Weg Synode Theologie Vatikan Verkündigung Öffentlichkeit Ökumene
  • paterberndhagenkord.blog
  • Kontakt / Impressum
  • Datenschutzerklärung
Der Blog von Pater Bernd Hagenkord   |   2011 bis 2021
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.OKNeinDatenschutzerklärung