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Monat: Juli 2019

Kritik der betenden Urteilskraft

Veröffentlicht am 31. Juli 201931. Juli 2019
Eine Entscheidung musste her Ignatius von Loyola - Bild in der Jesuitenkommunität in Jerusalem

Ignatius war sauer. Er war unterwegs, hatte jemanden getroffen und sie waren nebeneinander her geritten. Es war zum Streit gekommen, es ging um Theologie, was sonst. Der Fremde war abgebogen und nun stand Ignatius – während seines langen Prozesses der Bekehrung – vor der Frage, was tun. Hinterher und Rechenschaft fordern mit Säbel und Schwert oder weiter auf dem eigenen Weg? Eine Entscheidung musste her. Weil er sauer war, machte er wohl unterbewusst etwas Kluges: er ließ seinen Esel entscheiden. Und der trottete weiter und ignorierte den Streit.

An diesem 31. feiert die Kirche Ignatius als Heiligen, und wir Jesuiten feiern unseren Gründer. Es war noch ein langer Weg für Ignatius, von der Wegkreuzung durch seine Bekehrungen hin zur Gründung. Aber er erzählte diese Episode später selber und so fand sie Eingang in die Aufzeichnungen, die als der „Bericht des Pilgers“ bekannt wurden. Dieser Weg hat viele Irrwege, und Ignatius verschweigt sie nicht.

Eine Entscheidung musste her

Die Episode mit dem Esel ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was Ignatius später als „Unterscheidung“ als Rückgrat seiner Exerzitien aufnehmen sollte. An dieser Stelle habe ich ja schon einige Male die Tastatur zum Thema ergriffen, neulich ist mir aber ein interessantes Zitat zum Thema untergekommen, das ich zum heutigen Heiligen-Tag hier anbringen will. Es stammt von Theodor W. Adorno:

„Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet; der nicht bevormundet wird. Das erweist sich aber in der Kraft zum Widerstand gegen vorgegebene Meinungen und, in eins damit, auch gegen nun einmal vorhandene Institutionen, gegen alles bloß Gesetzte, das mit seinem Dasein sich rechtfertigt. Solcher Widerstand, als Vermögen der Unterscheidung des Erkannten und des bloß konventionell oder unter Autoritätszwang Hingenommenen, ist eins mit Kritik, deren Begriff ja vom griechischen krino, Unterscheiden, herrührt.“ (Theodor W. Adorno, Kritik).

Unterscheidung und Kritik gehören zusammen. Natürlich nur, wenn wir Kritik nicht nur als Kritisieren verstehen, also als negative Sichtweise auf etwas.

Kritik und Unterscheidung

Spätestens seit den Kritiken Immanuel Kants ist das Wort fester Bestandteil der philosophischen Debatte. Und über den griechischen Ursprung des Wortes – belehrt uns Adorno – auch Unterscheidung.

Wir können einige Dinge lernen: erstens müssen wir wieder einmal betonen, dass Unterscheiden keine rein intellektuelle Aktion ist. Die Philosophie ist es, im geistlichen Leben kann es aber nicht sein. Deshalb ist auch der Titel des Stückes ironisch gemeint.

Zweitens steckt da aber auch eine positive Lehre für uns drin: sich gegen vorgegebene Meinungen wehren. Meinungen, die ja auch in uns selber drinstecken können. Aber auch das sich abgeben mit dem, was ist. Was ist, ist gut eben weil es ist, das verhindert Kritik und dann auch die Unterscheidung.

Sich wehren gegen die Meinungen

Wahrheit oder Falschheit  ist nicht Gegenstand einer Unterscheidung, unterschieden werden nur Situationen. Unterscheidung, so der Papst, „gründet auf der Überzeugung, dass Gott in der Geschichte der Welt, in den Ereignissen des Lebens, in den Personen, denen ich begegne und die mit mir sprechen, am Werk ist.” Die Welt ist Gottes so voll, es ist an uns, aufmerksam zu sein. „Deshalb sind wir gerufen, auf das zu hören, was der Geist uns in oftmals unvorhersehbaren Arten und Richtungen eingibt.”

Damit entfernen wir uns ziemlich von Adorno, aber sein Gedanke zur Kritik schwingt weiter mit. Es braucht Mündigkeit, selber beten und nicht nur nach-beten, wenn Unterscheidung als Gebet gedacht wird, was es meiner Meinung nach ist. Und es hilft beim Verstehen. In Vorbereitung auf die Jugendsynode, die das Wort „Unterscheidung“ ja im Titel hatte, gab es Anmerkungen dazu, und das nicht nur aus der deutschen Sprache. Die fanden Eingang ins Vorbereitungsdokument, wo die Übersetzer ihrerseits dann eine deutschsprachige Ergänzung einfügten.

Unverständnis

Instrumenten Laboris zur Jugendsynode im vergangenen Jahr 107. „Die Jugendlichen der Vorsynode weisen auch auf die Schwierigkeiten hin, die sie beim Verständnis des Wortes „Unterscheidung“ (Anm. d. Ü.: da es keine eindeutige Entsprechung des italienischen Terminus discernimento ins Deutsche gibt, wurde er in diesem Text je nach Kontext wiedergegeben durch „Unterscheidung“, aber auch „Erkenntnis“ [der Berufung] und „Urteils-/Unterscheidungsvermögen“)  haben, das nicht zu ihrer Sprache gehört, auch wenn das Bedürfnis, das es bezeichnet, durchaus wahrgenommen wird: „Die eigene Berufung zu erkennen, kann eine Herausforderung sein, besonders durch die Missverständnisse, die dieses Wort umgeben.“ (VS 9)”.

Vielleicht hilft uns ja das Wort ‚Kritik‘, der ‚Unterscheidung‘ näher zu kommen, bei aller Begrenzung. Nicht bevormundet werden, das gehört jedenfalls eindeutig dazu.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Ignatius, Kritik, Mündig, Spiritualität, Unterscheidung11 Kommentare zu Kritik der betenden Urteilskraft

Es ist einfach zuviel

Veröffentlicht am 29. Juli 201928. Juli 2019
Leben über unsere Verhältnisse Ein Blick auf Amazonien, aufgenommen bei meiner Reise dorthin im Mai

Wissen tun wir es. Dass unser Lebens- und Wirtschaftsmodell den Planete zerstört. Jedes Jahr gibt es den so genannten Earth Overshot Day, also den Tag an dem wir alle Ressourcen des Planeten für ein Jahr verbraucht haben. Den Rest des Jahres leben wir dann über die Verhältnisse des Planeten. Für das ganze Jahr gilt also: Wir leben über unsere Verhältnisse.

Dieser EOD ist heute. Schauen wir zurück, dann sehen wir dass dieser Tag immer früher im Jahr stattfindet. All die Konferenzen und Klimaziele haben also keine Wirkung. Es wird schlimmer.

Leben über unsere Verhältnisse

Wissen tun wir es. Aber wir tun nicht das Notwendige. Und leiden tun eh die anderen. Damit ist klar, was Papst Franziskus in Laudato Si‘ geschrieben hat: Klima ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. „Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“ (LS 49).

Der Schutz der Schöpfung sei nicht optional, sagt uns der Papst. Eben weil es uns zur Sorge anvertrautes Werk Gottes ist und weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist, zwei Seiten derselbe Medaille.

Persönlich habe ich eine kleine Liste von Dingen erstellt, die ich in Zukunft anders machen werde. Nicht immer klappt es, aber ich gelobe Besserung. Auch weil ich im Mai in Amazonien unterwegs war und gesehen habe, was Raubbau anrichtet.

Raubbau

Mein wichtigstes Vorhaben möchte ich hier nennen und Sie einladen, in den Kommentaren ihre Vorhaben zu nennen.

  • Fleisch: in Italien habe ich gelernt, dass es auch ohne dauernd und viel Fleisch geht, für das ja überall Soja angebaut wird. Und für die Anbauflächen werden Regenwälder gefällt. Also werde ich diese Angewohnheit auch nach meinem Umzug nach Deutschland weiter beibehalten. Es geht auch mit sehr viel weniger davon.

Das klingt jetzt nicht spektakulär, aber das muss es ja auch nicht. Hauptsache, es ist machbar.

Was haben Sie vor?

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und VernunftSchlagwörter Earth Overshot Day, EOD, Klima, Laudato Si, Papst Franziskus, Schöpfung, Umwelt56 Kommentare zu Es ist einfach zuviel

Christianisten unterwegs

Veröffentlicht am 27. Juli 201926. Juli 2019
Bildungstouristen in Kirchen Fresco im Benediktinerkonvent von Subiaco

Eine Busfahrt in Rom. Ich stehe neben zwei deutschsprachigen Touristinnen, und weil ich weder kurze Hosen noch T-Shirt oder dergleichen Strandkleidung in der Stadt trage, halten die mich für einen Einheimischen. Und reden laut. Bildungstouristen in Kirchen, darum ging es.

Die beiden Damen waren gerade in San Luigi die Francesi gewesen und hatten sich die beiden Caravaggios dort angeschaut. Und sie beschwerten sich, dass man die so schlecht sehen könne, weil sie an den Seitenwänden eine Kapelle hingen. In einem Museum wären die doch viel besser aufgehoben.

Bildungstouristen in Kirchen

Dass die beiden Bilder für die Kapelle gemalt wurden und selbst der Lichteinfall abgestimmt ist, das lassen wir da mal beiseite.

Und dann ging es um eine andere Kirche, dort hatten die beiden eine Darstellung Jesu Einzugs in Jerusalem gesehen. Und die beiden überlegten, ob es da nicht auch sowas wie ein Fest zu gäbe. „Palmsonntag“ wollte ich zurufen, aber habe mich dann doch zurückgehalten.

Nun kommt das jetzt von mir sehr schnöselig herüber, herablassend. Aber mir hat sich da schon die Frage gestellt, wie man etwa Caravaggio richtig sehen will, wenn man nicht weiß, worum es da geht.

Wissen worum es geht

Die Kulturleistungen der Christen sind erheblich. Kirchen, Gemälde, Theater, Literatur, überhaupt Sprache und Bildwelt: Europa ist voll von christlichem Erbe. Muss ich nun das Christliche auch kennen, um das sehen und hören und wertschätzen zu können?

Ja, ich glaube das geht. Man kann das achten, wertschätzen, sogar verstehen, wenn auch notwendigerweise immer eingeschränkt. Vielleicht sehen Menschen, die nicht sofort die christliche Geschichte und vielleicht die Predigten dazu im Kopf haben, auch ganz andere Dinge? Die Christen nicht sehen? Haben einen Zugang zur Kunst wie wir Christen zu nichtchristlicher religiöser Kunst?

Ich bitte also nachträglich um Nachricht für meine Schnöseligkeit.

Nicht nur schnöselig

Trotzdem: Es fehlt was. Ein Altarbild ist eben kein Gemälde und Fresken haben einen Ort und durch diesen Ort einen Sinn. Ein Caravaggio an der Museumswand verliert seinen Ort, die Kirche. Das Christliche ist eben nicht nur der Ursprung, Kunst ist nicht nur Bebilderung oder Vertonung. Sie will genuiner Beitrag sein.

Und: ich kann das Christliche auch nicht allein auf Kulturleistung zurückführen. Ein Bild oder ein Oratorium steht in Spannung zu gelebtem Christentum. Es ist nicht nur Kultur, ohne den Sinn- und Vollzugszusammenhang.

Der Theologe Remi Brague hat den Begriff der „Christianisten“ geprägt. Das sind Menschen, die das Christliche achten, es dabei aber dann auch belassen. „Die Leute, die diese Errungenschaften geleistet haben, waren eben keine Christianisten, sondern echte Christen. Sie taten, was sie taten, weil sie an Christus glaubten und nicht nur allgemein an die westliche oder abendländische Kultur.“ Das steckt in christlicher Kunst eben auch drin.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Kunst, Kultur und Können, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Christentum, Kirchen, Kultur, Kunst, Tourismus21 Kommentare zu Christianisten unterwegs

„Rechtzeitig zur umstrittenen Synode”

Veröffentlicht am 23. Juli 2019
Schicksal der Amazonaswälder und ihrer Bewohner Amazonien: Alles nur Tarnung. Eigentlich reden wir über uns selbst

„Niemand, der die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche aufmerksam beobachtet, wird im Ernst glauben, dass es bei der Synode im Oktober wirklich um das Schicksal der Amazonaswälder und ihrer Bewohner – es sind nicht mehr als gerade die Hälfte der Einwohner von Mexiko-City – gehen soll.“ Kardinal Walter Brandmüller sagt das, in einem Artikel für die FAZ an diesem Dienstag.

Das ist eine heftige Unterstellung. Alles Lüge, darf ich das verkürzt zusammen fassen, was der Kardinal da schreibt. Alle Vorbereitung, alles Sprechen über Umweltschutz, über den Respekt vor den Kulturen, über pastorale Herausforderungen, alles falsch. Es geht nur um das Eine, sagt der Kardinal. Und das ist in seinen Augen: Der Zölibat. Oder umfassender: den Umbau der Kirche nach dem Modell des Papstes.

Schicksal der Amazonaswälder und ihrer Bewohner

Wenn der Zölibat falle, dann sei die Kirche am Ende, das ist der Angelpunkt des Gedankengangs. Und deswegen darf er sich darin verbeißen. Wie übrigens derjenige, auf den sich die Kritik bezieht, auch, der Historiker Hubert Wolf.

Und dann kommt bei Kardinal Brandmüller eine lange Ausführung über Wert und Würde des Zölibats für den geweihten Priester. Was ich an dieser Stelle nicht weiter betrachte, denn mir geht es um etwas anderes: mit einem Federstrich wird alles abgetan, was auf dem Programm steht, damit man sich wieder brav auf die ewig gleichen Themen konzentrieren kann.

„Umstritten“

Die Synode sei „umstritten“, sagt Kardinal Brandmüller. Für einen Kardinal eine ziemlich heftige Reaktion auf ein klar artikuliertes Anliegen des Papstes. Das Wort ‚umstritten‘ ist ziemlich perfide, weil es wahr wird sobald ich es benutze. Wer umstreitet denn die Synode? Doch nur diejenigen, die behaupten, sie sei umstritten. Ein Zirkelschluss.

Können wir wirklich nicht anders? Können wir nicht zuhören? Können wir nicht darauf achten, was andere Kulturen für Fragen und Antworten habe? Müssen wir auf alles unsere eigenen Probleme draufkleben? Und die Anliegen der anderen als unaufrichtig bezeichnen, um damit durchzukommen?

Es geht uns um uns

Nehmen wir den Schutz der Schöpfung, die Sorge. Für Christen sei das nicht optional, sagt Papst Franziskus. Wenn die Antwort darauf die ist, dass wir um den Zölibat kämpfen müssen – sei es dafür oder dagegen – dann bin ich ziemlich deprimiert. „Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient… . In welchen Händen liegt so viel Macht, und in welche Hände kann sie gelangen? Es ist überaus gefährlich, dass sie bei einem kleinen Teil der Menschheit liegt.“ (Laudato Si’ 104)

Die Lösung: Wir streiten über den Zölibat. Und unterstellen einander Unaufrichtigkeit. In den Worten von Kardinal Brandmüller: „Niemand wird im Ernst glauben …“. Doch, ich glaube. Im Ernst. Natürlich geht es auch um die Frage nach Zugang zu den Weiheämtern. Aber zu sagen, alles sei Show damit die Kirche wie wir sie kennen kaputt gemacht werden kann, ist schon steil.

Destruktion von Dialog

Was Kardinal Brandmüller da macht ist keine Verteidigung von Tradition, das ist Destruktion von Dialog. Seine Fixierung auf den Zölibat zeigt, dass ihm andere Kulturen, deren Fragen und Anliegen nicht wichtig sind, solange das nicht auf seine Themen zurückzuführen ist. Traurig.

Solche Stellen wird es viele geben, im Vorlauf zur Synode. Sie tragen nichts zur Lösung bei, sie sind kontraproduktiv. Am ratlosesten werden diejenigen sein, die Hoffnung haben, dass endlich ihre Fragen gehört werden. Nein, es geht wieder nur um die Fragen der Europäer. Hoffen wir, dass wir über solche Stimmen hinaus kommen. Das alleine wäre schon ein Erfolg der Synode.

 

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Heiliger Rest?

Veröffentlicht am 20. Juli 201920. Juli 2019
Niedergang der Volkskirchen Da ist Zukunft: So war das Thema. Sie erinnern sich? 2011 war das, Papstbesuch in Deutschland, Papstmesse in Berlin

Wir halbieren uns: Die Kirchen in Deutschland werden 2060 nur noch halb so viele Mitglieder haben wie heute. Diese Nachricht ist nicht mehr ganz neu, sie hallt aber noch nach. Der Niedergang der Volkskirchen in Zahlen und als Ankündigung. Neuster Zusatz: Allein 2018 haben 200.000 Katholiken die Kirche verlassen.

Beide Großkirchen hatten eine Studie in Auftrag gegeben und veröffentlicht, die Debatte darum war heftig. Natürlich geht es auch um Kirchensteuer, also um die klug und verantwortbare Veränderung der Strukturen der Kirche. Um zu wissen, was man hält und trägt, muss man auch wissen, ob man sich das noch wird leisten können.

Niedergang der Volkskirchen

„Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass sich weniger als die Hälfte des Rückgangs mit dem demografischen Wandel erklären lässt. Einen größeren Einfluss auf die Mitgliederentwicklung hat das Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten von Kirchenmitgliedern.“ So sagt der für die Studie verantwortliche Finanzwissenschaftler. Das bedeutet, dass das alles nicht unumgänglich ist. Es ist kein Naturgesetzt, sozusagen.

Aber wir beiben dabei: wir halbieren uns. Wir werden weiter abnehmen, weniger Menschen kommen in die Kirche, etwa durch Taufe, und mehr treten aus.

Bleibt dann der „heilige Rest“? Das hört man ja immer wieder, Verantwortliche und katholische Medien, die sich einen solchen heiligen Rest herbei wünschen oder meinen, dass das die Lösung sei. Wenige, dafür aber überzeugte Katholikinnen und Katholiken in einer von den heutigen Strukturen und Zwängen befreiten Kirche, so übersetze ich das mal.

Was bleibt?

Die Klage, bei den christlichen Kirchen ginge es nicht mehr um Glaube sondern um Struktur und Steuer ist ja nicht neu, immer wieder will man lieber eine kleine aber wirklich überzeugte Kirche als eine große.

Die Zuordnung von Struktur und Gottsuche muss stimmen, die Strukturen dürfen die Frage nach Gott nicht verdunkeln. Das könnte aus dem Papstbrief an die Deutschen stammen. Tut es aber nicht. Das ist Papst Benedikt XVI. während seiner Deutschlandreise 2011. „Wo Gott ist, da ist Zukunft” – ein Selbstzitat aus dem Besuch in Mariazell, war der Titel dieser Reise. Eine Selbstbeschäftigung helfe nicht weiter, fördere nicht den Glauben und fördere letztlich nicht die Gemeinschaft der Glaubenden in Christus, so eine der roten Linien der Reise.

„Wo Gott ist, da ist Zukunft”

Mit bleibt da aber die Frage, ob der so genannte heilige Rest diesen Wunsch der Päpste erfüllt. Denn auch Franziskus hat sich da ja sehr eindeutig in Richtung Strukturen geäußert. Ich muss zugeben, dass mich das Reden vom Rest immer etwas nervös macht. Nicht weil es dann die schönen und gut bürokratisierten Kirchenstrukturen nicht mehr gibt, in denen wir uns eingerichtet haben. Da wird sich viel ändern, da muss sich was ändern.

Nein, meine Nervosität hat woanders ihre Wurzeln. Die Vorstellung vom „heiligen Rest” geht davon aus, dass dann alles gut ist. Die Vorstellung glaubt, dass der Niedergang der Volkskirchen etwas Gutes sei. Und letztlich glauben die Vertreter dieser Vorstellung, dass sie selber jetzt schon richtig lägen. Und dass der Niedergang sie nichts anginge, im Gegenteil. Das Reden vom „heiligen Rest” ist letztlich nichts anderes als ein Fallen in eine Gewinner – Verlierer – Vorstellung. Wobei einige schon vorher bestimmen, dass sie die Gewinner sein werden.

Von Gewinnern und Verlierern

Nun müssen wir an die Probleme ran, daran führt kein Weg vorbei. Und die Zahlen sprechen ihre eigene Sprache, die Unausweichlichkeit von Veränderung wird uns spätestens klar, wenn wir auf die Statistiken und Projektionen schauen. Auch wenn sie kein Naturgesetz sind, völlig zurück wird und kann es nicht gehen.

Trotzdem: Wer das Christsein ernst nimmt, der wird die Lösung für die Probleme – und davon gibt es viele, nicht zuletzt den großen Vertrauensverlust – nur über den Glauben finden. Funktionale Lösungen helfen nicht, im Gegenteil, sie führen letztlich von Gott weg. Es wird uns niemand ernst nehmen, wenn wir nicht den Glauben leben.

Zu fromm?

Ist das zu fromm? Ist das ein Ausweichen? Statt sich der Krise zu stellen,werden wir geistlich? Nein, im Gegenteil. Ob es nun Papst Benedikt war mit seinen nicht gerne gehörten Mahnungen oder ob es Papst Franziskus in Evangelii Gaudium war und ist, ohne die geistliche Dimension wird das alles nichts. Das ist kein Ausweichen, das ist das Beschäftigen mit dem Kern der Frage.

„Die Kirche entsteht aus Gemeinschaften, entsteht von unten, aus der Gemeinschaft, entsteht aus der Taufe.“ Das ist jetzt Papst Franziskus, aus einem Interview, er erklärt seinen Gedanken der Synodalität. Das müssen wir neu in den Blick bekommen und ernst damit machen.

Sünden wurzeln in der Zukunft

Und was die Freunde des heiligen Restes angeht: „Nahezu alle Sünden haben ihre Wurzel in der Zukunft“, sagt C.S. Lewis weise. Die Zukunft sei unseren Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen unterworfen, ohne dass die Realität diese einfange. Gott dagegen berühre in der Gegenwart, sagt Lewis.

Die Gegenwart ist der Niedergang der Volkskirchen, daran kommen wir nicht dabei. Aber was sagt uns das? Nicht die Flucht in den Traum eines „heiligen Restes”, in dem man sich sicher wägt und die Probleme einfach wegdrängt ist die Lösung. Sondern die Gegenward, hier und heute.

Den heiligen Rest, den gibt es nicht. Das ist eine Illusion. Dass wir Christinnen und Christen weniger werden ist nicht gut sondern traurig. Jetzt geht es aber darum, das Sprechen über den Glauben und das Leben des Glaubens wieder zukunftsfähig zu machen. Nicht parteiisch, sondern in Gemeinschaft, von unten. Dann wird es auch keine Rolle mehr spielen, wie viele wir sind.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Ökumene, Sprechen von GottSchlagwörter da ist Zukunft, Kirche, Kirchensteuer, Mitglieder, Volkskirche, Zukunft38 Kommentare zu Heiliger Rest?

Religion als Religion berichten (Redux)

Veröffentlicht am 17. Juli 201916. Juli 2019
Journalismus und Religion Journalismus während der Papstwahl: Auf allen Dächern "Journalisten-Nester"

Religion ist eine fremde Welt. Jedenfalls vielen Leuten, die sich beruflich mit Religion befassen. Gleich ob das die Frage nach dem Jüdischen im Jüdischen Museum in Berlin, nach dem Islam in den vielen Formen, nach Ökumene und nach katholischen Spezifika ist: Journalismus und Religion sind sich oft fremd geworden. Zu oft gelten nur noch Schlagworte – „konservativ“, „unmodern“ – die nicht wirklich beim Verstehen helfen.

Ja, Religionen in ihrer verfassten Form tun alles möglich dafür, falsch verstanden zu werden. Machtkämpfe, Intransparenz, Geldgeschichten, all das gibt es immer wieder. Und trotz allem: Religion wird wichtig. Konflikte machen sich an Religonen fest, es gibt eine zunehmende Vielfalt von Religionen. Das Verstehen von Religion wird wichtiger, wenn man diese Phänomene verstehen und verstehbar machen will, und zwar sowohl was das fremd gewordene Eigene angeht, das Christentum, als auch was etwa den Islam angeht, um nur eine weitere Religion zu nennen.

Journalismus und Religion

Religion ist eben nicht nur ein soziologisch zu begreifendes Phänomen, sie ist nicht nur von politikwissenschaftlichen, geschichtlichen oder kulturwissenschaftlichen Begriffen zu fassen. Ich verliere sogar eine wichtige Dimension von Religion, wenn ich mich als Journalist in meiner Berichterstattung nur auf solche Begriffe stütze.

Ganz besonders gilt das vielleicht für die Psychologie, wenn man also versucht, Religion völlig aus nicht-religiösen Kategorien heraus zu erklären. Und damit zu unterwerfen. Das alles kann richtig sein und kann wichtig sein und kann helfen, zu verstehen, aber es ist eben nicht alles.

Wie ich in den Wald hinein rufe …

Wenn zum Beispiel ein neuer Papst gewählt wird, dann findet die Berichterstattung oft im Modus von demokratischen Wahlprozessen statt. Da gibt es dann Parteien, Wahlsieger, da gibt es konservativ und progressiv und so weiter. Und das ist ja auch verständlich, die Kategorien, die ich anlege, bestimmen das Bild, das ich sehe.

Aber es verhindert eben leider auch, dass ich die vollständige Geschichte erkenne. Die selbstverständliche Präsenz Afrikas zum Beispiel (um beim Beispiel der Papstwahl zu bleiben) wurde reduziert auf die Frage, ob Kardinal Turkson „Chancen“ auf das Papstamt habe, etc. Dass dahinter eine Weltkirchlichkeit steckt, wird übersehen. Ganz zu schweigen, dass das ziemlich herablassend einem ganzen Kontinent gegenüber ist.

Aber auch die geistliche Dimension gehört dazu. Was Gebet ist, was Tradition, welche Rolle die Schrift oder die Liturgie spielt ist eben nicht nur Beiwerk. Und Volksfrömmigkeit ist nicht nur Folklore.

Berichterstattung via Bilder

Am ehesten noch gelingt die Berichterstattung über die religiöse Dimension der Religion interessanterweise im Fernsehen, das wird von Bildern viel besser getragen als von Worten. Aber wie erklärt man das? Verstehen braucht Bilder, braucht aber auch Worte, Konzepte, Reflexion.

Man kann – davon bin ich überzeugt – über Religion als Religion sprechen, selbst wenn man dieser Religion nicht angehört. Man muss nicht selber gläubig oder fromm sein, um klug über Religion zu sprechen. Aber wie kommt man dahin?

Angst verlieren

Ein erster Schritt ist es, die Angst zu verlieren, sich vereinnahmen zu lassen. Nicht die Vorsicht und nicht die Sorgfalt, aber die Angst. Natürlich gibt es die Versuchung, zum Teil des Systems zu werden, wie bei Sportreportern und Sportfunktionären, Politikreportern und Politikern, und so weiter. Es ist aber kein Automatismus.

Ich stelle eine Sorge bei Kolleginnen und Kollegen fest, zu „fromm“ zu klingen. Ich stelle auch eine Sorge fest, sich zu weit von einem Publikum zu entfernen, das man als der Religion entfremdet vermutet. Und drittens stelle ich die Sorge fest, vor Kolleginnen und Kolleginnen komisch auszusehen, wenn man sich mit sowas auskennt. Ich meine das gar nicht herablassend, das muss man ja auch ernst nehmen. Aber daraus darf sich keine Angst entwickeln, die Unkenntnis in Sachen Religion zu einer Tugend erhebt.

Unkenntnis zur Tugend

Ein zweiter Schritt wäre, Religion neu kennen zu lernen. Wie gesagt, Unkenntnis ist keine Tugend. Auch ist es keine Tugend, Religion den immer wieder gebrauchten Begriffen aus Politik oder Kultur zu unterwerfen. Drittens ist es keine Tugend, schon gar keine journalistische, immer wieder dieselben Fragen aufzuwerfen ohne nachzusehen, ob solche Fragen ein richtiges Bild des Berichteten abgeben. Neugier ist auch hier wie überall im Journalismus wichtig.

Beispiel Amazonas-Synode: ob es die Realität Amazoniens trifft, wenn immer wieder die gleichen europäischen Fragen aufgeworfen werden, wage ich zu bezweifeln. Um zu verstehen und vor allem um die Menschen, die es angeht, zu hören muss ich als Journalist (glaube ich jedenfalls) in der Lage sein, fertige Vorstellungen mindestens in Frage stellen zu lassen.

Fragen stellen

Der dänische Statistiker Hans Rosling zum Beispiel ist um den Planeten gezogen und hat allen, die es hören wollten, beigebracht dass unsere Sicht auf die Welt oft genug eben nicht auf Daten und Zahlen, mithin von der Realität abhängt, sondern von Vor-Urteilen. Die seien erklärbar, aber man müsse eben auch über sie hinaus, um die Realität nicht zu verfehlen. Das Problem ist nicht, dass es keine Daten gäbe, sondern dass wir – Journalisten – mit fertigen Vorstellungen dort heran gehen. In Sachen Religion weiter gedacht: Es ist nicht so, als dass es nichts zu berichten gäbe. Aber wenn wir uns für Religion als Religion interessieren, dann darf ich mich nicht an Vorstellungen des 20. Jahrhunderts hängen. Oder um es simpel zu formulieren: Die Tugend lautet, Fragen zu stellen. Dem Gegenüber aber auch sich selber.

Drittens braucht es eine gesunde Selbsteinschätzung in Sachen „Aufgeklärtheit“. Es ist eben nicht so, dass post-religiöse Menschen „aufgeklärter” sind, „weiter” sind als andere. Es gibt eine Auffassung von Fortschrittlichkeit, die post-religiös daher kommt. Das mag ja sein – nehmen wir das mal hypothetisch an – muss dann aber auch gezeigt werden. Als stille Voraussetzung verzerrt es die Perspektive.

Jenseits des Klick-baiting

Viertens braucht es Sachkenntnis. Das klingt jetzt wie ein versteckter Vorwurf, als ob es das nicht gäbe. Es gibt aber tatsächlich viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr viel wissen, meistens aber über die jeweiligen Institutionen von Religion, etwa die Kirche. Das ist aber nicht immer dasselbe. Religion ändert sich, Formen und Praxis von Religiosität ändern sich, innerreligiöse Konflikte etwa zwischen Institution und Gläubigen brauchen auch den Blick auf diese Wandlungen.

Und als letzten Punkt muss ich an dieser Stelle in die Klage über das Klick-Baiting einstimmen. Das füttert Vorurteile, weil es nichts Neues bringt (was Journalismus ja eigenglich sein soll), sondern nur Bestehendes abruft. Das gilt bei allen Bereichen der Medien, beim Thema Glauben und Religion stelle ich das selber als verheerend fest. Es gibt so viele als festgefügt angenommene Meinungen, die mit Schlagzeilen gefüttert werden, dass es im Netz immer weniger qualitätsvolle Berichterstattung außerhalb von klar religiös orientierten Medien gibt.

Es gibt sie, das ist hier keine Generalkritik, aber es gibt sie immer weniger. Wenn wir die Welt in der wir leben verstehen wollen, und wenn wir als Journalisten sie beschreiben und verstehbar machen wollen, wenn wir gute Geschichten erzählen wollen, dann gilt das für alle Bereiche unserer menschlichen Realität. Und auch für die Religion.

—

Nachbemerkung:

Meine Gedanken habe ich hier schon mal vorgelegt, vor einigen Jahren. Aber ich erlaube mir, das hier noch einmal aktualisiert anzubieten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Geschichte, Glaube und Vernunft, Interview, Kirche und Medien, Sprechen von GottSchlagwörter Berichterstattung, EBU, Journalismus, Religion18 Kommentare zu Religion als Religion berichten (Redux)

„Alles andere ist zweitrangig“

Veröffentlicht am 14. Juli 201913. Juli 2019
Rosenkranzpolitik Rom: Kirche und Stadt, Kuppel und Turm, das ist alles nicht trennbar

„Ich persönlich vertraue mein und euer Leben dem unbefleckten Herzen Mariens an, das, da bin ich mir sicher, uns zum Sieg verhelfen wird.” Ganz neue Töne waren das von jemandem, von dem man bislang nicht viel in Sachen Religion gehört hatte: Matteo Salvini im Wahlkampf vor der Europawahl war das. Er stand vor dem Dom in Mailand, mit dem Rosenkranz in der Hand. Rosenkranzpolitik zum Stimmenfang.

Und das darf er. Es hat ja aus der Kirche viele Stimmen gegeben, die sich heftig aufgeregt haben. Eine zynische Politik betreibe er, überhaupt nicht auf Lösungen aus sondern nur auf Streit um die eigene Polularität zu steigern, und jetzt soll der Rosenkranz helfen? Ja, Salvini darf das.

Rosenkranzpolitik

Auch hier habe ich mich ja schon mal in eine andere Richtung geäußert, damals ging es um das verpflichtende Kreuz in Bayern. Dreist hatte ich die Aktion genannt. Aber jetzt liegen die Dinge etwas anderes. Es ist die Person Salvini, die sich mit dem Rosenkranz schmückt, nicht eine Verordnung für alle öffentlichen Orte. Er mutet den Rosenkranz deswegen nicht allen zu, man braucht nur weggehen von Salvini und schon ist das außer Sicht. Bei den Amts-Kreuzen geht das nicht.

In gewisser Weise dürfen wir sogar dankbar sein. Nicht nur dass solche Aktionen und Christen dazu zwingen, über unsere Symbolik nachzudenken. Sondern auch die Tatsache, dass viele Katholiken ihm das durchgehen lassen sollte der Kirche zu denken geben. Sich beschweren ist das eine, aber es zeigt eben auch, dass wir nicht mehr die Herren unserer Symbole sind.

Nicht mehr Herren unserer Symbole

Auch von anderer Seite gibt es das, die Politisierung von Religion und Glaube. Nein, ich meine nicht die Helfer, ich meine nicht den Papst. Nehmen wir den berühmt gewordenen Kardinal Raymund Leo Burke. Der behauptet zum Beispiel, dass Gott gegen eine weltweite Regierung sei. Dass man das aus politischen Gründen auch so sehen kann, ist eine Sache. Er aber meint, das Naturrecht und damit „göttliche Autorität“ in Anspruch nehmen zu können.

Und auch hier: der darf das. Wenn er bereit ist, sich einem rationalen Argument über Naturrecht zu stellen, dann darf er das so sagen. Beide Argumente – so unterschiedlich sie auch sind – haben aber eines gemeinsam: sie ziehen die Spären von Glaube/Religion und Politik/Gesellschaft zusammen. Bei beiden wird es dann schräg wenn man dann hört, Kirche habe sich bei gewissen Themen rauszuhalten. Nein, hat sie nicht, denn gerade die Rosenkranzpolitik zeigt, dass die beiden Dinge zusammen gehören.

Kirche braucht sich nicht rauszuhalten

Ende Juni war in Lampedusa die Kapitänin der Sea Watch 3 festgenommen worden, nachdem sie unerlaubt in den Hafen eingelaufen war. Die Geschichte ging durch die Medien. Die rechtliche Seite ist mindestens komplex, Seerecht, nationales und internationales Recht hier auseinander zu halten ist nicht einfach.

Klar ist aber auch die christliche Sichtweise: „Ich glaube, dass Menschenleben auf jeden Fall gerettet werden müssen – egal auf welche Weise.“ Das sagte damals ungewohnt direkt Kardinal Pietro Parolin, der engste Mitarbeiter von Papst Franziskus, als Reaktion. Das Retten von Menschenleben müsse „der Polarstern sein, der uns leitet“, so der Kardinal weiter. „Alles andere ist zweitrangig.“

Papstbrief und Bekehrung

Wer den Rosenkranz schwingt, der muss sich solche Sätze anhören. Aber wer solche Sätze sagt, der muss auch zur Kenntnis nehmen, dass viele Gläubige das nicht so sehen und Christentum mit Nationalismus paaren. Dass sie sich Lebensschützer nennen, das aber auf Abtreibung beschränken. Solange vor den Kathedralen dieser Welt und sonstwo das Christliche für das Politische in Anspruch genommen wird, solange muss das Christliche sich fragen, wofür es steht.

Die Rosenkranzpolitik verweist letztlich auf eine leere Religion. Eine Religion zur Selbstbestätigung und zur Beruhigung, ein echtes Opium für das Volk. Eine Religion die nicht weh tut, die sich rückstandsfrei auf die jeweils eigene Kultur zurückführen lässt.

Papst Franziskus hat recht, wenn er in seinem Brief vor allem auf die „Bekehrung“ wert legt. Wir Katholiken müssen uns neu bewusst werden, was wir da eigentlich glauben und wofür wir deswegen stehen. Das kann man nicht einfach herbei behaupten, dass muss die Kirche schon gemeinsam tun. Wenn wir das nicht tun, dann bleibt beides – der Rosenkranzschwinger auf der einen und der Kardinal auf der anderen Seite – letztlich belanglos.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Flüchtlinge, Papst Franziskus, Politik, Populismus, Rosenkranz, Salvini, Symbole31 Kommentare zu „Alles andere ist zweitrangig“

Gleichgültigkeit? Menschenverachtung!

Veröffentlicht am 11. Juli 201911. Juli 2019
Migranten und Twitter Der Account von @Pontifex

Es war nur ein Tweet. Aber es ging um Migranten, also war es nicht nur ein Tweet. Am Montag hatte @Pontifex anlässlich der Messe für und mit Migranten und Flüchtlingen einen kurzen Text abgesetzt, der ganz auf der Linie dessen liegt, was er immer wieder und immer schon gesagt hat. Sprachübergreifend passte das einigen nicht in den Kram, Migranten und Twitter, das war eine explosive Mischung.

„’Es geht nicht nur um Migranten’, in dem doppelten Sinne nämlich, dass Migranten in erster Linie Menschen sind und dass sie heute ein Symbol für alle sind, die von der globalisierten Gesellschaft als Abfall behandelt werden.”

Zum Abschluss des Tweets folgte noch der Link zu seiner Predigt.

Migranten und Twitter

An dieser Stelle brauche ich nicht im Einzelnen wiederholen, was sich dann abgespielt hat. Die Antworten waren erwartbar. Wenn auch dieses Mal besonders übel. Und ich spreche nicht nur von deutschsprachigen Antworten, gerade im Italienischen war das dieses Mal besonders heftig.

An dieser Stelle hatte ich über die Messe am vergangenen Montag schon was geschrieben, aber an dieser Stelle mag ich dann doch noch mal etwas nachsetzen. Ich bin kein Freund von Twitter und der Spontan-Ausgießung von Kurz-Meinungen, aber einmal mehr zeigt sich hier etwas an Hemmungslosigkeit, die mich erschreckt. Immer noch und immer wieder. Und das darf man nicht einfach so durchwinken.

Nicht einfach durchwinken

Zunächst gibt es da die schlicht menschenverachtenden Tweets, die ohne Rücksicht auf Menschlichkeit einfach meinen, Frust, Zorn, Ärger, Rassismus und dergleichen rauslassen zu müssen. Das kennen wir.

Aber es gibt eben auch die Tweets die meinen, der Papst solle sich gefälligst um Jesus und Gott und Glauben kümmern und die Migrationsfrage in Ruhe lassen, das ginge ihn nichts an. Wobei das hier sehr höflich formuliert ist, die Schimpfsprache mag ich hier nicht wiedergeben. Denken Sie sich einen üblen, richtig üblen Satz aus und dann nehmen Sie an, dass das noch harmlos ist, dann sind sie ungefähr bei dem Niveau.

Ein Rosenkranz macht noch keinen Christen

Ja, es ist Twitter. Nein, ich mag das nicht einfach so stehen lassen. Denn der Papst hat über Jesus gesprochen. Er hat darüber gesprochen, dass wir im Antlitz des Armen und Heimatlosen Jesus erkennen. Es reicht nicht, vor irgendeiner Kirche einen Rosenkranz zu schwenken, Christsein will mehr.

Dass wir uns dabei gegen Gossensprache wehren müssen, das merken wir jetzt. Gossensprache ist eine Form von Gewalt. Übler, dreckiger Gewalt. Das müssen wir als Christen erkennen. Wer sich für das Christliche einsetzt, dem wird Gewalt begegnen, auf der Straße, bei Twitter, sonstwo.

Es ist nicht das angebliche christliche Abendland, das hier in Gefahr ist. Nicht Kultur durch irgend eine herbeigefürchtete Religion, die alles überflute und so weiter. Nein, die Gefahr kommt aus dem Inneren, von denen die sich sonst gerne auch selber das Christliche auf die Fahne schreiben.

Gewalt – verbale und dann auch andere – wird Teil der Debatte. Damit müssen wir umgehen lernen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Flüchtlinge, Gleichgültigkeit, Globalisierung, Migranten, Migration, Papst Franziskus, Twitter, wegwerfen14 Kommentare zu Gleichgültigkeit? Menschenverachtung!

Globalisierung der Gleichgültigkeit, revisited

Veröffentlicht am 8. Juli 20198. Juli 2019
Papst Franziskus feiert 2013 Messe auf Lampedusa

Im vergangenen Jahr war er in Bari, Papst Franziskus wollte dort ökumenisch an die vielen Ertrunkenen im Mittelmeer erinnern. Das war der fünfte Jahrestag seines Besuches auf Lampedusa. Heute, am sechsten Jahrestag, feiert er in Sankt Peter eine Messe für Flüchtlinge und Migranten und deren Helfer.

Das Ganze fällt in eine aufgeheizte Situation. Die Aufregung um Carola Rackete (in deutschsprachigen Medien) und die moralische Selbstgerechtigkeit des Nordens Europas, der Italien lange alleine gelassen hat mit dem Problem, der Zynusmus des Innenministers Salvini, der an Lösungen nicht interessiert einfach nur Zorn entfacht. Um das in Wählerstimmen umzusetzen.

Messe für Flüchtlinge und Migranten

Dazwischen geraten die, die fliehen, migrieren, vertrieben werden. Papst Franziskus mischt sich in die politische Debatte nicht ein, er macht es auch nicht moralisch oder gar Moralinsauer, sondern er feiert eine Messe. Wie er auf Lampedusa schon einen Kranz ins Meer geworfen hatte.

„Wer hat geweint über den Tod dieser Brüder und Schwestern?“, hatte er 2013 auf Lampedusa gepredigt. „Wer hat geweint um diese Menschen, die im Boot waren? Um die jungen Mütter, die ihre Kinder mit sich trugen? Um diese Männer, die sich nach etwas sehnten, um ihre Familien unterhalten zu können? Wir sind eine Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens, des „Mit-Leidens“ vergessen hat: Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen!“

Die Fähigkeit zu weinen genommen

Menschlichkeit ist das Stickwort hier. Wo im kaum zu überbietenden Zynismus das Leid von Menschen benutzt wird, um Punkte zu machen, gerät Menschlichkeit unter die Räder. Ich habe aber auch den Verdacht, dass bei aller Aufregung um Frau Rackete die Flüchtlinge und Geretteten selber vergessen werden. Alle Konzentration und alle Kameras und alle politischen Kommentare auf sie, da können wir unsere eigene Hilfsbereitschaft feiern. Und die Flüchtlinge? Die dürfen kommen. Auch das ist zynisch.

Die Destruktiv-Katholiken haben die Messe des Papstes bereits als „Messe für und mit Menschenschmugglern“ betitelt. Auch innerhalb der Kirche scheint es Ecken und Winkel ohne Menschlichkeit zu geben. Menschlichkeit, so mag ich anfügen, die ja immerhin göttlich ist. Gott wurde nicht Moral, Gott wurde nicht Kultur, Gott wurde nicht Nation, Gott wurde Mensch.

Gott wurde nicht Moral

Einmal mehr sehen wir, wie recht Papst Franziskus hatte und hat, wir können noch nicht einmal mehr weinen. Wir reden über uns selber, sind stolz auf unsere Hilfsbereitschaft ohne Italien zu helfen, oder benutzen das Schicksal von Menschen um Wut zu schüren. Aber dass da Menschen sterben, das gerät schnell aus den Schlagzeilen.

Gut, dass der Papst Messe feiern. Gott lobt und Fürbitte hält und das Feiert, was im Zentrum unseres Glaubens ist: Die Selbsthingabe Gottes. Ohne Denken an konkrete Menschen geht das nicht. Heute nicht, 2013 nicht und wie zu fürchten ist am siebten Jahrestag im kommenden Jahr auch nicht.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Ökumene, Papstreise, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Flüchtlinge, Globalisierung, Lampedusa, Messe, Mittelmeer, Papst Franziskus, Retter, SeaWatch131 Kommentare zu Globalisierung der Gleichgültigkeit, revisited

Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

Veröffentlicht am 6. Juli 201929. Juni 2019
Vertrauen ja oder nein? Bruce Naumann: Room with my soul left out, Museum Hamburger Bahnhof, Berlin

Auf meinem Schreibtisch steht ein Doppelbildschirm. Wie man das bei Medienmenschen heute so hat, und nicht nur da. Zwei große Flächen, um zu arbeiten und zu lesen. Meistens ergänzen sich die Inhalte der beiden, aber ab und zu widersprechen sie sich auch. Wie neulich, als zwei völlig unterschiedliche Botschaften erschienen: Vertrauen ja oder nein?

Auf der einen Seite der Philosoph Wilhelm Schmid in der ZEIT, der für ein „gesundes Misstrauen“ im Umgang miteinander wirbt. Auf der anderen Seite der Artikel meines US-amerikanischen Mitbruders und Journalisten Thomas Reese, der für Brückenbauen wirbt und sagt, dass ohne Vertrauen menschliches Miteinander unmöglich ist. Misstrauen und Vertrauen, diese beiden …

Vertrauen Ja oder Nein?

Schmid geht es um ein Grunddilemma in der Gesellschaft, das mich hier besonders mit Blick auf die Kirchen interessiert: verlorenes Vertrauen. „Vertrauen geht verloren, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden“, sagt er schlicht und überzeugend.

Und Schmid hat auch den Weg zu neuem Vertrauen, so dieses denn verloren ist: „Was genau ist zu tun, wer definiert die Erwartungen, wer soll sie erfüllen, wer darf das kontrollieren? Einvernehmen darüber zu erzielen macht ein neues Vertrauen wahrscheinlicher.“ Erwartungen – er fügt hinzu ‚berechtigte Erwartungen‘ – sind also der Schlüssel zum Vertrauen.

Erwartungen und Erfüllung

Um nun herauszufinden, ob ich Vertrauen schenken kann, empfiehlt der Philosoph einen „Prozess der Prüfung“. Genau hinschauen. Nicht sofort glauben, sondern Erfahrungen sammeln und sich dann zu Gewissheiten verdichten lassen. Hier kann Misstrauen sinnvoll sein, nicht als Grundhaltung allen und jedem gegenüber, aber es hat seinen Platz. Oder vielleicht sollten wir es besser Skepsis nennen.

Und zwar in Maßen, was Schmid mit einer Warnung verbindet: „Ein größeres Misstrauen ist auch am Platz, wenn ein Mensch ständig vom Vertrauen spricht: Er könnte ein Interesse daran haben, mich einzulullen.“ Ein Gruß an Kirche und Politik!

Wer zu viel von Vertrauen spricht

„Vorsicht geboten ist schließlich gegenüber einer Kultur, die das Misstrauen theoretisch missachtet, praktisch aber befördert, mit immer neuen Versprechungen, die sich als uneinlösbar erweisen: immerwährender Fortschritt, Aufhebung aller Widersprüche, universelles Glück.“ Ein Gruß an unsere Konsumkultur.

Tom Reese dagegen spricht nicht als Philosoph, sondern als Praktiker. Kirche und Politik in den USA sind gespalten, Verschwörungstheorien allenthalben, fehlender Respekt dominiert die Debatten. Und das sei nicht erst seit Trump so, obwohl dessen Umgang mit der Realität einen neuen Tiefpunkt darstelle. Reese definiert den Beginn des Misstrauens in den 60er Jahren, mit Vietnam und den Dauerlügen der Politiker.

Vertrauen und Missbrauch

Der Missbrauch und der Umgang damit habe ähnliches in der Kirche ausgelöst, Vertrauen sei hier sehr schwierig wieder zu gewinnen. Im Gegensatz zu Schmid sagt Reese, dass Misstrauen und Skepsis der Normalzustand seien, die es aber zu überwinden gelte. Naives Vertrauen sei natürlich keine Lösung, aber das Verbleiben in gegnerischen Lagern ohne Dialog sei auch kein Weg.

Natürlich spricht Reese dann über Parteipolitik, und an dieser Stelle können wir sein Argument verlassen, aber die Grundlage gilt auch für uns: er wirbt mit unserem Ordensgründer dafür, in einer Aussage erst einmal das Gute zu suchen. „Die Aussage des Nächsten zu retten“ als bevorzugte Option, nennt es Ignatius. Das ist nicht dasselbe was Schmid vorschlägt.

Werben

Und was nun? Vertrauen Ja oder Nein? Beide Argumentationslinien haben ihren Wert. Wenn ich die Philosophische Haltung meinen Kollegen hier erkläre – und ich habe es versucht – erkennen sie sofort den Deutschen, oder besser das Bild, das wir aus den deutschsprachigen Kirchen in der Welt haben. Skepsis, nicht sofort an Bord gehen, immer gleich etwas zu Kritisieren haben, nichts lassen wie es ist. Das sind angeblich wir.

In Tom Reese hingegen erkennen wir eine Haltung, wie sie immer und immer wieder vom Papst vertreten wird, auch an Orten wo wir selber zögern. Die Tür sei immer offen, sagt Franziskus. Der Vorteil hier ist der Einsatz für den Dialog, immer und überall. In Misstrauen kann man sich halt auch einrichten, oder besser: denen zum Opfer fallen, die von Misstrauen und Spaltung leben. Dem müssen wir entgegen treten, mit Brücken und nicht mit neuen Mauern.

Vertrauen war mal in Mode

Vertrauen galt mal als wichtig, Trump und Konsorten haben uns das ausgetrieben. Aber ohne gibt es keinen Glauben, keine Kirche. Allein Beten geht schon nicht ohne Vertrauen, Gebet ist Vertrauen. Aber wie dahin kommen, wo dieses nicht mehr da ist?

Beide Bildschirme haben Recht. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Ich brauche Brücken, ich darf dem trennenden Misstrauen nicht das letzte Wort geben. Gleichzeitig darf ich auch nicht naiv sein, verlorenes Vertrauen sei es in Kirche oder Gesellschaft kann man, ja darf man nicht einfordern, darum muss man werben. Und immer wieder werben. Und Strukturen einziehen, die Vertrauen schenken ermöglichen, etwa Transparenz und so weiter.

Strukturen des Vertrauens

Was zählt heute noch Vertrauen?, müssen wir uns fragen. Und wie kommen wir dahin?

Nur eines scheint mir sicher, auch mit Blick auf die Bemerkung weiter oben über das Beten: Ohne geht es nicht. Ohne wir es wie das Foto über dem Stück, dann leben wir in einem Raum ohne Seele. Klingt Ihnen zu pathetisch? Vielleicht, aber ich glaube das wäre die Welt, in die wir im Augenblick drohen, hinein zu spazieren.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von Gott, VatikanSchlagwörter Gesellschaft, Kirche, Missbrauch, Skepsis, Tom Reese, Vertrauen, Zeit13 Kommentare zu Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

Der digitale Kontinent ruft

Veröffentlicht am 4. Juli 201927. Juni 2019
Digitalisierung will gelernt sein Die Veranstaltung in Frankfurt, Hochschule Sankt Georgen (c) Medienmittwoch

Kirche kann noch viel lernen. Etwa in der schönen Welt des Digitalen. Ermutigungen gibt es ja genug, auch gute Beispiele. Aber bis die „Dickschiffe“ das gelernt haben, dauert das noch. Eines dieser Dickschiffe sind wir hier, der Vatikan, und wir tun uns schwer. Digitalisierung will gelernt sein.

Das Beste ist, von denen zu lernen, die gar nichts mit uns zu tun haben, die auf dem Gebiet aber schon Erfahrungen haben, und das dann übersetzen. Klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber gar nicht so einfach, weil es im Zweifelsfall immer an der Einstellung scheitert, das sei auf Kirche so nicht anwendbar.

Digitalisierung will gelernt sein

Neulich in Frankfurt: Ich war eingeladen zu einer Veranstaltung des Medienmittwoch. Es sollte um den Vatikan und die Social Media geben, und ich habe auch meinen Teil dazu gesagt. Im anschließenden Gespräch kam dann aber jemand von der Bahn AG dazu, der die Erfahrungen aus der DB Systel einbrachte. Thorsten Ziegler heißt er, angekündigt als jemand, der den kulturellen und organisatorischen Wandel seines Teilunternehmens gestaltet hat. Und genau davon hat er berichtet.

Nun gibt es ja immer wieder Versuche, von den Profis zu lernen. Einige habe ich auch schon besucht. Aber ein rein kapitalorientiertes Dienstleistungsunternehmen ist dann doch etwas anderes.

Umstellung hierarchischer Strukturen

Thorsten Ziegler etwa sprach davon, dass bei der Umstellung auch die hierarchischen Strukturen in ihrem Betrieb geändert worden seien. Das habe unter anderem die Abteilungsleiter betroffen, die nun nicht mehr von oben ernannt, sondern durch die Mitarbeiter bestimmt würden.

Das ist noch nicht ur-digital, aber zeigt die Wirkungen, welche eine Umstellung auf die schöne neue Welt des „digitalen Kontinents“ haben kann. Man muss da mal neu denken und neues probieren. Andere machen es vor.

Sender – Empfänger: die Kanzel

Schlimm ist es, wenn man die Digitalisierung nur als zusätzlichen „Kanal“ sieht, auf dem dann die gleichen Botschaften vertrieben werden. So geht das aber nicht mehr. Das Sender-Empfänger Modell holt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor, vor allem die nachwachsenden Generationen nicht.

Da braucht es Beteiligung, vom ersten Gedanken an. Deswegen ist dann die Frage nach der inneren Hierarchie auch relevant: ist ein Unternehmen und ist Kirche bereit, Strukturen aufzulösen, die für andere Realitäten vielleicht funktioniert haben?

Das Ganze war natürlich nur ein Schlaglich, das muss sich immer in der Praxis erweisen. Aber wir müssen weiter an den festen Strukturen rütteln, wollen wir der Präsenz im Internet eine Chance geben. Ideen gibt es genug. Erfahrungen auch. Beides aber zu übernehmen, das ist nicht immer einfach.

Drei Gedanken dazu, die nicht fürchterlich neu sind, die aber meiner Erfahrung nach immer noch nicht wirklich überall angekommen sind:

  • Inhalte mit denen entwickeln, für die sie bestimmt sind. Also nicht entscheiden wollen, was für andere interessant ist. Das kann man über Datenanalyse machen, aber auch ganz direkt durch Einbindung.
  • Gedruckte Texte nicht ins Netz! Predigten, Vorträge und so weiter habe da nur eine geringe Chance, gelesen zu werden (Asche auch auf mein eigenes Haupt). Der berühmte „content“ muss unter den Bedingungen des Netzes entstehen und nicht nachher einfach per upload publiziert werden.
  • Digitales verändert die Strukturen derer, die dort vertreten sein wollen. Wer dazu nicht bereit ist, kommt nicht weit.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Bahn AG, Digitale Welt, digitaler Kontinent, Digitalisierung, Internet, Medienmittwoch, Vatikan8 Kommentare zu Der digitale Kontinent ruft

„Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

Veröffentlicht am 2. Juli 20192. Juli 2019
Streitpunkt Beichtgeheimnis Papst Franziskus beichtet in Sankt Peter: Auch hier gilt das Geheimnis

Ausgerechnet das Beichtgeheimnis. In der Auseinandersetzung darum, was Kirche heute darf, welche Privilegien sie hat, und was von außen geregelt werden muss, ist die Beichte zum Thema geworden: Streitpunkt Beichtgeheimnis.

Es gibt aktuelle Entwicklungen, wie etwa die Abstimmung im US-Bundesstaat Kalifornien. Aber auch Australien denkt darüber nach, das Privileg nicht mehr zu dulden. Immer geht es hier um Missbrauch.

Streitpunkt Beichtgeheimnis

Und das Argument ist ja auch sofort einsichtig: Überall da, wo es Vertuschung von Missbrauch gibt, kann es weiteren Missbrauch geben. Missbrauch darf auf keinen Fall geschützt werden, und Schweigen schützt ihn, also darf das Schweigen nicht sein. Missbrauch muss angezeigt werden!

Dagegen hat der Vatikan jetzt noch einmal deutlich Stellung bezogen. Ausgangspunkt ist ein anderer: In einer Medienwelt, in der immer alles öffentlich sein muss, und in einer Datenwelt, in der jede Information verwertet wird, stellt die Kirche den Wert der Vertraulichkeit fest. Dabei sei das Beichtgeheimnis auch nicht dasselbe wie etwa die Regeln für Ärzte und Journalisten, es sei absolut und nicht staatlicher Rechtsprechung unterworfen. Starker Tobak.

Der Wert der Vertraulichkeit

Auf keinen Fall dürfe man das als irgendeine Form von Toleranz Missbrauch gegenüber falsch verstehen. Im Gegenteil, durch den richtigen Schutz des Beichtgeheimnisses – so das Argument – würde der Kampf gegen derlei Verbrechen gestärkt.

Das sehen sicherlich nicht alle so, vor allem jene, die wissen, wie sehr Kirche in der Vergangenheit lieber zugedeckt hat als offen gelegt. „Denen sollen wir jetzt vertrauen?“ würde hier die Frage lauten.

Keine Toleranz der Vertuschung!

Ein Blick auf die Rechtslage: In Deutschland schützt der Staat das Zeugnisverweigerungsrecht auf Grund der Funktion der Geistlichen, Österreich hingegen erkennt direkt das Beichtgeheimnis als solches an.

Das Kirchenrecht ist eindeutig. Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich, sagt Canon 983, um später (Canon 1388) zu ergänzen: „Ein Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation(..) zu“. Wir haben im Studium gelernt: Wer Tat und Täter nennt, der ist raus.

Wer Tat und Täter nennt

Beichten ist ein Augenblick der Schwäche, der Scham, wenn man zu dem steht, was in einem nicht gut ist. In den Worten von Papst Franziskus: Beichtväter müssen voller Respekt für die Würde der Geschichte der Menschen sein. „Auch der größte Sünder, der vor Gott tritt, um Vergebung zu erbitten, ist ‚heiliger Boden’. Jeder gläubige Büßer, der in den Beichtstuhl kommt, ist ‚heiliger Boden’, heiliger Boden, der mit pastoraler Hingabe, Sorgfalt und Aufmerksamkeit bebaut werden muss.“

Er fügte an: „Das Sakrament, mit allen Bußakten, darf nicht zu einem harten, lästigen und aufdringlichen Verhör werden. Im Gegenteil, es muss eine befreiende Begegnung voller Menschlichkeit sein.” Das Stichwort hier ist Freiheit, befreiend.

Befreiende Begegnung

Wir glauben, dass es bei der Beichte nicht um ein Gespräch zwischen zwei Menschen geht, die etwas merkwürdig klingende Formulierung im Kirchenrecht, dass der Priester an Stelle Gottes hören würde, weist genau darauf hin. Es ist ein Geschehen, bei dem wir glauben, dass Gott handelnd dabei ist. Ein Sakrament.

Deswegen braucht das Sakrament Schutz. Wie alle anderen Sakramente auch. Das Geheimnis dient diesem Schutz, nichts was ich als Priester in einer Beichte erfahre, darf ich nachher nutzen. Auch nicht für einen noch so guten Zweck.

Beichtwissen darf nicht benutzt werden

Das gilt allerdings auch in andere Richtung: Wenn ich die Beichte als Sakrament schützen will, dann ausdrücklich auch davor, Komplize des Verbrechens zu werden, wie es ein Mitbruder von mir formuliert. Deswegen kann ich auch ruhigen Gewissens sagen, dass ich durch dieses Sakrament niemanden etwa vor Strafe schützen will.

Wir Menschen brauchen geschützte Räume, in denen nicht alles aus welchen richtigen Gründen auch immer verwertet wird. Wo bliebe das Vertrauen in andere Menschen? Und was für Zwischenmenschliches gilt, gilt um so mehr für die Religion.

Wir Katholiken müssen uns sehr genau überlegen, wie wir Priester so ausbilden, dass das Beichtgeheimnis zu einer befreienden Begegnung werden kann. Nicht zum Schutz von Verbrechen. Wenn es dazu gehört, diesen Schutzraum des Gebets – genau das ist eine Begegnung mit Gott ja immer – und des Sakraments mit einem Vertraulichkeit-Gebot zu schützen, dann ist das gut und richtig so.

Die Gesellschaft hat Recht, uns immer wieder in Frage zu stellen. Und dort, wo Recht und Würde von Menschen eingeschränkt werden, einzuschreiten. Das ist aber in der Beichte nicht der Fall. Und deswegen muss das Beichtgeheimnis bleiben, wie es ist.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und MedienSchlagwörter Beichte, Beichtgeheimnis, Missbrauch, vertraulich, Vertuschung13 Kommentare zu „Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

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