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Schlagwort: Missbrauch

Respekt!

Veröffentlicht am 5. Juni 20215. Juni 2021
Rücktritt von Kardinal Marx Archivbild von 2017: Im Interview mit Kardinal Marx

Der Rücktritt von Kardinal Marx ist ein dreifaches Signal: „Zum einen dafür, persönlich Verantwortung zu übernehmen, zum anderen systemisches Versagen aufzuarbeiten und das ,System Kirche´ in tiefgreifende Veränderungsprozesse zu führen, zum dritten, die Seelsorge als Grundaufgabe der Kirche wiederzubeleben.“ Besser als Bischof Felix Gmür kann man das eigentlich nicht ausdrücken. Der Rücktritt – präzise: das Angebot an den Papst – wird Wellen schlagen in der Kirche, nicht nur bei uns, und zwar genau in diese Richtungen.

Rücktritt von Kardinal Marx

In den vergangenen Jahren hatte ich immer wieder mit dem Kardinal zu tun, in Rom etwa bei Bischofssynoden oder Journalistentreffen, dann beim Synodalen Weg und auch sonst. Und ich nehme ihm seine Motive ab. Da sehe ich keine Taktik. Und es ist auch falsch, gleich mit dem Finger auf andere zu zeigen und das gleiche von anderen zu verlangen. Da ist erst einmal einer, der „ich“ sagt und sich nicht selber vom. Teil des Problems zum Teil der Lösung undefiniert, sondern Verantwortung übernimmt.

In München und in Trier, wo Marx davor Bischof war, wird auch einiges schief gegangen sein, wofür Marx Verantwortung trägt. Aber wichtiger ist es, dass er als Bischof nun für das Gesamt die Verantwortung übernimmt.

Als Bischof Verantwortung übernommen

Wie oft haben wir von der Überhöhung des Bischofsamtes gehört, die Wichtigkeit in unserer Struktur, alles hängt irgendwie von ihnen ab. Sie hüten de Lehre und stehen für Kirche. Nur wenn es um Fehler geht, dann sind sie nicht zu sehen und die Verantwortung liegt bei anderen. Damit macht Marx jetzt Schluss. Als Bischof übernimmt er Verantwortung für das, was in der Kirche geschehen ist. Und kann so nicht weiter machen.

Deswegen bietet er seinen Amtsverzicht an. Und hier wird dann die Präzisierung wichtig er bietet dem Papst seinen Amtsverzicht an. Jetzt muss der Papst entscheiden. Das darf nicht nur eine Indivualentscheidung bleiben. Wie sehr Franziskus involviert war, das hat Marx ja noch einmal klar gemacht.

Und jetzt der Papst

Und weil Kardinal Marx wie oben schon gesagt in der Kirche nicht irgendwer ist, wird das Wellen schlagen. Marx sitzt im Kaerdinalsrat zur Reform der Kurie und ist in den Medien international fest mit der Kirche in Deutschland verbunden. Dass er jetzt freiwillig und so ganz ohne Zwang, souverän, diese Entscheidung getroffen hat, wird folgen haben. Wir haben so etwas Ähnliches in Chile erlebt, wo eine gesamte Bischofskonferenz dem Papst den Rücktritt angeboten hat. Wir bekommen das Gezerre um die Bischöfe hier in Deutschland mit, wenn es um Missbrauch geht.

Was Kardinal Marx da getan hat, ist eine gute Konsequenz. Persönlich finde ich es schade, aber ich finde auch, dass das zunächst einmal Respekt verdient.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und MedienSchlagwörter Bischof, Deutschland, Kardinal, Kirche, Marx, Missbrauch, Papst Franziskus, Rücktritt15 Kommentare zu Respekt!

„Die Gläubigen machen etwas falsch …”

Veröffentlicht am 14. Februar 202113. Februar 2021
Epochenwandel der katholischen Kirche Irgendwo zwischen Alltag und dem Heiligen: so kennen wir den klassischen Priester

In zwanzig Jahren ist alles vorbei. Ein Interview eines Historikers zum Thema Epochenwandel der katholischen Kirche zog in den vergangenen Tagen im Netz seine Bahn, vor allem eng geführt auf Kardinal Woelki und die Vorgänge in Köln.

Dabei beschreibt Prof Kaufhold einen Wandel, der über aktuelle Krisen hinaus geht. Oder der diesen zu Grunde liegt, wie man will. Die Sonderrolle des Klerus als Heilsvermittler schwinde.

Epochenwandel der katholischen Kirche

Der Synodale Weg und überhaupt alle derzeitigen Debatten in der Kirche mögen von Missbrauch und dem – mangelhaften – Umgang damit geprägt sein, der Epochen-Bruch, den der Historiker Kaufhold skizziert, erinnert aber an den grundlegenden Gestaltwandel der Kirche.

Kurz: nichts wird mehr so sein wie früher.

Wir mögen das an Kirchenmitgliedszahlen oder besser noch Austrittszahlen fest machen. Oder an Pfarreireform. An Nachwuchsmangel. Woran auch immer, Kirche ändert sich. Und kein Synodaler Weg, aber auch kein Beharren auf dem Vergangenen wird daran irgendwas ändern. Wir müssen lernen, diesen Wandel zu gestalten.

Wandel gestalten

Und sind – jedenfalls was die Leitung angeht, so Kaufhold – nicht besonders gut darin. Die Gestaltung dieses Wandels laufe fatal, deswegen die Prognose der zwanzig Jahre, die es diese Kirche noch geben wird. Fatal, weil man als Klerus schon irgendwie das Neue will, aber am Alten festhält.

Zitat aus dem Interview in der Augsburger Allgemeinen: „Nehmen Sie nur das hilflose Konzept der sogenannten Neuevangelisierung, auf das die Kirche baut. Da stellt sich der Eindruck ein: Die Gläubigen machen etwas falsch – und der Klerus müsse ihnen beibringen, wie es richtig geht.“ Das ist nur ein Beispiel, das wäre austauschbar. Man mag das nun Klerikalismus nennen oder nicht, das Phänomen ist bekannt.

Klerus bringt bei, wie es richtig geht

Gestaltung geht anders. Nur ein Beispiel: bei einer internationalen Tagung zum Thema Priester sagte der immer wieder inspirierende Tomas Halik, dass es in Zukunft viele Weisen geben werde, Christin und Christ zu sein. Also müsse es auch verschiedene Wege geben, Priester zu werden. Und er zitiert den Apostel Paulus: Diener der Freude der Menschen solle ein Priester sein. Das ist weit weg vom Vollmachtträger des Heiligen, der irgendwie über das allgemein Menschliche Glauben hinaus ragt.

Das oben erwähnte Interview ist noch aus einem anderen Grund interessant. Es weist auf die ‚Sorge um das eigene Seelenheil‘ hin, das vor etwa 1.000 Jahren am Anfang der gegenwärtigen Form des Priesterseins gestanden habe. Sehr generell formuliert, aber wichtig ist nun einmal der Priester als Vermittler des Heiligen. Er hat eine sakrale Aura, oft überhöht, und Exklusivität.

Vermittler des Heiligen

Deswegen ist es so wichtig, dass auch im Synodalen Weg über Formen des Priesterlichen gesprochen wird. Das ist nicht nur ‚priesterliche Lebensform‘ im soziologischen Sinn, daran hängt auch die Frage, welche Rolle ein Priester im Glauben der Menschen haben soll.

Priester als Pfarrer, oft überdehnt durch die schiere Menge an Gemeinden oder die zurück zu legenden Kilometer. Priester wie ich, die etwas ganz anderes machen als Gemeindearbeit. Priester als Leiter von Gemeinden, am Altar und in der Beichte, das alles sind Scharnier-Fragen von dem, was Kirche in Zukunft sein will.

Es gilt eben nicht mehr das „Die Gläubigen machen etwas falsch …“. Es braucht eine neue Zuordnung des Priesterlichen zum Glauben der Einzelnen. Und der Gemeinde.

Das Paulus-Zitat finde ich wunderbar für jede Debatte über das Priesterliche, überhaupt für jeden Dienst in der Kirche. Deswegen abschließend der ganze Satz aus 2 Kor 1:24: 

„Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.“

 

 

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Synodaler Weg, virtuell

Veröffentlicht am 1. Februar 202126. Januar 2021
nächste Schritte Unterwegs

Es geht weiter. Unter den schrägen Bedingungen, die Corona gebietet, und nicht wirklich in einer Form, die man sich aussuchen würde. Aber der Synodale Weg macht nächste Schritte. Rein virtuell. Anders als im eigentlich vorgesehenen Ablauf.

Zu Beginn des Prozesses hatten einige Beobachter geunkt, dass es dieses Format kirchenrechtlich eigentlich gar nicht gebe, es sei rechtlich unförmig. Dass diese Undefiniertheit sich aber auch auf anderer Ebene so drastisch ausdrücken würde, hatten wir alle nicht geahnt. Nicht nur inhaltlich, auch rein organisatorisch muss der jeweils nächste Schritt auf dem Weg neu gefunden und erfunden werden.

Nächste Schritte

Mit Freude sehe ich, dass die Frage, was genau es bedeutet, einen geistlichen Weg zu gehen, diskutiert wird. Mich freut es vor allem, dass diese Frage nicht an die „Offiziellen“ delegiert wird. Aber auch Organisationsfragen, Absprachen, Vorgehens- und Kommunikationswege, das alles will beim Gehen entwickelt werden. Das ist nicht immer einfach und droht auch manchmal, die eigentlichen Debatten zu überschatten. Aber es gehört halt alles dazu.

Bevor es nun in dieser Woche wieder konkret wird, vielleicht noch einmal die Erinnerung, was das alles eigentlich soll.

Missbrauch und Synodalität

Erstens: Der Anlass. Das war die MHG-Studie als Auslöser, aber dahinter liegt natürlich die gesamte Missbrauchsthematik. Es kann so nicht weiter gehen und braucht mehr als ‚nur‘ organisatorische Reformen, es braucht eine neue Selbstvergewisserung von Kirche. Und das bedeutet auch eine Debatte über die strittigen Punkte und den gemeinsamen Weg in die Zukunft.

Die Missbrauchsdebatte hat in den letzten Jahren gezeigt, dass die Wurzeln der Verbrechen und deren Vertuschung breit sind. Deswegen muss es die Debatte über die Kirche auch sein. Das macht dann längst nicht alles so wie vorher, die Illusion hat wohl niemand mehr, aber es ist die notwendige Klärung dafür, dass das christliche Zeugnis überhaupt wieder zum Vorschein kommt.

Leider gibt es da immer noch massive Hindernisse, man braucht nur den Namen „Köln“ zu erwähnen und allüberall versinken Gläubige vor Scham in den Boden. Das kann nicht außen vor bleiben und wird es auch nicht.

Zweitens: Synodalität. Kirche wandelt sich und braucht neue Formen von Einheit. Oder Leitung und Beratung und Entscheidung, wie man will. Und das Stichwort dafür ist „Synodalität“. Die neue Balance von Vielfalt in Einheit. Dazu trägt der Synodale Weg als Experiment bei. Er nutzt nicht vorgegebene Formen des Kirchenrechts, sondern wagt sich aus der Box heraus. Probiert was, wagt Offenheit. Und wenn wir achtsam sind, dann kann da was entstehen, was zur Entwicklung der Synodalität in der Kirche beitragen kann.

Dazu gehört drittens auch die Frage nach der Demokratie in der Kirche. Papst Franziskus hatte ja einige Bemerkungen gemacht, die von einigen als Kritik verstanden wurden. Auch sein – und nicht nur sein – Reden gegen „Parlamentarisierung“ kam nicht bei allen gut an. Mal so gefragt: kann das Hören auf den Willen Gottes nicht auch Ausdruck in demokratischen Prozessen haben? Dass das missbraucht werden kann ist kein Argument, dasselbe ist mit monarchischer Machtfülle auch passiert. Und zwar reichlich.

Demokratie in der Kirche?

Und dann sind da viertens noch die konkreten Themen. Wie die angegangen werden und was dann dabei heraus kommt kann hier nicht Thema sein, das entsteht alles erst noch. Aber vergessen wir nicht, dass diese Themen nicht einfach so gewählt sind. Sie fokussiere eine Debatte, die es schon lange gibt. Da kommt viel zusammen, an Fragen wie auch an Konflikten. Und es ist gut, dass das debattiert wird. Das allein wäre den Synodalen Weg wert.

Zum Schluss noch eine Bemerkung aus meiner eigenen Perspektive, der Perspektive des Geistlichen Begleiters. Es soll ein geistlicher Prozess sein. Das umzusetzen ist mindestens so schwer wie all die anderen Dinge. Aber ich finde es hilfreich, das als Hilfestellung zu sehen. Ein geistlicher Prozess ist eine Form des Realismus, nicht der Verschleierung. Und diesen Realismus brauchen wir mit Blick auf uns selbst, die Kirche, genauso wie auf das, was Gott von uns will.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Sprechen von GottSchlagwörter katholische Kirche, Kirche, Missbrauch, Prozess, synodaler Weg2 Kommentare zu Synodaler Weg, virtuell

Synodalität noch mal neu lernen

Veröffentlicht am 27. November 202024. November 2020
Der Synodale Weg holpert Erster Advent 2019: Pressekonferenz zum Stadt des Synodalen Weges mit Karin Kortmann (ZDK) und Kardinal Rheinhard Marx (damals Vorsitzender der DBK)

Er feiert seinen ersten Geburtstag: vor einem Jahr, am ersten Advent, hat die Kirche den Synodalen Weg begonnen. Zum Lösen der Knoten. Und bei aller Schwierigkeit sah es auch nach einem guten Start ins Leben aus. Bis dann Corona kam. Der Synodale Weg holpert seitdem, es ist nicht mehr so ganz klar, wie und vor allem wann es weiter geht. Die geplante zweite Vollversammlung musste ein erstes Mal verschoben werden, stattdessen gab es Regionalkonferenzen. Die zwar in der Geschäftsordnung oder Satzung nicht vorgesehen sind und deswegen keine Beschlusskompetenz haben, aber anders war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen nicht möglich.

Nun gibt es schon wieder eine Verschiebung, wieder ist Corona der Grund. Das Ersatz-Format ist anders, aber fest steht, dass wieder keine Abstimmungen formaler Natur stattfinden können. Wie gesagt, der Weg ist holperig geworden. Und der erste Geburtstag, der eigentlich sowas wie die Halbzeit einleiten sollte, lässt vermuten, dass das Ganze noch viel länger dauern wird.

Der Synodale Weg holpert

Dabei ist es aber nicht so, also ob im vergangenen Jahr nichts geschehen sei. Da ist schon ziemlich viel Wegstrecke zurück gelegt worden, positiv wie auch negativ. Negativ, weil sich immer mehr mehr Menschen abwenden von „ihrer“ Kirche. Das wird auch di Synodalität nicht auf einen Schlag wieder gut machen können.

Weiter gekommen sind wir in der Debatte um den Missbrauch, so schräg das gerade in diesen Tagen auch klingen mag. Was ich damit meine: vor einem Jahr gab es noch den konzertierten Versuch, den Auslöser des Prozesses, die MHG-Studie, zu deletimieren. Und damit den Synodalen Weg auch. Gerade die traurigen Ereignisse um die Kölner Studie und den Umgang damit haben aber sehr deutlich gemacht, dass der Missbrauch und die damit zusammenhängenden Phänomene in den Prozess hinein gehören. Wir können kein Forum „Macht in der Kirche“ machen, ohne über den Missbrauch von Macht zu sprechen.

Nicht nur Text

Weiter gekommen sind wir auch als geistlicher Prozess. Wobei gerade hier – in meinen Augen – die größte Gefahr für den Synodalen Weg lauert. Wenn wir diese Dimension nicht für voll nehmen und nur Texte verabschieden wollen, dann passiert gar nichts. Weswegen die Bischöfe sich auch klar in ihrer Vollversammlung dahinter gestellt haben, die Laien im ZDK haben den Synodalen Weg und damit diese Frage gar nicht besprochen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Abschluss der DBK Herbstvollversammlung hat Bischof Georg Bätzing die Debatte der Bischöfe zusammen gefasst und gesagt: „Das Evangelium so in den Mittelpunkt des synodalen Weges stellen, dass es ein geistlicher Weg wird.“ Und später: „Viele Bischöfe wünschen sich, dass die beiden geistlichen Begleiter noch viel pro-aktiver werden.“ Sie sollen nicht ‚Gebetsanimateure‘ sein, sondern „darauf achten, dass wir miteinander auf einem geistlichen Fundament unterwegs sind. Da wünschen wir uns auch mehr Interventionen, wenn die Wahrnehmung da ist, hier gleitet etwas vielleicht ab“.

„Hier gleitet etwas vielleicht ab”

Mir scheint, dass sich unter dem Begriff „geistlicher Prozess“ verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen versammeln. Auch sind die geistlichen Elemente, wie wir sie vorbereitet hatten, teilweise zum Ort des Streits geworden, etwa wenn Leute den Raum verlassen oder gar nicht erst zur gemeinsamen Messe kommen. Aber trotzdem ist das ein Fortschritt, weil darüber gesprochen wird.

Nur kurz möchte ich hinweisen auf die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema, sei es bei Tagungen oder auch in Fachzeitschriften. Auch das bringt uns weiter.

Jetzt also wieder eine Verschiebung. Schon aus der ersten haben wir gelernt, wir brauchen das Risiko zur Offenheit und dürfen uns nicht durch das Format vor der Realität verbergen.

Das Präsidium möchte – richtigerweise, wie ich finde – aus der Not der erneuten Verschiebung eine Tugend machen: Das sei eine „Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat“, heißt es in dem Brief an die Mitglieder des Synodalen Wegs. Das ist schon auch ein geistlicher Schritt: sich nicht an Formate festklammern.

Der Weg ist halt anders, als wir gedacht hatten.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Kirche, Missbrauch, synodaler Weg11 Kommentare zu Synodalität noch mal neu lernen

»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Veröffentlicht am 19. November 202018. November 2020
Die Opfer stören Keine Angst haben davor, was das vielleicht mt der Kirche macht.

„Die Opfer stören.“ Es ist ein Satz von vielen aus einem Kommentar von vielen zu den jüngsten Berichten vom Umgang mit Missbrauch: Aachen, Köln, McCarrick. „Die Opfer stören“, dieser Satz beschreibt eine Unruhe, die immer noch, auch nach all den Jahren, die Debatte um Missbrauch und den Umgang damit bezeichnet: auch jetzt noch geht es zu sehr um Täter, um System, um Ruhe.

Vor einigen Jahren habe ich mal davor gewarnt, dass Kirche sich nicht „in die Prävention“ flüchten darf. Die Aufarbeitung darf nicht zu kurz kommen, und dazu muss man, müssen wir zuhören. Auch und weil es stört. Das Gleiche gilt nun von den Berichten und Studien: wir müssen weiter die Haltung des Hörens üben. Üben, weil wir das offensichtlich noch nicht können.

Die Opfer stören

Vorsicht, das Ganze darf nun aber nicht – schon wieder – im Appell verhallen. Hören hat Folgen, das wissen wir mindestens aus der Bibel. Und denen zuhören, die von Macht und deren Missbrauch in der Kirche erzählen, muss für uns Folgen haben. Appelle reichen also nicht, ohne Konsequenzen wird das hohl.

„»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit« (1 Kor 12,26). Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben.“ Bei diesen Worten von Papst Franziskus frage ich mich unwillkürlich, ob das stimmt. Leiden wir mit? Nicht in dem Sinn, dass wir nun die Opfer und Überlebenden bevormunden, weil wir anderen ja auch leiden. Aber in dem Sinn, dass eben auch wir beteiligt sind. Jeder und jede von uns in der Kirche.

Dröhnende Ideologien

„Die Wunden „verjähren nie“.”, so der Papst weiter. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“ Mit Entsetzen habe ich deswegen die vielen Kommentare hier im Blog gelesen, die meinen, die Verbrechen ideologisch umdeuten zu müssen. Sie haben die Kommentare nicht gelesen, weil ich es als meine Aufgabe als Moderator betrachte, die Lautstärke dieser Stimmen herunter zu regeln. Die überdröhnt die Stimme der Opfer oder Überlebenden, oder versucht es zumindest. Zum Schweigen bringen, wie der Papst sagt.

Das Hören ist für uns als Glaubensgemeinschaft wesentlich: wir sind nicht alleine Christinnen und Christen, und wir werden auch nicht alleine erlöst. „Gott wollte in eine soziale Dynamik eintreten“, sagt der Papst, wir gehören dazu. Nicht hören zu wollen oder die Verantwortung an einige wenige zu delegieren, ist nicht zuletzt auch religiös und theologisch falsch.

Keine geistliche Verharmlosung

Der Papst empfiehlt deswegen auch genuin religiöse Rezepte: Buße und Gebet. Nicht, um die Debatte ins Fromme zu verlegen, nicht um das Ganze geistlich zu verharmlosen. Sondern weil „Buße und das Gebet helfen, unsere Augen und unser Herz für das Leiden der anderen zu schärfen und die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen, die so oft die Wurzel dieser Übel sind.“ Herrschen und Besitzen, also die Kontrolle haben, das wird uns genommen, wenn wir im Geist der Buße und des Gebets hören.

Ärger, Wut und Frust über die Täter, das Vertuschung-System, über Päpste und Bischöfe, über den Klerikalismus und all das andere sind wichtig und haben ihren Ort. Aber weiter vorne muss das Hören stehen, das Hören auf die die stören. Weil nur von dort her die Perspektive stimmt.

 

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Lehren aus dem Fall McCarrick: Wer zieht die?

Veröffentlicht am 12. November 2020
eine Erfahrung der Scham Der Petersplatz: Ort der Inszenierung. Aber auch ein Ort der Einsicht?

Wir lernen ständig dazu. So die Theorie. Mit jeder Erfahrung – nicht mit jeder Neuen Information – ändert sich unsere Sicht auf die Welt. Wenn dem so ist, dann kann man nur hoffen, dass die Veröffentlichung des McCarrick-Berichts im Vatikan eine Erfahrung der Scham ist. Für den Vatikan und die Verantwortlichen. Damit wir alle dazu lernen.

Zu schnell wird in meinen Augen darauf hingewiesen, dass die Kirche daraus lernen werde. Ja, es ist einiges geschehen, darauf weist der offiziöse Kommentar zum Bericht aus dem Vatikan hin. Aber reicht das als Schritt aus?

Eine Erfahrung der Scham

Mein Mitbruder Hans Zollner erwartet, dass es Konsequenzen gibt, wo es um das Besetzen von Autoritäts-Posten geht. Also um Bischöfe. Im Domradio habe ich selber darauf hingewiesen, dass der Kern des Berichts darin liegt, wie wenig Verfahren und Prozess im Umgang mit Missbrauch und mit Macht in der Kirche existiert.

Beide Verweise beziehen sich auf dem Umgang mit Autorität und Macht. Beispiel: es hatte immer wieder Hinweise gegeben, dass mit dem damaligen Bischof McCarrick was nicht in Ordnung sei. Deswegen hatten die Zuständigen im Vatikan ihn nicht für die Bischofssitze in Chicago und New York in Betracht gezogen. Auf die Idee, dem mal nachzugehen und zu fragen, ob da nicht was dran sei und dass der Mann aus dem Verkehr gezogen werden muss, wenn da was dran ist, kam wohl keiner.

Transparente Verfahren

Das war jedenfalls einer meiner ersten Gedanken bei der Lektüre. Dem kann man nur entgegen treten, wenn man transparente Verfahren einrichtet, wenn es um die Besetzung von Autorität geht. Aber wird das gewollt? An der Ernennung von Bischöfen – so erzählt es der Bericht – sind eine ganze Reihe von Instanzen in Rom beteiligt, bis hin dazu, dass ein Papst (in diesem Fall Johannes Paul II.) an den Zuständigen vorbei eine Entscheidung treffen kann, weil er einem Brief glauben schenkt, in dem McCarrick dicke Lügen auftischte.

Werden Bischofskongregation, Evangelisierungs-Kongregation, Staatssekretariat, Sekretariat des Papstes und nicht zuletzt der Papst selbst sich in einen transparenten Prozess einbinden lassen? Da habe ich dann doch meine Fragezeichen. Dass es geht, das zeigen die Schritte zur Einrichtung einer Verwaltunggerichtsbarkeit in der Kirche in Deutschland. Davon braucht es mehr.

Das Ernten von Blindheit

Die Täter stützten die Autoritäten und bestärkten diese, dafür ernteten sie Blindheit für ihr eigenes Tun. Dieses System muss aufgebrochen werden. Auch im Vatikan. Dazu braucht es aber nicht nur Informationen. Der Bericht informiert ja, wer wann was gewusst hat. Das ist gut und wichtig. Ich glaube aber, dass es über diese Informationen die Erfahrung von Scham braucht, damit sich was ändern. Lassen die Verantwortlichen in der Kirche diese Scham an sich heran? Oder waren es wieder einmal nur die anderen, damals?

Der Bericht zeigt uns auch, dass die nach außen gezeigte Haltung des „vertraut uns, wir wissen was richtig ist“ ein fataler Grundpfeiler von Missbrauch war. Oder ist. Wer sich das nicht erschüttern lässt, der wird letztlich auch nicht lernen. Ganz gleich ob im Vatikan oder sonstwo in der Kirche.

 

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Nach 400 Tagen im Gefängnis

Veröffentlicht am 8. April 20208. April 2020
Missbrauch und Kirchenführung Kardinal Pell beim Weltjugendtag in Madrid. Foto: flickr.com

Kardinal George Pell ist frei. Nach einem langen und komplexen Gerichtsverfahren in allen Stufen steht fest, dass das gefällte Urteil „schuldig“ keinen Bestand hat. So hat es einstimmig das höchste Gericht des Landes entschieden. Das Ganze lässt viele Fragezeichen zurück. Der Prozess ist nun beendet. Von einem Rechtsstaat, bei allen Komplikationen. Aber das Thema Missbrauch und Kirchenführung bleibt uns erhalten.

Das missliche an der Causa Pell war und bleibt, dass es neben allem anderen auch ein symbolischer Prozess war und ist. Alle Seiten haben es so betrachtet. Die Betroffenen schreien auf, weil sie einen Missbrauchstäter frei aus dem Saal gehen sehen. Die Pell-Verteidiger sprechen davon, dass hier ein Mann für eine ganze Kirche verfolgt worden sei.

Missbrauch und Kirchenführung

Was Schuld und Unschuld angeht, habe ich in dieser Causa immer noch keine Meinung. Es gilt, den Rechtsstaat zu respektieren, aber persönlich hätte ich kein Urteil fällen wollen. Nicht nur, weil ich nicht alle Umstände genau kenne. Sondern einfach, weil es wahnsinnig schwer ist, aus der Ferne genau sagen zu können, was passiert sein könnte oder passiert ist. Aber trotzdem finde ich können wir einige Fragen auch hier stellen, im Anschluss an das Verfahren Pell.

Erstens: Der Missbrauch hat tiefe Furchen der Zerstörung gezogen in den Leben derer, die damit zu tun bekommen haben. Bei den Betroffenen, den Überlebenden zu allererst. Bei deren Familien, Freunden. Und er war und ist für viele immer noch unaussprechlich. Nicht alle können darüber reden, und das gilt es zu respektieren. Um so wichtiger ist es, den Betroffenen und Überlebenden zuzuhören, vor allem weil sie es immer noch schwer haben, Gehör zu finden.

Der Gerichtsprozess in Australien hat einmal mehr vor Augen geführt, wie schwer das ist. War das plausibel? Überhaupt möglich? Verbirgt sich dahinter eine Geschichte? Wann ist Zweifel angebracht und erlaubt? Wie gesagt, aus der Ferne kann und sollte man das nicht beurteilen. Sondern vor Ort zuhören und hinschauen.

Fernurteile verbieten sich

Zweitens: Symbolische Debatten und juristische Entscheidungen bzw. Prozesse passen nicht zusammen. Jemand kann noch nicht schuldig gesprochen werden, nur weil er angeklagt wird. Das ist oft schwer auszuhalten, siehe Pell, siehe aber auch andere Fälle. Die Zerstörung im Leben der Betroffenen ist real, die Feststellung der Schuld aber von vielen Hürden geschützt, so scheint es. Da ist ein Ungleichgewicht, das nicht einfach auszuräumen ist. Und das nicht durch Symboldebatten aufgelöst wird, so hart das klingt.

Drittens: Kardinal Pell steht für das Thema Verantwortung. Deswegen war und ist er auch eine symbolisch aufgeladene Figur. Es ging nie nur um die konkreten Geschichten – ich korrigiere: im Prozess schon, aber in der Beobachtung nicht – sondern es ging immer auch um die Verantwortungsträger in der Kirche, die es nicht gewesen sein wollen. Und den Zorn und das Unverständnis darüber.

Das dürfen wir nicht herunter spielen. Das ist da und bleibt. Spektakuläre Fälle wie Kardinal Theodore McCarrick in den USA oder jetzt Kardinal George Pell sind aber nicht die Regel, Wegschauen, Vertuschen und Herunterspielen gab es und – leider – gibt es auf allen Ebenen. Der Wunsch, endlich auch einen Großen und Mächtigen „dran“ zu kriegen ist verständlich, es bleibt aber trotz alledem ein Weg der kleinen Schritte.

Das Thema Verantwortung

Der Frust bei vielen über den Freispruch bzw. die Aufhebung des Urteils ist verständlich. Aber es ist ein rechtsstaatlich gefallenes Urteil. Es bleibt die Aufgabe der Kirche, das letzte Thema – das Thema der Verantwortung – dabei nicht an die Seite zu legen. Es sind nämlich nicht nur die gerichtlich zu entscheidenden konkreten Geschichten, es sind vor allem die systemische Ermöglichung und die Vertuschung und das Herunterspielen, die uns als Aufgabe bleiben. Die oft nicht gerichtlich zu klären sind. An denen Kirche aber gemessen wird und weiter werden wird.

Ich würde mich sogar vorsichtig zu der Aussage tendieren, dass die Missbrauchsdebatte überhaupt nicht über Prozesse zu klären ist. Einzelne Geschichten sehr wohl, wo es möglich ist muss Recht gesprochen werden. Aber das hat halt auch seine Grenzen.

Aber die Debatte ist weiter. Über Justiziables hinaus. Die australische Kirche hat ja auch sofort in diesem Sinne reagiert: Das Ende des Prozesses gegen Kardinal Pell bedeute nicht ein Nachlassen und so weiter. Der Missbrauch wächst auf einer Kultur, die es aufzudecken gilt. Und die es abzuschaffen gilt. Verantwortliche müssen Verantwortung tragen, aber auch wir alle müssen uns eingestehen, dass wir eigentlich auch nicht genau hinsehen wollen. Einige spektakuläre – und ferne – Fälle wären uns lieber. Dem ist aber nicht so. Missbrauch ist um uns herum, dem müssen wir ins Auge sehen.

Immer noch und immer weiter.

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  • Nachtrag am 8. April, 19.40 Uhr: ich lasse zu diesem Text keine Kommentare mehr zu.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, Neulich im Internet, VatikanSchlagwörter Australien, Freispruch, George Pell, Kardinal, Kirche, Missbrauch, Verantwortung16 Kommentare zu Nach 400 Tagen im Gefängnis

Autoritätendämmerung

Veröffentlicht am 16. Januar 20208. Januar 2020
eine glaubwürdige Autorität der Kirche Risse und Brüche in der Kirche: l'Aquila nach dem Erdbeben

Er war einer der bekanntesten Bischöfe der USA, Fulton Sheen. Eine eigene Fernsehsendung hatte er, er konnte Menschen für den Glauben begeistern. Sogar den Emmy hatte er für seine Sendung bekommen. Ein moderner Verkünder also, eine glaubwürdige Autorität der Kirche. Der Seligsprechungsprozess lief ebenfalls glatt, bis er urplötzlich auf eine Klippe lief: drei Wochen vor dem Termin wurde die Seligsprechung abgesagt. Der Vatikan hatte noch einmal gebremst. Die Begründung: “In our current climate it is important for the faithful to know that there has never been, nor is there now, any allegation against Sheen involving the abuse of a minor.” Vorsicht, Missbrauch!

Auch in Deutschland erleben wir das gerade, wenn auch nicht gleich bei Seligsprechungen. Bei immer mehr Bischöfen der älteren und emeritierten Generation erscheint das Fragezeichen, was sie denn getan hätten. In den USA ist das besonders deutlich, weil da alles an die Öffentlichkeit kommt, mit Klarnamen und allem drum und dran. Bei uns wäre das gar nicht erlaubt.

Eine glaubwürdige Autorität der Kirche

Wir sind zu recht vorsichtig geworden. Eine glaubwürdige Autorität der Kirche gibt es fast nur noch mit Vorbehalt. Nicht nur aber gerade bei Bischöfen kommt das nun immer wieder auf die Tagesordnung, obwohl nicht nur die weggeschaut haben.

Wir müssen also über Autorität reden. Die kann nicht so bleiben, wie sie ist, sie ist beschädigt. Ihre Legitimierung wird nicht mehr ohne weiteres akzeptiert, nach all den Geschichten über falsch und missbräuchlich ausgeübte Autorität. Papst Franziskus führt die Debatte um die Autorität in der Kirche gerne mit dem Begriff des Klerikalismus. Und er zieht eine eindeutige Verbindung zwischen dieser Form von falscher Autorität und dem Missbrauch bzw. der Vertuschung.

Formen falscher Autorität

Nun muss man vorsichtig sein, die Kritik am „-ismus“ ist wichtig, wenn sie aber als Schutzschild fungiert und damit Selbstkritik ausschließt, hilft sie nicht weiter. Im Gegenteil. Deswegen ist es so wichtig, neue Formen von Autorität in der Kirche einzuführen, Gewaltenteilung etwa.

Es bleibt leider der Verdacht, dass einige Autoritätsinhaber bei allen Debatten nur Zugeständnisse machen und so Herren des Verfahrens bleiben wollen. Das kann nicht sein. Ein wenig ändern, damit dann doch alles bleibt wie es ist, das kann nicht das Ziel sein.

Autorität steht unter Vorbehalt. Das können wir nicht weg blenden und auf alten Legitimität pochen. Zeit, sich vielleicht einige Bibelzitate zum Thema vorzunehmen:

„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“ (Mt 23).

Und dann fügt Jesus an: Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Wenn das in der Umsetzung mehr sein soll als Prosa, dann müssen wir den Bibeltext noch einmal genau ansehen.

 

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Ratzinger im Kino: Die Frage nach Missbrauch

Veröffentlicht am 31. Oktober 2019
Verteidiger des Glaubens Ein Kino in Berlin: Vor der Vorführung und der Debatte des Films

Religion enthält grundsätzlich die Gefahr von Missbrauch. Gestern Abend (Mittwoch), in einem Kino in Friedrichshain in Berlin, wurde in einer Preview Christoph Röhls Film „Verteidiger des Glaubens“ über Joseph Ratzinger und die Missbrauchs-Frage gezeigt. Und danach durfte ich mit dem Regisseur auf der Bühne debattieren.

Röhl ist bekennender Nichtglaubender. Was ja für eine journalistische Perspektive gut sein kann. Und über seinen Film kann man viel sagen, an einigen Stellen mag ich dort vorgebrachten Positionen widersprechen, andere Stellen mag ich mitreden.

Verteidiger des Glaubens

Aber das hier soll keine Filmkritik sein. In dem Gespräch danach kamen wir auch auf die Frage, wo genau Missbrauch eigentlich beginnt. Der Regisseur sagte am Schluss etwas Bemerkenswertes: Religion beginne da missbräuchlich zu werden, wo schwache Menschen auf der Suche nach Sinn mit Heils- und Erlösungsversprechen gelockt würden.

Ist das so? Meine erste Reaktion, die ich aber nicht ins Mikro gesagt habe, war: ich würde zustimmen, wenn er gesagt hätte, Missbrauch begänne wo Religion zum Mittel wird. Ich glaube, das hat er auch gemeint. Wenn Religion eben um den Menschen kreist und es um Macht oder Ordnung oder was auch immer geht.

Macht und Ordnung?

Im Film geht es um Joseph Ratzinger, um Irland, um die Legionäre Christi, es geht um Missbrauch und Moderne und Konzil, es sind fast schon zu viele Themen, die verhandelt und gezeigt werden. Irland hat sehr viel Platz, während die Theologie Ratzingers verkürzt dargestellt wird.

Aber der Punkt ist ja, dass so ein Film zum Reden einlädt. Zum Widerspruch, aber auch zur Nachfrage. Und die Frage nach dem „blinden Fleck“, wie es der Moderator Joachim Hake von der katholischen Akademie Berlin formuliert hat, wird durch den Film zum Thema. Wo sind blinde Flecke bei Joseph Ratzinger? Oder wo hat vielleicht der Film selber blinde Flecke?

Blinde Flecke

Das ist überhaupt die wichtigste Frage nach dem Film: was sehen wir nicht? Wollen oder können wir nicht sehen? Was Röhl versucht, paradigmatisch wie er sagt bei Joseph Ratzinger zu zeigen, gilt auch für uns. Etwa die Frage nach dem Klerikalismus, der eine Spielart der Verzweckung von Religion ist.

Röhls Film ist zurückhaltend genug, um Gespräche darüber anzuregen. Er will nicht überwältigen, durch Skandal oder steile Thesen. Auch wenn er selber wie ich meine auch blinde Flecken hat, ist er doch eine Einladung zur Debatte.

Ein zurückhaltender Film

Es gab im Laufe der Publikumsreaktionen einen Beitrag, den ich bezeichnend fand. Ein Ingenieur, der selber in jungen Jahren den Theologieprofessor Ratzinger gehört hatte, sprach davon, was er alles inspirierendes bei diesem Denker gehört hatte. Im Film kommt diese Theologie eher als Karikatur vor, das sah der Zuschauer offensichtlich einen solchen blinden Fleck.

Und da sind wir bei der Frage: können wir schwächen und blinde Flecken entdecken, ohne gleich ein Urteil zu fällen? Das Inspirierende behalten? Sind wir selber zurückhaltend und fragend genug, nicht sofort Urteile zu fällen? Oder dient die Personalisierung, wie sie der Film mit Joseph Ratzinger vornimmt, nicht auch zum Abschieben des Problems auf einzelne Personen?

Wo beginnt Missbrauch? Röhl versucht sich an seiner Antwort, als Geschichte der Tragödie eines Mannes, wie er sie erzählt, wird er seinem Thema und der gewählten Person nicht gerecht. Aber er stellt die Frage, nach den blinden Flecken, nach Theologie, nach Kirchenbild, nach Wegschauen. Und als Beitrag in der Debatte sind das Fragen, die immer wieder gestellt werden müssen.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kunst, Kultur und Können, VatikanSchlagwörter Benedikt XVI., Film, Kino, Kirche, Missbrauch, Papst, Vatikan, Verteidiger des Glaubens9 Kommentare zu Ratzinger im Kino: Die Frage nach Missbrauch

Wider die lähmende Traurigkeit: Papst Franziskus schreibt Priestern

Veröffentlicht am 4. August 20194. August 2019
Priester und Missbrauch Abschluss des Priesterjahres, Mein Blick auf den Petersplatz Juni 2010

Es ist zehn Jahre her, dass im Vatikan das „Jahr des Priesters“ begangen wurde. Benedikt XVI. hatte es einberufen und damals von einem „neuen Frühling“ gesprochen. Wir alle haben nicht geahnt, dass es gerade in diesem Jahr zur Aufdeckung von so viel Missbrauch und dem Beginn einer immer noch andauernden Debatte um Macht in der Kirche kommen würde. Priester und Missbrauch, das wurde das Thema.

Papst Franziskus schreibt zehn Jahre nach diesem Priesterjahr allen Priestern einen Brief. Und er spricht den Missbrauch direkt und als erstes an. So verliebt unsere kirchliche Öffentlichkeit auch in die Zölibatsdebatte ist, es ist der Missbrauch, der das Leben von so vielen Priestern prägt. Selbst wer sich nie etwas zu Schulden hat kommen lassen, wer treu und hingebungsvoll arbeitet, der muss sich damit auseinandersetzen. Und nicht selten wird er mit den Tätern und den Wegschauern in einen Topf geworfen.

Priester und Missbrauch

Papst Franziskus tut in seinem Brief zwei Dinge. Erstens dankt er ausführlich und ausgiebig. Das ist der Beginn und das Ende und auch mit einer kleinen Dank-Litanei das Mittelstück des Briefes. Viele Priester sagen ja, dass sie vom Papst immer nur Kritik hören, Kritik am Klerikalismus und so weiter (ein Wort, dass in dem Brief nicht fällt). Dank ist wichtig, Wertschätzung ist wichtig, und das tut Franziskus ausführlich.

Zweitens aber zieht sich durch den Brief auch der Schmerz und die damit verbundene lähmende Traurigkeit. Vorsichtig spricht der Papst über das wieder gewinnen von Mut und Lebensfreude, von den Herausforderungen der Traurigkeit und von Gebet und Nähe zur Gemeinde.

Keine fertigen Rezepte

Er geht von Schwierigkeiten aus, vor allem von der Lähmung, bietet aber keine fertigen Lösungen an, wie mit dieser „Traurigkeit“ umzugehen ist, nur Wege dahin.

Anders beim Missbrauch selber, hier sind die Worte deutlich: „Wenn in der Vergangenheit die Unterlassung zu einer Form der Antwort werden konnte, so wollen wir heute, dass die Umkehr, die Transparenz, die Aufrichtigkeit und die Solidarität mit den Opfern zu unserer Art und Weise werden, Geschichte zu schreiben, und uns helfen, aufmerksamer zu sein gegenüber allem menschlichen Leiden.“ Die „Kultur des Missbrauchs“ dürfe keinen Platz haben, dafür arbeite er an der „Umsetzung der notwendigen Reformen“.

Geistliche Aussage

Die Aussagerichtung des Papstes ist und bleibt aber geistlich. Der Einsatz gegen Missbrauch gehört hier hinein, genauso wie das Überwinden der Lähmung, die einen bei der Debatte überfallen kann.

Papst Franziskus legt keinen Entwurf fürs Priestersein vor, keine Vision, kein Projekt. Er leitet geistlich, er hilft auf dem Weg, er ermutigt. Einfacher werden Priester, davon ist der Papst überzeugt. Die Krise, der Schmerz und die Scham werden zu einer Erneuerung führen. Aber nicht durch ein Hauruck, sondern geistlich, allmählich. Durch Umkehr, Gebet und Gemeinschaft.

Papst Franziskus bietet keinen Beitrag zur Zölibatsdebatte oder zur Weihe von Frauen, das ist überhaupt nicht sein Thema. Er will denen schreiben, die Priester sind ihnen geistlich helfen. Als Bischof, weswegen der Brief als Ortsmarke auch seine Bischofskirche trägt, nicht den Vatikan. Hier wird nichts festgelegt, hier wird ermutigt und vor allem gedankt.

Einen „neuen Frühling“ haben wir noch nicht. Aber Papst Franziskus erinnert (uns Priester aber dann auch alle) daran, dass aller Umgang mit den schwierigen Themen auch immer geistlich sein muss.

 

Kategorien Benedikt XVI., Franziskus, Geschichte, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Missbrauch, Papst Franziskus, Papstbrief, Priester25 Kommentare zu Wider die lähmende Traurigkeit: Papst Franziskus schreibt Priestern

Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

Veröffentlicht am 6. Juli 201929. Juni 2019
Vertrauen ja oder nein? Bruce Naumann: Room with my soul left out, Museum Hamburger Bahnhof, Berlin

Auf meinem Schreibtisch steht ein Doppelbildschirm. Wie man das bei Medienmenschen heute so hat, und nicht nur da. Zwei große Flächen, um zu arbeiten und zu lesen. Meistens ergänzen sich die Inhalte der beiden, aber ab und zu widersprechen sie sich auch. Wie neulich, als zwei völlig unterschiedliche Botschaften erschienen: Vertrauen ja oder nein?

Auf der einen Seite der Philosoph Wilhelm Schmid in der ZEIT, der für ein „gesundes Misstrauen“ im Umgang miteinander wirbt. Auf der anderen Seite der Artikel meines US-amerikanischen Mitbruders und Journalisten Thomas Reese, der für Brückenbauen wirbt und sagt, dass ohne Vertrauen menschliches Miteinander unmöglich ist. Misstrauen und Vertrauen, diese beiden …

Vertrauen Ja oder Nein?

Schmid geht es um ein Grunddilemma in der Gesellschaft, das mich hier besonders mit Blick auf die Kirchen interessiert: verlorenes Vertrauen. „Vertrauen geht verloren, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden“, sagt er schlicht und überzeugend.

Und Schmid hat auch den Weg zu neuem Vertrauen, so dieses denn verloren ist: „Was genau ist zu tun, wer definiert die Erwartungen, wer soll sie erfüllen, wer darf das kontrollieren? Einvernehmen darüber zu erzielen macht ein neues Vertrauen wahrscheinlicher.“ Erwartungen – er fügt hinzu ‚berechtigte Erwartungen‘ – sind also der Schlüssel zum Vertrauen.

Erwartungen und Erfüllung

Um nun herauszufinden, ob ich Vertrauen schenken kann, empfiehlt der Philosoph einen „Prozess der Prüfung“. Genau hinschauen. Nicht sofort glauben, sondern Erfahrungen sammeln und sich dann zu Gewissheiten verdichten lassen. Hier kann Misstrauen sinnvoll sein, nicht als Grundhaltung allen und jedem gegenüber, aber es hat seinen Platz. Oder vielleicht sollten wir es besser Skepsis nennen.

Und zwar in Maßen, was Schmid mit einer Warnung verbindet: „Ein größeres Misstrauen ist auch am Platz, wenn ein Mensch ständig vom Vertrauen spricht: Er könnte ein Interesse daran haben, mich einzulullen.“ Ein Gruß an Kirche und Politik!

Wer zu viel von Vertrauen spricht

„Vorsicht geboten ist schließlich gegenüber einer Kultur, die das Misstrauen theoretisch missachtet, praktisch aber befördert, mit immer neuen Versprechungen, die sich als uneinlösbar erweisen: immerwährender Fortschritt, Aufhebung aller Widersprüche, universelles Glück.“ Ein Gruß an unsere Konsumkultur.

Tom Reese dagegen spricht nicht als Philosoph, sondern als Praktiker. Kirche und Politik in den USA sind gespalten, Verschwörungstheorien allenthalben, fehlender Respekt dominiert die Debatten. Und das sei nicht erst seit Trump so, obwohl dessen Umgang mit der Realität einen neuen Tiefpunkt darstelle. Reese definiert den Beginn des Misstrauens in den 60er Jahren, mit Vietnam und den Dauerlügen der Politiker.

Vertrauen und Missbrauch

Der Missbrauch und der Umgang damit habe ähnliches in der Kirche ausgelöst, Vertrauen sei hier sehr schwierig wieder zu gewinnen. Im Gegensatz zu Schmid sagt Reese, dass Misstrauen und Skepsis der Normalzustand seien, die es aber zu überwinden gelte. Naives Vertrauen sei natürlich keine Lösung, aber das Verbleiben in gegnerischen Lagern ohne Dialog sei auch kein Weg.

Natürlich spricht Reese dann über Parteipolitik, und an dieser Stelle können wir sein Argument verlassen, aber die Grundlage gilt auch für uns: er wirbt mit unserem Ordensgründer dafür, in einer Aussage erst einmal das Gute zu suchen. „Die Aussage des Nächsten zu retten“ als bevorzugte Option, nennt es Ignatius. Das ist nicht dasselbe was Schmid vorschlägt.

Werben

Und was nun? Vertrauen Ja oder Nein? Beide Argumentationslinien haben ihren Wert. Wenn ich die Philosophische Haltung meinen Kollegen hier erkläre – und ich habe es versucht – erkennen sie sofort den Deutschen, oder besser das Bild, das wir aus den deutschsprachigen Kirchen in der Welt haben. Skepsis, nicht sofort an Bord gehen, immer gleich etwas zu Kritisieren haben, nichts lassen wie es ist. Das sind angeblich wir.

In Tom Reese hingegen erkennen wir eine Haltung, wie sie immer und immer wieder vom Papst vertreten wird, auch an Orten wo wir selber zögern. Die Tür sei immer offen, sagt Franziskus. Der Vorteil hier ist der Einsatz für den Dialog, immer und überall. In Misstrauen kann man sich halt auch einrichten, oder besser: denen zum Opfer fallen, die von Misstrauen und Spaltung leben. Dem müssen wir entgegen treten, mit Brücken und nicht mit neuen Mauern.

Vertrauen war mal in Mode

Vertrauen galt mal als wichtig, Trump und Konsorten haben uns das ausgetrieben. Aber ohne gibt es keinen Glauben, keine Kirche. Allein Beten geht schon nicht ohne Vertrauen, Gebet ist Vertrauen. Aber wie dahin kommen, wo dieses nicht mehr da ist?

Beide Bildschirme haben Recht. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Ich brauche Brücken, ich darf dem trennenden Misstrauen nicht das letzte Wort geben. Gleichzeitig darf ich auch nicht naiv sein, verlorenes Vertrauen sei es in Kirche oder Gesellschaft kann man, ja darf man nicht einfordern, darum muss man werben. Und immer wieder werben. Und Strukturen einziehen, die Vertrauen schenken ermöglichen, etwa Transparenz und so weiter.

Strukturen des Vertrauens

Was zählt heute noch Vertrauen?, müssen wir uns fragen. Und wie kommen wir dahin?

Nur eines scheint mir sicher, auch mit Blick auf die Bemerkung weiter oben über das Beten: Ohne geht es nicht. Ohne wir es wie das Foto über dem Stück, dann leben wir in einem Raum ohne Seele. Klingt Ihnen zu pathetisch? Vielleicht, aber ich glaube das wäre die Welt, in die wir im Augenblick drohen, hinein zu spazieren.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von Gott, VatikanSchlagwörter Gesellschaft, Kirche, Missbrauch, Skepsis, Tom Reese, Vertrauen, Zeit13 Kommentare zu Trau keinem, der zu viel von Vertrauen spricht

„Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

Veröffentlicht am 2. Juli 20192. Juli 2019
Streitpunkt Beichtgeheimnis Papst Franziskus beichtet in Sankt Peter: Auch hier gilt das Geheimnis

Ausgerechnet das Beichtgeheimnis. In der Auseinandersetzung darum, was Kirche heute darf, welche Privilegien sie hat, und was von außen geregelt werden muss, ist die Beichte zum Thema geworden: Streitpunkt Beichtgeheimnis.

Es gibt aktuelle Entwicklungen, wie etwa die Abstimmung im US-Bundesstaat Kalifornien. Aber auch Australien denkt darüber nach, das Privileg nicht mehr zu dulden. Immer geht es hier um Missbrauch.

Streitpunkt Beichtgeheimnis

Und das Argument ist ja auch sofort einsichtig: Überall da, wo es Vertuschung von Missbrauch gibt, kann es weiteren Missbrauch geben. Missbrauch darf auf keinen Fall geschützt werden, und Schweigen schützt ihn, also darf das Schweigen nicht sein. Missbrauch muss angezeigt werden!

Dagegen hat der Vatikan jetzt noch einmal deutlich Stellung bezogen. Ausgangspunkt ist ein anderer: In einer Medienwelt, in der immer alles öffentlich sein muss, und in einer Datenwelt, in der jede Information verwertet wird, stellt die Kirche den Wert der Vertraulichkeit fest. Dabei sei das Beichtgeheimnis auch nicht dasselbe wie etwa die Regeln für Ärzte und Journalisten, es sei absolut und nicht staatlicher Rechtsprechung unterworfen. Starker Tobak.

Der Wert der Vertraulichkeit

Auf keinen Fall dürfe man das als irgendeine Form von Toleranz Missbrauch gegenüber falsch verstehen. Im Gegenteil, durch den richtigen Schutz des Beichtgeheimnisses – so das Argument – würde der Kampf gegen derlei Verbrechen gestärkt.

Das sehen sicherlich nicht alle so, vor allem jene, die wissen, wie sehr Kirche in der Vergangenheit lieber zugedeckt hat als offen gelegt. „Denen sollen wir jetzt vertrauen?“ würde hier die Frage lauten.

Keine Toleranz der Vertuschung!

Ein Blick auf die Rechtslage: In Deutschland schützt der Staat das Zeugnisverweigerungsrecht auf Grund der Funktion der Geistlichen, Österreich hingegen erkennt direkt das Beichtgeheimnis als solches an.

Das Kirchenrecht ist eindeutig. Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich, sagt Canon 983, um später (Canon 1388) zu ergänzen: „Ein Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation(..) zu“. Wir haben im Studium gelernt: Wer Tat und Täter nennt, der ist raus.

Wer Tat und Täter nennt

Beichten ist ein Augenblick der Schwäche, der Scham, wenn man zu dem steht, was in einem nicht gut ist. In den Worten von Papst Franziskus: Beichtväter müssen voller Respekt für die Würde der Geschichte der Menschen sein. „Auch der größte Sünder, der vor Gott tritt, um Vergebung zu erbitten, ist ‚heiliger Boden’. Jeder gläubige Büßer, der in den Beichtstuhl kommt, ist ‚heiliger Boden’, heiliger Boden, der mit pastoraler Hingabe, Sorgfalt und Aufmerksamkeit bebaut werden muss.“

Er fügte an: „Das Sakrament, mit allen Bußakten, darf nicht zu einem harten, lästigen und aufdringlichen Verhör werden. Im Gegenteil, es muss eine befreiende Begegnung voller Menschlichkeit sein.” Das Stichwort hier ist Freiheit, befreiend.

Befreiende Begegnung

Wir glauben, dass es bei der Beichte nicht um ein Gespräch zwischen zwei Menschen geht, die etwas merkwürdig klingende Formulierung im Kirchenrecht, dass der Priester an Stelle Gottes hören würde, weist genau darauf hin. Es ist ein Geschehen, bei dem wir glauben, dass Gott handelnd dabei ist. Ein Sakrament.

Deswegen braucht das Sakrament Schutz. Wie alle anderen Sakramente auch. Das Geheimnis dient diesem Schutz, nichts was ich als Priester in einer Beichte erfahre, darf ich nachher nutzen. Auch nicht für einen noch so guten Zweck.

Beichtwissen darf nicht benutzt werden

Das gilt allerdings auch in andere Richtung: Wenn ich die Beichte als Sakrament schützen will, dann ausdrücklich auch davor, Komplize des Verbrechens zu werden, wie es ein Mitbruder von mir formuliert. Deswegen kann ich auch ruhigen Gewissens sagen, dass ich durch dieses Sakrament niemanden etwa vor Strafe schützen will.

Wir Menschen brauchen geschützte Räume, in denen nicht alles aus welchen richtigen Gründen auch immer verwertet wird. Wo bliebe das Vertrauen in andere Menschen? Und was für Zwischenmenschliches gilt, gilt um so mehr für die Religion.

Wir Katholiken müssen uns sehr genau überlegen, wie wir Priester so ausbilden, dass das Beichtgeheimnis zu einer befreienden Begegnung werden kann. Nicht zum Schutz von Verbrechen. Wenn es dazu gehört, diesen Schutzraum des Gebets – genau das ist eine Begegnung mit Gott ja immer – und des Sakraments mit einem Vertraulichkeit-Gebot zu schützen, dann ist das gut und richtig so.

Die Gesellschaft hat Recht, uns immer wieder in Frage zu stellen. Und dort, wo Recht und Würde von Menschen eingeschränkt werden, einzuschreiten. Das ist aber in der Beichte nicht der Fall. Und deswegen muss das Beichtgeheimnis bleiben, wie es ist.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und MedienSchlagwörter Beichte, Beichtgeheimnis, Missbrauch, vertraulich, Vertuschung13 Kommentare zu „Das Beichtgeheimnis ist unverletzlich“!?

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