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Monat: Dezember 2018

Zum Jahresende: Ganz große Geschichte machen

Veröffentlicht am 31. Dezember 201826. Dezember 2018
Gerade zum Fest und zum Jahreswechsel hören wir viel von einem Christentum, das uns irgendwie das Leben besser macht. Dabei gehört zum Fest so viel mehr - bunt geht das Jahr zu Ende Zum Abschluss des Jahres noch einmal Weihnachten. Und dann ab ins neue Jahr.

Wir machen Geschichte. Nichts weniger. Gerade zum Fest und zum Jahreswechsel hören wir viel von einem Christentum, das uns irgendwie das Leben besser macht. Dabei gehört zum Fest so viel mehr. Weihnachten macht Geschichte.

Gott wird Mensch und die Geschichte der Welt ändert sich: Aus Schwach wird stark, aus Schuld Vergebung, aus Gott Mensch. Das ist die eine Weihnachtsgeschichte, sozusagen erzählt aus einer heilsgeschichtlichen Perspektive. Groß und irgendwie fern, aber Gott gemäß weil in ganz großer Sicht, in kosmischer Sicht. „Der Augenblick, in dem die Menschheitsgeschichte sich umkehrt“, nichts weniger. Das ist aus einer Predigt von Papst Franziskus: „Es ist der Moment, in dem sich alles ändert, vom Beginn her.“

Weihnachten macht Geschichte

Und dann ist da die andere Geschichte: Gott gibt, er nimmt nicht. Während wir Menschen haben wollen, will Gott geben. Es ist an uns, genau dasselbe zu tun, zu geben, das Geben zu lernen, es wie Jesus zu machen. Angeleitet von den weihnachtlichen Fragen „Brauche ich wirklich so viele Dinge und komplizierte Rezepte zum Leben? Schaffe ich es, auf viele überflüssige Nebensächlichkeiten verzichten, um ein einfacheres Leben zu wählen?“ Das ist die individuelle Sicht, die fast schon moralische Sicht, meine eigene Sicht auf die Dinge, das was ich selber ändern kann.

Weihnachten ist der Ort, an dem beide zusammen gehören. Ich kann die Botschaft nicht auf Moral und Ethik reduzieren, nicht auf soziale Wirkung abklopfen. In den Berichten zum Fest hier in Rom kam überall das Wort „Gier“ im Titel vor, der Papst hatte in seiner Predigt schön deutlich formuliert, das macht sich gut.

Kritik macht sich immer gut

Wenn ich das aber dabei belasse, als Kritik an unserer westlichen Welt und so weiter, und wenn ich den Blick nicht weite, dann wird das irgendwie belanglos. Dann ist das wie die Reduktion von Fasten auf Abnehmen. Dafür brauche ich Gott nicht.

Nehmen wir noch einmal die Weihnachtspredigt von Papst Franziskus, und zwar genau diese Sätze, die danach überall zitiert wurden: „Der Mensch ist gierig und unersättlich geworden. Das Haben, das Anhäufen von Dingen scheint für viele der Sinn des Lebens zu sein. Eine unersättliche Gier durchzieht die Menschheitsgeschichte, bis hin zu den Paradoxien von heute, dass einige wenige üppig schlemmen und so viele kein Brot zum Leben haben.“

Ein neues Lebensmodell

Da merkt man schon, dass die beiden Sichten – die auf die Menschheit als solche und die auf den einzelnen Menschen – nicht auseinandergehen. Die Frage nach Gott und die Frage, wie unsere Welt aussieht, gehören zusammen.

Und auch theologisch geht das nicht. Was ich tue ist eben keine Selbstoptimierung, nicht Individualmoral. Was ich tue hat heilsgeschichtliche Bedeutung. Den Herrn annehmen hat Folgen, nämlich ein neues Lebensmodell: „nicht verschlingen und hamstern, sondern teilen und geben“. Und zwar nicht nur weil dann die Welt besser wird und gerechter und so. Das auch. Aber nicht nur. Sondern weil das das Lebensmodell Gottes ist.

Wendepunkt

„Betlehem bezeichnet den Wendepunkt im Lauf der Geschichte“, so hatte es der Papst gesagt. Es ist aber auch der Wendepunkt in meinem Leben. „Wenn wir dieses Leben [das in Christus geschenkt wird] annehmen, ändert sich die Geschichte, ausgehend von jedem von uns.“ Immer wieder. Jeden Tag: „wachsam warten, losgehen, Risiken eingehen, das Schöne weitererzählen.“ Und dann machen wir Geschichte. Heilsgeschichte.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein gesegnetes und gutes, Geschichte machendes Jahr 2019.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und VernunftSchlagwörter Glauben, Heilsgeschichte, Moral, Papst Franziskus, Weihnachten9 Kommentare zu Zum Jahresende: Ganz große Geschichte machen

„Um das Menschengeschlecht zu retten”

Veröffentlicht am 24. Dezember 201824. Dezember 2018
Weihnachten: Gott wird Mensch. Konrad Witz: Ratschluss der Erlösung, nach 1444 gemalt. Berlin, Gemäldegalerie Konrad Witz: Ratschluss der Erlösung, nach 1444 gemalt. Berlin, Gemäldegalerie

Drei göttliche Personen im Himmel, die beraten, wer von ihnen denn nun Mensch werden soll: Es ist eine der beim Lesen skurril anmutenden Texte aus dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola. Wenn man die Exerzitien macht und nicht nur liest, dann ist man an dieser Stelle bereits eine Woche lang geistlich unterwegs. Man hat die Geschöpflichkeit der Welt meditiert, die eigene Beziehung zum Schöpfer, man hat das „Ich“-sagen vor Gott bewusst gemacht, gemeinsam mit dem Blick auf die eigene Schwäche und Sünde, der Fehlbarkeit und der Bedürfigkeit vor dem Hintergrund der liebenden Zusage Gottes. Wenn mir der Super-Schnell-Lauf hier mal gestattet ist.

Und nun der Beginn der zweiten Woche, die mit der Menschwerdung beginnt. Die Übung, die Ignatius anleitet, beginnt mit einer Hinführung:

„Die Geschichte der Sache herbei­brin­gen, die ich zu betrachten habe. Hier ist dies: Wie die drei göttlichen Personen die ganze Fläche oder Rundung der ganzen Welt voller Menschen schauten und wie, da sie sahen, dass alle zur Hölle abstiegen, in ihrer Ewigkeit beschlos­sen wird, dass die zweite Person Mensch werde, um das Menschengeschlecht zu retten; und so senden sie, als die Fülle der Zeiten gekommen ist, den heiligen Engel Gabriel zu unserer Herrin“.

‚Herbeibringen‘ ist hier die Anweisung, sich das schweigend in der Meditation vorzustellen, nicht nur abstrakt zu bedenken.

Weihnachten: Gott wird Mensch

An diese Übung wurde ich neulich erinnert, als ich ein Bild von eben dieser Szene gesehen habe. Es stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist damit ein halbes Jahrhundert älter als die Worte des Ignatius. Der hat ja bekanntlich nicht alles erfunden, sondern er hat gut zusammen gestellt.

Auf dem Bild sieht man die drei. Daneben dann das Resultat, wenn man so will, die Begegnung der schwangeren Frauen Maria und Elisabeth.

Diese Übung habe ich einige Male in Exerzitien gemacht, das schwerste daran war für mich immer die Anstrengung, die es kostet, sich das Ganze wie den Olymp und die griechische Götterwelt vorzustellen. Als gäbe es Drei Personen in dem Sinn als ob drei getrennt existierende Wesen um den Tisch versammelt diskutierten: Du. Nein Du. Oder doch vielleicht er? Oder sie?

Da wird man wirr im Kopf

Da wir außerdem vom Ergebnis her auf die Übung schauen, weil wir wissen, wer Mensch wurde, klingt das doppelt schwierig. Was soll es schon für Argumente geben? Und wie sollen wir verstehen, was genau der Sohn ist, wenn die Möglichkeit bestanden haben sollte, dass nicht der Sohn, sondern der Vater Mensch wird? Da wird man ganz wirr im Kopf.

Aber wie bei allen Übungen des Ignatius geht es gar nicht um dogmatische Aussagen, die gelernt werden sollen, sondern um innere Prozesse, um Gebet.

Hier geht es – Stichwort Hölle – darum dass Gott den Menschen nicht sich selbst überlässt. Dass die Frage nach dem Schicksal der Menschen im inneren Gottes, in den Personen, Widerhall findet. Das ist eben kein olympischer Gott, der aus seiner Distanz heraus handelt.

Kein olympischer Gott

Menschwerdung, das ist eben nicht etwas huldvoll-herablassendes. Gott selber involviert sich, und zwar nicht „erst“ auf der Erde, bei der Geburt Jesu, sondern bereits im Entschluss. Gott ist ganz involviert, die Einheit der drei Personen, so schwer das auch zu verstehen ist. Der menschgewordene Gott ist keine „Abteilung“ Gottes, nur ein Drittel, sozusagen. Das ist ganz-Gott.

Es ist Weihnachten. Wir feiern diese Menschwerdung. Das Bild und die Ignatius-Übung helfen mir dabei, die Fragezeichen offen zu halten. Wir haben nicht alle Antworten auf das Fest. Der Ursprung – das wollen und Bild und Übung sagen – liegt in Gott selbst. Gott sieht, auch wenn das fürchterlich formuliert ist weil Gott eben kein Mensch ist, Gott fühlt und liebt, Gott reagiert und macht die Geschichte des Menschen zu Gottes Geschichte.

Innere Erkenntnis

Die Übung hat noch eine zweite und eine dritte „Hinführung“. Die dritte ist in den Übungen immer eine Bitte, und mit der möchte ich diese Weihnachts-Gedanken abschließen und Ihnen ein gesegnetes Fest wünschen.

Diese Bitte sagt uns, worum es bei dem Fest, bei der Menschwerdung, für uns geht:

„Innere Erkenntnis des Herrn erbitten, der für mich Mensch geworden ist, damit ich mehr ihn liebe und ihm nachfolge.“

Kategorien Allgemein, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Exerzitien, Glaube, Ignatius, Jesus, Menschwerdung, Trinität, Weihnachten21 Kommentare zu „Um das Menschengeschlecht zu retten”

Autorität in der Kirche, Folge 2: Gehorsam

Veröffentlicht am 21. Dezember 201821. Dezember 2018
Autorität Kirche und Gehorsam: Papst Franziskus im Gespräch auf dem Petersplatz Papst Franziskus spaziert über den Petersplatz, 16. November 2018

Katholiken wissen, wie man Autorität inszeniert, im guten Sinn des Wortes. Wie man sie sichtbar macht. Der Petersplatz ist der perfekte Ort dafür, aber auch jede Liturgie zeigt das. Kleidung, Zeichen, all das zeugen von sichbarer Autorität in der Kirche. Diese Autorität ist aber nicht alles, denn dazu gehört das Gegenstück. In meiner ersten Folge zum Thema habe ich über Autorität geschrieben, mit diesem Stück möchte ich das aufrunden auf Autorität, Kirche und Gehorsam.

Am 24. November traf Papst Franziskus die Seminaristen des Bistums Agrigent in Italien, wie er das gerne tut legte er den Redetext beiseite und sprach frei, sein Thema war die Spiritualität des Priesters. Aber das Thema dahinter war das des Gehorsams, der mehr ist als nur das Ausführen von Befehlen. Da hört man wieder den Jesuiten heraus, aber was er sagt ist weiter als nur für Ordensleute gültig. Und darauf mag ich mich hier stützen.

Autorität, Kirche und Gehorsam

Holen wir etwas weiter aus: Papst Franziskus begann – und das ist ganz jesuitisch – mit dem Gedanken, dass man das Priestertum nicht ohne eine „Mission“ leben kann. Und das Wort müssen wir hier geistlich verstehen, es ist durch die Geschichte des „Missionars“ etwas verdorben, aber es bedeutet halt mehr als nur „Auftrag“. Es geht nicht ohne eine Mission. Oder eine Sendung, eine Aus-Sendung.

Ohne eine solche „Sendung” spaziert man nur herum, so Papst Franziskus, ohne den Horizont der Mission bricht man nicht auf sondern verirrt sich in einem Labyrinth.

Und wie stellt der Priester fest, ob das was er tut wirklich Wille Gottes und damit Sendung ist? Dafür gibt es den Bischof. Oder im Fall von Orden füge ich an: den Oberen und die Obere.

Im Layrinth verirrt

„Der Bischof ist derjenige, der im Namen Gottes sagt: ‚Das ist der Weg‘.“ Eine steile Ansage: Der Bischof – oder Obere oder Oberin – spricht „im Namen Gottes“. Hier sind wir beim Thema Gehorsam, denn auf einmal geht das weit über Funktionalität und Stellenpläne und Machbarkeit hinaus. Und hier bekommt dann auch das Wort „Mission“, „Sendung“, seinen Sinn.

Dieser Gehorsam muss dialogisch sein, denn „jeder hat seine eigene Persönlichkeit, seine eigene Art zu fühlen, seine eigene Denkweise, seine eigenen Tugenden, seine eigenen Fehler“. Und der Bischof – die Oberen – helfen beim Wachsen. Dieser Gehorsam ist „nicht verhandelbar“. Das wird nicht in Verhandlungen oder Versammlungen entschieden, sondern vom Oberen.

Man könnte jetzt sagen, dass das dem Bischof und den Oberen viel Macht gibt, und das ist einerseits auch richtig. Aber das stellt andererseits auch ziemlich starke Ansprüche an diejenigen, welche diese Autorität ausüben.

Anspruch an die Autorität

Der Papst spricht über den Bischof: „Er ist nicht der Besitzer der Firma, … er ist nicht der Boss. Es ist nicht das, was er befiehlt: ‚Hier befehle ich‘, einige gehorchen, andere geben vor, zu gehorchen, und andere tun nichts.“ Das ist der Gehorsam, wie wir ihn vielleicht kennen, Zwang und das Bemühen, dem zu entgehen. So ist das aber nicht fruchtbar. So hat das keinen Heiligen Geist, so der Papst.

Und noch etwas fügt der Papst in Bezug auf diesen Gehorsam an: er ist eingeordnet. Für Priester ist das: eingeordnet sein in die Gemeinschaft der Priester, und eingeordnet sein in das Volk Gottes. Sonst macht der Gehorsam überhaupt keinen Sinn und sonst hat auch die Autorität des Bischofs keinen Sinn.

„Denn oft, wenn wir das vergessen, fallen wir in den Klerikalismus und vergessen die Menschen, von denen wir kommen.“ Wer das vergisst, fühlt sich überlegen, und das wird dann die „schlimmste Perversion“ des Priesterseins. Starke Worte.

So gehören Autorität und Gehorsam zusammen

Wenn man jetzt beides zusammen packt, die Autorität auf der einen und den Gehorsam auf der anderen Seite, beide richtig verstanden, wird ein Schuh draus. Es geht nicht um Verwaltung und Herrschen, auch wenn das sicherlich zwei Versuchungen dieser Autorität sind. Es geht auch nicht um eine Engführung des eigenen Verkündens auf das, was der Chef sagt. Das ist nicht Gehorsam. Beides gehört zusammen und beides gehört in die Kirche.

Wir haben beides irgendwie als böse markiert: Freiheit ist gut und Gehorsam nicht, Autorität wird immer mehr und aus guten Gründen in Frage gestellt, es gibt einfach zu viele Beispiele von schlecht ausgeübter Autorität. Um so wichtiger wäre es, die Sprache darüber wieder zu gewinnen und uns zu fragen, was wir – die Priester, die Ordensleute – darüber zu sagen haben. Wie wir über diese Dimension unseres Lebens sprechen. Ich bin ja kein freischaffender Künstler, nur mir selbst gegenüber verantwortlich.

Die Einbindung in Gemeinschaft, in Kirche, in Tradition und so weiter, die geschieht eben über Autorität und Gehorsam. Das kann etwas sein, was gut ist, was man zeigen kann, von mir aus auch inszenieren. Aber dann muss klar sein, was das eigentlich ist.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Autorität, Gehorsam, Kirche, Leitung, Papst Franziskus, Sendung11 Kommentare zu Autorität in der Kirche, Folge 2: Gehorsam

Autorität in der Kirche, Folge 1: Wachsen lassen

Veröffentlicht am 18. Dezember 20185. Dezember 2018
Autorität in der Kirche: Der Papst und die Leitung der Kirche Die letzte Tiara: von Paul VI. im Juni 1963 zuletzt getragen

Wer in der Kirche Autorität ausübt, hat es nicht leicht mit dem Papst. Ob es nun Kardinäle und Amtsträger im Vatikan sind, ob er bei Papstreisen deutliche Ansagen an die Bischöfe macht, oder dass er immer wieder streng über Priester spricht, alle bekommen es ab. Die wahre Macht ist der Dienst, sagt der Papst, und genau in diese Richtung drängeln seine Ansagen die Inhaber von Autorität.

Aber nicht nur vom Papst her können die sich unter Druck fühlen. Von überall her wird diese Autorität angefragt. Bei uns durch Finanzskandale, durch die Vertuschung von Missbrauch, durch Moral-Lehre an den Menschen vorbei und so weiter. Man lässt sich ungerne was sagen, sondern sagt lieber selber was.

Die Zeichen der Zeit nicht gelesen

Und da gibt es immer wieder Autoritäts-Inhaber, welche die Zeichen der Zeit nicht lesen können. Nehmen wir die Abstimmung zum Abschlussdokument der Synode. Alle Punkte haben weit über zwei Drittel aller Stimmen bekommen, die meisten sogar knapp an Einstimmig vorbei. Aber es gab einige Punkte, bei denen eine signifikante Gruppe von Bischöfen mit Nein gestimmt hat.

Es sind die Punkte über die Einbeziehung von Frauen in Entscheidungsprozesse, die Frage nach der Bedeutung des Gewissens, die beiden Abschnitte zum Missbrauch oder auch allgemein das Thema der Synodalität. Nun kann ich zu den Motivationen für die Gegenstimmen nichts sagen, es ist aber auffällig, dass das alles mit dem Thema Autorität zu tunhat. Zumindest bei einigen vermute ich da Verlustängste, was die eigene Autorität angeht.

Autorität in der Kirche

Zeit also, sich des Themas noch einmal neu anzunehmen. Dringende Zeit sogar, die Anfragen werden stärker. Vor der Synode zum Beispiel hat es das Vorbereitungskommittee so formuliert: Die Kirche übt ihre Autorität so aus, dass sie „generativ“ wirkt (Nr. 141): „Einigen Analysen zufolge ist Autorität, im etymologischen Sinn verstanden, die Fähigkeit, jede Kreatur „wachsen zu lassen“ (aus dem Lateinischen augeo, und von dort auctor und auctoritas), und zwar in der Originalität, die der Schöpfer für sie gewollt und vorgesehen hat. Autorität auszuüben bedeutet also Verantwortung im Dienst der Freiheit zu übernehmen, nicht eine Kontrolle zu bewerkstelligen, die den Menschen die Flügel stutzt und sie in Ketten hält.”

Diese Art von Autorität braucht keine Verlustängste haben. Und wo Verlustängste sind, da ist dann offenbar nicht diese Art von Autorität. Die Eltern unter meinen Leserinnen und Lesern werden wissen, was ich meine, genau um diese Form geht es. Wenn Kinder nachher alleine stehen können, dann war es eine gute Erziehung. Wenn sie immer die Autorität der Eltern brauchen, immer eine Ersatz-Autorität suchen, dann hat es nicht funktioniert.

Es ist wie bei Eltern

Eine Problemanzeige, wenn ich darf: In der Kirche bestehen viele Bischöfe auf die Autorität, die ihnen qua Amt und Weihe zukommt. Wenn dann aber was schief geht, dann heißt es „wir“ oder „die Kirche“, das Thema wird sozusagen sozialisiert und die Verantwortung ist nicht mehr bei der Autorität. Dadurch verliert Autorität aber Autorität, wenn ich das so sagen darf.

Auch das Beharren auf dem wörtlichen Zitieren von Dogmen und der Schrift hilft hier nicht. Das soll bloß Immunisieren, überzeugt aber niemanden. Autorität kann man nicht einfordern, sie wird einem zugestanden. Mit den Vollmachten, die einem per Weihe und Beauftragung zukommen, ist das etwas anderes, aber hier geht es um die Leitung, das hat mit Freiheit und mit Verantwortung zu tun.

Autorität ist nicht etwas, was ich habe, was meins ist, was ich besitze. Autorität dienst zu etwas, hat einen Sinn und ist damit auf etwas hingeordnet: das Wachsen des anderen.

Nun ist das alles wohlfeil, es muss nur noch real werden. Versuche gibt es, zum Beispiel die Trennung von Leitung und Weihe im Erzbistum München und Freising. Das ist nur der jüngste der möglichen Schritte. Wenn wir aber Autorität in der Kirche als mehr verstehen wollen als nur das zurückdrängen des so genannten Zeitgeistes, dann brauchen wir viel mehr davon.

 

Autorität hat aber auch eine Kehrseite: in religiöser Sprache nennen wir sie den Gehorsam. Die beiden gehören zusammen. Und was das heißt, dazu dann mehr in Folge 2 dieses Stücks.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Autorität, Gehorsam, Kirche, Leitung, Papst Franziskus, Synodalität, Synode32 Kommentare zu Autorität in der Kirche, Folge 1: Wachsen lassen

„Sportreporter der Religion”

Veröffentlicht am 16. Dezember 201812. Dezember 2018
Religion im Journalismus: Seligsprechung Johannes Paul II., am 1. Mai 2011 Petersplatz 2011, im Mai: Wie berichtet man so ein Ereignis wie dieses?

Man kann es schon bei Goethe sehen: Jemand will was wissen über Religion. Was es damit auf sich hat und so. Und der Befragte weicht aus, stellt Rückfragen, geht nicht auf die Frage ein sondern auf den Frager, und so weiter. Über Religion sprechen ist schwierig.

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.”

So fragt Gretchen, und so eindrücklich, dass diese Art Frage nach ihr benannt ist (Faust I).

In den letzten Tagen hatte ich wieder einige Gespräche darüber, wie wir das hier machen, also im Beruf, bei Vatican News, Radio Vatikan. Das Reden über Religion gehört ja dazu, naturgemäß. Aber wie darüber sprechen?

Religion im Journalismus

Und wie machen das die Kolleginnen und Kollegen, die für andere Medien arbeiten, aber zum selben Thema? Machen die Religion als Religion zum Thema? Oder weichen sie auf andere Themen aus, wie Faust?

Wie kann ich das überhaupt tun, hier im Strukturzentrum einer Weltreligion über Religion sprechen, ohne vereinnahmend zu sein? Seit einiger Zeit teste ich deswegen eine Formulierung für meine Arbeit aus, mit der ich das fassen mag. Ich bin nämlich sowas wie ein „Sportreporter der Religion”.

Damit meine ich, dass ich wenn es um vatikanische Ereignisse geht, es mir weniger um fertige Urteile geht, die an den Mann und die Frau gebracht werden müssen und wollen. Ich folge viel mehr dem Geschehen auf dem Feld, um in der Metapher zu bleiben.

Natürlich ist das nicht neutral, nichts ist neutral, schon gar nicht im Journalismus. Aber ich bin überzeugt, dass eine Stimme, die nicht genau so funktioniert wie all die anderen Stimmen, eine Bereicherung sein kann, wenn sie denn offen daher kommt. Und das probieren wir hier bei uns.

Vor einiger Zeit hatte ich schon mal darüber geschrieben, aber weil es in jüngster Zeit mal wieder Gegenstand hier war, mag ich das hier noch einmal anbringen.

Religion als Religion berichten

Immer mehr Journalisten ist das Thema Religion fremd, gleichzeitig wird es aber immer wichtiger, und zwar sowohl was das fremd gewordene Eigene angeht, das Christentum, als auch was den Islam angeht.

Religion ist eben nicht nur ein soziologisch zu begreifendes Phänomen, sie ist nicht nur von politikwissenschaftlichen, geschichtlichen oder kulturwissenschaftlichen Begriffen zu fassen. Ich verliere sogar eine wichtige Dimension von Religion, wenn ich mich als Journalist in meiner Berichterstattung nur auf solche Begriffe stütze.

Wenn zum Beispiel ein neuer Papst gewählt wird, dann findet die Berichterstattung oft im Modus von demokratischen Wahlprozessen statt. Da gibt es dann Parteien, Wahlsieger, da gibt es konservativ und progressiv und so weiter. Und das ist ja auch verständlich, die Kategorien, die ich anlege, bestimmen das Bild, das ich sehe.

Aber es verhindert eben leider auch, dass ich die „ganze“ Geschichte erkenne. Wenn ein Kardinal vom gemeinsamen Gebet erzählt, das stattfindet, und die geistliche Dimension betont, wird das als Nebensächlichkeit oder als Vertuschung wahrer Motive eher ignoriert.

Am ehesten noch gelingt die Berichterstattung über die religiöse Dimension der Religion im Fernsehen, das wird von Bildern viel besser getragen als von Worten. Aber wie erklärt man das?
Man kann – davon bin ich überzeugt – über Religion als Religion sprechen, selbst wenn man dieser Religion nicht angehört. Man muss nicht selber gläubig oder fromm sein, um klug über Religion zu sprechen. Aber wie kommt man dahin?

Angst verlieren

Ein erster Schritt ist es, die Angst zu verlieren, sich vereinnahmen zu lassen. Nicht die Vorsicht und nicht die Sorgfalt, aber die Angst. Natürlich gibt es die Versuchung, zum Teil des Systems zu werden, wie bei Sportreportern und Sportfunktionären, Politikreportern und Politikern, und so weiter. Es ist aber kein Automatismus. Ich stelle eine Sorge bei Kolleginnen und Kollegen fest, zu „fromm“ zu klingen. Ich stelle auch eine Sorge fest, sich zu weit von einem Publikum zu entfernen, das man als der Religion entfremdet vermutet. Und drittens stelle ich die Sorge fest, vor Kolleginnen und Kolleginnen komisch auszusehen, wenn man sich mit sowas auskennt. Ich meine das gar nicht herablassend, das muss man ja auch ernst nehmen. Aber daraus darf sich keine Angst entwickeln, die Unkenntnis in Sachen Religion zu einer Tugend erhebt.

Ein zweiter Schritt wäre, Religion neu kennen zu lernen. Wie gesagt, Unkenntnis ist keine Tugend. Auch ist es keine Tugend, Religion den immer wieder gebrauchten Begriffen aus Politik oder Kultur zu unterwerfen. Drittens ist es keine Tugend, schon gar keine journalistische, immer wieder dieselben Fragen aufzuwerfen ohne nachzusehen, ob solche Fragen ein richtiges Bild des Berichteten abgeben. Neugier ist auch hier wie überall im Journalismus wichtig.

Unkenntnis ist keine Tugend

Drittens braucht es eine gesunde Selbsteinschätzung in Sachen „Aufgeklärtheit“. Es ist eben nicht so, dass post-religiöse Menschen „aufgeklärter“ sind, „weiter“ sind als andere. Es gibt eine Auffassung von Fortschrittlichkeit, die post-religiös daher kommt. Das mag ja sein – nehmen wir das mal hypothetisch an – muss dann aber auch gezeigt werden. Als stille Voraussetzung verzerrt es die Perspektive.

Viertens braucht es Sachkenntnis. Das klingt jetzt wie ein versteckter Vorwurf, als ob es das nicht gäbe. Es gibt aber tatsächlich viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr viel wissen, meistens aber über die jeweiligen Institutionen von Religion, etwa die Kirche. Das ist aber nicht immer dasselbe.

Das alles ist aber nicht nur nach außen gesprochen. Das gilt auch nach Innen, in den katholischen Journalismus.

Post-religiöse Fortschrittlichkeit

Vor einiger Zeit habe ich einmal Kriterien zu formulieren versucht, was genau katholischer Journalismus sein kann. Oder vielleicht etwas bescheidener formuliert, das dazu gehören muss.
Katholische Medien, um es etwas thesenhaft zu formulieren,

– brauchen Loyalität. Wer nicht zur eigenen Katholizität steht, wird nicht ernst genommen. Das bedeutet aber nicht, gleich einen eingebauten Filter zu haben und offizielle Sprachregelungen schlicht zu kopieren.
– brauchen Professionalität, was die Standards angeht. Natürlich ist ein Pfarrblatt etwas anderes als die Pressestelle der DBK, aber jeder muss das seine gut und richtig machen, je auf eigene Weise.
– brauchen eine klare Trennung zwischen Information und Verkündigung. Informationen, die sich nur Nutzern erschließen, die ein Vorverständnis teilen, führen in Sonderwelten.

Das unter den Bedingungen einer sich immer weiter wandelnden Medienwelt neu zu erfinden, das ist unser täglicher Job.

Religion im Journalismus. Interviewt werden anlässlich der Seligsprechung Papst Johannes Paul II
Sieht fast aus wie eine Sportreportage: 1. Mai 2011, im Interview zur Seligrpechung von Johannes Paul II

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Kunst, Kultur und KönnenSchlagwörter Journalismus, Medien, Religion, Sport7 Kommentare zu „Sportreporter der Religion”

Wider die Abdankung des Denkens

Veröffentlicht am 12. Dezember 2018
Robert Spaemann, Philosoph, katholisch Prof Robert Spaemann, aufgenommen in Rom 2012

Zum Tod von Robert Spaemann.

Er hatte immer eine unbequeme Nachricht für uns: die Wahrheit richtet sich nicht nach dem Menschen. Robert Spaemann, gestern im Alter von 91 Jahren verstorben, hat an den unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten des Denkens gerüttelt.

„Wenn es nur darauf ankommt, dass jeder das denkt, wonach ihm zumute ist, dann gibt es kein rationales Gespräch mehr, sondern es gibt dann nur noch Befindlichkeiten. Es ist ja ein Denken, das sich heute auch bei vielen Christen ausbreitet, die eigene Befindlichkeit für das Letzte zu halten. Da fällt mir immer das Wort von Karl Krauss ein: ‚Ich interessiere mich nicht für meine Privatangelegenheiten’.“ Das stammt aus einem Interview, das ich 2012 mit ihm geführt habe.

Ich interessiere mich nicht für meine Privatangelegenheiten

Für diese Klarheit habe ich ihn immer bewundert. Er war unbestechlich in seiner Einsicht, dass es ohne Wahrheit keine Ordnung und ohne Gott keine Wahrheit geben kann. Dann bliebe nur die Befindlichkeit und das Individuum übrig.

Lesern dieses Blogs wird nicht entgangen sein, dass ich mich auch über ihn geärgert habe, wenn ich meinte, dass er in seinen Überzeugungen zu weit galoppiert war. Aber er war ein Denker, den man eben nicht ignorieren konnte.

Jetzt kommen die Nachrufe und unisono ist dort vom „konservativen” Philosophen die Rede. „Er war ein Konservativer in der Annahme, dass eine rein aufs Innerweltliche bezogene Philosophie bald an die Grenzen der Erkenntnis gerät”, darf ich einen beliebig heraus gegriffenen Nachruf zitieren. Ist das konservativ? Es charakterisiert viel vom Fragen Speermanns, aber ob es sich so schlicht einordnen lässt, wage ich doch zu bezweifeln.

Naturrecht und Denken

Konservativ gehört wie der Widerpart liberal zu den Begriffen, die unsere Gesellschaft und unser Denken kartographieren wollen. Sie stammen aber aus einer Zeit, die von ganz anderen Debatten geprägt waren. Wenn ich Spaemann heute lese oder besser noch mir meine Interview-Aufzeichnungen noch mal anhöre, dann höre ich nicht jemanden, der zurück zu etwas will, der etwas Vergehendes bewahren will. Es ging ihm immer um Grundsätzliches, er bewahrte nie um des Bewahrend willen.

Wahrheit war ihm ein Zentralbegriff. Ohne Wahrheit kein Bezug, keine Ordnung. Was das bedeutet und wie Recht Spaemann hat sehen wir in unserer Welt: die Lüge geht unmaskiert und offen durch die Welt und gewinnt, sie zerschlägt die Ordnung zu Gunsten von Macht und will sich nicht solchen Dingen wie der Suche nach Wahrheit unterwerfen. Allein Macht zählt.

Weil sich die Macht aber nicht nach dem Menschen richtet, sondern wir uns an ihr ausrichten müssen, deswegen ist die Wahrheit der Feind derer, die Macht um der Macht willen wollen. Die Wahrheit ist unser Freund.

Wahrheit wider die Macht

Gerne nahm er dafür das heute unbeliebte Naturrecht zu Hilfe. Der eben zitierte Nachruft fasst das sehr gut: Spaemanns Sprechen vom Naturrecht wolle nichts bewahren, schon gar nicht bestehende Verhältnisse stützen. Er sei immer Rebell gewesen und geblieben.

So konnte man sich immer an ihm reiben, und so habe auch ich mich immer wieder mit ihm beschäftigt. Er saß nie auf dem Thron der Philosophen und erklärte die Welt. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrfach die Gelegenheit, in kleineren Runden mit ihm zu diskutieren. Sein Denken war immer von etwas gepackt. Robert Spaemann war ein Überzeugter, der das lebte, was er dachte.

In einem Interview hatte ich ihn gefragt, ob er es als seine Aufgabe als Philosoph sieht, das Unausgesprochene in unserer Welt zu demaskieren. Seine Antwort:

„Das scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben der Vernunft heute zu sein.“

Möge er in Frieden ruhen.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und VernunftSchlagwörter Abuklärung, Denken, Naturrecht, Philosophie, Robert Spaemann, Tod17 Kommentare zu Wider die Abdankung des Denkens

Glauben verstehen – den Schritt heraus machen

Veröffentlicht am 9. Dezember 2018
Neue Perspektive im Glauben - Santa Sabina in Rom Draußen und drinnen: Santa Sabina in Rom

Wir hören vor dem Fest in den Lesungen während der Liturgie von Johannes dem Täufer. Was gut zur Vorweihnachtszeit passt, jedenfalls besser als die ganzen Märkte. Johannes der Täufer ist unsere Hilfe, Weihnachten zu verstehen. Und damit vielleicht zu verstehen, wie Gott immer wieder in unser Leben kommt.

Denn das ist ja nicht so ganz einfach zu verstehen. Nach so vielen Jahren und Jahrhunderten hat sich der Glaube, unsere Religion, die Kirche kulturell gesetzt.

Neue Perspektive im Glauben

Nehmen wir nur einfach mal das Wort ‘Kirche’. Wir benutzen das Wort schnell dahin, als wäre das selbstverständlich. Und laden es auf, mit Kultur, mit Bedeutung, mit Ansprüchen. Gestern habe ich zum Beispiel von einem prominenten Kardinal gelesen, der behauptete, Jesus habe die Kirche so gegründet wie wir sie jetzt vorfinden, in Leitung, Lehre, Regeln.

Dabei ist selbst die Kirchensprache nicht eindeutig. Ein Theologe hat mal nachgezählt und allein in den Konzilsdokumenten zwölf verschiedene Bedeutungen des Wortes gezählt. Im Neuen Testament kommt das Wort mehr als 100 Mal vor.

Johannes hilft uns da, weil er den Schritt macht und heraus tritt. Die Wüste ist nicht der Ort, an dem sich normalerweise Religion organisiert, Johannes sucht einen Ort außerhalb, eine neue Perspektive, ein draußen. Und damit machen auch alle diejenigen, die zu ihm kommen – bis hin zu Jesus – diesen Schritt heraus. Er gewinnt eine neue Perspektive im Glauben.

Mit Johannes dem Täufer heraus da

Ich erinnere mich an eine Tagung, bei der es darum ging, als Journalisten Religion als Religion zu verstehen und zu berichten. Es trat eine Journalistin auf, die ihr ganzes Leben hat kämpfen müssen, gegen alle möglichen Vorurteile und Benachteiligungen, bis sie dahin gekommen war, wohin andere viel leichter kommen, also in Verantwortung. Sie übernahm die Debatte, berichtete von ihrem Kampf und drehte damit die Perspektive: Religion und das Berichten darüber müsse zu einer offeneren, inklusiveren, fördernden und toleranten Gesellschaft führen.

Das Problem damit: Damit wird Kirche und Religion zum Zweck. Wir alle sind für eine offene und inklusive Gesellschaft, wir alle wollen das. Und auch aus christlichem Geist, das ist ein Auftrag, der auch aus unserem Glauben kommt. Aber dieses Verständnis von Religion tötet Religion. Es macht sie zu einem Zweck. Es ist eine Reduktion.

Die Falle ist verlockend: Der Journalist weiß angeblich, was gut und was schlecht ist und in welche Richtung sich Gesellschaft entwickeln muss. Religion wird dann vor diesen Karren gespannt. Der Bricht wird dann zu einem Messen: passt das? Oder nicht? Dementsprechend kommt dann auch die Kritik.

Eine verlockende Falle

Aber auch außerhalb des journalistischen Betriebes ist das nicht anders. Wir verstehen Religion, Kirche, Glaube oft genug in unseren Vorverständnissen, wie sollte es auch anders sein. Und da kommt Johannes und macht den Schritt heraus, schafft die neue Perspektive.

Wir reden so leichthin über „Gott wird Mensch“ oder auch über kompliziertes wie, „Gnade“ und „Vergebung“. Leichthin, weil diese Wörter so tief verankert sind, dass die Sinnspitze oft verschütt gegangen ist. Die kirchliche Binnensprache ist voll von diesen Begriffen, die davon ausgehen, dass wir wissen, wovon wir reden, bei genauem Hinsehen aber eine Neuübersetzung oder einen „Umweg“ gebrauchen könnten. Einen Schritt heraus.

Die Worte entstehen und ändern ihre Bedeutung. Es treten Assoziationen hinzu. Die Worte nutzen sich ab weil sie zu oft einfach nur wiederholt werden. Da tut der Perspektivwechsel gut.

Das hat dann auch mit Bekehrung zu tun, man kann über Johannes nicht sprechen, ohne das Wort Umkehr zu benutzen.

Es geht aber auch um Hoffnung. Der Schritt mit Johannes hilft, Hoffnung wieder zu beleben, ein Warten, das vielleicht eingeschlafen ist, wie der Papst es zum Angelusgebet heute formuliert hat.

„Noch heute sind die Jünger Jesu berufen, seine demütigen, aber mutigen Zeugen zu sein, um die Hoffnung wiederzubeleben, um zu verstehen, dass das Reich Gottes trotz allem weiterhin Tag für Tag mit der Kraft des Heiligen Geistes aufgebaut wird.“

Dazu braucht es die neue Perspektive. Und dazu hilft uns die Perspektive des Täufers.

Kategorien Allgemein, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Gesellschaft, Glaube, Kirche, Kultur, Säkular1 Kommentar zu Glauben verstehen – den Schritt heraus machen

Der Schurke Christus und die Freiheit

Veröffentlicht am 8. Dezember 2018
Kirche und Freiheit: Innenraum von Sankt Peter, sehr früh morgens Sankt Peter, sehr früh morgens

Kennen Sie den guten Jesus und den Schurken Christus? Das ist der Titel eines Buches des englischen Autors Philip Pullmann, das Roman zu nennen etwas übertrieben wäre. Erschienen 2010 spielt der Autor mit der Idee, dass Jesus gut gewesen sei, ehrlich und überzeugt, dass aber der ganze Überbau, samt Idee von Kirche und so weiter, von seinem Zwillingsbruder Christus gekommen sei, der auch nach der Kreuzigung seine Rolle übernommen habe. Angeleitet vom Verführer, jedenfalls wird das angedeutet. Es geht um Kirche und Freiheit, so einfach mag ich das zusammen fassen.

Das Ganze ist interessanter geschrieben, als ich das hier skizzenhaft darstellen kann, Jesus Christus – und damit auch die Botschaft und sein Auftrag – wird in zwei Personen zerlegt und die Inhalte werden voneinander getrennt.

Der zerlegte Herr

Das ganze Buch hat zwei Scharniere. Zum einen ist da die Vision des Christus genannten Zwillingsbruders, der sich eine Kirche wünscht, mit Priestern, Regeln, Kultvorschriften und dem ganzen Drum und Dran, das wir heute meistens mit Kirche in Verbindung bringen.

Das zweite Scharnier ist das Schlussgebet des Jesus, im Garten vor der Hinrichtung. Jesus verstummt, weil Gott nicht antwortet und er auch nicht weiß, ob es Gott überhaupt gibt. Zuvor aber reflektiert er die Pläne seines Bruders für eine Kirche und verdammt sie, der Teufel ergreife Besitz vom Menschen, sobald dieser Macht übernehme. Er schimpft auf die Privilegien der wenigen, die die Kirche regieren und so weiter. Die ganze Palette des Schlechten in der Kirche wird Jesus in den Mund gelegt.

Die Kritik kam natürlich prompt, der Autor musste mit Personenschutz zur Buchvorstellung. Aber auch Atheisten waren nicht glücklich, Pullman versuche immerhin Jesus zu retten. Kluge Kritik etwa kam damals, 2010, von dem Theologen Gerard O’Collins.

Großinquisitor, neu aufgelegt

Das Ganze ist natürlich eine literarische Vorstellung, kein wirklicher Umgang mit Geschichte und Bibel. Was mich wiederum gleich zu DEM Text greifen lässt, der das Vorbild für die ganze Gattung ist, Der Großinquisitor von Fjodor Dostojewskij, aus den Gebrüdern Karamasow.

Ein direkter Berührungspunkt zwischen dem „Schurken Christus“ und dem Inquisitor ist etwa das Wunder, das den Glauben ersetzt. Ein zweiter Punkt ist die Freiheit: die wahre Freiheit erlangt der Mensch erst, wenn er der Freiheit entsagt und sich unterwirft, sagt der Großinquisitor. Jesu unbedingte Freiheit überfordere den Menschen, die Kirche hingegen habe die Tat Jesu „verbessert“ (wörtlich so auch im „Schurken Christus“) und auf Autorität gegründet, damit auch erkennbar gemacht für die Menschen, die nicht so stark sind und die Hilfestellungen brauchen.

Die so verstandene Kirche habe Platz für den Schwachen, überfordere ihn nicht. Aber dazu braucht es halt Regeln und Autorität, welche die absolute Freiheit ersetzen, so die „Phantasie“ die Dostojewskij dem Inquisitor in den Mund legt.

Kirche und Freiheit

Beide Erzählungen vereint, dass „Kirche“ etwas Anderes will, als Jesus gewollt habe.

Warum mache ich das hier so ausführlich? Weil es ein wunderbares Beispiel für Kirchenkritik ist, wie sie in den Köpfen vieler Leute steckt und mir immer wieder begegnet. Und weil es um das Thema geht, dass wie kein anderes ethische, moralische, gesellschaftliche Fragen durchzieht, auch wenn es nicht aus gesprochen wird. Das Thema Freiheit. Und mit Literatur macht es einfach mehr Spaß.

Mein Problem mit dieser Art Kirchenkritik ist, dass Kirche nicht mehr kritisierbar wird. Klingt wie ein Widerspruch, ist in meinen Augen aber keiner. Die Kirche wird im literarischen Trick insgesamt zu einer Verfälschung der Botschaft Jesu. Das Sündhafte in der Kirchengeschickte wird so dem Guten gleichgestellt, Sünden und Schlimmes und Falsches wird nicht mehr identifizierbar, weil ja alles gleich falsch ist. Das Sündhafte wird in den Grund der Kirche hinein gelesen.

Damit wird die Erzählung sowas wie eine umgedrehte Prophetie. Es gibt keine Freiheit mehr, weil ja alles falsch ist, es ist egal, was man tut oder nicht.

Echte Geschichte hingegen hilft uns dabei, das Sündhafte, das Falsche, die Irrwege und Irrtümer zu identifizieren. Weit mehr, als es eine Generalverdammung je sein könnte. Dann kann man sich die Regeln vornehmen und schauen, wie sie und ob sie hilfreich sind oder nicht. Oder vielleicht sogar ein „Weg der Freiheit“, wie der Papst sagt. Dann wird echte Kritik möglich.

Freiheit überfordert

Zweitens zum Thema Freiheit: Religion will Menschen kontrollieren, weil sie alleine von der Freiheit überfordert seien, das sei die Grundhaltung der Kirchen-Oberen. Allein die Abschaffung aller dieser Beschränkungen, das sich verlassen auf die menschliche Freiheit, könne Glück schaffen, so lautet die Gegenvision. In der Geistesgeschichte der Kirche nennt man diese Haltung Pelagianismus.

Der Trick bei Pullman ist, das Erzählen selbst zum Teil des in sich verfälschenden Systems zu machen, wir können also noch nicht einmal auf die Bibel schauen, denn die ist bereits Teil der Kirche. Nur eine völlige Ablehnung schaffe die Freiheit, sich den Ideen dieses Jesus zu nähern. Damit fällt die Frage nach Sünde völlig weg. Das Gute und das Schlechte wird ununterscheidbar, alles wird in der Geschichte beliebig. Ist das Freiheit?

Freiheit überfordert uns nicht, das ist die christliche Antwort. Aber sie hat Konsequenzen. Eine frei und vor Gott getroffene Entscheidung führt zu etwas. Hinterlässt etwas. Beliebigkeit ist keine Freiheit.

Beliebigkeit ist keine Freiheit

Eine Konsequenz zum Beispiel ist, dass die Weitergabe des Glaubens Gemeinschaft schafft. Ohne diese Gemeinschaft wiederum gibt es keine Weitergabe, die beiden gehören zusammen. Das nennen wir Kirche. Ohne diese Kirche kann es gar keinen Glauben geben, keine Tradition. Und das Gleiche gilt auch für nichtkirchliche Bereiche.

Es sei ein Schurke, wer Gemeinschaft schaffen wolle, das lese ich beim oben genannten Buch. Aber genau das ist falsch. Freiheit ohne Gemeinschaft ist ohne Sinn. Und auch religiöse Freiheit, meine eigene Freiheit vor Gott und den Menschen, macht ohne Gemeinschaft keinen Sinn.

Fast automatisch hören wir bei dem Wort „Kirche” Einschränkung, Regeln, Moral. Vielleicht müssen wir uns noch mal hinsetzen und nachdenken, was Kirche auch sein kann. Was Kirche sein soll. Nämlich Raum für die Freiheit des Glaubens.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kunst, Kultur und KönnenSchlagwörter Bibel, Dtostojewskij, Freiheit, Großinquisitor, Jesus Christus, Kirche, Literatur5 Kommentare zu Der Schurke Christus und die Freiheit

Turmbau im Labor

Veröffentlicht am 5. Dezember 20185. Dezember 2018
Gentechnik und Ethik: Pieter Breugels zweites Bild des Turmbaus, in der Ausstellung in Wien direkt neben dem ersten Pieter Breugel: Turmbau zu Babel, eines von zwei Bildern des Malers zum Thema

Es sollte uns zu denken geben, wenn die Konsumwelt nichts mit damit anfangen kann. Ansonsten bemächtigt sich das Kaufen und Verkaufen doch aller Dinge, Weihnachten erstickt im Kaufen, Ostern wird zu Ferien, Pilgern wird zu Wellness und so weiter. Nur Pfingsten ist und bleibt resistent. Mit Pfingsten kann der Konsum nichts anfangen.

Pfingsten, das ist Heiliger Geist. Und was das genau bedeutet, das kann man vielleicht besser am Gegenbeispiel erkennen, am biblischen Gegenstück zu Pfingsten. Und das ist der Turmbau zu Babel. Nicht nur dieses Stück, aber ich finde es nach wie vor besonders sprechend.

Turmbau der Verwirrung

Der Turmbau zu Babel trennt. Er teilt die Menschen in Sprachen, soll heißen, man versteht sich gegenseitig nicht mehr. Pfingsten hingegen ist das Gegenteil, trotz der menschlichen Verschiedenheit, trotz der Trennungen, ist da auf einmal Verstehen. Und es kommt von Gott her und ist nicht von Menschen gemacht.

Babel ist das Beispiel dafür, dass das, was Menschen in die Hand nehmen, zu Trennung wird, zu Verwirrung. Das Gegenteil war ja geplant gewesen: „So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen“, heißt es im Buch Genesis (Kap 11). Wirrsal ist das Ergebnis.

Die Erfindung des Ziegelsteins

Der Beginn ist die Erfindung des Ziegels. Erst dann fragen sich die Menschen, was sie jetzt eigentlich damit anfangen sollen. Und ihnen fällt der Turm ein. Der Anfang ist also, dass wir etwas machen können, es toll finden, und dann etwas Kluges suchen, „um uns einen Namen zu machen“. Dinge werden nicht erfunden, damit die Welt besser wird. Wir erfinden etwas, und dann fragen wir uns, was wir damit machen können. so scheint es.

Womit ich in China bin. Womit ich beim Thema der Technik bin, die unsere Welt verändert. Ein Chinesischer Wissenschaftler hat am menschlichen Erbgut gespielt, hat es verändert, vorgeblich für einen guten Zwecke, „um einen Namen zu machen“, um AIDS zu bekämpfen.

Gentechnik und Ethik

Die Welt hat aufgeschrien, zu Recht, aber glaube bitte keiner, das sei jetzt das Ende. Der Ziegel ist in der Welt. Wir können nicht mehr ruhig abwarten, um zu sehen, ob das überhaupt gelingt und die ethische Debatte in die Hörsäle verlegen. Noch einmal, der Ziegelstein ist erfunden und jetzt wird irgendwer beginnen, den Turm zu bauen. Um den Menschen einen Namen zu machen. Ziegel werden wichtiger als Menschen, formuliert Papst Franziskus.

Gentechnik und Ethik, ein neuer Turmbau: hier Breughels erstes Bild des Baus in einer Ausstellung in Wien
Pieter Breugel: Turmbau zu Babel, ein zweites Bild des Malers zum Thema

„Während sie versuchen, wie Gott zu sein, laufen sie Gefahr, in Wirklichkeit nicht einmal mehr Menschen zu sein“, so sagt Papst Benedikt XVI. über Babel. Und weiter:

„Mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt sind wir in die Lage versetzt worden, Kräfte der Natur zu beherrschen, die Elemente zu manipulieren, lebendige Wesen – ja sogar nahezu Menschen selbst – herzustellen. In dieser Lage scheint es etwas Überholtes, Unnützes, zu Gott zu beten, denn wir können doch selbst alles bauen und realisieren, was wir wollen! Dabei machen wir uns nicht klar, dass wir die alte Erfahrung von Babel neu erleben. … Wo die Menschen sich zu Göttern aufschwingen, da können sie sich nur einer gegen den anderen stellen. “

Es bräuchte also mehr von dem dem, was Menschen nicht gegeneinander stellt. Ein kluger Kommentar in der ZEIT bemerkt, dass leider weltweite Verabredungen, die das schaffen könnten, keine Konjunktur haben. Klima, Migration, Kernwaffen, nun auch noch Genmanupulation, das „Wir zuerst!” ist in Mode und schafft so erst die Herrschaft des Ziegelsteins. Abgrenzung schafft den Nährboden für Wirrnis.

Womit wir wieder bei Pfingsten wären, mitten im Advent.

Pieter Breugel – man muss sich Babel anschauen

Gebannt habe ich vor einigen Tagen vor den beiden Bildern Pieter Breugels zum Turmbau gestanden, in Wien in einer wunderbaren Ausstellung. Überhaupt sind die Gedanken hier im Blog zum Thema weitgehend beim Betrachten seiner zwei Bilder entstanden. Es hilft, sich vor Augen zu führen, was die Bibel erzählt.

Die Ziegelsteine sind in der Welt. Die Wirrnis ist es auch, das Gegeneinander von Menschen. Das gibt dem Ziegelstein Macht. Die Türme, die Breugel gemalt hat, sind faszinierend, man ist geradezu versucht, die Ingenieurkunst zu bewundern. Aber es bleibt unvollendet, beide Bilder zeigen das. Die Gemalten wollten sich einen Namen machen. Und haben doch nur Unheil gebracht. Auf einem der Bilder steht unten links ein König, dem andere huldigen. Deutlicher kann man es nicht sagen: Sich einen Namen machen, das endet in Macht wollen über andere.

Technik ist etwas Wunderbares, Ergebnis des Verstandes, der Teil der Schöpfung ist. Ich bin ein Fan von Technik. Aber ohne Pfingsten, ohne ein Miteinander und ohne das Anerkennen, dass wir nicht Gott sind, wird das nicht nur nicht fertig, weil wir gegeneinander stehen.

Gentechnik zum Beispiel ist teuer: das ist was für die Reichen, die Armen dagegen haben nichts davon. Oder: das disqualifiziert kranke Menschen, Menschen mit Behinderung, das hätte man doch manipulieren können. Es braucht nicht viel Phantasie, um das Gegeneinander schon jetzt ahnen zu können.

Ohne dieses Anerkennen, ohne den Geist, baut Technik nicht auf. Es braucht mehr Pfingsten. Und vielleicht ist es ja ein Segen, dass unsere Konsumwelt mit Pfingsten so gar nichts anfangen kann.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Babel, Ethik, Genmanipulation, Gentechnik, Heiliger Geist, Moral, Papst Benedikt, Papst Franziskus, Pfingsten, Pieter Breugel17 Kommentare zu Turmbau im Labor

„Zu Missbrauch Nein sagen heißt zu Klerikalismus Nein sagen”

Veröffentlicht am 2. Dezember 20181. Dezember 2018
Klerikalismus unter Priestern: Wenn der Priester am Altar sich nicht als Teil der Gemeinde versteht Mit der Gemeinde, nicht getrennt von ihr: ein Mittel gegen Klerikalismus

Es ist immer Gefährlich, mit Begriffen wie „Grundübel“ oder „fundamentale Schwäche“ zu hantieren. Will ich ein Problem analysieren, stehen solche alles überragende Begriffe gerne im Weg herum. Und doch ist in der innerkirchlichen Debatte so ein Begriff allgegenwärtig: Der Klerikalismus unter Priestern.

Das Wort wird dabei eng mit Papst Franziskus in Verbindung gebracht, sein Satz „Wenn ich einen Klerikalen vor mir habe, werde ich sofort zum Antiklerikalen“ wird immer wieder zitiert, auch wenn er aus einem mehr als dubios geführten Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“ stammt. Zuletzt hatte er vor Seminaristen des Bistums Agrigent davon gesprochen, in seiner deutlichen Sprache nannte er den Klerikalismus die „schlimmste Perversion“ des Priesterseins.

„Dann werde ich zum Antiklerikalen”

Aber nicht nur er arbeitet sich immer wieder an dem Begriff ab, auch in anderen Schreiben und Predigten, seit ich mich jung in Jugendarbeit und Pfarrei engagiert habe ist mir das immer wieder begegnet. Nicht zuletzt in der Symboldebatte erst der Priesterkleidung, und dann der Liturgie.

Im Zuge der Debatte um die Missbräuche in der Kirche ist das jetzt noch einmal besonders akut geworden, das sieht auch der Papst so. In seinem Brief an die ganze Kirche nennt er die zersetzende Kraft des Klerikalismus ausdrücklich. Damit greift er den Gedanken auf, den er immer wieder nennt, nämlich den zersetzenden Charakter dieses „-ismus“.

Der Gedanke ist so originell nicht, viele nennen ihn, etwa der Bischof von Münster, Felix Genn; Klerikalismus fördere Missbrauch.

Klerikalismus fördert Missbrauch

Im Zuge der Debatte um die Missbrauchsstudie im September haben wir aber auch viel Kritik an der Kritik des Klerikalismus gelesen, und auch das zu Recht. Wer zu schnell die Schuld dahin schiebe, übersehe individuelle Verantwortung, so die Kritik. Die Klage über Klerikalismus könne so zu einem Abschieben ins Abstrakte, in die Allgemeinheit werden. Und dieser Kritik schließe ich mich an. Das macht das Benennen des Klerikalismus als Ursache nicht falsch, warnt aber vor zu schnellen Schüssen.

Genau das Gegenteil von Abwälzen ist gefordert: Wer auf Klerikalismus hinweist, muss ihn zuerst bei sich selber suchen, es ist also ganz bewusst ein Wahrnehmen von Verantwortung, um die es hier geht. Nicht ein Abwälzen.

War ja gut gemeint

Und was ist das dann, dieser Klerikalismus? Der kann durch aus auch aus gutgemeinten Einstellungen resultieren. Johannes geht zum Herrn und beklagt sich, da sei einer, der nicht zu den Jüngern gehöre und im Namen Jesu Dämonen austreibe, das gehe doch nicht.

Papst Franziskus legte dieses Evangelium (Mk 9) Ende September so aus, dass er auf den Enthusiasmus des Johannes hinwies, das sei also eigentlich was Gutes.

Trotzdem sei das in einer „Haltung des Abschottens“ abgeglitten. Was nicht Teil ihrer Pläne war, wird als Gefahr gedeutet. Jesus dagegen – und hier nennt der Papst das Stichwort – erscheint an dieser Stelle „ganz frei“, offen für die Freiheit des Geistes Gottes, „der in seinem Tun durch nichts begrenzt ist“.

„In gutem Glauben, ja, mit Eifer, möchten wir die Authentizität einer bestimmten, besonders charismatischen Erfahrung schützen, indem wir den Gründer vor falschen Nachahmern bewahren. Aber gleichzeitig gibt es die Angst vor „Konkurrenz”, dass jemand neue Anhänger wegnehmen kann, und dann kann man das Gute, das andere tun, nicht schätzen: nicht gut, weil „nicht von uns ist”. Es ist eine Form der Selbstreferentialität,“ so die Papstpredigt. Und das – wenn es bei Amtsträgern vorkommt – kann man Klerikalismus nennen.

Abschottung unter Priestern

Der Theologe Rainer Bucher nennt zwei Kategorien, die ich hilfreich finde, um das Phänomen zu verstehen. Erstens beginne Klerikalismus da, wo das Interesse sich auf den Priester oder die Priester richtet, auf Struktur und Stand, nicht auf das Volk Gottes, für das Priester ja da sind. Und zweitens gelte für die Einschätzung nicht die Selbstwahrnehmung der Priester, sondern die Fremdwahrnehmung durch die anderen. Klerikalismus ist also etwas, was sich der Priester sagen lassen muss, um ihn zu überwinden.

„Klerikalisten sind Leute, die meinen, ihre besondere Berufung durch Gott sei eine Bevorzugung. Ein Klerikalist fühlt sich durch Gott ausgezeichnet vor allen anderen. Er wähnt sich den übrigen Menschen überlegen. Und deswegen flüchtet er in so eine Sonderwelt und meint, er hätte Anspruch auf Privilegien”: so spricht einer, der es wissen muss, ein Spiritual eines Priesterseminars. Und dieses Zitat finde ich auch deswegen gut, weil es den Ansatz zur Lösung bezeichnet: die Ausbildung.

Papst Franziskus gibt einen guten, wenn auch selten beachteten Hinweis für die eigene Reflexion: „Niemand wurde zum Priester oder zum Bischof getauft. Wir sind zu Laien getauft”, und weiter „Es tut uns gut, uns daran zu erinnern, dass die Kirche keine Elite der Priester, der geweihten Personen, der Bischöfe ist, sondern dass wir alle das heilige, gläubige Gottesvolk bilden.” Und umgedreht: „Der Klerikalismus vergisst, dass die Sichtbarkeit und die Sakramentalität der Kirche zum ganzen Gottesvolk gehören (vgl. Lumen gentium , 9-14) und nicht zu einigen wenigen Auserwählten und Erleuchteten.”

Die Kirche gehört nicht wenigen Auserwählten

Es ist diese Selbstbezogenheit, dieses Abschotten, das zu den Schutzräumen für das Verbrechen des Missbrauchs beigetragen hat. Deswegen darf und muss das auch immer Eingang in die Missbrauchsdebatte bekommen. Nicht als Abschieben auf ein Abstraktum, sondern als Frage an Strukturen, an Ausbildung und an jeden selber.

„Der Klerikalismus ist die Wurzel vieler Probleme. Der Klerikalismus steckt auch hinter den Fällen von Missbrauch, sowie Unreife und Neurose. Wir müssen bei der Ausbildung sehr vorsichtig sein“, sagte der Papst in einem Interview-Gespräch im August.

„Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen”,  formuliert es der Papst es an einer anderen Stelle. Es bleibt ein Thema für die Kirche.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, VatikanSchlagwörter Gemeinde, Kirche, Klerikalismus, Kritik, Missbrauch, Missbrauchsstudie, Papst Franziskus, Priester, Reform50 Kommentare zu „Zu Missbrauch Nein sagen heißt zu Klerikalismus Nein sagen”

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