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Schlagwort: Politik

Verantwortungsgemeinschaft

Veröffentlicht am 1. September 201931. August 2019
weltweite Verantwortung Ruinierter Regenwald in Brasilien: wer trifft Entscheidungen?

Der Urwald brennt. Seit Wochen nun sind Brasilien und seine Nachbarländer in den Schlagzeilen, weil „unsere“ Lunge, die Lunge des Planeten, Opfer verheerender und menschlich verschuldeter Brände ist. Außerdem brennt die Arktis, das Great Barrier Reef vor Australien ist in üblem Zustand und dem Rest des Planeten geht es auch nicht sonderlich gut, die Erwärmung wird messbar. Also braucht es weltweite Verantwortung. Das sei zu viel für nur einen Staat, da müssen alle ran.

Gesehen jetzt erst wieder in Biarritz in der vergangenen Woche, Frankreichs Präsident Macron hat relativ deutlich gemacht, dass der Rest der Welt mitreden will, wenn es um Amazonien geht. Die Medien haben applaudiert, bis hin zur Forderung, wirtschaftlichen Druck zu nutzen. Um Gutes zu tun.

Weltweite Verantwortung

Dahinter liegt die Idee, dass Amazonien und der Regenwald zu wichtig sind, um sie nur einem Staat zu überlassen. Wir alle hängen davon ab, so das Argument. Also müssen wir alle Verantwortung übernehmen. Was Code ist für mit entscheiden wollen.

Und da sind wir dann auch bei der Kritik. In Brasilien heißt es, Präsident Macron wolle doch nur seine eigene Landwirtschaft gegen brasilianische Konkurrenz schützen. Außerdem habe das Einflussnehmen von außen einen neo-kolonialen Touch, um es vorsichtig zu sagen.

Neo-kolonial

Etwas weiter gefasst gibt es in Brasilien die politische Ur-Angst, dass die Weltgemeinschaft dem Land das Amazonasgebiet wegnehmen wolle. Ein Stichwort dazu gibt es auch schon: „AAA“ – „Andes – Amazonas – Atlántico“.

Die Kirche hat sich sehr deutlich gegen Versuche der Internationalisierung gestellt. Wie bitte? Dagegen? Jawohl, dagegen. Weltweite Verantwortung à la Macron ist ja gut und schön, aber eben auch nicht neutral. 2007 haben sich die Bischöfe Lateinamerikas getroffen und ein Dokument veröffentlicht, darin steht Folgendes zu lesen:

„Der zunehmend aggressive Umgang mit der Umwelt kann als Vorwand für Ideen benutzt werden, das Amazonasgebiet zu internationalisieren: Solche Ideen nützen einzig und allein den ökonomischen Interessen der transnationalen Unternehmen. Die Gesellschaft im gesamten Amazonasgebiet besteht aus vielen Ethnien, Kulturen und Religionen. In ihr wird immer heftiger um die Besetzung der Territorien gestritten. Die traditionalen Völker der Region fordern, dass ihre Territorien anerkannt und legalisiert werden.“ (Dokument von Aparecida, Nr. 86).

Cui bono

Cui bono ist die alte Frage: wem nützt es? Internationalisierungen haben bislang immer den großen Interessen genützt, dem Geld, dem Einfluss, den Starken. Jetzt nach der internationalen Verantwortungsgemeinschaft zu rufen ist etwas naiv, schauen wir auf Syrien, schauen wir auf den Jemen, schauen wir auf die anderen Umweltdesaster.

Zu glauben, das würde gerade jetzt anders, spricht menschlicher Erfahrung Hohn. Aus den Worten der Bischöfe spricht die bittere Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Aber sie machen auch einen zweiten Schritt. Denn auch die nationale Regierung Brasiliens hat Unrecht. Sie handelt nämlich genauso neo-kolonial wie sie es Europa vorwirft. Sie enteignet, vertreibt und zerstört, was nicht ihnen gehört.

Bittere Erfahrungen

Die Bischöfe weisen auf die vielen Ethnien hin, die dort leben. Ihnen gehört das Gebiet, es ist ihr Lebensraum. Und ging es nach ihnen, bliebe das auch so. Dann blieben auch die Bäume.

Nicht Internationalisierung ist also die Lösung, sondern das Recht der Menschen vor Ort. Weder wir hier noch Brasiliens weiße Oberschicht und schon gar nicht die multinationalen Unternehmen haben das Recht, den Menschen dieses Recht vorzuenthalten. Die Lösungen müssen lokal sein.

Braucht es internationale Absprachen? Auf jeden Fall. Dass es Nachhaltigkeit-Abschnitte in mittlerweile jedem Abkommen gibt, ist gut und wichtig und richtig. Aber der Kern muss es sein, die Menschen entscheiden zu lassen, die es angeht. Sie nicht zu entrechten. Auch nicht im Namen einer abstrakten weltweiten Verantwortung.

Oder anders formuliert: Wir im Westen sind Teil des Problems. Nicht der Lösung. Wir sollten aufhören, uns und unsere Sichtweise anderen aufzudrängen.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und GerechtigkeitSchlagwörter #SinodoAmazonico, Amazonien, Aparecida, Interessen, Kirche, Kolonisierung, Landwirtschaft, Politik, Rohstoffe, Verantwortung, Wirtschaft13 Kommentare zu Verantwortungsgemeinschaft

„Alles andere ist zweitrangig“

Veröffentlicht am 14. Juli 201913. Juli 2019
Rosenkranzpolitik Rom: Kirche und Stadt, Kuppel und Turm, das ist alles nicht trennbar

„Ich persönlich vertraue mein und euer Leben dem unbefleckten Herzen Mariens an, das, da bin ich mir sicher, uns zum Sieg verhelfen wird.” Ganz neue Töne waren das von jemandem, von dem man bislang nicht viel in Sachen Religion gehört hatte: Matteo Salvini im Wahlkampf vor der Europawahl war das. Er stand vor dem Dom in Mailand, mit dem Rosenkranz in der Hand. Rosenkranzpolitik zum Stimmenfang.

Und das darf er. Es hat ja aus der Kirche viele Stimmen gegeben, die sich heftig aufgeregt haben. Eine zynische Politik betreibe er, überhaupt nicht auf Lösungen aus sondern nur auf Streit um die eigene Polularität zu steigern, und jetzt soll der Rosenkranz helfen? Ja, Salvini darf das.

Rosenkranzpolitik

Auch hier habe ich mich ja schon mal in eine andere Richtung geäußert, damals ging es um das verpflichtende Kreuz in Bayern. Dreist hatte ich die Aktion genannt. Aber jetzt liegen die Dinge etwas anderes. Es ist die Person Salvini, die sich mit dem Rosenkranz schmückt, nicht eine Verordnung für alle öffentlichen Orte. Er mutet den Rosenkranz deswegen nicht allen zu, man braucht nur weggehen von Salvini und schon ist das außer Sicht. Bei den Amts-Kreuzen geht das nicht.

In gewisser Weise dürfen wir sogar dankbar sein. Nicht nur dass solche Aktionen und Christen dazu zwingen, über unsere Symbolik nachzudenken. Sondern auch die Tatsache, dass viele Katholiken ihm das durchgehen lassen sollte der Kirche zu denken geben. Sich beschweren ist das eine, aber es zeigt eben auch, dass wir nicht mehr die Herren unserer Symbole sind.

Nicht mehr Herren unserer Symbole

Auch von anderer Seite gibt es das, die Politisierung von Religion und Glaube. Nein, ich meine nicht die Helfer, ich meine nicht den Papst. Nehmen wir den berühmt gewordenen Kardinal Raymund Leo Burke. Der behauptet zum Beispiel, dass Gott gegen eine weltweite Regierung sei. Dass man das aus politischen Gründen auch so sehen kann, ist eine Sache. Er aber meint, das Naturrecht und damit „göttliche Autorität“ in Anspruch nehmen zu können.

Und auch hier: der darf das. Wenn er bereit ist, sich einem rationalen Argument über Naturrecht zu stellen, dann darf er das so sagen. Beide Argumente – so unterschiedlich sie auch sind – haben aber eines gemeinsam: sie ziehen die Spären von Glaube/Religion und Politik/Gesellschaft zusammen. Bei beiden wird es dann schräg wenn man dann hört, Kirche habe sich bei gewissen Themen rauszuhalten. Nein, hat sie nicht, denn gerade die Rosenkranzpolitik zeigt, dass die beiden Dinge zusammen gehören.

Kirche braucht sich nicht rauszuhalten

Ende Juni war in Lampedusa die Kapitänin der Sea Watch 3 festgenommen worden, nachdem sie unerlaubt in den Hafen eingelaufen war. Die Geschichte ging durch die Medien. Die rechtliche Seite ist mindestens komplex, Seerecht, nationales und internationales Recht hier auseinander zu halten ist nicht einfach.

Klar ist aber auch die christliche Sichtweise: „Ich glaube, dass Menschenleben auf jeden Fall gerettet werden müssen – egal auf welche Weise.“ Das sagte damals ungewohnt direkt Kardinal Pietro Parolin, der engste Mitarbeiter von Papst Franziskus, als Reaktion. Das Retten von Menschenleben müsse „der Polarstern sein, der uns leitet“, so der Kardinal weiter. „Alles andere ist zweitrangig.“

Papstbrief und Bekehrung

Wer den Rosenkranz schwingt, der muss sich solche Sätze anhören. Aber wer solche Sätze sagt, der muss auch zur Kenntnis nehmen, dass viele Gläubige das nicht so sehen und Christentum mit Nationalismus paaren. Dass sie sich Lebensschützer nennen, das aber auf Abtreibung beschränken. Solange vor den Kathedralen dieser Welt und sonstwo das Christliche für das Politische in Anspruch genommen wird, solange muss das Christliche sich fragen, wofür es steht.

Die Rosenkranzpolitik verweist letztlich auf eine leere Religion. Eine Religion zur Selbstbestätigung und zur Beruhigung, ein echtes Opium für das Volk. Eine Religion die nicht weh tut, die sich rückstandsfrei auf die jeweils eigene Kultur zurückführen lässt.

Papst Franziskus hat recht, wenn er in seinem Brief vor allem auf die „Bekehrung“ wert legt. Wir Katholiken müssen uns neu bewusst werden, was wir da eigentlich glauben und wofür wir deswegen stehen. Das kann man nicht einfach herbei behaupten, dass muss die Kirche schon gemeinsam tun. Wenn wir das nicht tun, dann bleibt beides – der Rosenkranzschwinger auf der einen und der Kardinal auf der anderen Seite – letztlich belanglos.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Flüchtlinge, Papst Franziskus, Politik, Populismus, Rosenkranz, Salvini, Symbole31 Kommentare zu „Alles andere ist zweitrangig“

Gretchenfrage: Wie hast du’s mit der AfD?

Veröffentlicht am 18. Juni 201914. Juni 2019
Dialog mit der AfD Vor zwei Jahren: Kirchentag an einem der Ursprungsorte der Reformation, in Wittenberg (DEKT/Kathrin Erbe)

Kirche, wie hältst du es mit dem Populismus? Die Gretchenfrage ist ein Kinderspiel dagegen. Die Frage stellt sich vor allem, wenn es um Institutionen geht, also Kirche und Parteien. Es ist immer so eine Sache mit der Politik und dem Glauben. Kreuze in Büros, Kirchenasyl, da kreuzt man gerne mal die Klingen. Nirgendwo wird es aber so deutlich und auch so unsicher wie bei der Frage, ob man nun die AfD einlädt zu Kirchen- oder Katholikentag. Dialog mit der AfD?, das ist hier die Frage.

Der evangelische Kirchentag hat sich dagegen entschieden, die AfD wehrt sich. Und auch die Christen sind sich nicht eins.

Dialog mit der AfD?

Ganz kurz: Es gibt einen Beschluss des Kirchentages (September 2018), „Repräsentant*innen der Alternative für Deutschland (AfD) sind auf Podien und Diskussionsveranstaltungen des Kirchentages in Dortmund vom 19. bis 23. Juni 2019 nicht eingeladen. Gleichzeitig will der Kirchentag den Dialog mit all denjenigen führen, die sich gegenwärtig in den gesellschaftlichen und politischen Debatten nicht wiederfinden und lädt diese ausdrücklich nach Dortmund ein.“ Nicht eingeladen wird, wer sich rassistisch äußert. Zudem würden Personen nicht eingeladen, die Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbreiteten.

Einige AfD-ler, voran Björn Höcke, werfen nun der evangelischen Kirche vor, mit dem Zeitgeist zu paktieren. Von Ausgrenzung ist die Rede. Die Kirche solle Seelsorge betreiben, statt Politik zu betreiben. Und weil die AfD ja nicht ohne sinnlose Provokation kann, ohne analoges Trollen, kommt auch gleich der Vergleich der evangelischen Kirche heute mit der Kirche, die mit den Hitler- und dem SED-Regime paktiert habe.

Keine Einladungen an Menschen, die sich rassistisch äußern

Der evangelische Kirchentag hat sich also entschieden, und zwar anders als noch der Kirchentag vor zwei Jahren und auch als der Katholikentag 2018. Was dafür spricht, dass es keine Prinzipienfrage, sondern eine Abwägung war. Die AfD habe sich radikalisiert, begründet dies der Kirchentags-Präsident Hans Leyendecker. Es gehe nicht im Proporz, sondern um darum, Menschen einzuladen, die etwas Wichtiges zu sagen hätten. Auch das ein Kommentar zu den Äußerungen der AfD-Vertreter.

Aber nicht alle finden den Beschluss richtig. Es wird weiter debattiert. Die Ausgrenzung sei unklug und falsch, sagt ein Historiker, auch wenn er die Argumente nachvollziehen könne.

Ein Kirchenrechtler nennt den Beschluss sogar inkonsequent, weil andere Organisationen, auf die man ähnliches anwenden könnte, nicht ausgeschlossen würden. Außerdem könnte sich die AfD jetzt als Opfer inszenieren, statt sich den Debatten in Dortmund stellen zu müssen.

Es geht nicht um Proporz

Nun kann man an dieser Stelle vielleicht Papst Franziskus anführen, Dialog sei in jedem Fall besser als kein Dialog. Das habe ich hier ja auch schon immer wieder mal kommentiert. Nur wäre das in Dortmund ja mehr als Dialog, es wäre ein Podium für die AfD.

Dialog ist ja nicht einfach, aufeinander einzureden. Dialog ist kein auf die Zeltbühne verlegte Talkshow. Wenn es echter Dialog ist, dann weiß man nachher nicht, wo man gelandet ist. Wenn es echter Dialog ist, dann ist er nicht einfach nur ein Mittel, um etwas zu erreichen. Laut Papst Paul VI. ist Dialog sogar eine ausdrückliche Methode des Apostolats, also des Handelns der Kirche, so der Papst in seiner Antritts-Enzyklika Ecclesiam Suam.

Keine Talk-Show auf der Zeltbühne

Die Bemerkung mit der Zeltbühne meine ich durchaus ernst. Talk-Shows sind Inszenierungen, die unterhalten sollen. In einem echten Dialog kann es aber nicht nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner gehen. Und auch nicht um die Darstellung möglichst großer Kontraste der Unterhaltung wegen. Zumindest bei kirchlichen und christlichen Dialogen nicht.

Hier kann ich die Begründung des Kirchentages nachvollziehen. Hier ist Abgrenzung nötig. „Keine Toleranz der Intoleranz“ sagt der Kirchentag in seiner Beschlussbegründung. Wir sehen ja – und der oben angesprochene Höcke-Auftritt neulich unterstreicht das – dass die Forderung, die Kirche sei mit den Mächtigen im Bett und solle bittschön Seelsorge machen und nicht Politik betreiben, seinerseits auf Abgrenzung aus ist. Nicht auf Zubewegen.

„Keine Toleranz der Intoleranz“

Dialog hat mit Wahrheit zu tun. Ein großes Wort, es meint aber schlicht und einfach, dass man sich auf die Suche danach machen will. Wenn ich den Dialog gebrauche, um meine eigene – parteipolitische – Identität zu schärfen, dann ist das ein Dialogverhinderer. So sagt es Papst Benedikt XVI. Es kann schon mal sein, dass man es in der Religion mit der Frage nach der Wahrheit zu tun bekommt. Wer das über Rassismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausschließt, der will keinen Dialog.

So beginnt der Kirchentag in Dortmund also ohne die offiziellen Vertreter der AfD. Das ist die aktualisierte Version der Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon“ (Faust I, Vers 3415). Und wer von Religion als Religion nicht viel hält, wer diesen Dialog nicht will, der wird halt auch nicht eingeladen. Und das finde ich richtig so.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und VernunftSchlagwörter AdF, Debatte, Dialog, Diskussion, Katholikentag, Kirchentag, Politik, Populismus72 Kommentare zu Gretchenfrage: Wie hast du’s mit der AfD?

Ein Kompass für seine Vertreter

Veröffentlicht am 16. Juni 201916. Juni 2019
Ein politischer Papst Er kann nicht überall sein, deswegen hat er für den Alltag seine Vertreter. Papst Franziskus bei seiner Reise nach Rumänien

Er hat eine internationale, gesellschaftliche und politische Rolle. Und die nimmt er sehr wichtig. Papst Franziskus ist ein politischer Papst. Am deutlichsten wird das in seiner Aufmerksamkeit für diejenigen, die ihn überall auf der Welt vertreten: Die Apostolischen Nuntien. Nun hat Papst Franziskus sie wieder einmal im Vatikan versammelt, zum dritten Mal schon.

Beim ersten Mal ließ er sogar ein schon angesetztes Konzert für Einzeltreffen mit den Nuntien sausen, es war bezeichnenderweise auch das Treffen, bei dem der damalige Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, den Papst über den Fall Kardinal Theodore McCarrick informiert haben will. Womit wir mitten im Problem sind.

Ein politischer Papst

Zunächst aber zu dem, was ich hier einen „politischen Papst“ genannt habe. Es geht ihm um die gerechte und nachhaltige Gestaltung der Welt. Seine Enzyklika Laudato Si‘ ist in diesem Sinn politisch, weil es um Gerechtigkeit, die kommenden Generationen, um eine christliche Grundhaltung geht, die auch mal Protest sein kann und muss. Die das Prophetische nicht vergisst.

Ein Nuntius – bei Staaten Botschafter genannt – hat als Papstvertreter besondere Aufgaben. Aber weil der Papst in unserer Welt eine ganz besondere Rolle hat, bekommen seine Vertreter eben auch ganz besondere Wichtigkeit. Und das hat eben auch mit der besonderen religiösen Bedeutung des Papstamtes zu tun.

„Brücken“ zu den Menschen

Der Papst nannte die Nuntien „Brücken“ zu den Menschen. Sie stünden nicht für sich selber. Deswegen war ihm auch bei seiner Ansprache an die Nuntien wichtig, dass diese „Menschen der Nächstenliebe“ seien, sie vertreten den Papst. Da geht es nicht nur um Meinungen und diplomatische Vertretung, da geht es um den Kern des Christlichen. „Wenn ein Nuntius sich in der Nuntiatur einschließen und den Kontakt zu den Menschen vermeiden würde, dann verriete er seine Mission.“

Aber der Papst wäre nicht der Papst, wäre das nicht auch mit ganz konkreten Mahnungen verbunden: „Es ist deswegen unvereinbar, Vertreter des Papstes zu sein und ihn hinten rum zu kritisieren, Blogs zu schreiben oder sich sogar Gruppen anzuschließen, die dem Papst, der Kurie und der Kirche von Rom feindlich gesonnen sind.“

Aktuell?

War das aktuell gemeint? Wir können nur vermuten, aber wenn wir den Papst über die Jahre hinweg verfolgen gilt immer beides, zum einen wird er „allgemein konkret“, wenn ich das so sagen darf. Er nennt konkrete Beispiele, um die Mahnungen nicht allzu abstrakt klingen zu lassen. Andererseits dürfen sich sicherlich einige angesprochen fühlen, auch wenn sie selber nicht von dem konkreten Anlass betroffen sind, sondern eher in Sachen Grundhaltung schwanken. In diesem Sinn sind alle gemeint.

Der Papst geht in letzter Zeit häufiger auf dieses Thema ein, auf diejenigen die für Kirche und Glaube sprechen aber das nicht loyal tun. Es sind immer kleine Nebenbemerkungen, die aber zeigen, dass er das wahrnimmt und dass ihm das nicht egal ist.

Loyalität …

Und sie fallen ja auch auf, diejenigen die meinen aus sich selbst heraus sprechen zu müssen, gleichzeitig aber römische Ämter und Würden für sich beanspruchen. Der Papst betonte in seiner Ansprache die Freiheit, ohne die es keinen Gehorsam gebe. Es geht also nicht um eine Unterwerfung, um ein Schweigen, aber für diejenigen die ihn vertreten gelten eben besondere Spielregeln.

Seine Kurie und seine Botschafter, es sind diejenigen welche die Ausübung seines Amtes möglich machen sollen. Für die hat er deswegen immer wieder Worte des Lobes und auch deutliche Mahnungen üblich, beides in gleichem Maße. Die Weihnachtsansprachen an die Kurie bekommen ja auch immer wieder Aufmerksamkeit.

… und Widerspruch

Nun haben wir da aber einen Widerspruch: Ich habe das Prophetische genannt, den Widerspruch. Aber auch die Aufforderung des Papstes, loyal zu sein. Geht das zusammen? Ja, geht es, wenn man die Regeln beachtet. Wer im Namen des Papstes auftritt und seine Autorität vom Papstamt mandatiert bekommt, der darf eben nicht so tun, als ob er aus sich selbst heraus Autorität ausübe.

Es ist eben eine verliehene Autorität, in Kurie wie als Papstbotschafter. Wir schauen mit einem Auge dabei auch immer auf Erzbischof Viganò. Er bezichtigt den Papst öffentlich und wiederholt der Lüge. Sollte er schweigen? Nein, wenn er etwas zu sagen hat, dann gibt es dafür Wege. Offenheit, aber dem Papst gegenüber. Das betonte auch der Chef der Vatikan-Diplomatie, Kardinal Pietro Parolin, in einem Interview nach der Rede des Papstes. Offenheit sei ja auch das, was der Papst wünsche, deswegen hätten er und seine Nuntien ja auch hinter verschlossenen Türen gesprochen, um die Offenheit zu ermöglichen. Kardinal Parolin denkt auch, dass die Ermahnung des Papstes was die Kritik an ihm angeht gerechtfertigt ist.

Offenheit ermöglichen

Natürlich darf man dem Papst widersprechen. Man muss nur wissen, mit wessen Autorität man das tut. Der Papst hat einen Auftrag, das Amt der Einheit und auch das des internationalen Auftretens. Seine Mitarbeiter sollen dabei helfen.

Den „Kompass“ nennt der Papst das. Um zu wissen, was zu tun und zu lassen ist, gibt es eben den Auftrag des Amtes. Wenn man nur auf sich selber setze, dann verliere man diesen Kompass.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter Diplomatie, Nuntius, Papst Franziskus, Politik, Vigano8 Kommentare zu Ein Kompass für seine Vertreter

Steve Bannon ante Portas? Ein Kloster und die Suche nach dem Bösen

Veröffentlicht am 29. April 201929. April 2019
Kirche und Populismus Wohl kaum der Ort des Bösen: Die Kartause Trisulti, in den Bergen oberhalb von Frosinone.

Das Böse hat auf einmal einen Ort: Trisulti. Wer in den vergangenen Monaten die Berichterstattung um Kirche und Populismus beobachtet hat, dem wird dieser Name schon einmal begegnet sein. Verbunden mit einem anderen Namen, dem Namen einer Person: Steve Bannon.

Allen ehrbaren Menschen sollte an dieser Stelle der vorgesehene Schauer über den Rücken laufen.

2017 war ich mal dort, im März war das, zu einer Wanderung im benachbarten Höllental. Dabei ist auch das Foto entstanden. Eigentlich eine wunderbare Gegend, weit weit ab von allem, da kommt nicht mehr viel. Herrlich zum Wandern, man kommt nur schwer hin.

Kirche und Populismus

Bannon – das ist seit dem Wahlsieg Trumps die Erklärung für vieles. Dass dieser Mann Präsident der USA werden konnte, das muss einfach an den Fähigkeiten dieses Mannes gelegen haben. Eine Mischung von Machiavelli und Darth Vader, irgendwie sowas. Rau und so überhaupt nicht angepasst, rein ästhetisch schon nicht, da muss was Gefährliches dran sein.

Und der kommt jetzt nach Europa, um hier die Politik aufzumischen. Zuerst war da die Nachricht, seine wilde Nachrichtenplattform BreitbartNews würde auch in Europa den Medienbetrieb aufmischen wollen. Erst war da Aufregung, aber daraus wurde dann wohl nix. Oder haben Sie nach den Aufregern jemals wieder was davon gehört? Eben.

Nach den Aufregern

Jetzt also der Meister persönlich. Dass auch in den USA BreitbartNews keinen Schnitt mehr macht, lassen wir mal beiseite. Verschiedene Medien berichten, die Besucherzahlen auf der Webseite hätten sich halbiert. Was aber dem Ruf Bannons nichts anhaben kann.

Und nun kommt Trisulti ins Spiel. Eine Stiftung, Dignitatis Humanae Institute, hat dieses Kloster gepachtet und will dort eine Gladiatorenschule für Kulturkämpfer einrichten. Gefahr im Verzug für die Demokratie in Europa? Kirche und Populismus, ist da eine Verschwörung im Gange?

Verschwörung geht immer

Es scheint so, verfolgt man die Berichterstattung. Hier würde sich die dunkle Seite der Macht in der Kirche verbünden, Namen fallen, Projekte werden gemutmaßt, der sprichwörtliche Teufel an die sprichwörtliche Wand gemalt. Und die Gladiatorenschule lässt dann junge, dynamische, gut ausgebildete Streiter für die dunkle Seite ahnen und befürchten.

Ein beliebiger Artikel aus dem Netz, nehmen wir mal NBC: „Strolling through St. Peter’s Square, the heart of the Roman Catholic Church, Steve Bannon surveyed the enemy camp.” Und so weiter.

Dabei fällt kaum auf, wie schwach diese Geschichte ist.

Eine schwache Geschichte

Ein Beispiel: Um überhaupt eine Verbindung zum Vatikan herstellen zu können, wird die Verbindung zu Kardinal Raymond Leo Burke gezogen. Die hätten sich bei der Heiligsprechung Johannes Paul II. getroffen, heißt es. Leute, das war 2014! Da war noch längst keine Rede von Trump und Breitbart und dergleichen. Der sei ein Freund von Steve Bannon. Wirklich?

Außerdem, warum fällt niemandem auf, wie krass dieses Duo ist? Burke der klare Konservative, der bewahren will was war. Bannon der selbsterklärte Zerstörer, das genaue Gegenteil eines Konservativen. Wie das zusammen gehen soll, hat noch niemand erklärt. Kirche und Populismus, etwas komplexer ist das dann doch.

Den meisten reicht es leider, Namen zu nennen. Und Lagerdenken wachzurufen. Und dann kommt er schon, der Schauer auf dem Rücken.

Der Zerstörer und der Konservative

Zweitens: Trisulti, die Kartause. Die ist für 19 Jahre gepachtet, für eine jährliche Pacht von 100.000 Euro, wird berichtet. Hier werde dann der Kampf gegen Säkularismus geführt, gegen Islamisierung, gegen antikirchliche Kräfte, gegen überhaupt alles. Benjamin Harnwell, Vertreter der Stiftung und Brite, von Bannon öffentlich gelobt, erklärt viel und gerne, was er so alles vorhabe. Und gerne bezieht er sich auf Bannon, lobt Bannon, weiß um die Macht, die Bannon über die Vorstellungskraft von Journalisten hat.

Nun gibt es da aber ein Problem. Und zwar hat die Stiftung für den Unterhalt einer Bildungseinrichtung im Kloster gar keine Betriebserlaubnis für das Projekt. Die Idee widerspräche dem Abkommen zur Pacht, erklärte der zuständige Mann des italienischen Kultusministeriums – einer populistischen Regierung – bei einer Anhörung im Parlament. Die Ausschreibung schließt eine Bedingung ein, die nicht erfüllt sei, da geht es um das Betreiben eines Museums, das (nicht erfüllte) Voraussetzung sei. Das ist also noch bar nicht entschieden, ob das Institut das überhaupt darf, was aber die Berichterstattung über Darth Bannon nicht beeinträchtigt.

In einigen Blogs finden in Trisulti schon Veranstaltungen statt, Bannon sei per Video dabei. Außerdem sei das Kloster schon umgebaut und so weiter. Alles Schall und Rauch, alles falsch.

Eine Nebenbemerkung, bevor ich zu meinem dritten Punkt komme: Eine Kritik an Papst Franziskus lautet, er sei zu politisch. Und jetzt wollen genau diese Kritiker ein kulturkämpferisches Institut mit kirchlichem Label bauen. Ironie, wer sie denn versteht.

Das Problem der Betriebserlaubnis

Drittens: und überhaupt. Anfang April gab es in Mailand auf Einladung von Matteo Salvini von der Lega ein Treffen europäischer Populisten. Die AfD war dabei, der ehemalige Front National, und so weiter. Alles, was sich in Europa populistisch bewegt. Wer war nicht dabei: Bannon. Er war offenbar nicht eingeladen.

Anfang Dezember war Bannon noch dabei, jetzt nicht mehr. In der TAZ gab es einen wunderbaren Artikel, in dem dem angeblichen Einfluss Bannons nachrecherchiert wurde. Überschrift des Artikels: „Total Loser”. Mehr braucht es eigentlich gar nicht, aber der Artikel lohnt sich zu lesen. Kurse? Gladiatoren? Fehlanzeige.

Keine Gladiatoren in Sicht

Vor einigen Tagen im Guardian: Bannon habe Salvini geraten, Papst Franziskus anzugreifen, wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen. Die Lega konnte sich gar nicht schnell genug distanzieren. Wie gesagt, keiner will was mit ihm zu tun haben, dem Faszinosum Darth Bannon.

Eine schwache Geschichte, ein überschätzter Gegner, dieser Bannon. Keiner will mit ihm was zu tun haben. Er taucht in Rom auf, lässt sich interviewen in Hoffnung auf den Schauer auf dem Rücken, passieren tut aber nicht viel. Außer Berichten in den Medien, die mit dem Grusel spielen.

Kirche und Populismus ist das nicht. Dieser Kaiser hat keine Kleider an. 

In einem der vielen Interviews sagt Bannons Statthalter Harnwell zum Abschluss, dass er bis vor kurzem völlig unbekannt gewesen sei. Er verstehe die ganze Aufregung nicht.

Ich auch nicht.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Burke, Italien, Kirche, Medien, Politik, Populismus, Steve Bannon, Trisulti11 Kommentare zu Steve Bannon ante Portas? Ein Kloster und die Suche nach dem Bösen

Die Flöte der Populisten

Veröffentlicht am 26. April 201921. April 2019
Identität im Wandel Mao, Moderne und Museum: Warhols kopierte Kopien

Andy Warhols Mao-Bilder sind witzig. Zum einen greifen sie chinesische Macht-Darstellung auf, gleichzeitig unterwerfen sie diese westlichen Werbe-Darstellungen. Und durch die Kopien wird das auch noch ironisiert. Identität im Wandel und in der Brechung, sozusagen.

Wer nun wirklich dieser Mao war, das scheinen uns die Bilder zu sagen, ist nicht klar. Und wir sollten uns da auch nichts vormachen: auch das Ursprungsbild kann uns das nicht sagen. Es ist nicht weniger aufgeladen als die Kopien.

Identität im Wandel

Über Ostern bin ich über einen Essay gestolpert, der schon viel zu lang ungelesen auf dem Schreibtisch lag: das Buch „Es gibt keine kulturelle Identität” des von mir geschätzten Autors Francois Jullien. Wie immer sehr anregend, auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden sein muss. Aber darum geht es ja auch nicht, es geht ums Denken. Warum das mit Ostern zu tun hat, darauf komme ich gleich noch zurück.

Die These und der Titel des Buches sind natürlich provokant gewählt. Sie sind politisch.

Zu viele politische Akteure ziehen mit einer fixierten Vorstellung von kultureller Identität auf Stimmenfang, es ist sozusagen die Flöte aus dem Märchen. Sie sind das Gegenteil zu dem, was Warhol in seinem Spiel mit Identitäten macht. Sie sind Festleger von kultureller Identität, als ob es so etwas gäbe.

Kultur ist nicht fixiert

Dabei ist Kultur nichts, was ich habe oder was es gibt. Nichts Fixiertes. Das zu behaupten führt auf Holzwege. Kultur ist Wandel, war es immer schon und muss es auch sein. „Eine Kultur, die sich nicht länger verändert, ist tot“, lautet Julliens Urteil. Transformation ist Ursprung und Motor des Kulturellen, Fixierungen sind ihr fremd.

Oder in den Worten des Papstes: es handelt sich bei dem Begriff um „die charakteristische Weise ihrer Glieder, miteinander, mit den anderen Geschöpfen und mit Gott in Beziehung zu treten“. „Beziehung“ ist hier das Stichwort, nicht etwa Status (Evangelii Gaudium, 115). So verfüge das Christentum nicht über ein einziges „kulturelles Modell“.

Jullien greift uns hier unter die Arme, er spricht von „Abständen“ und weist die Vorstellung von „Distanzen“ zurück. Letztere würden feste Standpunkte voraussetzen oder entstehen lassen, je nach Perspektive. Abstände hingegen haben was von Interesse, Abenteuer, Neugierde, eben Begegnung. Nur dort entsteht Raum für Neues, und damit Kultur.

Raum für Neues

Was auch bedeutet, dass wir nicht alle gleich sind, gleich denken, und gleich ausdrücken, gleich glauben. Das ist ja das Schöne an Kultur. Eine Kultur kann nicht als Identität besessen werden, sie werde ausschließlich als Ressource genutzt. Für weiteren Wandel.

Und dann kommt noch einmal ein politischer Satz Julliens, nämlich dass Kultur niemandes Eigentum sei.  „Sie gehört dem, der sich die Mühe macht, sie zu aktivieren“. All die Rattenfänger die mit Angst spielen, erdrosseln Kultur, weil sie sich nicht entwickeln darf.

Beim Papst heißt das dann „Sakralisierung der eigenen Kultur“, mit dem Resultat eines Fanatismus, der wirkliche Verkündigung unmöglich macht (EG 117). Und hier sind wird dann beim Osterfest, oder besser bei den Begegnungen mit dem Auferstandenen. Denn nach der Auferstehung gibt es keine Heilungen mehr, keine Lehre, keine Gleichnisse. Nur noch Begegnungen. Und den Auftrag zur Verkündigung. Und das hat mit Kultur zu tun.

Nicht festhalten, nicht in Identitäten fixieren die letztlich leblos sind. Ostern bricht auf, verwirrt, stößt in jeder der Erzählungen auf Unglauben und auf Zögern. Ostern ist das Anti-Populismus-Fest. Das Fest das uns zeigt, dass ich Christentum nicht festlegen darf, nicht benutzen darf. Der Auferstandene kommt entweder durch abgeschossene Türen und durch Wände, oder er sendet aus bis an die Enden der Erde. Abgrenzungen sind das letzte, was dieser Auferstandene uns zeigt.

Eine sehr aktuelle Botschaft für heute.

 

Text: Francois Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. Edition Suhrkamp

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und VernunftSchlagwörter Identität, Jullien, Kultur, Politik, Populismus, Wandel8 Kommentare zu Die Flöte der Populisten

Wie viel Verbindendes, wie viel Abweichung?

Veröffentlicht am 24. April 201921. April 2019
Öffentlicher Glaube Archivbild: Februar 2013, quasi nur Stunden vor der Rücktritts-Ankündigung von Benedikt XVI. Mein Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer

Es ist ja Wahlkampf: Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU, gibt dem Magazin Publik Forum ein Interview und spricht über ihren Glauben. Ok, das war jetzt zynisch. Aber es war mein erster Eindruck. Der dann beim Lesen komplett widerlegt wurde, hier spricht tatsächlich jemand über Glauben. Ohne ihre Rolle in Öffentlichkeit herunter zu spielen. Öffentlicher Glauben, sozusagen.

Das Interview fragt leider zum Abschluss die absehbaren Fragen, die eigentlich keine Fragen sind sondern um Bestätigung der eigenen Ansichten bitten. Priesterinnen haben heißt reformierbar sein und Sexualmoral wird unerklärt als rigide bezeichnet.

Öffentlicher Glauben

Kramp Karrenbauer antwortet klug. Sie sagt, dass sie für Priesterinnen sei, macht dann aber den Blickwinkel auf: „Man muss jedoch sehen: Die katholische Kirche ist eine Weltkirche. Das ist etwas sehr Schönes. Egal, wo ich auf der Welt bin, verbindet uns der gleiche Glaube. Da ist ein gemeinsames Band. Wir sollten allerdings nicht meinen, unsere deutsche Sichtweise auf Katholizismus müsse weltweit den Standard setzen.“

Genau letzteres vermisse ich bei so vielen Reformern. Meine zehn Jahre hier in Rom haben mich unter anderem gelehrt, dass die Welt nicht darauf wartet, von Europa wieder einmal gesagt zu bekommen, was zu tun und zu lassen und zu denken ist. Leider kommen viele selbsterklärte Reformer aber genau so rüber.

Zukunftsfragen von Glaube und Kirche

Erst während der Chrisam-Messe hat der Papst wieder das bei uns verpönte Worte der „ideologischen Kolonisierung“ gebraucht, ich glaube wir müssen aufpassen, dass wir die Welt nicht an uns messen.

Was wir brauchen ist das, was ich hier immer wieder die „Neufindung von Balance zwischen Universal und Lokal“ bezeichnet habe. Was der Papst „Synodalität“ nennt. Und auch hier hat Kramp Karrenbauer etwas kluges beizusteuern: „Eine der spannenden Fragen wird sein: Wie viel Verbindendes halten wir über alle Grenzen hinweg, und wie viel Abweichung lassen wir zu? In diesem Spannungsverhältnis steht auch Papst Franziskus.“

Wenn wir die spannenden Zukunftsfragen des Glaubens und der Kirche debattieren, dann muss das nicht unbedingt in den eingefahrenen Spuren passieren.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Interview, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter AKK, CDU, Kramp-Karrenbauer, Politik24 Kommentare zu Wie viel Verbindendes, wie viel Abweichung?

Soft Power Vatikan: Papst, Politik, Religionsfreiheit

Veröffentlicht am 28. März 201926. März 2019
Soft Power Vatikan Unterzeichnung in Abu Dhabi: Kronprinz Mohammed bin Zayed al-Nahyan, Papst Franziskus und Großimam Imam Sheich Ahmed al-Tayeb (c) Vatican Media

Wenn der Vatikan Diplomatie betreibt, betreibt er vor allem Religionsfreiheit. Vatikanische Politik dreht sich um Religionsfreiheit, wenn man so will. Der Vatikan treibt keinen Handel, hat keine andere Machtbasis und ist deswegen das, was man „soft power“ nennt. „Soft power Vatikan“, das gab es in der Vergangenheit an einigen Stellen zu beobachten, und in dieser Woche geht es weiter, mit der Papstreise nach Marokko.

Der Kern dieses vatikanischen Ansatzes zu Diplomatie und Politik findet sich im Konzil, wie sollte es auch anders sein, und zwar im Dokument „Dignitatis Humanae“, wie der Vatikanist John Allen nachweist. Es gehe in der praktischen Politik und Diplomatie darum, den Katholiken vor Ort die Rechte der Religionsfreiheit zu verschaffen.

„Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln (…). Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird. Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird.“ (DH 2)

Horizont Religionsfreiheit

Aber das allein ist es noch nicht, wenn der Papst selber politisch aktiv wird – und ich nenne hier Politik alles, was sich die Sorge ums Gemeinwesen zum Gegenstand macht – dann blickt er über diesen Horizont noch hinaus. „Es gibt immer eine Tür, die offen ist“ war sein legendärer Kommentar vor dem Besuch Präsident Trumps im Vatikan. Anders gesagt – und auch das mit Papstworten – Dialog ist immer besser als kein Dialog.

Dabei muss der Papst nicht immer die Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllen. Weil er keine Wirtschaftsdelegation dabei hat und Millionenaufträge zu ergattern hofft, ist er frei. Und allein durch seine Person verkörpert er Werte wie Gerechtigkeit und Religionsfreiheit, ohne sie extra einfordern zu müssen. Eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler muss Abwägen, weil es neben Menschenrechten auch um Arbeitsplätze geht. Das muss der Papst nicht.

Die ersten Ansprachen nach der Ankunft in jedem Land gelten immer den Vertretern von Staat und Gesellschaft, da spricht er immer einige wichtige Punkte an. Aber seine Person alleine reicht eigentlich schon aus.

Allein seine Person steht schon für was

Er wünscht sich das aber auch von anderen. Politik solle insgesamt nicht nur die Kunst des Machbaren sein, sondern ein sich Kümmern ums Gemeinwohl. Das sagte er neulich wieder erst in einer Rede. Nur das lasse die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. So werden sie nicht von den Mächtigen abhängig.

Aber zurück zur Soft Power Vatikan: Der Papst kann von Syrien sprechen, wenn keiner hinschaut. Von Umwelt und Schöpfung als Gerechtigkeitsfrage, wenn sonst die beiden Themen eher feinsäuberlich getrennt sind. Er wird nicht müde vom Irak zu sprechen. Und gerade erst hat er wieder seinen Willen bekräftigt, in den Sudan zu reisen, auch das eine Region die nicht wirklich wahrgenommen wird.

Marokko und Abu Dhabi

Seine Umweltenzyklika Laudato Si‘, um darauf noch einmal zurück zu kommen, ist in diesem Sinn eminent politisch. Genauso wie die Reisen, die sehr viel symbolischer sind, das kann auch nicht anders sein. Aber allein die Tatsache, dass er Abu Dhabi und Marokko auf seinem Programm hat, spricht Bände.

Im in Abu Dhabi unterzeichneten Dokument gibt es für die „Soft Power Vatikan“-Politik eine Definition:

„Die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab“.

Das unterzeichnet man gemeinsam mit einem Vertreter der Muslime, aber es kann auch als Vademecum der Soft Power hier gelten.

 

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Darf man damit Werbung machen? Oder Politik?

Veröffentlicht am 11. Januar 20197. Januar 2019
Flucht und Schiff: Syrer auf einem Boot auf dem Weg nach Europa Flüchtlinge heute, Syrer auf dem Weg nach Europa. Foto: GGIA

Ein Schiff, voller Menschen, überquellend voll, Menschen überall, auf jeder Oberfläche, an der Seitenwand, im Wasser. Flüchtlinge und Schiff und Mittelmeer. Ein Foto. Erinnern Sie sich? Nein, ich meine nicht die Bilder aus diesen Jahren, ich meine ein Foto, das 1992 (!) viel Aufsehen erregt hat.

Die Firma Benetton hatte damals mit Skandalbildern Werbung gemacht. Besonders dieses Flüchtlingsschiff mit Menschen aus Albanien löste große Debatten aus, ob man das dürfe, ob das für Werbung zulässig sei, was ist mit der Würde der Menschen, und so weiter.

Flucht und Schiff, ein altes Motiv

Das Bild selber habe ich nicht rechtefrei gefunden, also hier per Link zum ZHK Zürich. Mittlerweile hängt das Foto in Museen.

Die 90er Jahre waren auch die Zeit, als mit Kampagnen wie „Das Boot ist voll“ gegen angeblichen Asylbetrug Stimmung gemacht wurde. Damals war auch viel von der „Festung Europa“ die Rede, Schengen wurde gerade eingerichtet und damit kamen auch die Außengrenzen in den Blick.

Lange ist das her. Aber wenn ich die Debatten von damals wiederlese, dann doch nicht zu lange. Wir haben wenig gelernt, scheint mir. Und wer glaubt, 2015 sei das Jahr mit der Krise gewesen, der schaue auf die überdrehten Debatten von 1992 zurück.

49 Flüchtlinge

Erst am vergangenen Sonntag musste Papst Franziskus öffentlich für 49 auf dem Mittelmeer auf Schiffen treibende Flüchtlinge das Wort ergreifen, weil sich die Regierungen nicht einigen können. Oder besser: weil sich damit schön Politik und Angst machen lässt.

Wie 1992 schon. Die Debatten darum, ob man mit so einem Foto Werbung machen darf, klingen im Rückblick geradezu harmlos. Die Frage heute ist, ob man damit Politik machen darf. Darf man, meinen einige. Dem ist zu widersprechen. Und zwar deutlich.

Lampedusa ist der symbolische Anti-Ort zum Foto von damals. Der Ort an dem der Papst die Frage in den Raum warf, wer eigentlich um die vielen Toten weine. Das ist viel menschlicher als Werbung mit ihnen zu machen. Oder Politik.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, VatikanSchlagwörter Benetton, Flüchtlinge, Fotografie, Mittelmeer, Politik, Werbung2 Kommentare zu Darf man damit Werbung machen? Oder Politik?

Nationalistische Tendenzen und internationale Aufgaben

Veröffentlicht am 7. Januar 20197. Januar 2019
Papst und Politik: Ansprache vor dem diplomatischen Corps Und alle kommen: Papst Franziskus sprach an diesem Montag vor den beim Vatikan akkreditierten Diplomaten

Kirche ist keine NGO, niemand betont das häufiger als Papst Franziskus. Aber gleichzeitig gilt auch, dass Kirche sich einmischen muss. Und dass es Berührungspunkte zwischen Papst und Politik gibt. Geben muss.

Es war eine lange, lange Ansprache an diesem Montag, die Papst Franziskus wie jedes Jahr vor den versammelten Botschafterinnen und Botschaftern hielt. Und wie immer gab es Grundsätzliches. Es war nicht das erste Mal, immer wieder nimmt der Papst zu gesellschaftlichen und damit politishen Themen Stellung. Wenn es um Armut, um Jugendarbeitslosigkeit, um Schöpfung bzw. Umwelt, um Flüchtlinge und so weiter geht, kann Kirche nicht still bleiben, will sie dem Glauben treu sein. Papst Franziskus ist auch nicht der erste Papst, ich erinnere nur an die Bundestagsrede von Papst Benedikt XVI.

Mit oder gegen

An diesem Montag war es also wieder soweit. Und nachdem der das Abkommen mit China, die wachsenden Beziehungen zu Vietnam und andere Entwicklungen gewürdigt hatte, kam er zu seinem Zentralanliegen, das er abschließend ausbuchstabierte. Im Zentrum stand die Frage nach internationaler Zusammenarbeit.

Ansatzpunkt war für ihn der Völkerbund, der im nun angebrochenen Jahr 100 Jahre alt wird. Alt würde, gäbe es ihn noch. „Warum einer Organisation gedenken, die heute nicht mehr existiert? Weil sie den Anfang der modernen multilateralen Diplomatie darstellt, mittels der die Staaten versuchen, die gegenseitigen Beziehungen der Logik der Vorherrschaft entziehen, die zum Krieg führt.“

Papst und Politik und Völkerbund

Das Experiment ist schief gegangen, statt der Abschaffung dieser Kriegs-Logik kam ein zweiter grausamer Krieg, der Zweite Weltkrieg. Aber die Vereinten Nationen, die danach die Stelle des Völkerbundes einnahmen, ziehen diese Linie weiter, „ein Weg gewiss besät mit Schwierigkeiten und Gegensätzlichkeiten; nicht immer wirksam, da auch heute die Konflikte leider fortbestehen; aber doch immer eine unbestreitbare Gelegenheit für die Nationen, einander zu begegnen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.“

Ist das naiv? Sind die UN nicht vielmehr ein Forum der Partei- und Nationalpolitik? Wo je nach Eigeninteresse blockiert wird? Und ist es nicht auch so, dass der Vatikan selber nicht bei allem mitmacht? Mitmachen kann? Stimmt schon. Aber wenn wir es nicht Naivität nennen, sondern guten Willen, dann wird was draus.

Multilateral

„Unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg der multilateralen Diplomatie sind der gute Wille sowie Treu und Glauben der Gesprächspartner, die Bereitschaft zu einer ehrlichen und aufrichtigen Auseinandersetzung und der Wille, die unvermeidlichen Kompromisse anzunehmen, die sich aus dem Vergleich der Parteien ergeben.“ Schön wär’s, ist man versucht zu sagen. Der Papst fügte in seiner Rede auch an, dass beim Fehlen auch nur eines dieser Elemente die Unterdrückung des Schwächeren durch den Stärkeren folgt. Genau das sei beim Völkerbund passiert, un dieselbe Haltung gefährde auch heute die Leitung der wichtigsten internationalen Organisationen. Papst Franziskus ist also hoffnungsvoll, aber nicht blauäugig.

„Ich halte es daher für wichtig, dass auch in der gegenwärtigen Zeit der Wille zu einer sachlichen und konstruktiven Auseinandersetzung unter den Staaten nicht schwinde, auch wenn es offenkundig ist, dass die Beziehungen innerhalb der internationalen Gemeinschaft und das multilaterale System in seiner Gesamtheit durch das erneute Aufkommen nationalistischer Tendenzen schwierige Augenblicke erleben“: Der nächste Schritt seiner Überlegungen, die Identifizierung des Problems. Es heißt ‚nationalistische Tendenzen‘ und ist in etwa das Equivalent zu dem, was im geistlichen Raum um-sich-selbst-Kreisen ist.

Wider nationalistische Tendenzen

Diese Tendenzen wachsen auch auf der Unfähigkeit der internationalen Organisationen, wirkliche Lösungen zu schaffen, oft genug sehen wird das überall auf der Welt. Durch die Organisationen setzen  sich doch nur wieder die Starken durch. Aber auch das hat seine Gründe, er zählt eine ganze Liste auf. Um dann wieder seinen Ausgangspunkt, den Völkerbundm aufzugreifen:

„Einige dieser Haltungen weisen zurück auf die Zwischenkriegszeit, als die populistischen und nationalistischen Tendenzen sich gegenüber der Tätigkeit des Völkerbundes durchsetzten. Das erneute Auftreten solcher Strömungen heute schwächt allmählich das multilaterale System und führt zu einem allgemeinen Vertrauensmangel, zu einer Glaubwürdigkeitskrise der internationalen Politik und einer fortschreitenden Marginalisierung der schwächsten Mitglieder der Völkerfamilie.”

Aber wie denn? Appelle reichen nicht aus, von denen haben wir schon genug und vielleicht zu viel gehört, allgemein werden sie Sonntagsreden genannt. Diese Papstrede war keine, und zwar einfach weil er schon oft mögliche Lösungswege aufgezeigt hat. Einen davon griff er an diesem Montag wieder auf: „Man muss daher die globale Dimension berücksichtigen, ohne die lokalen Gegebenheiten aus dem Blick zu verlieren.“ Nicht nur das Blicken auf Wahlsiege, aber auch nicht allein die Rettung der Welt allein schaffen es.

Trump und die offene Tür

Ein zweiter Punkt gerade wenn es um die spalterischen Formen von Politik geht ist die Papstformulierung, dass immer eine Tür offen bleibt. Gefallen ist sie zum Beispiel als der Papst nach seinem Umgang mit Donald Trump gefragt wurde. Selbstgerecht Urteile fällen ist das eine, nicht aufgeben und hartnäckig diese eine noch offene Tür suchen das andere. Noch einmal, das ist hoffnungsvoll und nicht blauäugig. Das wäre ein zweiter Weg, oder besser eine Haltung: Hartnäckigkeit, immer weiter suchen, immer weiter fragen und nicht aufgeben.

Ein drittes Element – nicht notwendigerweise ein letztes, es gibt noch andere – ist die Frage der Perspektive. Der Kern des Politischen ist in der Formulierung „Their problems are our problems” enthalten. So hatte Papst Franziskus dem US-Kongress mitgegeben. Wer sich nicht mit den eigenen Problemen zufrieden gibt, sondern Verantwortung für andere übernimmt, macht sich ihre Probleme zu eigen. Und er bekommt auch Probleme, die er sich gar nicht ausgesucht hat. Klimafragen, Hunger, Zugang zu Wasser, etc.

Also, retten wir die Welt. Machen wir sie wenigstens ein wenig besser. Das ist christlich. Und es ist eminent politisch.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter Ansprache, Diplomatie, Frieden, International, Nationalismus, Papst Franziskus, Politik, Vatikan, Völkerbund8 Kommentare zu Nationalistische Tendenzen und internationale Aufgaben

… nicht nur Glas

Veröffentlicht am 8. November 201812. November 2018
Die große Synagoge hier in Rom Die große Synagoge hier in Rom

Die „Katastrophe vor der Katastrophe“: an diesem Freitag vor genau 80 Jahren fanden die ersten Pogrome gegen Juden statt, die in die Shoah führen sollten. Öffentlich. Von Nachbarn an Nachbarn. Von den Nazis reichsweit organisiert, um Menschen gegen Menschen aufzuhetzen, um Gewalt „normal“ zu machen, um sich Hass als politische Haltung dienstbar zu machen.

Verharmlosend wurde lange von der „Kristallnacht“ gesprochen. Ein Begriff, der mir bei uns, in der deutschen Sprache, zu recht kaum noch begegnet, über den ich aber in einer Papstrede gestolpert bin.

Der Papst sprach korrekterweise von der „so genannten“ Kristallnacht, weil der Begriff eingeführt ist, auch in anderen Sprachen. Er machte aber durch das „so genannt“ deutlich, dass der Name nicht korrekt ist. Und er beschrieb dann in einem Treffen mit Rabbinern, warum der Gedenktag an diesem Freitag so wichtig ist: Ohne lebendige Erinnerung gibt es keine Zukunft.

Mir kam dann eine Übersetzung der Ansprache auf den Schreibtisch, und da fehlte auf einmal das „so genannt“. Da stand nur das deutsche Wort „Kristallnacht“. Und ich bin durch die Redaktionen gezogen um zu erklären, warum das nicht geht. Und habe mich gefragt, warum das so ist und warum ich das erklären muss.

 

Tag des Übergangs

 

Wir wissen um unsere Geschichte und darum, dass dies ein Augenblick der Übergang war von Diskriminierung zu Vernichtung, dass es nicht nur Glass – also Fenster – waren, die zu Bruch gingen, sondern Menschen, dass Identität und Zugehörigkeit zerstört wurden, dass das Aufhetzen von Menschen gegen Menschen normal gemacht werden sollte. All das ist mit diesem Tag verbunden.

Aber warum sollten andere Sprachen und Kulturen das wissen? Es ist schon schwer genug, den kommenden Generationen, die niemanden kennen der das noch erleben musste, das zu erzählen. Das Wissen nimmt ab, damit auch das Verständnis darum.

 

Warum soll das andere Kulturen interessieren?

 

Warum sollten nun andere Kulturen, die unsere historischen Erfahrungen nicht teilen, um unsere Sensibilität wissen? Wir tun das ja auch nicht, wenn es um deren Geschichte geht.

Auch bei anderen Sprachen und Kulturen darauf zu bestehen, das Wort „Kristallnacht“ mit einer Markierung zu versehen, ist kein Kotau vor politischer Korrektheit. Es geht um historische Wahrheiten und darum, der Verharmlosung Widerstand zu leisten. Und wenn wir hier alle in Rom unter einem Dach zusammen arbeiten, dann ist es an diesem Tag halt mein Job, das zu probieren.

 

Sie sind wieder da

 

Rassistische Stereotype sind wieder in demokratischen Debatten zu finden, mehr oder weniger gut verschleiert. Nicht nur in den USA, auch bei uns in Europa findet sich das wieder. Ich erinnere an das unselige „Vogelschiss“-Zitat des Vorsitzenden einer im Bundestag vertretenen Partei. Das ist mutwillige Verharmlosung.

Die Novemberpogrome erzählen davon, wie das angeheizt und in rohe Macht umgesetzt Menschen zerstört. Und das Wort „Kristallnacht” berichtet von dieser Verschleierung.

Die Novemberpogrome das zu nennen, was sie wirklich waren, ist deswegen auch ein Dienst an der Zukunft. Auch für die Menschen, deren Geschichte gar nichts mit Europa zu tun hat. Denn es war nicht bloß Glas, was damals zu Bruch ging.

Wehret den Anfängen!

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Geschichte, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, RomSchlagwörter Antisemitismus, Demokratie, Gedenktag, interkulturelle, Juden, Politik, Synagoge, Vernichtung, Würde11 Kommentare zu … nicht nur Glas

Der Kern des Politischen

Veröffentlicht am 12. Juli 201811. November 2018
Der Papst und der Politiker

Es ist Mode geworden, das Wort „Staatsversagen“ zu gebrauchen. Jede Menge Titel in Blättern und im Netz, viele Reden und auch hier in der Kommentarsektion meinen einige, dieses Versagen behaupten zu können. Es geht natürlich um 2015 und die Folgezeit, um den Umgang mit Flüchtlingen.

Wie bitte?, mag man meinen. Einer der reichsten und stabilsten Staaten in Europa spricht vom Versagen? Unser politisches System ist stabil, unsere Verwaltung, unsere Rechtsprechung. Aber bis hin zu Ministern meinen einige, von Versagen sprechen zu müssen?

Der Papst und der Politiker

Der Mythos vom Staatsversagen lautet, die Obrigkeit hätte uns vor den Flüchtlingen, die uns etwas wegnehmen, schützen müssen, dies dann aber nicht getan. Im Gegenteil, statt des Schutzes hätte sie, die Obrigkeit, diesen Schutz (= die Grenze) bewusst geschwächt.

Natürlich ist nicht immer alles was die Politik oder die Verwaltung macht richtig. Aber Messwert für das Funktionieren eines Gemeinwesens ist doch nicht und kann doch nicht die Abwesenheit von Problemen sein. Messwert ist nur, wie ein Gemeinwesen damit umgeht, wie es aus Fehlern lernt.

 

Was wir lernen

 

Deutschland erreicht vielleicht die selbst gesteckten Umweltziele nicht. Ist das Staatsversagen? Davon spricht keiner. Deutschland entgehen jährlich riesige Beträge, weil einige ganz Reiche ihr Geld verstecken. Staatsversagen? Keiner sagt das. Wir wollen die Ursachen von Flucht bekämpfen, kürzen aber den dafür vorgesehenen Haushaltsposten um eine Milliarde, ist das schon Staatsversagen?

Es geht bei denen, die mit dieser Vokabel um sich werfen, nur um die Flüchtlingsfrage.

Und an dieser Stelle möchte ich bezweifeln, dass es die Aufgabe der Politik ist, uns Probleme vom Hals zu halten. Uns zu schützen, ja, deswegen gibt es das Gewaltmonopol. Aber Politik ist mehr als das Draußen-Halten von Problemen.

 

„Their problems are our problems”

 

Kern des Politischen ist etwas anderes. Darf ich Papst Franziskus zitieren, der hat es in seiner Rede vor dem US-Kongress 2015 sehr deutlich ausgedrückt: „Their problems are our problems”. Wer sich nicht mit den eigenen Problemen zufrieden gibt, sondern Verantwortung für andere übernimmt, macht sich ihre Probleme zu eigen. Und er bekommt auch Probleme, die er sich gar nicht ausgesucht hat. Klimafragen, Hunger, Zugang zu Wasser, und natürlich die vielen mit Migration und Flucht verbundenen Fragen. Weiterlesen “Der Kern des Politischen”

Kategorien Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und MedienSchlagwörter Flucht, Flüchtlinge, Gesellschaft, Migration, Papst Franziskus, Politik, Schutz, Staat65 Kommentare zu Der Kern des Politischen

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