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Schlagwort: Missbrauch

Synodalität noch mal neu lernen

Veröffentlicht am 27. November 202024. November 2020
Der Synodale Weg holpert Erster Advent 2019: Pressekonferenz zum Stadt des Synodalen Weges mit Karin Kortmann (ZDK) und Kardinal Rheinhard Marx (damals Vorsitzender der DBK)

Er feiert seinen ersten Geburtstag: vor einem Jahr, am ersten Advent, hat die Kirche den Synodalen Weg begonnen. Zum Lösen der Knoten. Und bei aller Schwierigkeit sah es auch nach einem guten Start ins Leben aus. Bis dann Corona kam. Der Synodale Weg holpert seitdem, es ist nicht mehr so ganz klar, wie und vor allem wann es weiter geht. Die geplante zweite Vollversammlung musste ein erstes Mal verschoben werden, stattdessen gab es Regionalkonferenzen. Die zwar in der Geschäftsordnung oder Satzung nicht vorgesehen sind und deswegen keine Beschlusskompetenz haben, aber anders war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen nicht möglich.

Nun gibt es schon wieder eine Verschiebung, wieder ist Corona der Grund. Das Ersatz-Format ist anders, aber fest steht, dass wieder keine Abstimmungen formaler Natur stattfinden können. Wie gesagt, der Weg ist holperig geworden. Und der erste Geburtstag, der eigentlich sowas wie die Halbzeit einleiten sollte, lässt vermuten, dass das Ganze noch viel länger dauern wird.

Der Synodale Weg holpert

Dabei ist es aber nicht so, also ob im vergangenen Jahr nichts geschehen sei. Da ist schon ziemlich viel Wegstrecke zurück gelegt worden, positiv wie auch negativ. Negativ, weil sich immer mehr mehr Menschen abwenden von „ihrer“ Kirche. Das wird auch di Synodalität nicht auf einen Schlag wieder gut machen können.

Weiter gekommen sind wir in der Debatte um den Missbrauch, so schräg das gerade in diesen Tagen auch klingen mag. Was ich damit meine: vor einem Jahr gab es noch den konzertierten Versuch, den Auslöser des Prozesses, die MHG-Studie, zu deletimieren. Und damit den Synodalen Weg auch. Gerade die traurigen Ereignisse um die Kölner Studie und den Umgang damit haben aber sehr deutlich gemacht, dass der Missbrauch und die damit zusammenhängenden Phänomene in den Prozess hinein gehören. Wir können kein Forum „Macht in der Kirche“ machen, ohne über den Missbrauch von Macht zu sprechen.

Nicht nur Text

Weiter gekommen sind wir auch als geistlicher Prozess. Wobei gerade hier – in meinen Augen – die größte Gefahr für den Synodalen Weg lauert. Wenn wir diese Dimension nicht für voll nehmen und nur Texte verabschieden wollen, dann passiert gar nichts. Weswegen die Bischöfe sich auch klar in ihrer Vollversammlung dahinter gestellt haben, die Laien im ZDK haben den Synodalen Weg und damit diese Frage gar nicht besprochen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Abschluss der DBK Herbstvollversammlung hat Bischof Georg Bätzing die Debatte der Bischöfe zusammen gefasst und gesagt: „Das Evangelium so in den Mittelpunkt des synodalen Weges stellen, dass es ein geistlicher Weg wird.“ Und später: „Viele Bischöfe wünschen sich, dass die beiden geistlichen Begleiter noch viel pro-aktiver werden.“ Sie sollen nicht ‚Gebetsanimateure‘ sein, sondern „darauf achten, dass wir miteinander auf einem geistlichen Fundament unterwegs sind. Da wünschen wir uns auch mehr Interventionen, wenn die Wahrnehmung da ist, hier gleitet etwas vielleicht ab“.

„Hier gleitet etwas vielleicht ab”

Mir scheint, dass sich unter dem Begriff „geistlicher Prozess“ verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen versammeln. Auch sind die geistlichen Elemente, wie wir sie vorbereitet hatten, teilweise zum Ort des Streits geworden, etwa wenn Leute den Raum verlassen oder gar nicht erst zur gemeinsamen Messe kommen. Aber trotzdem ist das ein Fortschritt, weil darüber gesprochen wird.

Nur kurz möchte ich hinweisen auf die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema, sei es bei Tagungen oder auch in Fachzeitschriften. Auch das bringt uns weiter.

Jetzt also wieder eine Verschiebung. Schon aus der ersten haben wir gelernt, wir brauchen das Risiko zur Offenheit und dürfen uns nicht durch das Format vor der Realität verbergen.

Das Präsidium möchte – richtigerweise, wie ich finde – aus der Not der erneuten Verschiebung eine Tugend machen: Das sei eine „Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat“, heißt es in dem Brief an die Mitglieder des Synodalen Wegs. Das ist schon auch ein geistlicher Schritt: sich nicht an Formate festklammern.

Der Weg ist halt anders, als wir gedacht hatten.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Kirche, Missbrauch, synodaler Weg10 Kommentare zu Synodalität noch mal neu lernen

»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Veröffentlicht am 19. November 202018. November 2020
Die Opfer stören Keine Angst haben davor, was das vielleicht mt der Kirche macht.

„Die Opfer stören.“ Es ist ein Satz von vielen aus einem Kommentar von vielen zu den jüngsten Berichten vom Umgang mit Missbrauch: Aachen, Köln, McCarrick. „Die Opfer stören“, dieser Satz beschreibt eine Unruhe, die immer noch, auch nach all den Jahren, die Debatte um Missbrauch und den Umgang damit bezeichnet: auch jetzt noch geht es zu sehr um Täter, um System, um Ruhe.

Vor einigen Jahren habe ich mal davor gewarnt, dass Kirche sich nicht „in die Prävention“ flüchten darf. Die Aufarbeitung darf nicht zu kurz kommen, und dazu muss man, müssen wir zuhören. Auch und weil es stört. Das Gleiche gilt nun von den Berichten und Studien: wir müssen weiter die Haltung des Hörens üben. Üben, weil wir das offensichtlich noch nicht können.

Die Opfer stören

Vorsicht, das Ganze darf nun aber nicht – schon wieder – im Appell verhallen. Hören hat Folgen, das wissen wir mindestens aus der Bibel. Und denen zuhören, die von Macht und deren Missbrauch in der Kirche erzählen, muss für uns Folgen haben. Appelle reichen also nicht, ohne Konsequenzen wird das hohl.

„»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit« (1 Kor 12,26). Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben.“ Bei diesen Worten von Papst Franziskus frage ich mich unwillkürlich, ob das stimmt. Leiden wir mit? Nicht in dem Sinn, dass wir nun die Opfer und Überlebenden bevormunden, weil wir anderen ja auch leiden. Aber in dem Sinn, dass eben auch wir beteiligt sind. Jeder und jede von uns in der Kirche.

Dröhnende Ideologien

„Die Wunden „verjähren nie“.”, so der Papst weiter. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“ Mit Entsetzen habe ich deswegen die vielen Kommentare hier im Blog gelesen, die meinen, die Verbrechen ideologisch umdeuten zu müssen. Sie haben die Kommentare nicht gelesen, weil ich es als meine Aufgabe als Moderator betrachte, die Lautstärke dieser Stimmen herunter zu regeln. Die überdröhnt die Stimme der Opfer oder Überlebenden, oder versucht es zumindest. Zum Schweigen bringen, wie der Papst sagt.

Das Hören ist für uns als Glaubensgemeinschaft wesentlich: wir sind nicht alleine Christinnen und Christen, und wir werden auch nicht alleine erlöst. „Gott wollte in eine soziale Dynamik eintreten“, sagt der Papst, wir gehören dazu. Nicht hören zu wollen oder die Verantwortung an einige wenige zu delegieren, ist nicht zuletzt auch religiös und theologisch falsch.

Keine geistliche Verharmlosung

Der Papst empfiehlt deswegen auch genuin religiöse Rezepte: Buße und Gebet. Nicht, um die Debatte ins Fromme zu verlegen, nicht um das Ganze geistlich zu verharmlosen. Sondern weil „Buße und das Gebet helfen, unsere Augen und unser Herz für das Leiden der anderen zu schärfen und die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen, die so oft die Wurzel dieser Übel sind.“ Herrschen und Besitzen, also die Kontrolle haben, das wird uns genommen, wenn wir im Geist der Buße und des Gebets hören.

Ärger, Wut und Frust über die Täter, das Vertuschung-System, über Päpste und Bischöfe, über den Klerikalismus und all das andere sind wichtig und haben ihren Ort. Aber weiter vorne muss das Hören stehen, das Hören auf die die stören. Weil nur von dort her die Perspektive stimmt.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, RomSchlagwörter Bistum Aachen, Erzbistum Köln, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Vatikan13 Kommentare zu »Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Lehren aus dem Fall McCarrick: Wer zieht die?

Veröffentlicht am 12. November 2020
eine Erfahrung der Scham Der Petersplatz: Ort der Inszenierung. Aber auch ein Ort der Einsicht?

Wir lernen ständig dazu. So die Theorie. Mit jeder Erfahrung – nicht mit jeder Neuen Information – ändert sich unsere Sicht auf die Welt. Wenn dem so ist, dann kann man nur hoffen, dass die Veröffentlichung des McCarrick-Berichts im Vatikan eine Erfahrung der Scham ist. Für den Vatikan und die Verantwortlichen. Damit wir alle dazu lernen.

Zu schnell wird in meinen Augen darauf hingewiesen, dass die Kirche daraus lernen werde. Ja, es ist einiges geschehen, darauf weist der offiziöse Kommentar zum Bericht aus dem Vatikan hin. Aber reicht das als Schritt aus?

Eine Erfahrung der Scham

Mein Mitbruder Hans Zollner erwartet, dass es Konsequenzen gibt, wo es um das Besetzen von Autoritäts-Posten geht. Also um Bischöfe. Im Domradio habe ich selber darauf hingewiesen, dass der Kern des Berichts darin liegt, wie wenig Verfahren und Prozess im Umgang mit Missbrauch und mit Macht in der Kirche existiert.

Beide Verweise beziehen sich auf dem Umgang mit Autorität und Macht. Beispiel: es hatte immer wieder Hinweise gegeben, dass mit dem damaligen Bischof McCarrick was nicht in Ordnung sei. Deswegen hatten die Zuständigen im Vatikan ihn nicht für die Bischofssitze in Chicago und New York in Betracht gezogen. Auf die Idee, dem mal nachzugehen und zu fragen, ob da nicht was dran sei und dass der Mann aus dem Verkehr gezogen werden muss, wenn da was dran ist, kam wohl keiner.

Transparente Verfahren

Das war jedenfalls einer meiner ersten Gedanken bei der Lektüre. Dem kann man nur entgegen treten, wenn man transparente Verfahren einrichtet, wenn es um die Besetzung von Autorität geht. Aber wird das gewollt? An der Ernennung von Bischöfen – so erzählt es der Bericht – sind eine ganze Reihe von Instanzen in Rom beteiligt, bis hin dazu, dass ein Papst (in diesem Fall Johannes Paul II.) an den Zuständigen vorbei eine Entscheidung treffen kann, weil er einem Brief glauben schenkt, in dem McCarrick dicke Lügen auftischte.

Werden Bischofskongregation, Evangelisierungs-Kongregation, Staatssekretariat, Sekretariat des Papstes und nicht zuletzt der Papst selbst sich in einen transparenten Prozess einbinden lassen? Da habe ich dann doch meine Fragezeichen. Dass es geht, das zeigen die Schritte zur Einrichtung einer Verwaltunggerichtsbarkeit in der Kirche in Deutschland. Davon braucht es mehr.

Das Ernten von Blindheit

Die Täter stützten die Autoritäten und bestärkten diese, dafür ernteten sie Blindheit für ihr eigenes Tun. Dieses System muss aufgebrochen werden. Auch im Vatikan. Dazu braucht es aber nicht nur Informationen. Der Bericht informiert ja, wer wann was gewusst hat. Das ist gut und wichtig. Ich glaube aber, dass es über diese Informationen die Erfahrung von Scham braucht, damit sich was ändern. Lassen die Verantwortlichen in der Kirche diese Scham an sich heran? Oder waren es wieder einmal nur die anderen, damals?

Der Bericht zeigt uns auch, dass die nach außen gezeigte Haltung des „vertraut uns, wir wissen was richtig ist“ ein fataler Grundpfeiler von Missbrauch war. Oder ist. Wer sich das nicht erschüttern lässt, der wird letztlich auch nicht lernen. Ganz gleich ob im Vatikan oder sonstwo in der Kirche.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, VatikanSchlagwörter Bericht, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Rom, USA, Vatikan23 Kommentare zu Lehren aus dem Fall McCarrick: Wer zieht die?

Nach 400 Tagen im Gefängnis

Veröffentlicht am 8. April 20208. April 2020
Missbrauch und Kirchenführung Kardinal Pell beim Weltjugendtag in Madrid. Foto: flickr.com

Kardinal George Pell ist frei. Nach einem langen und komplexen Gerichtsverfahren in allen Stufen steht fest, dass das gefällte Urteil „schuldig“ keinen Bestand hat. So hat es einstimmig das höchste Gericht des Landes entschieden. Das Ganze lässt viele Fragezeichen zurück. Der Prozess ist nun beendet. Von einem Rechtsstaat, bei allen Komplikationen. Aber das Thema Missbrauch und Kirchenführung bleibt uns erhalten.

Das missliche an der Causa Pell war und bleibt, dass es neben allem anderen auch ein symbolischer Prozess war und ist. Alle Seiten haben es so betrachtet. Die Betroffenen schreien auf, weil sie einen Missbrauchstäter frei aus dem Saal gehen sehen. Die Pell-Verteidiger sprechen davon, dass hier ein Mann für eine ganze Kirche verfolgt worden sei.

Missbrauch und Kirchenführung

Was Schuld und Unschuld angeht, habe ich in dieser Causa immer noch keine Meinung. Es gilt, den Rechtsstaat zu respektieren, aber persönlich hätte ich kein Urteil fällen wollen. Nicht nur, weil ich nicht alle Umstände genau kenne. Sondern einfach, weil es wahnsinnig schwer ist, aus der Ferne genau sagen zu können, was passiert sein könnte oder passiert ist. Aber trotzdem finde ich können wir einige Fragen auch hier stellen, im Anschluss an das Verfahren Pell.

Erstens: Der Missbrauch hat tiefe Furchen der Zerstörung gezogen in den Leben derer, die damit zu tun bekommen haben. Bei den Betroffenen, den Überlebenden zu allererst. Bei deren Familien, Freunden. Und er war und ist für viele immer noch unaussprechlich. Nicht alle können darüber reden, und das gilt es zu respektieren. Um so wichtiger ist es, den Betroffenen und Überlebenden zuzuhören, vor allem weil sie es immer noch schwer haben, Gehör zu finden.

Der Gerichtsprozess in Australien hat einmal mehr vor Augen geführt, wie schwer das ist. War das plausibel? Überhaupt möglich? Verbirgt sich dahinter eine Geschichte? Wann ist Zweifel angebracht und erlaubt? Wie gesagt, aus der Ferne kann und sollte man das nicht beurteilen. Sondern vor Ort zuhören und hinschauen.

Fernurteile verbieten sich

Zweitens: Symbolische Debatten und juristische Entscheidungen bzw. Prozesse passen nicht zusammen. Jemand kann noch nicht schuldig gesprochen werden, nur weil er angeklagt wird. Das ist oft schwer auszuhalten, siehe Pell, siehe aber auch andere Fälle. Die Zerstörung im Leben der Betroffenen ist real, die Feststellung der Schuld aber von vielen Hürden geschützt, so scheint es. Da ist ein Ungleichgewicht, das nicht einfach auszuräumen ist. Und das nicht durch Symboldebatten aufgelöst wird, so hart das klingt.

Drittens: Kardinal Pell steht für das Thema Verantwortung. Deswegen war und ist er auch eine symbolisch aufgeladene Figur. Es ging nie nur um die konkreten Geschichten – ich korrigiere: im Prozess schon, aber in der Beobachtung nicht – sondern es ging immer auch um die Verantwortungsträger in der Kirche, die es nicht gewesen sein wollen. Und den Zorn und das Unverständnis darüber.

Das dürfen wir nicht herunter spielen. Das ist da und bleibt. Spektakuläre Fälle wie Kardinal Theodore McCarrick in den USA oder jetzt Kardinal George Pell sind aber nicht die Regel, Wegschauen, Vertuschen und Herunterspielen gab es und – leider – gibt es auf allen Ebenen. Der Wunsch, endlich auch einen Großen und Mächtigen „dran“ zu kriegen ist verständlich, es bleibt aber trotz alledem ein Weg der kleinen Schritte.

Das Thema Verantwortung

Der Frust bei vielen über den Freispruch bzw. die Aufhebung des Urteils ist verständlich. Aber es ist ein rechtsstaatlich gefallenes Urteil. Es bleibt die Aufgabe der Kirche, das letzte Thema – das Thema der Verantwortung – dabei nicht an die Seite zu legen. Es sind nämlich nicht nur die gerichtlich zu entscheidenden konkreten Geschichten, es sind vor allem die systemische Ermöglichung und die Vertuschung und das Herunterspielen, die uns als Aufgabe bleiben. Die oft nicht gerichtlich zu klären sind. An denen Kirche aber gemessen wird und weiter werden wird.

Ich würde mich sogar vorsichtig zu der Aussage tendieren, dass die Missbrauchsdebatte überhaupt nicht über Prozesse zu klären ist. Einzelne Geschichten sehr wohl, wo es möglich ist muss Recht gesprochen werden. Aber das hat halt auch seine Grenzen.

Aber die Debatte ist weiter. Über Justiziables hinaus. Die australische Kirche hat ja auch sofort in diesem Sinne reagiert: Das Ende des Prozesses gegen Kardinal Pell bedeute nicht ein Nachlassen und so weiter. Der Missbrauch wächst auf einer Kultur, die es aufzudecken gilt. Und die es abzuschaffen gilt. Verantwortliche müssen Verantwortung tragen, aber auch wir alle müssen uns eingestehen, dass wir eigentlich auch nicht genau hinsehen wollen. Einige spektakuläre – und ferne – Fälle wären uns lieber. Dem ist aber nicht so. Missbrauch ist um uns herum, dem müssen wir ins Auge sehen.

Immer noch und immer weiter.

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  • Nachtrag am 8. April, 19.40 Uhr: ich lasse zu diesem Text keine Kommentare mehr zu.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, Neulich im Internet, VatikanSchlagwörter Australien, Freispruch, George Pell, Kardinal, Kirche, Missbrauch, Verantwortung16 Kommentare zu Nach 400 Tagen im Gefängnis

Autoritätendämmerung

Veröffentlicht am 16. Januar 20208. Januar 2020
eine glaubwürdige Autorität der Kirche Risse und Brüche in der Kirche: l'Aquila nach dem Erdbeben

Er war einer der bekanntesten Bischöfe der USA, Fulton Sheen. Eine eigene Fernsehsendung hatte er, er konnte Menschen für den Glauben begeistern. Sogar den Emmy hatte er für seine Sendung bekommen. Ein moderner Verkünder also, eine glaubwürdige Autorität der Kirche. Der Seligsprechungsprozess lief ebenfalls glatt, bis er urplötzlich auf eine Klippe lief: drei Wochen vor dem Termin wurde die Seligsprechung abgesagt. Der Vatikan hatte noch einmal gebremst. Die Begründung: “In our current climate it is important for the faithful to know that there has never been, nor is there now, any allegation against Sheen involving the abuse of a minor.” Vorsicht, Missbrauch!

Auch in Deutschland erleben wir das gerade, wenn auch nicht gleich bei Seligsprechungen. Bei immer mehr Bischöfen der älteren und emeritierten Generation erscheint das Fragezeichen, was sie denn getan hätten. In den USA ist das besonders deutlich, weil da alles an die Öffentlichkeit kommt, mit Klarnamen und allem drum und dran. Bei uns wäre das gar nicht erlaubt.

Eine glaubwürdige Autorität der Kirche

Wir sind zu recht vorsichtig geworden. Eine glaubwürdige Autorität der Kirche gibt es fast nur noch mit Vorbehalt. Nicht nur aber gerade bei Bischöfen kommt das nun immer wieder auf die Tagesordnung, obwohl nicht nur die weggeschaut haben.

Wir müssen also über Autorität reden. Die kann nicht so bleiben, wie sie ist, sie ist beschädigt. Ihre Legitimierung wird nicht mehr ohne weiteres akzeptiert, nach all den Geschichten über falsch und missbräuchlich ausgeübte Autorität. Papst Franziskus führt die Debatte um die Autorität in der Kirche gerne mit dem Begriff des Klerikalismus. Und er zieht eine eindeutige Verbindung zwischen dieser Form von falscher Autorität und dem Missbrauch bzw. der Vertuschung.

Formen falscher Autorität

Nun muss man vorsichtig sein, die Kritik am „-ismus“ ist wichtig, wenn sie aber als Schutzschild fungiert und damit Selbstkritik ausschließt, hilft sie nicht weiter. Im Gegenteil. Deswegen ist es so wichtig, neue Formen von Autorität in der Kirche einzuführen, Gewaltenteilung etwa.

Es bleibt leider der Verdacht, dass einige Autoritätsinhaber bei allen Debatten nur Zugeständnisse machen und so Herren des Verfahrens bleiben wollen. Das kann nicht sein. Ein wenig ändern, damit dann doch alles bleibt wie es ist, das kann nicht das Ziel sein.

Autorität steht unter Vorbehalt. Das können wir nicht weg blenden und auf alten Legitimität pochen. Zeit, sich vielleicht einige Bibelzitate zum Thema vorzunehmen:

„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“ (Mt 23).

Und dann fügt Jesus an: Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Wenn das in der Umsetzung mehr sein soll als Prosa, dann müssen wir den Bibeltext noch einmal genau ansehen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, ÖkumeneSchlagwörter Autorität, Bischof, Kirche, Krise, Missbrauch, Papst Franziskus, Zukunft11 Kommentare zu Autoritätendämmerung

Ratzinger im Kino: Die Frage nach Missbrauch

Veröffentlicht am 31. Oktober 2019
Verteidiger des Glaubens Ein Kino in Berlin: Vor der Vorführung und der Debatte des Films

Religion enthält grundsätzlich die Gefahr von Missbrauch. Gestern Abend (Mittwoch), in einem Kino in Friedrichshain in Berlin, wurde in einer Preview Christoph Röhls Film „Verteidiger des Glaubens“ über Joseph Ratzinger und die Missbrauchs-Frage gezeigt. Und danach durfte ich mit dem Regisseur auf der Bühne debattieren.

Röhl ist bekennender Nichtglaubender. Was ja für eine journalistische Perspektive gut sein kann. Und über seinen Film kann man viel sagen, an einigen Stellen mag ich dort vorgebrachten Positionen widersprechen, andere Stellen mag ich mitreden.

Verteidiger des Glaubens

Aber das hier soll keine Filmkritik sein. In dem Gespräch danach kamen wir auch auf die Frage, wo genau Missbrauch eigentlich beginnt. Der Regisseur sagte am Schluss etwas Bemerkenswertes: Religion beginne da missbräuchlich zu werden, wo schwache Menschen auf der Suche nach Sinn mit Heils- und Erlösungsversprechen gelockt würden.

Ist das so? Meine erste Reaktion, die ich aber nicht ins Mikro gesagt habe, war: ich würde zustimmen, wenn er gesagt hätte, Missbrauch begänne wo Religion zum Mittel wird. Ich glaube, das hat er auch gemeint. Wenn Religion eben um den Menschen kreist und es um Macht oder Ordnung oder was auch immer geht.

Macht und Ordnung?

Im Film geht es um Joseph Ratzinger, um Irland, um die Legionäre Christi, es geht um Missbrauch und Moderne und Konzil, es sind fast schon zu viele Themen, die verhandelt und gezeigt werden. Irland hat sehr viel Platz, während die Theologie Ratzingers verkürzt dargestellt wird.

Aber der Punkt ist ja, dass so ein Film zum Reden einlädt. Zum Widerspruch, aber auch zur Nachfrage. Und die Frage nach dem „blinden Fleck“, wie es der Moderator Joachim Hake von der katholischen Akademie Berlin formuliert hat, wird durch den Film zum Thema. Wo sind blinde Flecke bei Joseph Ratzinger? Oder wo hat vielleicht der Film selber blinde Flecke?

Blinde Flecke

Das ist überhaupt die wichtigste Frage nach dem Film: was sehen wir nicht? Wollen oder können wir nicht sehen? Was Röhl versucht, paradigmatisch wie er sagt bei Joseph Ratzinger zu zeigen, gilt auch für uns. Etwa die Frage nach dem Klerikalismus, der eine Spielart der Verzweckung von Religion ist.

Röhls Film ist zurückhaltend genug, um Gespräche darüber anzuregen. Er will nicht überwältigen, durch Skandal oder steile Thesen. Auch wenn er selber wie ich meine auch blinde Flecken hat, ist er doch eine Einladung zur Debatte.

Ein zurückhaltender Film

Es gab im Laufe der Publikumsreaktionen einen Beitrag, den ich bezeichnend fand. Ein Ingenieur, der selber in jungen Jahren den Theologieprofessor Ratzinger gehört hatte, sprach davon, was er alles inspirierendes bei diesem Denker gehört hatte. Im Film kommt diese Theologie eher als Karikatur vor, das sah der Zuschauer offensichtlich einen solchen blinden Fleck.

Und da sind wir bei der Frage: können wir schwächen und blinde Flecken entdecken, ohne gleich ein Urteil zu fällen? Das Inspirierende behalten? Sind wir selber zurückhaltend und fragend genug, nicht sofort Urteile zu fällen? Oder dient die Personalisierung, wie sie der Film mit Joseph Ratzinger vornimmt, nicht auch zum Abschieben des Problems auf einzelne Personen?

Wo beginnt Missbrauch? Röhl versucht sich an seiner Antwort, als Geschichte der Tragödie eines Mannes, wie er sie erzählt, wird er seinem Thema und der gewählten Person nicht gerecht. Aber er stellt die Frage, nach den blinden Flecken, nach Theologie, nach Kirchenbild, nach Wegschauen. Und als Beitrag in der Debatte sind das Fragen, die immer wieder gestellt werden müssen.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kunst, Kultur und Können, VatikanSchlagwörter Benedikt XVI., Film, Kino, Kirche, Missbrauch, Papst, Vatikan, Verteidiger des Glaubens9 Kommentare zu Ratzinger im Kino: Die Frage nach Missbrauch

Wider die lähmende Traurigkeit: Papst Franziskus schreibt Priestern

Veröffentlicht am 4. August 20194. August 2019
Priester und Missbrauch Abschluss des Priesterjahres, Mein Blick auf den Petersplatz Juni 2010

Es ist zehn Jahre her, dass im Vatikan das „Jahr des Priesters“ begangen wurde. Benedikt XVI. hatte es einberufen und damals von einem „neuen Frühling“ gesprochen. Wir alle haben nicht geahnt, dass es gerade in diesem Jahr zur Aufdeckung von so viel Missbrauch und dem Beginn einer immer noch andauernden Debatte um Macht in der Kirche kommen würde. Priester und Missbrauch, das wurde das Thema.

Papst Franziskus schreibt zehn Jahre nach diesem Priesterjahr allen Priestern einen Brief. Und er spricht den Missbrauch direkt und als erstes an. So verliebt unsere kirchliche Öffentlichkeit auch in die Zölibatsdebatte ist, es ist der Missbrauch, der das Leben von so vielen Priestern prägt. Selbst wer sich nie etwas zu Schulden hat kommen lassen, wer treu und hingebungsvoll arbeitet, der muss sich damit auseinandersetzen. Und nicht selten wird er mit den Tätern und den Wegschauern in einen Topf geworfen.

Priester und Missbrauch

Papst Franziskus tut in seinem Brief zwei Dinge. Erstens dankt er ausführlich und ausgiebig. Das ist der Beginn und das Ende und auch mit einer kleinen Dank-Litanei das Mittelstück des Briefes. Viele Priester sagen ja, dass sie vom Papst immer nur Kritik hören, Kritik am Klerikalismus und so weiter (ein Wort, dass in dem Brief nicht fällt). Dank ist wichtig, Wertschätzung ist wichtig, und das tut Franziskus ausführlich.

Zweitens aber zieht sich durch den Brief auch der Schmerz und die damit verbundene lähmende Traurigkeit. Vorsichtig spricht der Papst über das wieder gewinnen von Mut und Lebensfreude, von den Herausforderungen der Traurigkeit und von Gebet und Nähe zur Gemeinde.

Keine fertigen Rezepte

Er geht von Schwierigkeiten aus, vor allem von der Lähmung, bietet aber keine fertigen Lösungen an, wie mit dieser „Traurigkeit“ umzugehen ist, nur Wege dahin.

Anders beim Missbrauch selber, hier sind die Worte deutlich: „Wenn in der Vergangenheit die Unterlassung zu einer Form der Antwort werden konnte, so wollen wir heute, dass die Umkehr, die Transparenz, die Aufrichtigkeit und die Solidarität mit den Opfern zu unserer Art und Weise werden, Geschichte zu schreiben, und uns helfen, aufmerksamer zu sein gegenüber allem menschlichen Leiden.“ Die „Kultur des Missbrauchs“ dürfe keinen Platz haben, dafür arbeite er an der „Umsetzung der notwendigen Reformen“.

Geistliche Aussage

Die Aussagerichtung des Papstes ist und bleibt aber geistlich. Der Einsatz gegen Missbrauch gehört hier hinein, genauso wie das Überwinden der Lähmung, die einen bei der Debatte überfallen kann.

Papst Franziskus legt keinen Entwurf fürs Priestersein vor, keine Vision, kein Projekt. Er leitet geistlich, er hilft auf dem Weg, er ermutigt. Einfacher werden Priester, davon ist der Papst überzeugt. Die Krise, der Schmerz und die Scham werden zu einer Erneuerung führen. Aber nicht durch ein Hauruck, sondern geistlich, allmählich. Durch Umkehr, Gebet und Gemeinschaft.

Papst Franziskus bietet keinen Beitrag zur Zölibatsdebatte oder zur Weihe von Frauen, das ist überhaupt nicht sein Thema. Er will denen schreiben, die Priester sind ihnen geistlich helfen. Als Bischof, weswegen der Brief als Ortsmarke auch seine Bischofskirche trägt, nicht den Vatikan. Hier wird nichts festgelegt, hier wird ermutigt und vor allem gedankt.

Einen „neuen Frühling“ haben wir noch nicht. Aber Papst Franziskus erinnert (uns Priester aber dann auch alle) daran, dass aller Umgang mit den schwierigen Themen auch immer geistlich sein muss.

 

Kategorien Benedikt XVI., Franziskus, Geschichte, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Missbrauch, Papst Franziskus, Papstbrief, Priester25 Kommentare zu Wider die lähmende Traurigkeit: Papst Franziskus schreibt Priestern

Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

Veröffentlicht am 6. Juli 201929. Juni 2019
Vertrauen ja oder nein? Bruce Naumann: Room with my soul left out, Museum Hamburger Bahnhof, Berlin

Auf meinem Schreibtisch steht ein Doppelbildschirm. Wie man das bei Medienmenschen heute so hat, und nicht nur da. Zwei große Flächen, um zu arbeiten und zu lesen. Meistens ergänzen sich die Inhalte der beiden, aber ab und zu widersprechen sie sich auch. Wie neulich, als zwei völlig unterschiedliche Botschaften erschienen: Vertrauen ja oder nein?

Auf der einen Seite der Philosoph Wilhelm Schmid in der ZEIT, der für ein „gesundes Misstrauen“ im Umgang miteinander wirbt. Auf der anderen Seite der Artikel meines US-amerikanischen Mitbruders und Journalisten Thomas Reese, der für Brückenbauen wirbt und sagt, dass ohne Vertrauen menschliches Miteinander unmöglich ist. Misstrauen und Vertrauen, diese beiden …

Vertrauen Ja oder Nein?

Schmid geht es um ein Grunddilemma in der Gesellschaft, das mich hier besonders mit Blick auf die Kirchen interessiert: verlorenes Vertrauen. „Vertrauen geht verloren, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden“, sagt er schlicht und überzeugend.

Und Schmid hat auch den Weg zu neuem Vertrauen, so dieses denn verloren ist: „Was genau ist zu tun, wer definiert die Erwartungen, wer soll sie erfüllen, wer darf das kontrollieren? Einvernehmen darüber zu erzielen macht ein neues Vertrauen wahrscheinlicher.“ Erwartungen – er fügt hinzu ‚berechtigte Erwartungen‘ – sind also der Schlüssel zum Vertrauen.

Erwartungen und Erfüllung

Um nun herauszufinden, ob ich Vertrauen schenken kann, empfiehlt der Philosoph einen „Prozess der Prüfung“. Genau hinschauen. Nicht sofort glauben, sondern Erfahrungen sammeln und sich dann zu Gewissheiten verdichten lassen. Hier kann Misstrauen sinnvoll sein, nicht als Grundhaltung allen und jedem gegenüber, aber es hat seinen Platz. Oder vielleicht sollten wir es besser Skepsis nennen.

Und zwar in Maßen, was Schmid mit einer Warnung verbindet: „Ein größeres Misstrauen ist auch am Platz, wenn ein Mensch ständig vom Vertrauen spricht: Er könnte ein Interesse daran haben, mich einzulullen.“ Ein Gruß an Kirche und Politik!

Wer zu viel von Vertrauen spricht

„Vorsicht geboten ist schließlich gegenüber einer Kultur, die das Misstrauen theoretisch missachtet, praktisch aber befördert, mit immer neuen Versprechungen, die sich als uneinlösbar erweisen: immerwährender Fortschritt, Aufhebung aller Widersprüche, universelles Glück.“ Ein Gruß an unsere Konsumkultur.

Tom Reese dagegen spricht nicht als Philosoph, sondern als Praktiker. Kirche und Politik in den USA sind gespalten, Verschwörungstheorien allenthalben, fehlender Respekt dominiert die Debatten. Und das sei nicht erst seit Trump so, obwohl dessen Umgang mit der Realität einen neuen Tiefpunkt darstelle. Reese definiert den Beginn des Misstrauens in den 60er Jahren, mit Vietnam und den Dauerlügen der Politiker.

Vertrauen und Missbrauch

Der Missbrauch und der Umgang damit habe ähnliches in der Kirche ausgelöst, Vertrauen sei hier sehr schwierig wieder zu gewinnen. Im Gegensatz zu Schmid sagt Reese, dass Misstrauen und Skepsis der Normalzustand seien, die es aber zu überwinden gelte. Naives Vertrauen sei natürlich keine Lösung, aber das Verbleiben in gegnerischen Lagern ohne Dialog sei auch kein Weg.

Natürlich spricht Reese dann über Parteipolitik, und an dieser Stelle können wir sein Argument verlassen, aber die Grundlage gilt auch für uns: er wirbt mit unserem Ordensgründer dafür, in einer Aussage erst einmal das Gute zu suchen. „Die Aussage des Nächsten zu retten“ als bevorzugte Option, nennt es Ignatius. Das ist nicht dasselbe was Schmid vorschlägt.

Werben

Und was nun? Vertrauen Ja oder Nein? Beide Argumentationslinien haben ihren Wert. Wenn ich die Philosophische Haltung meinen Kollegen hier erkläre – und ich habe es versucht – erkennen sie sofort den Deutschen, oder besser das Bild, das wir aus den deutschsprachigen Kirchen in der Welt haben. Skepsis, nicht sofort an Bord gehen, immer gleich etwas zu Kritisieren haben, nichts lassen wie es ist. Das sind angeblich wir.

In Tom Reese hingegen erkennen wir eine Haltung, wie sie immer und immer wieder vom Papst vertreten wird, auch an Orten wo wir selber zögern. Die Tür sei immer offen, sagt Franziskus. Der Vorteil hier ist der Einsatz für den Dialog, immer und überall. In Misstrauen kann man sich halt auch einrichten, oder besser: denen zum Opfer fallen, die von Misstrauen und Spaltung leben. Dem müssen wir entgegen treten, mit Brücken und nicht mit neuen Mauern.

Vertrauen war mal in Mode

Vertrauen galt mal als wichtig, Trump und Konsorten haben uns das ausgetrieben. Aber ohne gibt es keinen Glauben, keine Kirche. Allein Beten geht schon nicht ohne Vertrauen, Gebet ist Vertrauen. Aber wie dahin kommen, wo dieses nicht mehr da ist?

Beide Bildschirme haben Recht. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Ich brauche Brücken, ich darf dem trennenden Misstrauen nicht das letzte Wort geben. Gleichzeitig darf ich auch nicht naiv sein, verlorenes Vertrauen sei es in Kirche oder Gesellschaft kann man, ja darf man nicht einfordern, darum muss man werben. Und immer wieder werben. Und Strukturen einziehen, die Vertrauen schenken ermöglichen, etwa Transparenz und so weiter.

Strukturen des Vertrauens

Was zählt heute noch Vertrauen?, müssen wir uns fragen. Und wie kommen wir dahin?

Nur eines scheint mir sicher, auch mit Blick auf die Bemerkung weiter oben über das Beten: Ohne geht es nicht. Ohne wir es wie das Foto über dem Stück, dann leben wir in einem Raum ohne Seele. Klingt Ihnen zu pathetisch? Vielleicht, aber ich glaube das wäre die Welt, in die wir im Augenblick drohen, hinein zu spazieren.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von Gott, VatikanSchlagwörter Gesellschaft, Kirche, Missbrauch, Skepsis, Tom Reese, Vertrauen, Zeit13 Kommentare zu Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

„Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

Veröffentlicht am 2. Juli 20192. Juli 2019
Streitpunkt Beichtgeheimnis Papst Franziskus beichtet in Sankt Peter: Auch hier gilt das Geheimnis

Ausgerechnet das Beichtgeheimnis. In der Auseinandersetzung darum, was Kirche heute darf, welche Privilegien sie hat, und was von außen geregelt werden muss, ist die Beichte zum Thema geworden: Streitpunkt Beichtgeheimnis.

Es gibt aktuelle Entwicklungen, wie etwa die Abstimmung im US-Bundesstaat Kalifornien. Aber auch Australien denkt darüber nach, das Privileg nicht mehr zu dulden. Immer geht es hier um Missbrauch.

Streitpunkt Beichtgeheimnis

Und das Argument ist ja auch sofort einsichtig: Überall da, wo es Vertuschung von Missbrauch gibt, kann es weiteren Missbrauch geben. Missbrauch darf auf keinen Fall geschützt werden, und Schweigen schützt ihn, also darf das Schweigen nicht sein. Missbrauch muss angezeigt werden!

Dagegen hat der Vatikan jetzt noch einmal deutlich Stellung bezogen. Ausgangspunkt ist ein anderer: In einer Medienwelt, in der immer alles öffentlich sein muss, und in einer Datenwelt, in der jede Information verwertet wird, stellt die Kirche den Wert der Vertraulichkeit fest. Dabei sei das Beichtgeheimnis auch nicht dasselbe wie etwa die Regeln für Ärzte und Journalisten, es sei absolut und nicht staatlicher Rechtsprechung unterworfen. Starker Tobak.

Der Wert der Vertraulichkeit

Auf keinen Fall dürfe man das als irgendeine Form von Toleranz Missbrauch gegenüber falsch verstehen. Im Gegenteil, durch den richtigen Schutz des Beichtgeheimnisses – so das Argument – würde der Kampf gegen derlei Verbrechen gestärkt.

Das sehen sicherlich nicht alle so, vor allem jene, die wissen, wie sehr Kirche in der Vergangenheit lieber zugedeckt hat als offen gelegt. „Denen sollen wir jetzt vertrauen?“ würde hier die Frage lauten.

Keine Toleranz der Vertuschung!

Ein Blick auf die Rechtslage: In Deutschland schützt der Staat das Zeugnisverweigerungsrecht auf Grund der Funktion der Geistlichen, Österreich hingegen erkennt direkt das Beichtgeheimnis als solches an.

Das Kirchenrecht ist eindeutig. Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich, sagt Canon 983, um später (Canon 1388) zu ergänzen: „Ein Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation(..) zu“. Wir haben im Studium gelernt: Wer Tat und Täter nennt, der ist raus.

Wer Tat und Täter nennt

Beichten ist ein Augenblick der Schwäche, der Scham, wenn man zu dem steht, was in einem nicht gut ist. In den Worten von Papst Franziskus: Beichtväter müssen voller Respekt für die Würde der Geschichte der Menschen sein. „Auch der größte Sünder, der vor Gott tritt, um Vergebung zu erbitten, ist ‚heiliger Boden’. Jeder gläubige Büßer, der in den Beichtstuhl kommt, ist ‚heiliger Boden’, heiliger Boden, der mit pastoraler Hingabe, Sorgfalt und Aufmerksamkeit bebaut werden muss.“

Er fügte an: „Das Sakrament, mit allen Bußakten, darf nicht zu einem harten, lästigen und aufdringlichen Verhör werden. Im Gegenteil, es muss eine befreiende Begegnung voller Menschlichkeit sein.” Das Stichwort hier ist Freiheit, befreiend.

Befreiende Begegnung

Wir glauben, dass es bei der Beichte nicht um ein Gespräch zwischen zwei Menschen geht, die etwas merkwürdig klingende Formulierung im Kirchenrecht, dass der Priester an Stelle Gottes hören würde, weist genau darauf hin. Es ist ein Geschehen, bei dem wir glauben, dass Gott handelnd dabei ist. Ein Sakrament.

Deswegen braucht das Sakrament Schutz. Wie alle anderen Sakramente auch. Das Geheimnis dient diesem Schutz, nichts was ich als Priester in einer Beichte erfahre, darf ich nachher nutzen. Auch nicht für einen noch so guten Zweck.

Beichtwissen darf nicht benutzt werden

Das gilt allerdings auch in andere Richtung: Wenn ich die Beichte als Sakrament schützen will, dann ausdrücklich auch davor, Komplize des Verbrechens zu werden, wie es ein Mitbruder von mir formuliert. Deswegen kann ich auch ruhigen Gewissens sagen, dass ich durch dieses Sakrament niemanden etwa vor Strafe schützen will.

Wir Menschen brauchen geschützte Räume, in denen nicht alles aus welchen richtigen Gründen auch immer verwertet wird. Wo bliebe das Vertrauen in andere Menschen? Und was für Zwischenmenschliches gilt, gilt um so mehr für die Religion.

Wir Katholiken müssen uns sehr genau überlegen, wie wir Priester so ausbilden, dass das Beichtgeheimnis zu einer befreienden Begegnung werden kann. Nicht zum Schutz von Verbrechen. Wenn es dazu gehört, diesen Schutzraum des Gebets – genau das ist eine Begegnung mit Gott ja immer – und des Sakraments mit einem Vertraulichkeit-Gebot zu schützen, dann ist das gut und richtig so.

Die Gesellschaft hat Recht, uns immer wieder in Frage zu stellen. Und dort, wo Recht und Würde von Menschen eingeschränkt werden, einzuschreiten. Das ist aber in der Beichte nicht der Fall. Und deswegen muss das Beichtgeheimnis bleiben, wie es ist.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und MedienSchlagwörter Beichte, Beichtgeheimnis, Missbrauch, vertraulich, Vertuschung13 Kommentare zu „Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

„Zeitenwende“ und synodaler Weg: Der Papst schreibt uns einen Brief

Veröffentlicht am 29. Juni 20195. Juli 2019
Antwort auf die Krise Sankt Peter heute, am Fest Peter und Paul: immer mit Blick auf Christus, immer als Weltkirche

Das Wort „Missbrauch“ kommt nicht vor. „Zölibat“ auch nicht. „Sexualmoral“ auch nicht. All die zentralen Begriffe, die entweder Anlass oder Thema des synodalen Weges sind, glänzen durch Abwesenheit. Und doch will Papst Franziskus der Kirche in Deutschland helfen, indem er einen Brief zu diesem synodalen Weg und als Antwort auf die Krise schreibt. Kann das gelingen?

Der Papst nennt es „Zeitenwende“, was gerade in der Kirche passiert. Er bezieht sich auf Deutschland, wir können aber glaube ich alle deutschsprachigen Kirchen und dann noch einige andere mit darunter verstehen.

Antwort auf die Krise

Einige Dinge fallen auf, wenn man den Brief aufmerksam liest:

Erstens spricht sich der Papst ausdrücklich für den synodalen Weg aus, die Auseinandersetzung auf Grund der „Zeitenwende“ sei „berechtigt und notwendig“. Im Original steht hier ein Wortspiel, nicht nur eine Zeit des Wandels, sondern ein Wandel der Zeit würden wir erleben. Auch die Tatsache, dass er selber durch diesen Brief seinen Beitrag leistet spricht dafür, dass er den eingeschlagenen synodalen Weg als Antwort auf die Krise schätzt. Das ist nicht selbstverständlich, es gab ja auch Kritik an dem Vorhaben, auch von Bischöfen. Der Papst ist aber eindeutig dafür.

Zweitens setzt der Papst keinen Autoritäts-Vorbehalt. Bei den Synoden hatte er in seinen Ansprachen immer ein „Cum Petro et Sub Petro“ formuliert. Das tut er in diesem Brief nicht, die Autoritätsfrage wer in der Kirche was entscheiden darf wird gar nicht berührt. Bei den Synoden war „Cum Petro et Sub Petro“ die Garantie für die Parrhesia, also den Freimut in der Debatte. Dass er das in diesem Brief nicht eigens betont ist Zeichen des Vertrauens in die begonnene Debatte.

Autorität und geistliche Dimension

Drittens macht der Papst durch die geistliche Dimension seines Briefes klar, dass es nicht das Einschlagen eines Sonderweges gehen kann. Der Brief ist nicht immer einfach, durchaus an einigen Stellen mahnend. Man muss lächeln, weil man das „typisch Deutsche“ im Angemahnten erkennen kann, etwa den Reflex immer sofort Strukturdebatten zu führen. Der Brief zeigt: der Papst weiß, wovon er spricht.

Viertens kommt der Brief zum Anfang des synodalen Weges, er ist deswegen nicht als Korrektur oder Notbremse oder dergleichen misszuverstehen. Im Gegenteil, der Papst will von Anfang an dabei sein, auch das eine Würdigung des synodalen Weges und des Prozessgedankens.

Der Papst macht von Anfang an mit

Fünftens kommen nicht all die Themen, die wir in der Vorbereitung oder Kritik am synodalen Weg bereits gehört haben. Wie gesagt, das Wort Missbrauch kommt gar nicht vor. Der Papst hat seine eigenen Themen und Anliegen. Die tragen aber wenn man genau hinschaut auch zur Verhandlung dieser Fragen hinzu, liefern die Grundlage, das geistliche und kirchliche Fundament. Wer jetzt versucht, ihn als Anwalt seiner eigenen Ansichten vor den Karren zu spannen, hat ein Problem. Eine deutliche und geistliche Stellungnahme ganz aus dem Geist von Evangelii Gaudium.

Sechstens stimmen Form und Inhalt überein: er wirbt für den weltkirchlichen Horizont und die Einheit der Kirche, gleichzeitig ist sein Beitrag genau das, weltkirchlicher Horizont. Sein Anliegen ist also nicht nur formal als Forderung, sondern inhaltlich als Beitrag vorgebracht.

Antwort auf die Krise

Der für mich entscheidende Punkt dabei ist, dass der Papst nicht vorschreibt. Er legt nicht seine Lesart vor, verbietet nichts, setzt keine Themen und gibt keine konkreten Antworten. Er markiert aber auch nicht die Machtfrage, also wer darf in der Kirche was entscheiden. Der Brief dient nicht der Versicherung kirchlicher Autoritätsfragen, hier bleibt er seinem Plädoyer zu synodaler Offenheit treu.

Das macht sein geistliches Anliegen um so wichtiger, man kann den Brief lesen ohne sich am päpstlichen Amt oder Entscheidungsfragen abzuarbeiten.

Interessant auch die Feststellung, dass ein synodaler Weg nicht dazu führt, dass sich danach alle einig sind. Konflikte – und nicht nur Unterschiede – dürften nicht von Beschlüssen und dergleichen verdeckt werden.

Autorität und Konflikt

Der Brief liest sich an einigen Stellen wie eine Mahnung.  Aber eigentlich ist es nichts Anderes als das, was er schon in Evangelii Gaudium vorgelegt hat. Es ist sozusagen ein Anwendungsbeispiel als Antwort auf die Krise.

Seine Mahnungen und natürlich der bei Papst Franziskus obligatorische Hinweis auf die Versuchungen sich wichtig, so ein Prozess kann ja in Fallen tappen. Diese nicht sehen zu wollen wäre fahrlässig.

Drei Versuchungen

Versuchung Eins: Reform nur strukturell sehen, „zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei“. Das schaffe vielleicht einen „modernisierten kirchlichen Organismus“, aber ohne die Seele des Evangeliums.

Versuchung Zwei: „Sooft eine kirchliche Gemeinschaft versucht hat, alleine aus ihren Problemen herauszukommen, und lediglich auf die eigenen Kräfte, die eigenen Methoden und die eigene Intelligenz vertraute, endete das darin, die Übel, die man überwinden wollte, noch zu vermehren und aufrechtzuerhalten.“ Schon Versuchung Eins lies es anklingen: immer gleich eine Strukturdebatte zu führen, hat etwas sehr Deutsches an sich. So denken wir, und deswegen suchen wir so Lösungen. Aber so bleiben wir auch stecken, mahnt der Papst.

Versuchung Drei: Immer etwas Neues und Anderes sagen zu wollen als das, was das Wort Gottes geschenkt habe. In dem Brief nennt das der Papst „über das ‚kirchliche Wir‘ hinaus gehen“.

Klugheit ist wichtig, aber nicht alles

Letzterer Punkt verweist auf den Zentralgedanken, welcher den Papstbrief durchzieht: Ohne den Heiligen Geist, ohne die Zentralität der Verkündigung, ohne den Blick auf die Schwachen und Kleinen geht gar nichts. Eine Anwort auf die Krise ist nur so zu finden.

Klug mit den Problemen umgehen sei wichtig, Statistiken, Analysen, Prognosen und all das haben selbstverständlich ihre Bedeutung. Auch so könne man die Zeichen der Zeit erkennen. Stehen bleiben dürfe die Kirche dabei allerdings nicht, das „Gläubig-Sein“ erschöpfe sich hier nicht.

Warum kommt Missbrauch nicht vor?

Nun war der synodale Weg aber mit klarer Referenz auf den Missbrauch begonnen worden. Missbrauch von Macht, sexueller Missbrauch, geistlicher Missbrauch. Die MHG-Studie war der Auslöser auch dafür, dass anders als noch beim so genannten Gesprächsprozess vor einigen Jahren jetzt alles auf den Tisch kommen soll. Warum spricht nun der Papst gar nicht davon?

Weil der dem Prozess nicht vorgreift. Weil er ihn offenhalten will. Weil er dem Prozess vertraut. Er betont das genaue Hören, vor allem auf das Leid und die Schwachen, deswegen kann man gar nicht anders, als sich tiefgreifend mit dem Missbrauch beschäftigen, wenn man denn den Papstbrief ernst nehmen will. Nur nimmt Papst Franziskus uns das Denken und Ringen um Lösungen nicht ab.

Ermutiger, Mahner, Aufrufer

Seine Aufgabe an dieser Stelle sieht er als die des Ermutigers, Ermahners, Aufrufers, er verweist horizontal auf die Weltkirche und deren Einheit, und er verweist vertikal auf die Zentralität des Wirkens Gottes in all dem. Natürlich wird es um Missbrauch gehen und gehen müssen. Beim „synodalen Weg“ in Deutschland und auch anderswo. Aber das Ganze braucht auch ein Rückgrat, einen Kompass. Und genau darum geht es dem Papst.

Der Brief klingt nicht so, wie die meisten Beiträger zur innerkirchlichen Debatte, ganz gleich woher sie kommen, kritisch oder lobend oder fordernd. Der Brief ist O-Ton Franziskus. Seine Antwort auf die Krise, sein Beitrag zu dem Weg, den die Kirche in Deutschland – und nicht nur dort – geht. Um die Eingangsfrage zu beantworten, ob seine Antwort auf die Krise gelingen kann: Ja, kann sie.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter DBK, Deutschland, Kirche, Krise, Missbrauch, Papst Franziskus, Papstbrief, synodaler Weg21 Kommentare zu „Zeitenwende“ und synodaler Weg: Der Papst schreibt uns einen Brief

Die causa Pell

Veröffentlicht am 6. Juni 2019
Missbrauch und Kirchenführung Kardinal Pell beim Weltjugendtag in Madrid. Foto: flickr.com

Kardinal George Pell in Handschellen vor Gericht: seit einigen Tagen läuft das Revisionsverfahren nach seiner Verurteilung, am Donnerstag ging die zweitägige Anhörung zu Ende. Eine Entscheidung steht noch aus, das kann noch dauern. Der Prozess wurde immer auch in den Medien geführt, George Pell und die Medien, diese Geschichte ist auch noch nicht vorbei.

Es gibt drei mögliche Ausgänge des Verfahrens: Freiheit für Pell, ein neues Verfahre oder Bestätigung des Urteils. Und es gibt je nach Ausgang auch noch die Möglichkeit einer weiteren Instanz. Ganz gleich wie der Ausgang  aussieht, es werden niemals alle zufrieden sein können, zu hoch waren die Wellen während der vergangenen Jahre geschlagen.

George Pell und die Medien

Es war und ist nicht einfach für die Kirche in Australien, erstens weil Kardinal George Pell nicht der einzige war und ist, der sich mit Vorwürfen konfrontiert sah und sieht, sondern auch weil er immer auch so etwas wie eine Symbolfigur für diese Krise in Australien war.

Symbolfigur Pell

Symbol ist Pell aber auch in seiner Bedeutung für das Pontifikat von Papst Franziskus. Einerseits stand er für die saubere Aufarbeitung der finanziellen Angelegenheiten des Vatikan, robust im Auftreten und ohne falsche Rücksichtnahme. Er gehörte zu den engsten Beratern des Papstes.

Andererseits war er auch ein öffentlicher Kritiker der Linie von Franziskus, seine Vorwürfe gegen die Familiensynode waren laut und deutlich, auch hier sein robuster Stil, wenn ich das mal so sagen darf.

Der Prozess um ihn hat Papst Franziskus sein Amt sicherlich nicht einfacher gemacht.

Vielleicht Grund, einen Moment zurück zu denken. Es ging um Missbrauch. An zwei Jungen, ein Missbrauch der lange her war und auf den Drogenmissbrauch und dergleichen folgten, es war also nicht einfach für das eine überlebende Opfer, sich genau zu erinnern.

Komplexer Prozess

Der erste Prozess war deswegen auch gescheitert, die Jury konnte sich nicht einigen, Journalisten sprachen von 10 zu 4 Stimmen (für Pell). Der zweite Prozess ging dann in genau die andere Richtung und endete in einem Schuldspruch. Das alleine zeigt, wie schwer es ist, ein solches furchtbares Ereignis rechtlich und öffentlich zu bewerten.

Meinen Respekt für alle, die sich damit auseinander setzen und die es nach all den Jahren probieren, das Recht durchzusetzen. 

Respekt für das Rechtssystem

Einen der besten Artikel dazu hat Austen Ivereigh geschrieben, noch vor dem Beginn des Revisionsverfahrens. Ausgewogen und sehr nachdenklich. Die Lektüre lohnt. Er trifft auch meine eigenen Fragen sehr gut, ich war mir nie sicher, was ich dazu denken sollte.

Zum einen passte da irgendwie nicht alles zusammen, die Geschichte und die Beweise klangen in meinen Ohren komisch, nicht schlüssig. Auf der anderen Seite wissen wir, wie schwer es Opfer haben, für glaubwürdig gehalten zu werden. Alle Prozess-Beobachter haben aber die Glaubwürdigkeit des Opfers deutlich betont, und beides – die Widersprüchlichkeit der Geschichte und die Glaubwürdigkeit des Opfers – standen im Gegensatz zueinander. Was den Prozess so schwer gemacht hat.

Opfer haben es immer noch schwer, gehört zu werden

Schwierig fand ich die gesamte Zeit über die Perspektive vieler Beobachter. Zum einen schien entweder klar, dass er schuldig sei, sein muss: Pell, Symbolfigur für die Täter in Australien und für das Vertuschen.

Die andere Haltung war die, dass Pell ein Märtyrer sei. Zumindest innerkirchlich und im angelsächsischen Raum gab es da kaum Zwischentöne.

Aber auch bei uns war es nicht ganz einfach. Das Gericht – wir erinnern uns – hatte eine so genannte „suppression order“ erlassen, es durfte also während des Prozesses nicht berichtet werden. Und es gibt nun auch Prozesse gegen Journalisten, die dagegen verstoßen haben sollen.

Das Verbot, zu berichten

Ein Angriff auf die Pressefreiheit sei das gewesen, habe ich immer wieder gelesen. Aber ganz gleich, wie man dieses Bericht-Verbot einschätzt, es ist Teil des Rechtssystems, das George Pell zur Verantwortung gezogen hat. Australien ist ein Rechtsstaat und von hier aus darüber den Stab zu brechen hatte immer einen etwas schalen Beigeschmack.

Zumal der Fall so schwierig war. Medien sind immer „teilnehmende Beobachter“, sie verändern durch die Arbeit das, worüber sie berichten. Das geht auch gar nicht anders. Aber in diesem Fall wollte der Richter das so weit wie möglich ausschließen. Das war zum Wohl des Opfers – für einen richtigen Prozess – zum Schutz der Rechte des Angeklagten und für einen sicheren Ablauf des Verfahrens.

Ein sicherer Ablauf des Verfahrens

Sich an solch ein Verbrechen zu erinnern ist nicht so einfach, wie uns die Erfahrung und die vielen Geschichten der vergangenen Jahre gelehrt haben. Das unter den Scheinwerfern der Öffentlichkeit zu tun und auf der ganzen Welt begutachtet und bewertet zu werden, genau das wollte der Richter ausschließen.

Aber nicht die Pressefreiheit war hier das Opfer. Sondern der Mann, der von einer Vergewaltigung berichtete und – weil im ersetzen Prozess die Jury sich nicht einigen konnte – das gleich zwei Mal. Und ein zweites Opfer, das nicht mehr sprechen konnte, weil dieser Mann schon verstorben ist. Das waren die Opfer.

Das waren die Opfer

Was die Auswirkungen jetzt für die Kirche in Australien bedeuten, das kann ich und will ich von hier aus nicht beurteilen, der Artikel von Austen Ivereigh gibt eine gute Perspektive. Wir werden sehen, wie die Kirche, wie die Glaubenden, wie die Medien, wie die Öffentlichkeit damit umgehen.

Es gibt aber Dinge, die wir aus dem Verfahren lernen können. Erstens, dass es nicht einfach ist, Opfern und Überlebenden von Missbrauch vor Gericht Recht zu verschaffen. Jeder Fall ist einzeln, dauert, hängt an der Glaubwürdigkeit und der Beweislage. Vorverurteilungen von Angeklagten helfen nicht, ebensowenig wie das Gegenteil. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht, wenn man auf die manchmal doch sehr vereinfachenden Berichte der vergangenen Jahre blickt.

Vertrackt

Zweitens steht hier nicht das Pontifikat von Papst Franziskus vor Gericht. Die Versuchung ist groß, jetzt die Reform oder Teile der Reform für gescheitert zu erklären. Kardinal Pell hat ja nie seinen Job im Vatikan aufgegeben, deswegen war jede Pell-Geschichte auch immer einen Vatikan-Geschichte. Das ist medial verführerisch, trifft aber nicht den Kern des Verfahrens.

Drittens können wir lernen, wie wichtig es ist, die Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen. Missbrauch ist ein Verbrechen und zerstörerisch. Und wer Missbrauch erleben musste, der steckt in einer vertrackten Situation. Das für Dritte – Richter, Geschworene – klar zu bekommen ist schwer. Um so wichtiger ist es, da nicht nachzulassen.

Nicht nachlassen

Viertens – und hierfür kann Pell nun tatsächlich eine Symbolfigur sein – lernen wir dass Missbrauch eben nicht im luftleeren Raum stattgefunden hat und stattfindet und dass sowohl der Missbrauch wie auch die Aufklärung und die Rechtsprechung Auswirkungen haben. Auf die ganze Kirche, ob die will oder nicht.

Die Täter haben neben den Menschen, die sie missbraucht haben, eben auch die Kirche geschädigt. Und die und wir alle müssen damit klar kommen. Und das wird dauern. Und das ist kompliziert, das hat uns der Pell-Prozess mehr als deutlich vor Augen geführt.

Mit dem Ausgang dieses Verfahrens entscheidet sich nur dieses Verfahren, nichts anderes. Sorgfalt, Ausdauer, Differenzierung, das alles darf nicht nachlassen, ob George Pell nun schuldig gesprochen bleibt oder nicht.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, VatikanSchlagwörter Australien, George Pell, Gerechtigkeit, Gericht, Missbrauch, Recht, Täter, Verfahren21 Kommentare zu Die causa Pell

Verfahren für den Umgang mit Missbrauch: Eltern haften für ihre Kinder

Veröffentlicht am 9. Mai 20199. Mai 2019
Vorwürfe von Missbrauch Wenn es aber um einen Bischof geht?

Auf die Tagesordnung hatten es die US-Bischöfe gesetzt: wie geht eigentlich ein Verfahren zum Umgang mit Missbrauch in Fällen, in denen es um einen Bischof geht? Seien es Vorwürfe, bei denen es um Missbrauch oder um Vertuschung geht? Verschiedene Vorschläge hatte es gegeben, einer wurde sogar vom Vatikan gestoppt, jetzt gibt es weltkirchlich einheitliche Verfahren zum Umgang damit.

Der Rechtstext, welcher an diesem Donnerstag im Vatikan vorgestellt wurde, macht zwar keine neuen Gesetze, aber er regelt dem Umgang. Er regelt Verfahren. Wer ist Ansprechpartner? Wer ist zuständig? Und so weiter.

Vorwürfe von Missbrauch

Da steht noch eine ganze Menge mehr drin, aber ich mag da jetzt mal hier den Punkt rausgreifen, den ich zu Beginn genannt hatte: die Bischöfe.

Bischöfe müssen ihre Verantwortung als Leiter eines Bistums wahrnehmen. Und wenn sie es nicht tun, dann müssen sie sich dafür verantworten. Das bedeutet nicht gleich den Generalverdacht gegen alle Bischöfe. Es bedeutet aber, dass Verantwortung Konsequenzen hat.

Und diese wollen geregelt werden. Die dürfen nicht im Ermessen Einzelner liegen. Zur Leitung dazu gehört auch, dass man weiß, wie damit umgegangen wird. Transparenz eben.

Tranzparenz gehört zu Leitung dazu

Zu oft wird Autorität in der Kirche als „Dienst” oder „Vollmacht” bezeichnet und damit verschleiert. Es geht aber um Leitung, und die will ausgeübt werden. Papst Franziskus stellt mit seinem Motu Proprio sicher, dass genau das auch passiert.

In der Vergangenheit hatte es auch aus dem Vatikan, vom Papst selber, Überlegungen und Projekte dazu gegeben, aus denen ist aber nichts geworden. Man hat stattdessen diesen Weg gewählt.

Drei Elemente sind dabei besonders wichtig:

Die Fragen bleiben erstens lokal. Das System der Kirchenprovinzen – denen jeweils ein Erzbischof vorsteht – soll das sicher stellen. Zweitens ist der Vatikan und damit die Weltkirche eingebunden, damit die Standards auf der ganzen Welt gleichbleiben und nicht lokale Kulturen das Verfahren bestimmen. Drittens gibt es die Möglichkeit, Fachleute einzubeziehen. Die werden in der kirchlichen Sprache als „Laien“ bezeichnet, aber das ist ja das Gegenteil von dem, was sie wirklich sind: Fachleute nämlich.

Es ist halt wie bei dem berühmten Baustellenschild: „Eltern haften für ihre Kinder“. Das ist nicht die Forderung nach einer Leine, das ist keine Drohung, aber es regelt die Verantwortlichkeiten. Und wer Verantwortung hat, kann sich nicht rausreden. So ein Baustellenschild hat die katholische Kirche nun.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Rom, VatikanSchlagwörter Bischof, Leitung, Missbrauch, Papst Franziskus, Verantwortung3 Kommentare zu Verfahren für den Umgang mit Missbrauch: Eltern haften für ihre Kinder

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