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Kategorie: Rom

Über den Tellerrand hinaus

Veröffentlicht am 10. Februar 20219. Februar 2021
der Verweis auf die Weltkirche Nicht verwechseln: Rom ist nicht gleich Weltkirche

Braucht unsere Kirche nationale Lösungen? In der Debatte um den Synodalen weg gibt es immer wieder den Vorwurf, der Verweis auf die Weltkirche diene als Hindernis, sich Veränderungen oder Entwicklungen zu verschließen. Gerade bei den umfassenderen Fragen wie der nach der Weihe von Frauen oder dem Zölibat mache schon der Hinweis auf die Katholizität der Frage eine Debatte unmöglich. Die Annahme dahinter ist, dass es sehr wohl nationale oder regionale oder kulturell verschiedene Antworten geben könne und müsse, um die anstehenden Reformen angehen zu können.

Diese Gedankenfigur gibt es natürlich auch im Negativ, als Warnung vor einer „deutschen Nationalkirche“ oder dergleichen, die Gegner jeder Debatte gerne lautstark und nicht wirklich differenziert ins Feld führen.

Der Verweis auf die Weltkirche

Mir stößt das irgendwie negativ auf, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Variante. Zehn Jahre lang hatte ich das Privileg, Weltkirche kennen lernen zu dürfen. Bei Papstreisen oder auch bei Besuchen von Vertretern der Kirche in Rom. Das macht mich nicht zu einem Spezialisten für die Weltkirche. Aber es hat mich Geschmack finden lassen am Fragen und an der Neugierde. Es hat neue Horizonte gezeigt und mir beigebracht, das Fragen oft weiter bringen als Antworten. Oder dass man Fragen braucht, Fragen die man vorher vielleicht gar nicht hatte.

Wenn ich von hier aus, von zu Hause aus, auf einen nebulösen Singular „die Weltkirche“ verweise, dann verfehle ich all das. Dann schaffe ich ein künstliches Gegenüber.

Natürlich gilt die Einschränkung, dass wer ‚Weltkirche‘ sagt, nicht nur den Vatikan meinen darf. Auch wenn sich viele dort als autoritative Vertreter der Einheit der Kirche verstehen und so sprechen und handeln, wage ich den Widerspruch: Weltkirche ist mehr als deren römische Leitung. Und gerade deswegen ist es so wichtig, sie nicht als Widerpart zu sehen.

Vatikan ist nicht gleich Weltkirche

Erstens gibt es in unserer Welt keine isolierten Entscheidungen mehr. Alles ist mit allem verbunden, auch wenn wir in COVID-Zeiten die Illusion bekommen, durch nationale Maßnamen das Problem in Grenzen (oder außerhalb derer) halten zu können. Ein „wir-machen-das-aber-so“ in wichtigen Fragen bleibt nicht ohne Folgen.

Zweitens muss es erlaubt sein, Entscheidungen auf die ihr zukommende Ebene zu beschränken. Das muss alles diskutiert werden, aber spätestes bei der Frage der Weihe sollte klar sein, dass die Entscheidungsebene nicht die Ortskirche sein kann.

Drittens sollen wir vom den Anderen lernen. Zu unserem eigenen Vorteil. Jede Glaubenskultur ist immer Wandel. Das sei denen gesagt, die meine, etwas Ewiges in Händen zu halten, das bewahrt werden muss. Das sei aber auch denen gesagt, die meinen, ihre eigene Glaubenskultur sei der Referenzpunkt. Auch die ist Wandel. 

Kultur ist immer Wandel

„Eine Kultur, die sich nicht länger verändert, ist tot“, formuliert der von mir geschätzte französische Autor Francois Jullien. Transformation sei Ursprung und Motor des Kulturellen, Fixierungen seien ihr fremd. Beim Papst heißt das „Sakralisierung der eigenen Kultur“, mit dem Resultat eines Fanatismus, der wirkliche Verkündigung unmöglich mache (Evangelii Gaudium 117). Anders gesagt: Weltkirchliche Erfahrungen und Begegnungen können helfen, dass ich über den eigenen Horizont hinaus zu blicken lerne.

Macht das die eigenen Erfahrungen von Kirche ungültig? Mitnichten. Gerade im Synodalen Weg werden viele gravierende Fragen zu Kirche und Glauben aufgeworfen, die kommen ja nicht aus dem Nichts. Die haben ihren Sinn und dürfen nicht mit einem falschen Hinweis auf Weltkirche vom  Tisch gewischt werden. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es gerade die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden, den anderen Erfahrungen von Kirche und Glauben sind, die unser eigenes Glaubenserleben und unsere Kirchlichkeit weiten. 

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter katholische Kirche, Perspektive, Rom, synodaler Weg, Vatikan, Weltkirche6 Kommentare zu Über den Tellerrand hinaus

Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

Veröffentlicht am 10. Januar 2021
Zwei Päpste Vorgänger und Nachfolger: Foto vom 5. Juli 2013. Quelle: Wikimedia Commons

Franziskus ist nun länger Papst als es sein Vorgänger Benedikt war. An diesem Wochenende „überholt“ er seinen Vorgänger, was die Länge der Regierungszeit angeht. Der gleiche Zeitraum, aber trotzdem zwei Pontifikate voller Unterschiede. Aber auch voller Kontinuität. Zwei Päpste, die das Amt geprägt haben und prägen, beide bis heute.

Für das Domradio habe ich mir die beiden Pontifikate einmal vergleichend vorgenommen. Das möchte ich hier nicht wiederholen, aber drei Punkte dann doch zur Diskussion stellen.

Zwei Päpste

Erstens sind da die Kontinuitäten, etwa in der fortgesetzten Abkehr vom monarchisch-sakralen. Auch wenn es hier bei Benedikt XVI. immer mal wieder geruckelt hat, etwa in liturgischer Kleidung oder Inszenierung, und auch wenn Franziskus hier unzweifelhaft viel stärker aufs Gaspedal drückt, bleibt es eine Kontinuitätslinie, die bereits weit vor Benedikt beginnt.

Kontinuitäten gibt es aber auch im Negativen, etwa in den Dauerskandalen. Schon Benedikt war eigentlich gewählt worden, um den dysfunktionalen Vatikan in de Griff zu bekommen. Piusbrüder, Vatileaks und andere Skandale blieben ihm aber nicht erspart. Unter Franziskus ist das noch eimal schlimmer geworden, was sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht ist.

Vatileaks und Finanzskandale

Schlecht, weil für alle sichtbar ist, wie dilettantisch mit Geld umgegangen wurde. Gut, weil das nicht mehr unter dem Teppich bleibt. Aber auch bei Franziskus wird deutlich, dass er das nicht in den Griff bekommt. Seine Reformen bleiben unübersichtlich und im Monatsrhythmus kommen neue Geschichten ans Licht. Dass von der groß angekündigten Vatikan-Reform so gar nichts zu sehen ist, ist nach sieben Jahren schon enttäuschend. Auch das ist – leider – Kontinuität.

Zweitens sind da die „points of no return“, die Papst Franziskus gesetzt hat. Entscheidungen über die Art und Weise, Papst zu sein, hinter die keiner seiner Nachfolger wieder zurück kann. Während Benedikt XVI. sich in allem bis hin zu Hermelin und Brokat bemüht hat, Tradition zu inszenieren, liegt Franziskus die gelungene symbolische Kommunikation am Herzen. Sicherlich selber kein Revolutionär will er aber die Symbole nicht übermächtig werden lassen, sie sollen dem Amt und der Botschaft dienen. Das Amt soll und darf sich der Macht der Symbole beugen.

Das Papstamt wird nie mehr sein wie vorher

Roter Schulterumhang, rote Schuhe, all das gehört der Vergangenheit an. Was Benedikt in einem einzelnen Akt – seinem Rücktritt – an Prägung geschafft hat, da machte und macht Franziskus fast täglich weiter. Das Papstamt wird nach Franziskus nie mehr das sein, was es davor hat sein wollen.

Drittens möchte ich aber noch einmal auf das eingehen, was beide in ihrer Unterschiedlchkeit verbindet: es gibt kein Papstamt jenseits der Persönlichkeit des Inhabers. Der eher schüchterne Theologe und sein Amtsverzicht genauso wie der alles umarmende Kommunikator „sind“ Papst, sie haben das Amt nicht inne, sie sind das Amt. Nur so konnte überhaupt der Rücktritt seine Kraft entfalten.

Person und Amt verschmelzen

Nun haben wir aber in den vergangenen Jahrzehnten lernen müssen, was für Gefahren in der charismatischen Verankerung von Autorität und Macht liegen. Keiner der beiden Päpste, weder Franziskus noch Benedikt, haben dem etwas entgegen gesetzt. Wenn überhaupt, dann war Benedikt eher noch Diener des Amtes als Franziskus, dessen Persönlichkeit wie die von Papst Johannes Paul II. vollständig mit dem Amt verschmilzt.

Das wird so nicht mehr sehr lange gut gehen können. Die Aufgabe, die Weltkirche zusammen zu halten übersteigt schon jetzt die Kraft dieses Papstes. Ein neu aufgestellter und reformierter Vatikan könnte helfen, eine neue Rolle von Synoden auch, da gibt es viele Möglichkeiten. Aber je vielgestaltiger und vielstimmiger die katholische Weltkirche wird, um so weniger wird die Authentizität und das Charisma eines Einzelnen ausreichen, hier Einheit zu garantieren.

Hier wird sich ein Nachfolger – wann auch immer und wer auch immer – mindestens so stark von Franziskus absetzen müssen wie Franziskus von Benedikt.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, VatikanSchlagwörter Amtszeit, Papst Benedikt, Papst Franiskus, Papstamt, Rücktritt, Vatikan9 Kommentare zu Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Veröffentlicht am 18. Dezember 202017. Dezember 2020
Reform der Kurie Eingang zum Apostolischen Palast: Was hinter diesen Türen vorgeht, bleibt immer noch verborgen

Eine Liste von vatikanischen Krankheiten wird es nicht noch einmal werden. Auch die Tugend-Liste gab es schon. Was wird Papst Franziskus zur Reform der Kurie in diesem Jahr zu sagen haben?

Am kommenden Montag ist es wieder soweit: der Papst wird die Spitzen seiner Kurie – also seiner Verwaltung – zum Weihnachtsfest empfangen und seine Jahresansparache halten. Gelegenheit für Grundsätzliches, das war schon in den vergangenen Jahren so.

Reform der Kurie

Das Grundthema war immer schon die „Reform“ der Kurie, was auch immer genau das heißen mag. Immer wieder hat der Papst angekündigt, diese dem künftigen Papst von den Kardinälen vor der Wahl aufgegebene Reform zügig umzusetzen. Und doch lesen wir immer und immer wieder von neuen Skandalen, vor allem aber nicht nur finanziellen. Das zeigt zum einen, wie wichtig diese Reform ist. Das zeigt zum anderen aber auch, wie wenig diese bisher voran gekommen ist.

Aber seinen wir ehrlich: vieles von dem, was wir als Skandal wahrnehmen, ist Heilungsschmerz. Es gibt Aufräumarbeiten in Sachen Finanzen, Dinge werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern sie kommen ans Licht. Das ist erst einmal etwas Gutes.

Nach sieben Jahren Papst Franziskus

Aber dass es nach fast sieben Jahren Franziskus immer noch so viele Baustellen gibt, das verwundert schon.

Angefangen hatte Papst Franziskus sehr geistlich, sehr grundsätzlich, und sehr scharf: Die berühmten und heute schon fast vergessenen „15 Krankheiten der Seele“. Danach wurde er realistischer, aber auch dann noch stand der Zentralbegriff seines Verständnisses von Reform im Zentrum: der Bekehrung.

Das ist das eine. Aber er ist eben als Papst auch verantwortlich für die Umsetzung und die strukturelle Absicherung der Reformschritte. Seit Jahren tagt der Kardinalsrat, um eine neue „Vatikan-Verfassung“ zu erarbeiten, einmal gab es schon eine Fassung, fertig um an die Bischöfe der Welt verschickt zu werden. Aber seitdem: Schweigen.

Seitdem: Schweigen

Ab und zu wird es laut hinter den Mauern, ab und zu kommen gute Nachrichten über eine Neubesetzung oder die Neueinrichtung dieser oder jener Stelle. Auch hat es in diesem Jahr neue Vorschriften zur Vergabe von Aufträgen gegeben, was kluge Beobachter für den radikalsten der Schritte in der Unkultur der Arbeit dort sehen.

Aber Beobachtern fällt auch auf, dass einige Stellen eben nich neu besetzt wurden, die des Finanz-Revisors etwa dauerte ein ganzes Jahr. Oder auch die Nachfolge für Kardinal Pell, der ein Jahr vor Gericht stand und dessen Posten in Rom unbesetzt blieb. Man wird von außen den Eindruck nicht los, dass das mit der Reform wenn es praktisch wird dann doch nicht so einfach ist. Oder gewollt.

Viele kleine Schritte hat der Papst getan, etwa bei der Besetzung von Stellen. Darauf weist er in seinem Buch hin, da geht es etwa um den Frauenanteil und darum, Fachleute in Kontrollgremien zu holen. Aber die Kurie präsentiert sich nicht in einem Zustand, dass kleine Schritte reichen.

Kleine Schritte reichen nicht

Priester seien wie Flugzeuge, hatte der Papst in seiner Weihnachtsansprache 2014 gesagt: sie fallen nur auf, wenn sie abstürzen. Da ist was dran, auf die guten Seiten schauen wir zu wenig. Aber als Entschuldigung reicht das nicht mehr.

Es gibt Reformbemühungen in der Kirche, sehr viele. Es wäre zum Beispiel hilfreich, diese konstruktiv zu begleiten und nicht durch sehr allgemein gehaltene Kritik von oben zu schwächen. Und das schon gar nicht, wenn die eigene institutionelle Glaubwürdigkeit immer wieder neu in Frage gestellt wird.

Wenn die Institution Kirche nicht ihrem Sinn – des Lebens und der Verkündigung des Glaubens – im Wege stehen soll, dann muss sie sich entwickeln. Dann muss sie reformiert werden. Das ist eine Aufgabe für Bekehrung. Aber auch eine für die Verantwortung der Autoritäten in der Kirche. Und besonders im Vatikan. Es wird Zeit. Nicht nur zu Weihnachten.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Rom, VatikanSchlagwörter Geld, Korruption, Kurie, Papst Franziskus, Reform, Vatikan, Weihnachtsansprache20 Kommentare zu Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Veröffentlicht am 4. Dezember 20204. Dezember 2020
Träumen ist keine Phantasterei Ein sehr persönlicher Papst

Es geht um etwas, was uns übersteigt. Was größer ist. Wohin wir nur kommen, wenn wir uns zu träumen erlauben. Träumen ist keine Phantasterei, träumen bedeutet hinaufreichen, über den Horizont blicken, sich nicht von vermeintlichen Mauern einschränken zu lassen.

So etwas braucht es heute. Und deswegen hat Papst Franziskus ein Buch darüber geschrieben. Heute kommt es auf den Markt: „Wage zu Träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.” Es ist kein Ratgeber-Buch, kein seichter Ermutiger. Es ist ein Projekt, das Großes will.

Träumen ist keine Phantasterei

Das Träumen war immer schon wichtig für diesen Papst. „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln…“ schreibt er in Evangelii Gaudium (27). Traum ist ein Schritt zur Veränderung, zum Wandel. Traum ermöglicht. In den Augen des Papstes selbst da, wo wir das gar nicht mehr sehen. Deswegen ruft er zum Beispiel Obdachlosen zu „Hört nicht auf zu träumen!“ Das Träumen, von dem der Papst spricht, ist kein Rückzug. Kein in sich Kehren, keine Innerlichkeit. Es will zu konkretem Handeln führen.

Dieses Buch will träumen. Was aus diesem Papst aber keinen Traumtänzer macht, im Gegenteil. Träumen ist nicht etwa eine Abkehr vom Realismus. Es braucht einen geschärften und ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit, um träumen zu können. Und träumerisch-realistisch war auch schon die jüngste Enzyklika. Und so kommt auch der ins Buch. Manchmal holzschnittartig, immer aufrüttelnd, oft sehr persönlich.

Ein sehr persönliches Buch

Wie gesagt, es ist ein sehr persönliches Buch geworden, vielleicht das Persönlichste. Der Papst erzählt von eigenen Krisen, von Rückschlägen und seiner Krankheit und berichtet auch vom Frust, den er damals in Deutschland erlebt hat. Aber er berichtet auch von dem, was er etwa im Studium von Romano Guardini gelernt hat. Über den wollte er ja promovieren, woraus nichts wurde. Aber geprägt hat Guardini den Papst sehr: „Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst.“

An dieser Stelle werde ich sicherlich noch auf das Buch zurück kommen, zuerst aber vielleicht zwei Dinge. Erstens: es lohnt die Lektüre!

Aufbau gegen Widerstände

Und zweitens möchte ich einen Aufruf des Papstes heraus nehmen, den ich für bezeichnend halte: das Nehemia-Projekt. Der Papst spricht über den Propheten und das alttestamentliche Buch gleichen Namens, in dem es um den Wiederaufbau Jerusalems nach der Katastrophe geht. Um Aufbau auch gegen Widerstände von außen. Und um die Freude, die Stärke schenkt. Das ist das, was ihn an Nehemia beschäftigt und wo er Berührungspunkte zu seinem eigenen Traum-Wagnis sieht. Und so schreibt er:

„Jetzt ist der Augenblick für ein neues Nehemia-Projekt gekommen, einen neuen Humanismus, der die Aufbrüche von Geschwisterlichkeit nutzbar machen und der der Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen ein Ende setzen kann. Wir müssen wieder das Gefühl haben, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für andere haben“.

Und damit wären wir auch beim Anlass des Buches: wie kommen wir aus der Corona-Krise heraus? Was wollen wir danach aufbauen? Wie unsere Welt, in der so viel zusammen gebrochen sein wird, neu gestalten? Dass Papst Franziskus mit der Art und Weise, wir wir unsere Welt vor allem wirtschaftlich geordnet haben, nicht einverstanden ist, ist kein Geheimnis. Auch aus religiösen Gründen nicht. Aber während der Papst in der Vergangenheit eher allgemein gesprochen hatte, ist es nun eine sehr konkrete und weltweite Krise, für die er eine Perspektive entwickelt.

Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist, das ist das Mantra des Buchs. Und deswegen: „Wir brauchen die Fähigkeit der stillen Reflexion, Rückzugsorte von der Tyrannei des Dringenden.“ Wir brauchen die Fähigkeit zu träumen.

Was will der Papst mit seinem Buch?

Was will der Papst mit seinem Buch? Zunächst einmal nimmt er eine von ihm gewohnte Perspektive ein: Man sieht die Realität besser von ihren Schwachstellen aus, von der Peripherie. Das wird in der Krise besonders sichtbar. Nicht die Stärken bestimmen seinen Blick auf die Welt, sondern eben diese Schwächen.

Mit diesem Blick schaut er auf Covid, aber daneben zählt er auch die anderen Schwächen und Krisen der Welt auf, die im Augenblick in den Hintergrund gerückt sind, etwa fehlende Schulbildung für viele Kinder oder den Hunger. Seine Angst ist, dass wir alle hart daran arbeiten, den Zustand von vor der Krise wieder her zu stellen. Seine Angst ist es auch, dass das, was in der Krise sichtbar geworden ist, nachher wieder zugedeckt wird. Und so einsichtig das ist für Menschen, deren Existenz jetzt bedroht ist, so war das System von davor doch Teil des Problems. Deswegen sein Mantra: Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist. Es ist an uns, das zu gestalten.

Das Mantra des Papstes

Und genau darum geht es in dem Buch: gestalten. Die Gleichgültigkeit und das sich nicht zum Nachbarn und Schöpfung kümmern, das seien keine Optionen mehr. Leider sei unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Welt genau darauf aufgebaut. Und geschützt werde das von einer inneren Haltung, der – wie er es nennt – „abgeschlossenen Geisteshaltung“, der er eine großen Teil des Buches widmet. Es ist eben keine abstrakte Kritik am „System“, sondern konkret, für jede und jeden handhabbar. Wir können auf uns selber schauen, wenn es um die Überwindung der Krise geht. Und das ist sein Anliegen.

Nicht „man müsste mal“, sondern ganz praktische schauen auf sich selbst und die eigene Haltung und das eigene Herauskommen aus der Krise. Natürlich hat der Papst auch wieder Wirtschaftskritik im Gepäck, das Wachstums-Prinzip sei nicht länger haltbar. Er argumentiert auch für ein Gundeinkommen und hat andere konkrete Ideen. Aber der Kern ist dann doch das, was wir geistlich als „Umkehr“ bezeichnen.

Der „Feind der menschlichen Natur“

So ist der spannendste Teil des Buchs eben die spirituelle Anleitung. Er spricht vom „Feind der menschlichen Natur“, also von dem, was uns von uns selbst, vom Nächsten und von Gott entfernt und letztlich destruktiv ist. Er macht sichtbar, wie dieser „Feind“ agiert und unser Leben beeinflusst. Er bedient sich durchweg einer spirituellen Sprache, welche die Worte Versuchung, böser Geist, Geisteshaltung und Demut kennt.

Der Schlussakkord: Wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir die Idee zurück gewinnen, dass wir als Volk ein gemeinsames Ziel haben. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.

Das Ziel Gemeinwohl, das Ziel „träumen”

Gemeinwohl ist das Ziel, ausgedrückt in dem in unserer Sprache vielleicht etwas sperrig klingenden Wort „Volk“. Gemeinwohl ist viel mehr als die Summe des Wohls der Einzelnen. Und das ist ja aktuell, wie der Impfstoff-Nationalismus dieser Tage sehr deutlich zeigt.

„Indem wir diese Fragen stellen, öffnen wir uns für das Handeln des Geistes. Wir können beginnen zu unterscheiden, neue Möglichkeiten sehen, wenigstens in den kleinen Dingen um uns herum oder in den alltäglichen Dingen, die wir tun. Und indem wir uns diesen kleinen Dinge überlassen, beginnen wir, uns eine neue Weise des gemeinsamen Lebens vorzustellen, des Dienstes an unseren geliebten Mitgeschöpfen. Wir können anfangen, zu träumen.“

Was den Papst interessiert, sind nicht einzelne Rezepte, sondern der Prozess des Wandels. Es geht ihm religiös gesprochen um die Dynamik der Bekehrung. Um ein „Pilgern“, ein sich bewegen, ein nicht da stehen bleiben, wo man es vermeintlich behaglich eingerichtet hat und wohin man zurück will. Das geht aber nicht mehr,

Denn noch einmal: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Wir kommen nicht aus der Krise heraus, wie wir hinein gegangen sind. Es ist an uns, das zu gestalten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Aufbau, Buch, Corona, Covid, Gesellschaft, Krise, Papst Franziskus, Politik, War zu Träumen6 Kommentare zu Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Veröffentlicht am 1. Dezember 20201. Dezember 2020
Der Welt geht es nicht gut Ein Buch, frisch aus Rom

Rassismus und Ausgrenzung. Die Missbrauchskrise. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik. Eine zerstörerische Form der Wirtschaft. Und natürlich allem voran die weltweite Corona-Krise: Der Welt geht es gerade nicht besonders gut. Papst Franziskus äußert immer wieder dazu, nun aber ausführlich und konkret an der Corona-Krise aufgehängt. Und er tut es  ausdrücklich aus einer geistlichen Perspektive. (Nebenbemerkung: die muss man nach den medialen Verarbeitungen der Vergangenheit allerdings erst gegen Widerstände entdecken. Aber das lohnt sich).

Es ist ein ganzes Buch geworden, entstanden aus Gesprächen und Austausch mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh. Die erste Version des Buches, die Originalsprache Englisch, ist seit heute auf dem Markt. Eine deutsche Übersetzung folgt am 4. Dezember. Und dann schreibe ich hier auch mehr zum Inhalt. Aber etwas schon mal vorweg:

Der Welt geht es nicht gut

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Dieses Papst-Zitat steht über dem nun veröffentlichten Buch, und es gibt sehr gut die Zielrichtung wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst sich dazu äußert, nun tut er es aber ausführlich und darüber hinaus leidenschaftlich und sehr persönlich.

Zur Transparenz ein persönliche Bemerkung: In den vergangenen Monaten konnte ich nicht nur das Buch schon lesen, sondern ich war auch an seiner Übersetzung beteiligt. Spannend, auch weil der Papst selbst bis zuletzt sehr aktiv bei der Erstellung beteiligt war.

Ein sehr persönliches Buch

Und auch wenn es ein Papstbuch ist, der Helfer beim Zustandekommen war der Papstbiograph Austen Ivereigh. Und dem habe ich zum Erscheinen einige Fragen gestellt:

Hagenkord: Austen, du hast das Projekt begonnen und ausführlich mit dem Papst an diesem Thema gearbeitet, was sagt Franziskus, das andere noch nicht gesagt haben?

Austen Ivereigh: Dies ist das erste Buch eines Papstes als Antwort auf eine globale Krise, ein Buch, das uns geistliche Orientierung inmitten einer Krise bietet. Natürlich hat er das schon seit dem berühmten Urbi et Orbi vom 27. März dieses Jahres an getan, aber hier tut er dies in einer konzentrierten, intimen, direkten Weise. Er spricht sozusagen zu jedem von uns als Individuen und zu uns allen als Gemeinschaft.

Das große Thema des Buches ist, wie wir vermeiden können, die Chance dieser Krise zu verpassen, indem wir Gott in die Geschichte – in unsere Geschichte – hineinlassen und den Versuchungen und Hindernissen ausweichen, die dazu führen, dass wir diese Chance verpassen. Es ist so etwas wie eine ausführliche Meditation zum Hölderlin-Zitat aus dem Prolog des Buches: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“.

Ich glaube nicht, dass dies jemals zuvor getan wurde. Und obwohl das der Schwerpunkt ist, erstreckt sich das Buch weit über viele Themen, die er als Papst noch nie zuvor, zumindest nicht auf diese Weise, angesprochen hat. Von diesen Themen möchte ich sein Verständnis von Leitung durch Frauen als Zeichen der Zeit erwähnen; außerdem seine Meditation über die „abgeschottete Geisteshaltung“ als eine Form der Abwendung von der Sendung der Kirche – die Versuchung von Eliten und kleinen Gruppen von Puristen, sei es auf der linken oder rechten Seite der Kirche; ich möchte nennen seine Sichtweise auf die Unterscheidungsprozesse während der Bischofssynoden seines Pontifikats; und schließlich die These in Teil III des Buches, dass unsere vielfältigen Krisen ihren Ursprung im Verlust des Sinns für die Würde des Volkes haben und wie wir die Wiederherstellung dieser Würde zum zentralen, übergeordneten Prinzip unserer post-Covidischen Welt machen müssen. All dies ist neu. 

Hagenkord: Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst über unseren Weg aus der Krise spricht, es gibt sogar ein kleines Buch mit seinen Texten. Was macht diesen neuen Text besonders?

Ivereigh: Was ‚Let Us Dream‘ als Text einzigartig macht, ist, dass er die Frucht der vielen Gespräche ist, die Franziskus und ich im Laufe des Sommers geführt haben, aber dass er nicht als Interview, sondern als Narrativ geschrieben ist. Es ist in drei Teile gegliedert: „Eine Zeit zum Sehen”, „Eine Zeit zum Wählen” und „Eine Zeit zum Handeln“.

Jeder Abschnitt fühlt sich sehr unterschiedlich an, aber jeder ist ein wichtiger Teil eines Prozesses der Umkehr: Lernen, die Wirklichkeit zu betrachten und von dem, was wir sehen, berührt zu werden; lernen, zu unterscheiden, was von Gott ist und was Gott ablenkt oder untergräbt; und mutig im Einvernehmen mit dem Guten Geist handeln, um eine neue Zukunft herbeizuführen: eine Wirtschaft, die sich um die Armen kümmert, Zugang zu Arbeit ermöglicht und der Natur Raum gibt; eine Politik, die den Menschen nicht nur eine Stimme, sondern einen Platz am Tisch gibt; und eine Gesellschaft, die die Geschwisterlichikeit widerspiegelt, anstatt sie zu untergraben.

Auch wenn ich die Fragen gestellt und die ersten Entwürfe gemacht habe, habe ich eigentlich nur das Gerüst bereitgestellt, an dem er seine Einsichten und Anleitungen aufhängen konnte. Auch die Tatsache, dass es sowohl in Englisch als auch in Spanisch verfasst wurde – wir haben zwei Originaltexte erstellt, von denen die anderen Übersetzungen, einschließlich der deutschen, angefertigt wurden – war ein weiteres Novum in der Geschichte solcher Bücher. Es gab bereits erste Reaktionen dazu, wie natürlich Franziskus auf Englisch klingt. Ich scherzte mit ihm, dass er in ‚Let Us Dream‘ der am natürlichsten englisch klingende Nachfolger des heiligen Petrus seit Adrian IV. im zwölften Jahrhundert ist, der einzige englische Papst überhaupt! Das gefiel ihm, glaube ich. 

Hagenkord: Glaubst du, dass Franziskus eine Chance hat, mit diesen Themen gehört zu werden?

Ivereigh: Er wird bereits gehört. Teile des Buches wurden zusammen für einen großen „Op Ed” in der New York Times letzte Woche verwendet, der einen großen Eindruck hinterließ. Es wurde in La Repubblica in Italien, ABC in Spanien und The Times hier im Vereinigten Königreich auszugsweise veröffentlicht. Und es hat wegen seiner akuten Beobachtungen über die Krise, über Frauen, über die Verfolgung der Uiguren (die eine verärgerte Reaktion der chinesischen Regierung auslöste) eine weltweite Berichterstattung ausgelöst – also ja, er wird gehört.

Und all das, bevor das Buch tatsächlich herauskommt und gelesen wird. Meine Hoffnung für ‚Let Us Dream‘ ist, dass sich die Menschen jenseits der Schlagzeilen und der aufmerksamkeitsstarken Dinge darin, die verblassen werden, mit der spirituellen Weisheit und Leitung im Herzen des Buchs beschäftigen. 

Hagenkord: Der Papst will unsere Meinung oder unsere Denkweise ändern. War er bei seinem ersten Leser, also bei dir, erfolgreich?

Ivereigh: Auf Englisch sprechen wir von „preaching to the choir”, und in meinem Fall gebe ich gerne zu, dass ich nicht nur sein Biograf, sondern auch ein Schüler bin. Mein Denken und meine Denkweise haben sich durch Franziskus in den letzten sieben Jahren grundlegend verändert.

Du könntest also erwarten, dass ich von meiner Einstellung nicht viel ändern musste, während ich mit ihm an ‚Let Us Dream‘ arbeite. Und doch hat es mich verändert.

Ich stelle mir die Frage, ob ich mich während dieser wiederholten Lockdowns hinter meine Rollen und Funktionen zurückziehe oder ob ich, wie Franziskus drängt, hinausgehe, um zu dienen. Ich denke viel über seine Herausforderung an uns nach, diese Gelegenheit zum Wandel nicht ungenutzt verstreichen zu lassen; ich höre den Nachrichten zu und frage mich: Warten wir nur darauf, zum Status quo ante zurückzukehren? Die Antwort darauf lautet größtenteils ja.

Und doch verfolgt mich das, was der Papst uns sagt: dass wir nicht zurückgehen können, dass man in einer Krise wie dieser entweder besser oder schlechter wegkommt, aber nicht mehr derselbe sein wird. Ich denke also, die Herausforderung des Buches ist, wenn überhaupt, größer denn je. 

Und ich glaube, dass es die Menschen verändern wird, so wie mich.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Austen Ivereigh, Corona, Ivereigh, Krise, Papst Franziskus, Wirtschaft2 Kommentare zu „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

Veröffentlicht am 24. November 202023. November 2020
Papstbuch zu Corona Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand? Die italienische Zeitung La Repubblica vom Montag

Krisen lösen etwas aus. Und wenn wir aufmerksam sind, dann können wir aus ihnen etwas lernen. So in etwa die Kurzversion von den ersten Gedanken aus dem kommende Woche erscheinenden Papstbuch zu Corona. Gestern – Montag – gab es einen ersten Vorabdruck in der italienischen Tageszeitung La Repubblica.

Die Aufmachung ist schon mal dramatisch: „Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand?“ titelt die Zeitung. Und auch wenn es nicht wirklich der Zielrichtung des Buches entspricht sondern eher dem Verkaufswillen der Herausgeber, so macht das doch eines klar: es geht um viel.

Papstbuch zu Corona

Franziskus berichtet sehr persönlich über eigene Krisen, über die Krankheit seiner Jugend zum Beispiel. Aber auch über die Entwurzelung, die er in Deutschland erlebt hat. Alles Krisen, die ihn haben nachdenken lassen. Und das sei bei Covid genauso. Die Krise kann uns zum Beobachten und Nachdenken bringen. Dazu will das Papstbuch jedenfalls anregen, dazu mehr, wenn es auf dem Markt ist. Wen das jetzt schon interessiert, können Sie hier schon mehr lesen.

Aber ohne dem Papst zu nahe zu treten: wir können uns unsere eigenen Gedanken machen. Die Debatten der ersten Welle zu Gottesdiensten und Seelsorge etwa können wir nun mit unserer Erfahrung noch einmal führen, in Österreich noch dringender als in Deutschland. Drei Punkte möchte ich nennen, die wir da wichtig erscheinen.

Nicht kritiklos

Erstens: Verantwortlichkeit, aber nicht kritiklos. Die meisten Christinnen und Christen handeln verantwortlich, auch was Gottesdienste und etwa Besuche im Krankenhaus angeht. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit Kritiklosigkeit. Demokratisch geführte Debatten sind zunehmend wichtig. Ein Beispiel: Der Theologe Jan Heiner Tück kritisiert die Entscheidung der Bischöfe Österreichs, das Aussetzen von Gottesdiensten mitzumachen. Das hebelt die Verantwortlichkeit nicht aus, belebt aber die Debatte.

Zweitens: aus der ersten Welle lernen. Wir haben im Sommer emotional wohl die falschen Schlüsse gezogen: es sei vorbei. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Mein Kopf war auf eine zweite Welle vorbereitet, aber innerlich gab es da doch die Haltung, dass das jetzt doch wohl vorbei sei. War es aber nicht. Vor allem was die Notwendigkeit sozialer Kontakte angeht, haben wir lernen können. Alte Menschen, Alleinerziehende, Kinder, das kann man nicht einfach abschalten. Auch der Primat der Wirtschaft gilt nicht mehr so unausgesprochen selbststündlich, so hart das für die Betroffenen auch ist.

Drittens: über den Tellerrand hinaus blicken. Hier finde ich wird es spannend. Auch wenn jetzt alle mächtigen Länder davon sprechen, den entwickelten und produzierten Impfstoff gerecht zu verteilen – mit der selbstverständlichen Ausnahme von Präsident Trump – wird sich in der Praxis zeigen, ob unsere Gesellschaften dazu wirklich den Mumm haben. Und ob wir dazu wirklich groß genug denken und fühlen.

Über den Tellerrand hinaus

Vor allem Letzteres wird dem Papst wichtig sein. Man muss nicht in die Glaskugel schauen um zu wissen, was Franziskus besonders am Herzen liegt. Und das sieht er auch in der von Corona verursachten Krise. Es benutzt die Krise nicht für seine Themen, aber er sieht in der Krise Anzeichen, dass wir ein Umdenken brauchen. In der Wirtschaft. In der Gesellschaft. Zwischen uns. In uns.

Seien wir gespannt auf die Lektüre.

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»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Veröffentlicht am 19. November 202018. November 2020
Die Opfer stören Keine Angst haben davor, was das vielleicht mt der Kirche macht.

„Die Opfer stören.“ Es ist ein Satz von vielen aus einem Kommentar von vielen zu den jüngsten Berichten vom Umgang mit Missbrauch: Aachen, Köln, McCarrick. „Die Opfer stören“, dieser Satz beschreibt eine Unruhe, die immer noch, auch nach all den Jahren, die Debatte um Missbrauch und den Umgang damit bezeichnet: auch jetzt noch geht es zu sehr um Täter, um System, um Ruhe.

Vor einigen Jahren habe ich mal davor gewarnt, dass Kirche sich nicht „in die Prävention“ flüchten darf. Die Aufarbeitung darf nicht zu kurz kommen, und dazu muss man, müssen wir zuhören. Auch und weil es stört. Das Gleiche gilt nun von den Berichten und Studien: wir müssen weiter die Haltung des Hörens üben. Üben, weil wir das offensichtlich noch nicht können.

Die Opfer stören

Vorsicht, das Ganze darf nun aber nicht – schon wieder – im Appell verhallen. Hören hat Folgen, das wissen wir mindestens aus der Bibel. Und denen zuhören, die von Macht und deren Missbrauch in der Kirche erzählen, muss für uns Folgen haben. Appelle reichen also nicht, ohne Konsequenzen wird das hohl.

„»Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit« (1 Kor 12,26). Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben.“ Bei diesen Worten von Papst Franziskus frage ich mich unwillkürlich, ob das stimmt. Leiden wir mit? Nicht in dem Sinn, dass wir nun die Opfer und Überlebenden bevormunden, weil wir anderen ja auch leiden. Aber in dem Sinn, dass eben auch wir beteiligt sind. Jeder und jede von uns in der Kirche.

Dröhnende Ideologien

„Die Wunden „verjähren nie“.”, so der Papst weiter. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“ Mit Entsetzen habe ich deswegen die vielen Kommentare hier im Blog gelesen, die meinen, die Verbrechen ideologisch umdeuten zu müssen. Sie haben die Kommentare nicht gelesen, weil ich es als meine Aufgabe als Moderator betrachte, die Lautstärke dieser Stimmen herunter zu regeln. Die überdröhnt die Stimme der Opfer oder Überlebenden, oder versucht es zumindest. Zum Schweigen bringen, wie der Papst sagt.

Das Hören ist für uns als Glaubensgemeinschaft wesentlich: wir sind nicht alleine Christinnen und Christen, und wir werden auch nicht alleine erlöst. „Gott wollte in eine soziale Dynamik eintreten“, sagt der Papst, wir gehören dazu. Nicht hören zu wollen oder die Verantwortung an einige wenige zu delegieren, ist nicht zuletzt auch religiös und theologisch falsch.

Keine geistliche Verharmlosung

Der Papst empfiehlt deswegen auch genuin religiöse Rezepte: Buße und Gebet. Nicht, um die Debatte ins Fromme zu verlegen, nicht um das Ganze geistlich zu verharmlosen. Sondern weil „Buße und das Gebet helfen, unsere Augen und unser Herz für das Leiden der anderen zu schärfen und die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen, die so oft die Wurzel dieser Übel sind.“ Herrschen und Besitzen, also die Kontrolle haben, das wird uns genommen, wenn wir im Geist der Buße und des Gebets hören.

Ärger, Wut und Frust über die Täter, das Vertuschung-System, über Päpste und Bischöfe, über den Klerikalismus und all das andere sind wichtig und haben ihren Ort. Aber weiter vorne muss das Hören stehen, das Hören auf die die stören. Weil nur von dort her die Perspektive stimmt.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, RomSchlagwörter Bistum Aachen, Erzbistum Köln, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Vatikan13 Kommentare zu »Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit«

Autorität geht anders

Veröffentlicht am 26. September 202026. September 2020
Souverän war das nicht Der Vatikan, immer wieder Fokus vom Problemen, die die ganze Kirche hat

Souverän ist anders: völlig aus blauem Himmel kam die Nachricht, dass ein italienischer Kurienmitarbeiter und über Jahre enger Mitarbeiter zweier Päpste seinen Kardinalshut verliert. Angelo Becciù erzählte danach, wie er nichts ahnend auf einmal seine Position in der Kirche verloren habe.

Es ist nicht das erstes Mal, dass Papst Franziskus so reagiert. Die Ablösung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller war für diesen ebenfalls eine Überraschung. Und da in Personalentscheidungen keine Begründungen gegeben werden, bleiben Spekulationen. Souverän war das nicht, in beiden Fällen.

Souverän war das nicht

Und was ist mit den anderen?, mag man fragen. Da sind ja einige, über denen die schwarze Wolke einer Anklage hing. Kardinal Barbarin in Frankreich, Kardinal Pell in Australien, beide angeklagt, beide haben ihren Hut behalten.

Und nun polizeiliche Ermittlungen in einem Finanzskandal und schon entscheidet der Papst, ohne dass es zu einem zivilrechtlichen Prozess gekommen ist. Ich nehme an, dass es gute Gründe dafür gibt, die über die Anklage hinaus gehen. Und ich merke, dass ich mit dieser Annahme im Feld der Spekulation lande.

Es bleiben uns nur Spekulationen

Nun muss in Personalfragen nicht alles offengelegt werden, trotzdem entsteht ein merkwürdiges Bild, in dem das Wort „Willkür“ im Hintergrund mitschwingt. Und die Frage, wie in der Kirche eigentlich Autorität ausgeübt wird.

Nicht zu Unrecht spricht ja auch der synodale Weg genau darüber.

Debatte um Autorität in der Kirche

Es ist zu begrüßen, dass Korruption – so es denn welche war – im Vatikan keinen Platz mehr hat. Das war nicht immer so, wie die lange Liste an Skandalen erzählt. Aber dazu gehört auch Transparenz, und die vermisse ich hier. Warum Becciù und nicht Pell oder Barbarin? Liegt das alleine an der empfundenen Wahrheit des Papstes? Oder war da anderes im Spiel? Und wie kann man das klären, außer im Gewissen des Papstes?

Die Geschichte um Erzbischof Becciù zeigt einmal mehr, dass wir in Sachen Autorität in der Kirche Kontrolle brauchen. Transparenz, Verfahren, Nachvollziehbarkeit, Gewaltenteilung. Denn so, wie es hier gelaufen ist, baut das kein Vertrauen auf.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Rom, VatikanSchlagwörter Autorität, Entlassung, Kardinal, Papst Franziskus, synodaler Weg, Vatikan6 Kommentare zu Autorität geht anders

Baut nicht auf Sand!

Veröffentlicht am 23. September 202022. September 2020
angewendete Soziallehre der katholischen Kirche DER Ort der Nächstenliebe und Soziallehre: Assisi

Der Mensch lernt durch Wiederholungen. Ein pädagogisches Prinzip, dessen sich der Vatikan seit einigen Wochen wieder bedient. Es ist bekannt, dass der Papst eine Enzyklika veröffentlichen wird. Die Themen werden bis dahin schon gut vorbereitet: es ist Zeit für die aktualisierte und angewendete Soziallehre der katholischen Kirche.

Seit August etwa spricht der Papst bei den Generalaudienzen Themen der kirchlichen Soziallehre an, Auslöser ist immer die durch Corona ausgelöste oder auch sichtbar gemachte Krise. Er verbindet seine Aussagen zur Soziallehre der Kirche, wie er sie in Laudato Si’ formuliert hat, mit der aktuellen Krise: „Unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit der Ökosysteme ab, die Gott geschaffen und die zu hüten er uns aufgetragen hat (vgl. Gen 2,15). Sie zu missbrauchen, ist eine schwere Sünde, die schadet und krank macht (vgl. LS, 8; 66)“.

Angewendete Soziallehre der katholischen Kirche

Oder eine Woche früher: „Die Krise, die wir wegen der Pandemie erleben, betrifft alle; wir können besser aus ihr herauskommen, wenn wir alle gemeinsam das Gemeinwohl suchen. … wenn die Lösungen für die Pandemie Spuren von Egoismus tragen, sei es von Menschen, Unternehmen oder Nationen, können wir vielleicht aus der Coronavirus-Pandemie herauskommen, aber sicherlich nicht aus der menschlichen und sozialen Krise, die das Virus hervorgehoben und akzentuiert hat. Seid also vorsichtig, nicht auf Sand zu bauen (vgl. Mt 7,21-27)! Um eine gesunde, alle Menschen einschließende, gerechte und friedliche Gesellschaft aufzubauen, müssen wir dies auf dem Fels des Gemeinwohls tun.“ Wir kennen unseren Papst, das ist alles schon Vorbereitung auf die Enzyklika, bzw. die Enzyklika wird diese Katechesen dann bündeln.

Aber nicht nur das: der Papst trifft sich mit Menschen, die seine Anliegen teilen. Und die Rede vor der UNO-Genertalversammlung kommt auch noch dazu. Und dann kommt dann nich ein Buch, das ein US-Amerikanischer Verlag schon angekündigt hat. Autor: Papst Franziskus. Titel: Let us dream! Alles umkreist derzeit diesen Themenkomplex, so scheint es.

Umkreisung des Themas

Den Rahmen oder die Entwicklungsspur dafür gibt der Kardinalstaatssekretär des Vatikan, Kardinal Pietro Parolin, in einem langen Interview wieder, er zieht die Linie der Sozialaussagen der Kirche von Benedikt zu Franziskus: „Benedikt sprach [Caritas in Veritate] von einer Ökonomie, in der die Logik des Gebens, das Prinzip der Unentgeltlichkeit, das nicht nur Solidarität, sondern noch tiefer menschliche Brüderlichkeit ausdrückt, Platz finden muss. Franziskus [Laudato Si’] hat das Thema der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung im Kontext einer „integralen Ökologie” wieder aufgegriffen: ökologisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell und spirituell.“ Die Soziallehre der Kirche sei eine solide Orientierung, die sich „ständig aktualisiere“. Genau das dürfen wir wohl von der Enzyklika erwarten.

Auch in Deutschland beraten die Bischöfe gerade bei ihrer Vollversammlung unter anderem die Corona-Auswirkungen auf die Kirche und die Antworten aus dem Glauben auf die Probleme, die entstanden sind oder die sichtbar wurden. Genau an diesen Antworten versucht sich der Papst: „Die gegenwärtige Pandemie zeigt, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind – im Schlechten wie im Guten. Daher können wir nur gemeinsam und solidarisch diese Krise überwinden. … Solidarität ist mehr als die ein oder andere großzügige Geste. Es geht dabei um eine Mentalität, eine Gesinnung des „Wir“, für die jeder Mensch gleich wichtig und wertvoll ist. Solidarität bedeutet also auch Gerechtigkeit.“

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Benedikt, Enzyklika, Laudato Si, Papst Franziskus, Soziallehre15 Kommentare zu Baut nicht auf Sand!

Übersetz’ mir mal die Brüder!

Veröffentlicht am 16. September 202016. September 2020
Geschwister oder Brüder Kopie des Rosetta-Steins in London - mit Übersetzungen ist das immer so eine Sache

Sind wir Geschwister oder Brüder? Seit der Ankündigung einer neuen Enzyklika durch Papst Franziskus ist das auf einmal wieder Thema. „Fratelli tutti“ wird der Text heißen, was ein Zitat des hl. Franziskus ist und damit wenig kontrovers. Das kann man unter Verweis auf das Original und den Sprachgebraucht getrost so stehen lassen.

Dann aber geht es los: das italienische Original trägt den Untertitel „Sulla fraternità e l’amicizia sociale“. Jetzt mal abgesehen von der Frage, was im Deutschen eigentlich „soziale Freunschaft“ sein soll, gibt es zwei Varianten der Übersetzung von fraternità: meine ehemalige Redaktion in Rom übersetzt „Geschwisterlichkeit“ und die Kollegen von KNA und katholisch.de übersetzen „Brüderlichkeit“.

Geschwister oder Brüder

Das Ganze ist nich banal. Sprache ist lebendig, was vor zehn oder fünfzig Jahren noch normal gewesen sein mag, wird heute anders gesagt. Wenn ich mich an Menschen wende, dann muss ich das verständlich tun, wenn ich nicht das Risiko eingehen will, missverstanden zu werden.

Witzig ist es, dass das geschlechterübergreifende Plural-Wort für männliche und weibliche Kinder im Deutschen über den Feminin gebildet wird. Wir sind „Geschwister“, nicht „Gebrüder“. Gebrüder bedeutet etwas ganz anderes (Frage an Germanisten hier: gibt es noch solche Fälle? Oder ist das eine sprachliche Ausnahme?)

Substantivierung einer Eigenschaft

Jetzt wäre es einfach, aus diesen Geschwistern die Geschwisterlichkeit werden zu lassen, als Substantivierung einer Eigenschaft. Wäre es. Denn aus dem Aufklärungs-Diskurs haben wir „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ übernommen, weil in romanischen Sprachen wie dem Französischen, aus dem das kommt, der Plural anders gebildet wird. Deswegen nutzen wir hier nicht das deutsche Wort, sondern die direkte Übersetzung aus dem Französischen, obwohl in der Familie die „Brüder“ ganz klar nur männlich sind.

Noch einmal, Sprache ist lebendig, es geht hier nicht um Vorschriften und Sprachpolizei, schon gar nicht um Identitätspolitik, aber es gibt über Jahrzehnte gereifte Einsichten, die sich auch sprachlich ausdrücken. So sagen mittlerweile auch Exegeten, dass bei der Verlesung eines Stücks aus einem Paulusbrief im Gottesdienst „Schwestern und Brüder“ die korrekte Anrede ist, auch wenn im Original grammatisch nur der Maskulin steht. Es ist einfach die korrekte Übersetzung dessen, was Paulus damals in seiner Sprache ausgedrückt hat. Sowas könnten wir heute auch tun.

Sensibilitäten

Zweitens versucht der Papst, aktuell zu sein und Sensibilitäten aufzugreifen. Hier geht es nicht um Gender oder derlei ideologisch von allen Seiten aufgeladene Debatten, hier geht es schlicht um Sensibilität.

Auch in der Vergangenheit haben Vatikantexte deswegen das sich verändernde Latein aufgegriffen, der Papst hat Briefe an „fratelli e sorelle“ geschrieben, wie er auch bei seinem allerersten Auftritt als Papst die Menschen auf dem Petersplatz so angesprochen hat. Das Italienische benutzt eigentlich nur den Maskulin für beides, hier zeigt sich die Sensibilität und die Lebendigkeit von Sprache auch auf dem Balkon des Petersdoms. Die Sensibilität wäre also da. Und in Schreiben wie „Amoris Laetitia“ ist ganz selbstverständlich von Geschwisterlichkeit die Rede.

Nun weiß ich nicht, wie letztlich die Übersetzung sein wird. Ich hoffe, dass Vaticannews besser informiert ist. Es wäre jedenfalls bedauerlich, wenn ein Papstschreiben, dass für mehr Miteinander sensibilisieren will, genau diese Sensibilität im Untertitel bereits vermissen ließe.

 

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Demontage

Veröffentlicht am 14. August 202014. August 2020
Was dürfen Laien in der Kirche? Unterm Kirchturm wird immer mehr unklar: Pfarrei im Westfälischen

Die Gewitterwolken haben sich schon verzogen. Und ich komme mit diesem Beitrag etwas spät. Aber auch noch Wochen später bleibt die uns Debatte um die viel diskutierte Instruktion aus dem Vatikan ja erhalten. Was dürfen Laien in der Kirche? Und was folgt praktisch aus der Instruktion für die Strukturprozesse in den Bistümern und für den synodalen Weg?

Nur haben sich die Themen etwas verschoben. Mittlerweile ist klar geworden, dass es sich um einen Text handelt, der seine ersten Schritte während des Pontifikats Benedikt XVI. gemacht hat. Und deswegen klingt er vielleicht auch so zweigeteilt, die vielen Franziskus-Zitate zu Beginn lesen sich wie ein Aufhübschen.

Was dürfen Laien in der Kirche?

Mir zeigt sich in der Debatte neben all den anderen noch ein weiterer Punkt: die Frage der Autorität und der Legitimierung von Autorität in der Kirche. Die schon im Titel der Instruktion genannte Bekehrung und die Frage der Autorität gehören für Papst Franziskus ja immer schon zusammen. Aber sie reiben sich auch aneinander, auch nach sieben Jahren Papst Franziskus noch.

Der Papst betont, dass es in der Kirche nicht allein um Autorität gehen kann. Es müsse „glaubwürdige Autorität“ sein. Die kann man nicht mit einer Mitra oder einem roten Kardinalshut einfach aufsetzen, die komme vom Menschen. Darum muss man werben. Das ist kein Populismus, sondern die Unterfütterung der Ausübung. Autorität ist in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich, man kann sie nicht einfach herbei behaupten.

„Glaubwürdige Autorität“

Und genau hier ist die Vatikan-Instruktion problematisch. Am besten vielleicht kann man das an dem Verantwortlichen zeigen, dem Kurienkardinal Beniamino Stella. Der hat scheinbar zur Versachlichung der Debatte zum Gespräch geladen. Aber das mit der Versachlichung hat nicht recht hingehauen, weil das Angebot nicht wirklich ein Werben um Zustimmung ist, sondern ein Pochen auf Autorität.

Wie berichtet, würde man nämlich gerne in Rom die „Zweifel und Ratlosigkeit“ der deutschen Bischöfe ausräumen. Diese Formulierung hat schon etwas Anmaßendes. Es sind die deutschen Bischöfe, die ein Problem haben, und der Vatikan sei die Instanz, das auszuräumen. Kein Dialog, keine Offenheit, sondern die versteckte Behauptung, der Vatikan habe alles richtig gemacht und nun müssten nur noch Unsicherheiten ausgeräumt werden. Was das Problem derer sei, die unsicher seien.

Kein Dialog, keine Offenheit

In der Vergangenheit war immer wieder auch aus dem Mund des Papstes davon die Rede, dass Autorität bedeute, wachsen zu lassen, „und zwar in der Originalität, die der Schöpfer für sie gewollt und vorgesehen hat. Autorität auszuüben bedeutet also Verantwortung im Dienst der Freiheit zu übernehmen, nicht eine Kontrolle zu bewerkstelligen, die den Menschen die Flügel stutzt und sie in Ketten hält” (Vorbereitungsdokument der Jugendsynode).

Das ist eine Form der Autorität, die keine Probleme damit hat, Anerkennung zu finden. Nicht immer nur Applaus, hier geht es nicht um Beliebtheitswerte, schließlich gehört auch der Gehorsam immer noch dazu. Davon spürt man recht wenig, wenn die die Instruktion und die Begleitgeräusche aus Rom dazu betrachten. 

Vatikanische Autorität wird hier über ein Beharren auf ihr demontiert.

Beharren demontiert

Nehmen wir noch mal die Jugendsynode, an den kommenden Generationen wird der Verfall und die Demontage von Autorität in der Kirche ja besonders deutlich. Im Abschlussdokument ist von Pfarreien die Rede:

„Daher ist ein pastorales Umdenken darüber, was Pfarrei ist, notwendig, und zwar aus einer Haltung der kirchlichen Mitverantwortung und des missionarischen Schwungs heraus, indem Synergien in der Fläche entwickelt werden. Nur so kann sie dann als bedeutsamer Raum erscheinen, der die jungen Menschen in ihrem Leben abholt. In dieselbe Richtung einer größeren Offenheit und eines gemeinsamen Erlebens ist es wichtig, dass sich die einzelnen Gemeinschaften hinterfragen um zu prüfen, ob die Lebensstile und eingesetzten Strukturen den Jugendlichen ein leicht verständliches Zeugnis des Evangeliums vermitteln.“ (Nr. 129, 130)

Mir geht es nun nicht darum, Texte gegeneinander auszuspielen. Aber im Synodendokument ist der Geist der Frage spürbar. Es braucht Offenheit. Der Schwung – wenn ich es polemisch formulieren darf – kommt nicht daher, dass ich das Kirchenrecht dogmatisiere.

In der Instruktion aus dem Vatikan wird sichtbar, dass es Ungleichzeitigkeiten in der Kirche und auch in der Leitung der Weltkirche gibt. Die Synodendebatten, die nun wirklich nicht als Hort der Revolution bezeichnet werden können, sind trotzdem viel offener und interessierter an der Dynamik der Weitergabe des Glaubens, als der Geist der Instruktion. Und letztlich ergibt sich nur daraus wirkliche Autorität. Die Instruktion hat dieser Autorität, die sie ja einbetonieren möchte, einen Bärendienst erwiesen. Und Papst Franziskus sich selbst damit auch.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Autorität, Gemeinde, Gemeindeleitung, Instruktion, katholisch, Kirche, Klerikalismus, Laien, Papst, Papst Franziskus, Pfarrei7 Kommentare zu Demontage

Eine Frage der Einsicht

Veröffentlicht am 24. Mai 202024. Mai 2020
Verantwortung für die Schöpfung Kirche in Manaus, Amazonien, Brasilien

Alles ist mit allem verbunden: wie ein roter Faden oder ein Credo zieht sich diese erst einmal banal klingende Aussage durch den Text, der heute 5 Jahre alt wird: Die Enzyklika Laudato Si’. Dass diese Aussage so banal nicht ist zeigt sich mindestens bei den heftigen Reaktionen, welche gleich zu hören waren und immer noch sind. Man mag das nicht hören, weil der Satz von Verantwortung spricht. Verantwortung für alles, weil alles mit allem verbunden ist. Verantwortung für die Schöpfung.

Es fällt uns allen aber schwer, uns selbst als Verursacher oder Schädiger zu akzeptieren. Dass müssen wir aber, wollen wir diese Grundaussage der Enzyklika Ernst nehmen. Wenn ich in den Debatten um Umwelt, Klima und Zukunft was gelernt habe, dann das: es ist schwer, in sich selbst die Gründe für den Schaden zu erkennen.

Verantwortung für die Schöpfung

Abstrakt nennt der Papst das eine fehlgeleitete Sicht, die uns Menschen ins Zentrum stellt, also herauslöst aus dem Gewebe der Schöpfung. Konkret werdend nennt er es Bekehrung, eine „weltweite ökologische Umkehr“ aller wie auch die „innere Umkehr“ (Nr 216ff).

Wir müssen die Art und Weise, wie wir uns die Welt gemacht haben, korrigieren, wenn die Schöpfung und damit wir selber eine Chance haben wollen. Es geht darum, „die strukturellen Ursachen der Fehlfunktionen der Weltwirtschaft zu beseitigen und die Wachstumsmodelle zu korrigieren, die allem Anschein nach ungeeignet sind, den Respekt vor der Umwelt […] zu garantieren“, zitiert Franziskus seinen Vorgänger Benedikt XVI. (Nr. 6).

Respekt!

Und damit geht es um Schöpfung und Auftrag Gottes, es geht um Gerechtigkeit, um die Würde des Geschaffenen, aber auch um die Art und Weise, wie wir miteinander über all diese Dinge sprechen.

Dass der Vatikan nun gleich ein ganzes Laudatio Si’ Jahr zum Thema veranstalten wird, wirkt auf mich fast schon wie eine weiße Fahne. Als ob man eingesehen hätte, dass Die Welt zwar höflich applaudiert – oder vehement widerspricht – sich aber nicht viel getan hat. Man will nichts unversucht lassen, dieses Thema hoch zu halten. Als ob brennende Wälder und dergleichen nicht reichen würden. Erinnern Sie sich noch? Letzten Sommer? Da hat Amazonien gebrannt und alles war aufgeregt. Für wenige Wochen. So wirklich zur Einsicht bewegt hat uns das nicht, von Umkehr mal ganz zu schweigen.

Es ist eine Krise, die uns bleibt. Nicht eine, die absehbar zu Ende geht und wo wir die Einschränkungen aushalten können. Sondern eine, die unsere Lebensweise verändern wird, ob wir wollen oder nicht. Noch können wir selber aktiv werden, noch können wir Dinge ändern, auch wenn uns das vielleicht zunächst nicht passt. Es ist erfreulich, dass Papst und Vatikan die positive Botschaft in den Vordergrund stellen und nicht die Position des Unglückspropheten einnehmen.

Hoffen wir, dass beim zehnten Geburtstag des Textes wir mehr vorweisen können als zu diesen.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter Enzyklika, Gerechtigkeit, Laudato Si, Papst, Papst Franziskus, Schöpfung, Umwelt4 Kommentare zu Eine Frage der Einsicht

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