Ab dem 17. Juni bin nicht für zwei Wochen unterwegs, unter anderem um in der Schweiz Beiträge für die Sommerserie von Radio Vatikan zu machen. Danach geht es hier munter weiter. Also bis bald …

Vom ersten Moment seines Pontifikates an schien Papst Franziskus genau zu wissen, was er wollte. Die Symbole, die Sprache, das Auftreten, gefolgt von den Entscheidungen der ersten Tage: Leadership nennt man das auf Neudeutsch, Führungsqualität. Das kann man nicht lernen, wenn man eine Aufgabe übernimmt, das muss der Papst bereits mitgebracht haben.
Warum also leitet der Papst so, wie er leitet? Für eine Sendung habe ich jemanden gefragt, der sich ausgiebig damit befasst hat: Chris Lowney, Buchautor und „leadership-consultant“, also Fachmann für genau das. Er ist im Hauptberuf Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Catholic Health Inintiative“, einem großen katholischen Krankenhausverbund in den USA, er bringt also reichlich eigene Erfahrung mit. Und nicht nur auf diesem Gebiet.
„Ich selber war einmal ein Jesuit, nach meiner Schule für etwa sechs Jahre, habe dann aber gesehen, dass das nicht mein Weg ist, Jesuit zu sein. Danach habe ich erst einmal für siebzehn Jahre als Investmentbanker bei JP Morgan gearbeitet. Mir ist damals immer wieder aufgefallen, dass das zwei völlig verschiedene Organisationen sind, mit ganz und gar anderen Zielen. Aber jede menschliche Organisation hat auch Dinge gemeinsam: Es geht um Motivation unserer selbst und anderer, es geht um Pläne und wie man sie erfüllen kann, es geht um das Setzen von Zielen und so weiter. Damals habe ich begonnen, mich für die Jesuiten als Firma zu interessieren, also sie in einer Unternehmens-Perspektive zu sehen. Wo sind die Leitungs-Werte dieser Organisation?
Daraus ist dann ein Buch entstanden, „Heroic Leadership“, und viele Jahre später, als dann erstmals ein Jesuit Papst wurde, hat mein Verleger mich gebeten, etwas über diesen Papst zu schreiben und deswegen habe ich das als Fallstudie betrachtet: Wer ist dieser Mensch und was ist der Hintergrund seiner Leitungskompetenz?“
Also ist das zweite Buch der Beweis, dass das erste Buch recht hatte?
„(Lacht) So gewagt würde ich das nicht formulieren.“
Wie charakterisieren Sie nun die Art und Weise des Papstes, zu leiten?
„Wissen Sie, die erste Formulierung, an die ich denke, ist überhaupt kein Fachausdruck, es ist etwas, was mir einige Freunde nach den ersten Tagen des Pontifikates gesagt haben. Diese Freunde sind keine praktizierenden Katholiken, haben aber fast denselben Kommentar gemacht, nämlich dass sich dieser Papst in seiner Haut wohl zu fühlen scheint. In anderen Worten, sie waren erstaunt, dass jemand, der sich nicht sein ganzes Leben darauf vorbereitet hat, diesen Job zu bekommen, ihn nun auf so völlig natürliche Weise ausübt. Das war dann mein erstes Thema: Wie bekomme ich die Leitungs-Kompetenz, bevor der Moment kommt, wo ich sie brauche.
Als Franziskus Papst wurde, hat ihm keiner eine Woche Zeit gegeben oder ein Buch, diese Aufgabe zu lernen. Er musste sofort beginnen, an diesem ersten Abend. Wir denken immer erst dann an die Bedeutung von Leitung, wenn wir selbst in eine solche Situation kommen. Aber die Realität ist anders: Man muss sehr viel früher daran denken und vor allem sich vorbereiten.“
Was hat er gelernt? In Ihrem Buch erwähnen Sie Dinge wie die Fähigkeit, alleine zu sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen, klar zu entscheiden und so weiter. Was von alledem finden Sie in Papst Franziskus?
„Drei davon kann ich gleich nennen und alle drei sind sehr eng mit seinen jesuitischen Wurzeln verbunden, der jesuitischen Kultur und Tradition. Weiterlesen „Die Freiheit und der Heilige Geist: Warum Papst Franziskus so leitet, wie er leitet“
Geistlich auf dem Weg zu sein, kann nach hinten losgehen. Nicht jeder Schritt ist gut und hilfreich, nicht alles was ich als geistlich wahrnehme ist es auch und vieles ist vielleicht sogar das genaue Gegenteil.
Diese Einsicht ist klassisch in der christlichen Tradition, von den Mönchsvätern angefangen. Bei Papst Franziskus erlebt sie gerade eine neue Blüte, wenn er gegen neue Formen des Gnostizismus oder neo-Pelagianismus schimpft. Aber das will ich hier gar nicht vertiefen.
Im Netz kursiert seit einigen Tagen ein Artikel, der einen modernen Blick auf verkrümmte Formen des Geistlichen wirft. Einige Male musste ich beim Lesen auflachen – passiert mir im Internet immer seltener – über die Einsichten und die Zusammenstellung.
Die Autorin – Mariana Caplan – beschäftigt sich mit geistlichen Unterscheidungsprozessen in der Spiritualität, wenn wir es im Spiri-Deutsch ausdrücken. Also damit, dass nicht alles irgendwie gleich wichtig und richtig ist, sondern dass man in geistlichen Prozessen Fehler machen kann oder auch richtig liegen kann. Und das kann man unterscheiden.
Sie sagt, dass unsere geistlichen Einsichten kontaminiert werden und sich zu einer Art Infektion entwickeln.
Unter den Top-10, die sie in dem Artikel nennt, sind zum Beispiel die Vermischung von Spiritualität und der Kultur der „instant gratification“, des schnellen Konsums. Sie nennt es Fast-Food Spiritualität. Alles ist schnell und leicht.
Dann gibt es die Spiritualität zum Anziehen, die Dinge die ich kaufe und mit denen ich mich umgebe und die mich aussehen lassen, als ob ich spirituell wäre. Vielleicht glaube ich das dann auch irgendwann selber.
Schon komplexer ist die Krankheit, sich selbst mit seinen Erfahrungen zu verwechseln, also zu glauben, wir seien Verkörperungen der Erfahrungen, die wir irgendwann mal gemacht haben.
Dann gibt es das undurchdringliche Spiritualitäts-Ego, das keine kritische Rückmeldung mehr zulässt und deswegen auch nicht wachsen kann.
Geistlicher Stolz ist ein Klassiker, den sie erwähnt, „groupthink“ – unterbewusste Absprachen darüber, was man denken soll – ein anderer (witzigerweise nennt sie es Ashram-Disease).
Und die tödlichste von allen Krankheiten: Ich habe es geschafft.
Viel davon ist mir in verschiedenen Formen schon begegnet, natürlich vor allem bei mir selber. Deswegen musste ich ja auch lachen. Was mir besonders gefällt ist die grundlegende Einsicht, dass nicht alles, was als Geistlich daher kommt, es auch ist. Dass es – um christlich-traditionell zu bleiben – unterschieden werden muss. Es gibt so viel verschiedenes und verwirrendes Zeug unter all den guten Schritten. Um mit den Worten zu schließen, mit denen Caplan ihren Artikel beginnt: „It is a jungle out there.”
Frank Schirrmacher ist tot. Ein freier Denker und Schreiber, ein intelligenter und witziger Mann. Leider bin ich ihm nur einmal live begegnet, aber gelesen habe ich ihn gerne. Und diese eine Begegnung war etwas Besonderes, bis heute.
Es ging um eines seiner Themen, um Egoismus – Thema eines Buches von ihm – und die Frage, wie sehr Maschinen und Algorithmen unser Denken, unsere Wirtschaft und unser Tun mittlerweile bestimmen.
Er beschreibt die Mathematisierung unserer Welt: Alles wird erfasst, berechnet und ökonomiesiert. Amazon weiß, was ich bei Google gesucht habe und schlägt mir Bücher zum Thema vor; das Netz gibt vor zu wissen, was für mich gut wäre.
Schirrmacher fügt ein Beispiel an, das ich hier bringen will, weil mich das Thema Journalismus schon aus Eigeninteresse nicht loslässt. Auch hier würde die Dominanz der Algorithmen langsam zugreifen, sagt Schirrmacher.
Das Interview möchte ich an dieser Stelle noch einmal veröffentlichen, meinen Hut ziehend und mich vor einem freien klugen Denker verneigend.
„Aus sich selbst herausgehen“: Es ist eines der zentralen Themen, die Papst Franziskus immer und immer wieder für Christen einfordert; alles andere führe zum Egoismus. Was dieser Egoismus heute bedeutet, das habe ich im Juni 2013 – vor exakt einem Jahr – Frank Schirrmacher gefragt. Er hat gerade ein Buch über die moderne Form des Egoismus geschrieben: „Ego – das Spiel des Lebens.“ Es ist ein kontroverses Werk, aber auch ein nachdenklich stimmendes Buch. Ein Gespräch mit dem Autor über den Wert von Intuition, die Macht des Informationskapitalismus und darüber, was eigentlich Egoismus ist.
„Wir alle reden ja ständig über Egoismus und wir glauben zu wissen, was es ist. Ich will mal sagen, was es in dem Interesse, dem ich gefolgt bin, nicht ist. Mein Buch ist keine moralphilosophische oder moraltheologische Annäherung an das Thema, sondern etwas, wo das Interesse bei mir ausgelöst wurde durch die Finanzkrise und die Art und Weise, wie die handelnden Personen reagiert haben. Was mich interessiert ist ein Egoismus, von dem gesagt wird, dass er ‚rational’ sei. Das eigentlich Neue und Beunruhigende daran finde ich, und das war mir vorher nicht so klar, dass wir uns einer Welt annähern, die das egoistische Eigeninteresse für einen Kern von Rationalität hält. Das ist natürlich eine Form des ökonomischen Denkens aber es geht weit darüber hinaus: Es ist vernünftig, egoistisch zu sein.“
Damit ist das Hauptthema Schirrmachers benannt: Die Behauptung, dass der Egoismus das Zentrum unserer Gesellschaft sei. Zur Präzisierung: Das an sich selber Denken an und für sich ist nicht vollständig schlecht und war schon immer Teil der Gesellschaft. Schirrmacher geht es aber um ein Phänomen, das viel weiter geht und das im Zeitalter der Informationsökonomie und des Informationskapitalismus bestimmend geworden sei.
„Es ist eine Sache, ob Sie eine Welt analysieren und sagen, dass aufgeklärtes Selbstinteresse ein wesentlicher Wert für Gesellschaften ist, oder ob sie eine Gesellschaft danach organisieren, dass sie nur noch nach Selbstinteresse funktioniert. Das eine ist eine Beschreibung von – wie wir ja alle sofort einräumen würden – partiellen Phänomenen innerhalb einer Gesellschaft, das andere ist etwas, was Ausschließlichkeit bedeutet. Weiterlesen „„Insofern bin ich da ein totaler Optimist““
Der Papst und seine Botschaften bewirken nichts. Das hat der Schriftsteller Martin Mosebach, ein profilierter Katholik und Freund der alten Messe, der Süddeutschen Zeitung gesagt. Sie seien zu simpel, sagt er. Sie seien wie die Schocksprüche auf den Zigarettenschachteln, aber einfache Dinge erhielten leicht einen großen Beifall. Das angenehme für viele Menschen sei, dass man für sich daraus keine Schlüsse ziehen müsse.
Groß ist meine Lust, das einfach umzudrehen: Die Botschaften von Martin Mosebach bewirken nichts. Sie sind zu simpel, wie die Schocksprüche auf den Zigarettenschachteln, aber einfach Dinge erhalten halt leicht Beifall. So einfach kann man mit dem Papst und seinen Anliegen nicht umgehen, lieber Herr Mosebach.
Aber ein wenig hat er ja auch recht. Nicht mit der Bewertung, dass die Botschaften zu einfach seien, das teile ich ganz und gar nicht. Aber man muss schon aufpassen, dass man das nicht hört, sich daran begeistert und dann zur Tagesordnung übergeht. Aber ich bin weit davon entfernt, den vielen Menschen, die nicht sofort in Bekehrungs- und Verkündigungsmodus schalten, Gleichgültigkeit zu unterstellen.
Der Papst ist nämlich anspruchsvoll in seinen Botschaften, anders als Herr Mosebach und mit ihm viele andere das sehen. Das sind keine Kalendersprüche, die er morgens bei den Messen ausspricht, sondern diese Sätze rütteln an Selbstverständlichkeiten des Glaubens und der Kirche. Er will diese Selbstverständlichkeiten zum Leben erwecken, aus dem Sprechen hinaus ins Leben, sozusagen.
Ich glaube nicht, dass das für die meisten Menschen angenehm ist, weil man für sich keine Schlüsse ziehen muss. Oder vielleicht besser so formuliert: Wenn man daraus keine Schlüsse ziehen will, ist das eine Entscheidung der Christen, unterbewusst oder bewusst, was aber nicht an einer unterstellten Einfachheit der Botschaft liegt. Im Gegenteil, wer die Botschaften simplifiziert, nimmt ihnen den Inhalt.
In den Worten der Schrift: „Wir haben für euch auf der Flöte gespielt, und ihr habt nicht getanzt“ (Mt 11:17).
Der Grund ist ganz einfach: Der Papst geht von Erfahrungen aus, von konkreten Dingen, und er spricht so, dass die anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen sich darin erkennen können. Er spricht nicht darüber, wie es sein soll, abstrakt und idealistisch. Er bleibt in der Welt wie sie ist. Und da wir nicht in den Ideen leben sondern ganz konkret, kommt das an.
Wir werden uns in den kommenden Jahren noch oft mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie die Kommunikation und die Inhalte des Papstes vermittelt werden.
Aber ganz so einfach, wie die Kritik hier lautet, ist das nicht.
Die Texte bei den Friedensgebeten vom Sonntag in den Vatikanischen Gärten – was wirklich gesagt wurde.
Nein, bei den Gebeten für den Frieden ist nicht der Koran zitiert worden mit der Aufforderung, die Ungläubigen zu vernichten. Das ist Stuss.
Nein, das war kein Synkretismus. Der Katechismus der Katholischen Kirche spricht von Gottes Heilsabsicht, besonders auch für die Muslime. Da wird aber nichts vermischt.
Nein, dass bei einem Treffen drei Religionen ihre Gebete sprechen, bedeutet noch nicht, dass alle glauben, dass alles irgendwie gleich sei und eins. Der Papst glaubt weiterhin an Jesus Christus.
Nein, die Gebete für den Frieden waren weder Relativismus, noch Atheismus, (oder sonst ein -ismus), es ist auch nicht was einige meinen glauben zu müssen Blasphemie.
Was für eine Quelle von unglaublichem Zeug das Internet doch ist. Da darf jeder behaupten, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ok, das ist jetzt nicht wirklich originell, muss aber immer wieder mal gesagt werden.
Ein wenig waren die Friedensgebete am vergangenen Sonntag wie Assisi; seit dieser Friedens-Initiative Johannes Pauls II. können sich die Verschwörungstheoretiker und Gegener jedweder Form des interreligiösen Respektes und vor allem diejenigen, die sich brüsten, gegen jede Form der angeblichen politischen Korrektheit zu sein, gar nicht mehr einkriegen. Das ist ein Fest für die.
Der Papst will eine Kultur der Begegnung fördern. Wenn es rote Fäden in diesem Pontifikat gibt, dann gehört das sicherlich dazu. Begegnung auf allen Ebenen, von den Umarmungen auf dem Petersplatz bis zu politisch höchst komplexen Veranstaltungen wie den Gebeten und Friedensbitten am Sonntag.
Wer immer das nicht aushält, der findet im Internet genug Stuss (ich darf mich hier wiederholen), um seine Paranoia zu füttern. Für alle die unsicher sind setze ich einfach mal den Volltext der Gebete vor den Ansprachen hier ins Netz. Weiterlesen „Nein, nein, nein“
Es geht doch. In der Welt ist gestern Abend nicht auf einmal der Frieden ausgebrochen, nicht einmal im Nahen Osten. Aber all denen, die sagen, dass nur die Sprache hilft, die dort immer schon gesprochen wird – Religion gegen Religion, Mensch gegen Mensch, Volk gegen Volk – denen hat der Abend gestern gezeigt, dass das nicht stimmt.
Etwas erstaunt war ich über die vielen negativen Reaktionen auf die Gebete für den Frieden. Auch hier im Blog. Da sind die, die glauben, dass das eh nichts bringt. Da halte ich gegen, dass jeder Schritt, den man nicht macht obwohl man ihn machen könnte, sträflich ist. Es gibt viele Schritte, die in Richtung mehr Gewalt und Verhärtung gemacht werden, denen muss man etwas entgegen setzen. Denen darf man die Welt nicht überlassen. Und das haben Abbas und Peres gestern im Vatikan getan.
Dann gibt es die, die glauben, dass das nur Show war, dass das keine politischen Auswirkungen hat, dass sich der Papst damit nur schmückt. Ob es politisch etwas bewirkt, wissen wir nicht. Aber nach dem Friedensgebet für Syrien, der Zornesrede bei Amman über die Waffenhändler und nun dieser Initiative glaube ich sagen zu können, dass es keine Show war, sondern Papst Franziskus ein wichtiges Anliegen. Er will das Seine beitragen. In den Worten des Kustos des Heiligen Landes, Pater Pierbattista Pizzaballa: Den Frieden darf man nicht den Politikern überlassen.
Dann gibt es drittens die, die sagen, dass das nicht die Aufgabe des Papstes sei, sondern dass der sich nur um die Kirche zu kümmern habe. So vieles funktioniere innen nicht, da müsse das Äußere warten. Aber wenn ich die Reaktionen in der Kirche und unter Gläubigen auf diese Friedensgebete richtig einschätze, dann tut der Papst genau das. Er gibt dem Glauben und den Gläubigen eine Dynamik. Er zeigt, was glauben und beten erreichen kann, dass man es nicht nur im Kämmerlein tun sollte sondern damit an die Öffentlichkeit gehen. Auch wenn man Gefahr läuft, als Show-Mann oder als Versager kritisiert zu werden.
Persönlich finde ich es schon etwas verwunderlich, dass in einer von Kriegen und Bürgerkriegen und Terror und Waffen geschüttelten Welt eine Initiative für Frieden kritisiert wird. Sie wäre zu kritisieren, wenn sie andere Dinge verhindern würde. Das hat der Papst nicht getan. Im Gegenteil, er hat eine Begegnung ermöglicht, die es sonst nicht gegeben hätte. Und mit dem Beten geht man in eine Perspektive, die man über Kimme und Korn nicht hat.
Glauben hat Folgen für die Welt. Jetzt hoffen wir, dass das Beten auch Folgen hat.
Und all die, die immer noch nörgeln wollen: Dann macht ihr doch mal was!
Donnerstag: Israel baut 1.500 neue Siedlerwohnungen. Mal wieder. Gegen die Warnungen aller Freunde, allen voran die USA. Auf dem Ölberg habe ich solche Siedlungen gesehen, zwischen der lutherischen Augusta-Victoria-Kirche und er Apostolischen Delegation: die Wohnungen sind illegal und werde noch nicht einmal gebraucht, es gibt keine Mieter. Es sind politische Statements. Und sie sprechen die Sprache der Gewalt.
Und dann war da der Brandanschlag auf die Benediktinerabtei Dormitio, direkt nach dem Papstbesuch, direkt neben der Stelle, wo der Papst erst kurz zuvor Messe gefeiert hatte. Die Polizei spielt das herunter.
Und dann waren da die 1.500 gefällten Bäume im „Tent of Nations“ (ein Hügel in palästinensisch-christlichem Besitz, der als Begegnungszentrum genutzt wird), illegal auch nach israelischem Recht, aber die Siedler wollen das Land, also kam die Armee.
Und dann ist da die Mauer, die Israel gegen Palästina errichtet. Das alles ist Sprache der Gewalt.
Ich bin mir sicher, wenn ich arabisch spräche, dann würde ich genau dieselbe Sprache auch auf der anderen Seite des Konfliktes hören. Ich war aber nur in Jerusalem und habe nur die eine Seite gehört. Ich will auch gar nicht Schuld zuweisen, ich will nur auf das Gedröhne der Gewalt hinweisen, das Frieden so lange unmöglich gemacht hat und weiterhin unmöglich macht.
Und dorthinein werden nun Gebete gesprochen. Papst Franziskus, der Präsident Israels Shimon Peres und der Präsident Palästinas Mahmoud Abbas sprechen jeder ein Gebet für den Frieden.
Natürlich ist das nicht der Zauberstab, der von heute auf Morgen alles ändert. Peres geht kurz darauf in Ruhestand, Abbas regiert gemeinsam mit Terroristen, da ist nicht viel zu erwarten.
Aber der Papst macht einen Schritt. Damit macht man sich verwundbar. Der erste Schritt ist immer ein Risiko, er kann wirkungslos bleiben und man wird über diesen merkwürdigen Mann lächeln, der glaube, ausgerechnet mit Beten in dieser Gewalt-Welt etwas erreichen zu können, wo ausgetüftelte diplomatische Manöver nichts erreichen können. Naiv, oder?
Vielleicht. Aber bei meinen Gesprächen in Jerusalem habe ich immer wieder gehört, wie hoffnungslos viele Menschen – Christen wie Juden, Israelis wie Palästinenser – auf diese Sprache der Gewalt blicken. Eingeschüchtert sind und nichts dagegen setzen können. Wenn der Papst etwas erreicht, dann auf jeden Fall, dass der Gewalt nicht das Feld überlassen wird. Es gibt Hoffnung, und Hoffnung hat immer mit Gott zu tun. Das ist das Zeichen, das am Sonntag von Rom aus ausgehen wird.
Das rettet die Welt nicht. Aber es ist ein Schritt. Jemand – der Papst – beugt sich nicht der Sprache der Gewalt, er spricht die Sprache des Betens.
Die einen wollen die Kirche und ihre Strukturen halten, wie sie sind: Die Konservativen. Die anderen sehen die Rettung der Kirche in den Änderungen der Strukturen: Die Progressiven. Tomáš Halík identifiziert sich mit keiner der beiden Denkschulen, er sagt, dass wir Gläubige in die Tiefe gehen müssen. „Die Antworten auf die Fragen der Menschen von heute in den Paraxodien des Lebens“ sind Aufgabe an die Gemeinschaft der Gläubigen, er nennt das „Mit den Suchenden ein Suchender sein“.
Tomáš Halík ist vielen kein Unbekannter, wer sich auf dem Markt umschaut, was in Spiritualität Neues und Kluges gedacht wird, der kommt am vielfach ausgezeichneten Halík nicht vorbei. In diesen Tagen ist er in Rom und ich hatte die Gelegenheit, mit ihm ein Gespräch zu führen.
Halík spricht in seinen Büchern und Vorträgen viel über das Christein als Aufbrechen, als Aufgeben von Privilegien. Gedanken, die parallel zu denen von Papst Franziskus zu verlaufen scheinen. Er – Franziskus – sei ein Zeichen der Hoffnung für die Kirche, aber nicht nur für sie, ein Zeichen der Hoffnung für die Welt, sagt Halík im Gespräch. Zum Beispiel habe er ein Buch geschrieben, das ‚Berühre die Wunden‘ heiße, und besonders die Predigten des Papstes in den vergangenen Wochen enthielten sehr viel Verwandtes.
„Das ist eine Meditation über den ungläubigen Thomas, ein Ergebnis meiner Reise nach Indien. Ich war in Madras, der Legende nach der Martyriumsort des Apostels Thomas, und dort habe ich ein Waisenhaus gesehen, mit armen Kindern, und das war so schrecklich. Aber gerade dort – und das wurde mir in Indien plötzlich klar – da sind die Wunden Christi heute, in diesem Elend. Wir müssen diese Wunden Christi berühren.“
Armut also nicht als Anlass, Gutes zu tun, sondern um Jesus Christus dort zu begegnen, wo er erlöst. „Wenn wir diese Wunden der Welt übersehen, dann haben wir kein Recht, ‚Mein Gott und mein Herr‘ zu sagen.“ Weiterlesen „Tomáš Halík: „Mit den Suchenden ein Suchender sein““
Die Psychologie dahinter ist interessant: Auf einschlägigen Webseiten wird darüber berichtet, wie sich die Piusbruderschaft oder besser ihre Repräsentanten gegenüber Papst Franziskus verhalten. Völlig gespalten, würde ich sagen.
Im Mai soll Bernard Fellay, Leiter der Bruderschaft und illegal geweihter Bischof, einen Vortrag gehalten haben, in dem er behauptete, dem Papst sei Glaube letztendlich gleichgültig. Und über das Verhältnis zur Bruderschaft gesprochen habe Fellay gesagt, „er ist gegen alles, was wir repräsentieren“. Das ist das eine.
Das andere ist, dass die Bruderschaft die Hoffnung nicht aufgibt, doch noch zurück zur Kirche zu kommen. Kleinste und eher zufällige Begegnungen werden zitiert, Ernennungen im Vatikan wie die zurück-Versetzung von Bischof Pozzo in die dafür zuständige Kommission in sehr gewagten Auslegungen präsentiert und so weiter. So habe sich Kardinal Bergoglio einmal für die Bruderschaft in Argentinien eingesetzt, weil er sie für katholisch gehalten habe. Das ist ein Klammern an Strohhalme.
Das Interessante ist aber diese Spaltung. Man will offensichtlich katholisch sein, zur Kirche gehören. Aber man will gleichzeitig nicht das tun, was dazu notwendig wäre. Man lehnt Franziskus ab, wünscht sich aber alles von ihm. Man sieht den Widerspruch zum Eigenen, zieht aber nicht den Schluss daraus. Gleichzeitig Hoffnung und Ablehnung, im selben Atemzug. Wie gesagt, man will etwas, will das dazu notwendige aber nicht tun. Gott soll sozusagen dahin kommen, wo man selber ist.
Wenn man genauer hinschaut, dann hat sich eigentlich nicht viel geändert. Bei all dem medialen Staub, der durch die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Bruderschaft aufgewirbelt wurde, war doch immer klar, dass die Piusbruderschaft Bedingungen erfüllen muss, um wieder voll in der Kirche sein zu können. Und diese Bedingungen sind ausformuliert worden, aber nie anerkannt oder gar umgesetzt worden.
Im Umgang mit Papst Franziskus mag die Spaltung klarer sein als bei dessen Vorgänger, wirklich geändert hat sich aber nichts. Die Bruderschaft will sie selbst sein und gleichzeitig Teil der Kirche sein. Und das geht nicht.
In der Schweiz gibt es Protest gegen ein Papier der Bischofskonferenz, das als Restriktion verstanden wird. Es soll – und dagegen wehren sich Initiativen – noch einmal das Verbot der Interkommunion aussprechen. Interkommunion: Das gemeinsame Feiern von Eucharistie über die Konfessionen hinweg, auch wenn es kein theologisch gleiches Verständnis dessen gibt, was man da feiert.
Das – die Restriktion – sei ein Rückschritt, die Basis sei schon viel weiter, heißt es. Man kann das aber auch andersherum formulieren: Wer nicht glaubt, dass das Eucharistie ist, also Sakrament, der sollte so respektvoll sein und keine „eucharistische Gastfreundschaft“ einfordern.
Mich ärgern zunehmend die Vorwürfe, allein die Katholiken seien „Schuld“ an der andauernden Trennung, weil wir nicht aufzugeben bereit sind, was wir glauben. Ganz ohne Denken und ohne Theologie wird getan, als sei die Zulassung zum Allerheiligsten eine Abstimmungssache und habe mit uns, der Kirche, Jesus und dem, was er uns aufgetragen hat, nichts zu tun. Wenn man als protestantischer Christ eine andere theologische Auffassung hat, dann respektiere ich das. Ich wünsche mir nur gleichzeitig auch den Respekt der anderen Seite.
In der vergangenen Woche hatte ich das Privileg, in diesen Fragen sozusagen die Seiten zu wechseln. In Israel unterwegs hatte ich viel mit griechisch-orthodoxen Christen zu tun, und deren Kirche betrachtet uns – die lateinischen Kirchen, die katholische Kirche – als schismatische Gebetsgemeinschaft, jedenfalls erkennt die orthodoxe Kirche unsere Eheschließung nicht als Sakrament an. Was zur Folge hat, dass gemischtkonfessionelle Ehen in Israel immer orthodox geschlossen werden müssen, damit sie von beiden anerkannt werden. Nun war auf einmal ich in der Position, zu fordern, dass man doch nun endlich anerkennen sollte … Weiterlesen „Eucharistiegemeinschaft“
Geburtskirche, Gethsemani, Coenacolo und natürlich die Grabes- und Auferstehungskirche: Jerusalem ist reich an Orten der Geschichte des Lebens Jesu Christi. Die Tage nach der Papstreise bin ich noch dort geblieben, vor allem habe ich mit vielen Leuten gesprochen, aber natürlich auch die Gelegenheit genutzt, diese Orte zu besuchen (und war einige Tage offline, auch ein zusätzlicher Bonus).
Am Vorabend des Festes Himmelfahrt war ich zum Beispiel auf dem Ölberg, dort wo wir genau diese Himmelfahrt verehren. Die Feier der ersten Vesper an dem Ort, wo es damals geschah, das hat eine geistliche Bedeutung. Bis zum nächsten Tag, denn da war ich zur Messfeier bei den Benediktinern in der Dormitio Abtei und hörte im Evangelium, dass Jesus den Jüngern zur Himmelfahrt voraus gegangen war, nach Galiläa. Nicht auf den Ölberg (Mt 28: 16).
An sich keine unbekannte Tatsache, aber dass an dem Tag noch mal zu hören war schon etwas komisch und machte auch im ersten Augenblick eine kleine Delle in meine weihevolle Stimmung.
Mein Besuch auf dem Ölberg hatte noch einen zweiten Grund: Nicht nur die Auffahrt in den Himmel, sondern auch der Besuch meines Ordensgründers an ebendieser Stelle. Ignatius musste lange bevor er auf die Idee kam, mit anderen zusammen einen Orden zu gründen, das Heilige Land verlassen, weil er vielleicht in geistlicher Hybris alle bekehren wollte und das Gleichgewicht der Religionen dort in Unordnung zu bringen drohte. Damals wie heute: Stabilität geht vor. Die Franziskaner, welche die Verantwortung trugen, warfen ihn hinaus. Weiterlesen „Du heilige Stadt, Jerusalem“