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Kategorie: Vatikan

Von Ur in Chaldäa zur globalen Krise

Veröffentlicht am 3. März 202127. Februar 2021
Warum fährt Franziskus in den Irak Christentum im Irak: Gläubige in einer gemeinsam von Jeziden und Christen genutzten Kapelle in Kurdistan. Oft: WikimediaCommons

Papst Franziskus fährt in den Irak. Die erste Papstreise seit Corona, aber nicht allein deshalb ist das ein spannendes Projekt. Warum tut der Papst das? Warum fährt Franziskus in den Irak? Weil dort viele Dinge zusammen kommen, die dem Papst in der Ausübung seines Amts am Herzen liegen.

Natürlich geht es auch um die Ursprünge unseres Glaubens, der Papst besucht „Ur in Chaldea“, die Heimat Abrahams. Das ist symbolisch der Auftakt der Reise. Aber da sind noch mehr Gründe:

Warum fährt Franziskus in den Irak?

Die Vorliebe für Reiseziele, die Menschen Sichtbarkeit geben: mit seiner Reise nach Lampedusa hat Papst Franziskus den Takt vorgegeben, Auffanglager auf Lesbos, Gefängnisse in Italien und viele andere Orte folgten. Der Papst richtet seine Aufmerksamkeit und damit auch die Aufmerksamkeit der Medien auf Menschen, die sonst im Schatten stehen. Er behandelt so nicht nur Themen, sondern trifft die Menschen, um die es geht.

Die Vorliebe für Reiseziele, die Themen sichtbar machen: Vertreibung der Christen durch den IS, Dialog, Frieden, Opfer der Kriege, Zusammenarbeit, all das kommt dort zusammen. Ein Thema möchte ich hier betonen: den Dialog mit dem Islam.

„Man kann keine Brücken zwischen den Menschen bauen, wenn man Gott vergisst. Doch es gilt auch das Gegenteil: Man kann keine wahre Verbindung zu Gott haben, wenn man die anderen ignoriert. Darum ist es wichtig, den Dialog zwischen den verschiedenen Religionen zu verstärken – ich denke besonders an den mit dem Islam“.

Worte von Papst Franziskus aus einer seiner allerersten Ansprachen, der Grundsatzrede vor dem diplomatischen Corps direkt nach seiner Wahl im März 2013. Immer wieder hat er diesen Dialog gesucht, über das gemeinsame Gebet in den Vatikanischen Gärten bis zur Erklärung von Abu Dhabi vor knapp über einem Jahr. Besuche in der Türkei, in Ägypten, in Jordanien und Israel und so weiter kamen dazu. Das ist ein bleibender und wenig beachteter roter Faden im Pontifikat Franziskus.

Keine Brücken zwischen den Menschen ohne Gott

Die Vorliebe für Reiseziele des Dialogs: Diese ist mir der vorhergehenden verwandt, aber nicht identisch. In Abu Dhabi zitierte er sich selbst, und zwar die Stelle, die ich oben bereigents Anna habe. Er sagte:

„Es gibt keine Alternative: Entweder wir bauen die Zukunft gemeinsam oder es gibt keine Zukunft. Vor allem die Religionen können nicht auf die dringende Aufgabe verzichten, Brücken zwischen Völkern und Kulturen zu bauen.”

Das Stichwort hier ist „bauen“. Es bricht nicht überall sofort Frieden aus, sobald sich Leute an einen Tisch setzen. Das ist mühsam. Dialog ist mühsam. Weswegen diese Reiseziele auch immer und immer wieder bei Papst Franziskus auftauchen. Es sind die Mühen der Ebene, denen sich die Religionen nicht entziehen dürfen.

Die Vorliebe für Reiseziele, die über den Ort selbst hinaus weisen. Der Irak gehört zu dem, was Christen „heiliges Land“ nennen, Ur und andere Orte sind biblisch. Damit ist der Radius viel weiter gezogen als der politische Irak. Und auch die dort sichtbaren Themen sind untrennbar mit der gesamten Region verbunden: Türkei und Syrien, Iran und Saudi Arabien, Israel und der „Westen“, alle sind beteiligt und betroffen. Und alle sind auf genau diese Weise einbezogen in die Reise, auch wenn es nur wenige Orte sind, an die der Papst konkret kommt.

Paradoxe Intervention

Die Vorliebe für paradoxe Interventionen: das große Thema weltweit ist ist die Pandemie und deren Folgen. Daneben verschwinden andere Themen schnell wieder. Papst Franziskus spricht nun einige dieser Folgen auf eine Art an, wie wir es schon in seinem Buch lesen konnten.

Es geht eben nicht nur um die Frage nach der Impfung bei uns, sondern um eine globale Krise, die in der Pandemie sichtbarer wird als jemals zuvor. Und die wird eben auch in Vertreibung und Not, im Ringen um Frieden, in interreligiösen und interkulturellen Konflikten sichtbar. Sich dem zuzuwenden heißt auch, sich der globalen Krise insgesamt zuzuwenden.

So passt die am 5. März beginnende Reise perfekt in das Pontifikat Franziskus.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Papstreise, VatikanSchlagwörter Christenverfolgung, Dialog, Irak, Islam, Papst Franziskus, Papstreise4 Kommentare zu Von Ur in Chaldäa zur globalen Krise

Über den Tellerrand hinaus

Veröffentlicht am 10. Februar 20213. März 2021
der Verweis auf die Weltkirche Nicht verwechseln: Rom ist nicht gleich Weltkirche

Braucht unsere Kirche nationale Lösungen? In der Debatte um den Synodalen weg gibt es immer wieder den Vorwurf, der Verweis auf die Weltkirche diene als Hindernis, sich Veränderungen oder Entwicklungen zu verschließen. Gerade bei den umfassenderen Fragen wie der nach der Weihe von Frauen oder dem Zölibat mache schon der Hinweis auf die Katholizität der Frage eine Debatte unmöglich. Die Annahme dahinter ist, dass es sehr wohl nationale oder regionale oder kulturell verschiedene Antworten geben könne und müsse, um die anstehenden Reformen angehen zu können.

Diese Gedankenfigur gibt es natürlich auch im Negativ, als Warnung vor einer „deutschen Nationalkirche“ oder dergleichen, die Gegner jeder Debatte gerne lautstark und nicht wirklich differenziert ins Feld führen.

Der Verweis auf die Weltkirche

Mir stößt das irgendwie negativ auf, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Variante. Zehn Jahre lang hatte ich das Privileg, Weltkirche kennen lernen zu dürfen. Bei Papstreisen oder auch bei Besuchen von Vertretern der Kirche in Rom. Das macht mich nicht zu einem Spezialisten für die Weltkirche. Aber es hat mich Geschmack finden lassen am Fragen und an der Neugierde. Es hat neue Horizonte gezeigt und mir beigebracht, das Fragen oft weiter bringen als Antworten. Oder dass man Fragen braucht, Fragen die man vorher vielleicht gar nicht hatte.

Wenn ich von hier aus, von zu Hause aus, auf einen nebulösen Singular „die Weltkirche“ verweise, dann verfehle ich all das. Dann schaffe ich ein künstliches Gegenüber.

Natürlich gilt die Einschränkung, dass wer ‚Weltkirche‘ sagt, nicht nur den Vatikan meinen darf. Auch wenn sich viele dort als autoritative Vertreter der Einheit der Kirche verstehen und so sprechen und handeln, wage ich den Widerspruch: Weltkirche ist mehr als deren römische Leitung. Und gerade deswegen ist es so wichtig, sie nicht als Widerpart zu sehen.

Vatikan ist nicht gleich Weltkirche

Erstens gibt es in unserer Welt keine isolierten Entscheidungen mehr. Alles ist mit allem verbunden, auch wenn wir in COVID-Zeiten die Illusion bekommen, durch nationale Maßnamen das Problem in Grenzen (oder außerhalb derer) halten zu können. Ein „wir-machen-das-aber-so“ in wichtigen Fragen bleibt nicht ohne Folgen.

Zweitens muss es erlaubt sein, Entscheidungen auf die ihr zukommende Ebene zu beschränken. Das muss alles diskutiert werden, aber spätestes bei der Frage der Weihe sollte klar sein, dass die Entscheidungsebene nicht die Ortskirche sein kann.

Drittens sollen wir vom den Anderen lernen. Zu unserem eigenen Vorteil. Jede Glaubenskultur ist immer Wandel. Das sei denen gesagt, die meine, etwas Ewiges in Händen zu halten, das bewahrt werden muss. Das sei aber auch denen gesagt, die meinen, ihre eigene Glaubenskultur sei der Referenzpunkt. Auch die ist Wandel. 

Kultur ist immer Wandel

„Eine Kultur, die sich nicht länger verändert, ist tot“, formuliert der von mir geschätzte französische Autor Francois Jullien. Transformation sei Ursprung und Motor des Kulturellen, Fixierungen seien ihr fremd. Beim Papst heißt das „Sakralisierung der eigenen Kultur“, mit dem Resultat eines Fanatismus, der wirkliche Verkündigung unmöglich mache (Evangelii Gaudium 117). Anders gesagt: Weltkirchliche Erfahrungen und Begegnungen können helfen, dass ich über den eigenen Horizont hinaus zu blicken lerne.

Macht das die eigenen Erfahrungen von Kirche ungültig? Mitnichten. Gerade im Synodalen Weg werden viele gravierende Fragen zu Kirche und Glauben aufgeworfen, die kommen ja nicht aus dem Nichts. Die haben ihren Sinn und dürfen nicht mit einem falschen Hinweis auf Weltkirche vom  Tisch gewischt werden. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es gerade die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden, den anderen Erfahrungen von Kirche und Glauben sind, die unser eigenes Glaubenserleben und unsere Kirchlichkeit weiten. 

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter katholische Kirche, Perspektive, Rom, synodaler Weg, Vatikan, Weltkirche6 Kommentare zu Über den Tellerrand hinaus

Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

Veröffentlicht am 10. Januar 2021
Zwei Päpste Vorgänger und Nachfolger: Foto vom 5. Juli 2013. Quelle: Wikimedia Commons

Franziskus ist nun länger Papst als es sein Vorgänger Benedikt war. An diesem Wochenende „überholt“ er seinen Vorgänger, was die Länge der Regierungszeit angeht. Der gleiche Zeitraum, aber trotzdem zwei Pontifikate voller Unterschiede. Aber auch voller Kontinuität. Zwei Päpste, die das Amt geprägt haben und prägen, beide bis heute.

Für das Domradio habe ich mir die beiden Pontifikate einmal vergleichend vorgenommen. Das möchte ich hier nicht wiederholen, aber drei Punkte dann doch zur Diskussion stellen.

Zwei Päpste

Erstens sind da die Kontinuitäten, etwa in der fortgesetzten Abkehr vom monarchisch-sakralen. Auch wenn es hier bei Benedikt XVI. immer mal wieder geruckelt hat, etwa in liturgischer Kleidung oder Inszenierung, und auch wenn Franziskus hier unzweifelhaft viel stärker aufs Gaspedal drückt, bleibt es eine Kontinuitätslinie, die bereits weit vor Benedikt beginnt.

Kontinuitäten gibt es aber auch im Negativen, etwa in den Dauerskandalen. Schon Benedikt war eigentlich gewählt worden, um den dysfunktionalen Vatikan in de Griff zu bekommen. Piusbrüder, Vatileaks und andere Skandale blieben ihm aber nicht erspart. Unter Franziskus ist das noch eimal schlimmer geworden, was sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht ist.

Vatileaks und Finanzskandale

Schlecht, weil für alle sichtbar ist, wie dilettantisch mit Geld umgegangen wurde. Gut, weil das nicht mehr unter dem Teppich bleibt. Aber auch bei Franziskus wird deutlich, dass er das nicht in den Griff bekommt. Seine Reformen bleiben unübersichtlich und im Monatsrhythmus kommen neue Geschichten ans Licht. Dass von der groß angekündigten Vatikan-Reform so gar nichts zu sehen ist, ist nach sieben Jahren schon enttäuschend. Auch das ist – leider – Kontinuität.

Zweitens sind da die „points of no return“, die Papst Franziskus gesetzt hat. Entscheidungen über die Art und Weise, Papst zu sein, hinter die keiner seiner Nachfolger wieder zurück kann. Während Benedikt XVI. sich in allem bis hin zu Hermelin und Brokat bemüht hat, Tradition zu inszenieren, liegt Franziskus die gelungene symbolische Kommunikation am Herzen. Sicherlich selber kein Revolutionär will er aber die Symbole nicht übermächtig werden lassen, sie sollen dem Amt und der Botschaft dienen. Das Amt soll und darf sich der Macht der Symbole beugen.

Das Papstamt wird nie mehr sein wie vorher

Roter Schulterumhang, rote Schuhe, all das gehört der Vergangenheit an. Was Benedikt in einem einzelnen Akt – seinem Rücktritt – an Prägung geschafft hat, da machte und macht Franziskus fast täglich weiter. Das Papstamt wird nach Franziskus nie mehr das sein, was es davor hat sein wollen.

Drittens möchte ich aber noch einmal auf das eingehen, was beide in ihrer Unterschiedlchkeit verbindet: es gibt kein Papstamt jenseits der Persönlichkeit des Inhabers. Der eher schüchterne Theologe und sein Amtsverzicht genauso wie der alles umarmende Kommunikator „sind“ Papst, sie haben das Amt nicht inne, sie sind das Amt. Nur so konnte überhaupt der Rücktritt seine Kraft entfalten.

Person und Amt verschmelzen

Nun haben wir aber in den vergangenen Jahrzehnten lernen müssen, was für Gefahren in der charismatischen Verankerung von Autorität und Macht liegen. Keiner der beiden Päpste, weder Franziskus noch Benedikt, haben dem etwas entgegen gesetzt. Wenn überhaupt, dann war Benedikt eher noch Diener des Amtes als Franziskus, dessen Persönlichkeit wie die von Papst Johannes Paul II. vollständig mit dem Amt verschmilzt.

Das wird so nicht mehr sehr lange gut gehen können. Die Aufgabe, die Weltkirche zusammen zu halten übersteigt schon jetzt die Kraft dieses Papstes. Ein neu aufgestellter und reformierter Vatikan könnte helfen, eine neue Rolle von Synoden auch, da gibt es viele Möglichkeiten. Aber je vielgestaltiger und vielstimmiger die katholische Weltkirche wird, um so weniger wird die Authentizität und das Charisma eines Einzelnen ausreichen, hier Einheit zu garantieren.

Hier wird sich ein Nachfolger – wann auch immer und wer auch immer – mindestens so stark von Franziskus absetzen müssen wie Franziskus von Benedikt.

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, VatikanSchlagwörter Amtszeit, Papst Benedikt, Papst Franiskus, Papstamt, Rücktritt, Vatikan9 Kommentare zu Zwei Päpste voller Kontraste. Und voller Kontinuität: Franziskus und Benedikt

Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Veröffentlicht am 18. Dezember 202017. Dezember 2020
Reform der Kurie Eingang zum Apostolischen Palast: Was hinter diesen Türen vorgeht, bleibt immer noch verborgen

Eine Liste von vatikanischen Krankheiten wird es nicht noch einmal werden. Auch die Tugend-Liste gab es schon. Was wird Papst Franziskus zur Reform der Kurie in diesem Jahr zu sagen haben?

Am kommenden Montag ist es wieder soweit: der Papst wird die Spitzen seiner Kurie – also seiner Verwaltung – zum Weihnachtsfest empfangen und seine Jahresansparache halten. Gelegenheit für Grundsätzliches, das war schon in den vergangenen Jahren so.

Reform der Kurie

Das Grundthema war immer schon die „Reform“ der Kurie, was auch immer genau das heißen mag. Immer wieder hat der Papst angekündigt, diese dem künftigen Papst von den Kardinälen vor der Wahl aufgegebene Reform zügig umzusetzen. Und doch lesen wir immer und immer wieder von neuen Skandalen, vor allem aber nicht nur finanziellen. Das zeigt zum einen, wie wichtig diese Reform ist. Das zeigt zum anderen aber auch, wie wenig diese bisher voran gekommen ist.

Aber seinen wir ehrlich: vieles von dem, was wir als Skandal wahrnehmen, ist Heilungsschmerz. Es gibt Aufräumarbeiten in Sachen Finanzen, Dinge werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern sie kommen ans Licht. Das ist erst einmal etwas Gutes.

Nach sieben Jahren Papst Franziskus

Aber dass es nach fast sieben Jahren Franziskus immer noch so viele Baustellen gibt, das verwundert schon.

Angefangen hatte Papst Franziskus sehr geistlich, sehr grundsätzlich, und sehr scharf: Die berühmten und heute schon fast vergessenen „15 Krankheiten der Seele“. Danach wurde er realistischer, aber auch dann noch stand der Zentralbegriff seines Verständnisses von Reform im Zentrum: der Bekehrung.

Das ist das eine. Aber er ist eben als Papst auch verantwortlich für die Umsetzung und die strukturelle Absicherung der Reformschritte. Seit Jahren tagt der Kardinalsrat, um eine neue „Vatikan-Verfassung“ zu erarbeiten, einmal gab es schon eine Fassung, fertig um an die Bischöfe der Welt verschickt zu werden. Aber seitdem: Schweigen.

Seitdem: Schweigen

Ab und zu wird es laut hinter den Mauern, ab und zu kommen gute Nachrichten über eine Neubesetzung oder die Neueinrichtung dieser oder jener Stelle. Auch hat es in diesem Jahr neue Vorschriften zur Vergabe von Aufträgen gegeben, was kluge Beobachter für den radikalsten der Schritte in der Unkultur der Arbeit dort sehen.

Aber Beobachtern fällt auch auf, dass einige Stellen eben nich neu besetzt wurden, die des Finanz-Revisors etwa dauerte ein ganzes Jahr. Oder auch die Nachfolge für Kardinal Pell, der ein Jahr vor Gericht stand und dessen Posten in Rom unbesetzt blieb. Man wird von außen den Eindruck nicht los, dass das mit der Reform wenn es praktisch wird dann doch nicht so einfach ist. Oder gewollt.

Viele kleine Schritte hat der Papst getan, etwa bei der Besetzung von Stellen. Darauf weist er in seinem Buch hin, da geht es etwa um den Frauenanteil und darum, Fachleute in Kontrollgremien zu holen. Aber die Kurie präsentiert sich nicht in einem Zustand, dass kleine Schritte reichen.

Kleine Schritte reichen nicht

Priester seien wie Flugzeuge, hatte der Papst in seiner Weihnachtsansprache 2014 gesagt: sie fallen nur auf, wenn sie abstürzen. Da ist was dran, auf die guten Seiten schauen wir zu wenig. Aber als Entschuldigung reicht das nicht mehr.

Es gibt Reformbemühungen in der Kirche, sehr viele. Es wäre zum Beispiel hilfreich, diese konstruktiv zu begleiten und nicht durch sehr allgemein gehaltene Kritik von oben zu schwächen. Und das schon gar nicht, wenn die eigene institutionelle Glaubwürdigkeit immer wieder neu in Frage gestellt wird.

Wenn die Institution Kirche nicht ihrem Sinn – des Lebens und der Verkündigung des Glaubens – im Wege stehen soll, dann muss sie sich entwickeln. Dann muss sie reformiert werden. Das ist eine Aufgabe für Bekehrung. Aber auch eine für die Verantwortung der Autoritäten in der Kirche. Und besonders im Vatikan. Es wird Zeit. Nicht nur zu Weihnachten.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Rom, VatikanSchlagwörter Geld, Korruption, Kurie, Papst Franziskus, Reform, Vatikan, Weihnachtsansprache20 Kommentare zu Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Veröffentlicht am 1. Dezember 20201. Dezember 2020
Der Welt geht es nicht gut Ein Buch, frisch aus Rom

Rassismus und Ausgrenzung. Die Missbrauchskrise. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik. Eine zerstörerische Form der Wirtschaft. Und natürlich allem voran die weltweite Corona-Krise: Der Welt geht es gerade nicht besonders gut. Papst Franziskus äußert immer wieder dazu, nun aber ausführlich und konkret an der Corona-Krise aufgehängt. Und er tut es  ausdrücklich aus einer geistlichen Perspektive. (Nebenbemerkung: die muss man nach den medialen Verarbeitungen der Vergangenheit allerdings erst gegen Widerstände entdecken. Aber das lohnt sich).

Es ist ein ganzes Buch geworden, entstanden aus Gesprächen und Austausch mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh. Die erste Version des Buches, die Originalsprache Englisch, ist seit heute auf dem Markt. Eine deutsche Übersetzung folgt am 4. Dezember. Und dann schreibe ich hier auch mehr zum Inhalt. Aber etwas schon mal vorweg:

Der Welt geht es nicht gut

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Dieses Papst-Zitat steht über dem nun veröffentlichten Buch, und es gibt sehr gut die Zielrichtung wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst sich dazu äußert, nun tut er es aber ausführlich und darüber hinaus leidenschaftlich und sehr persönlich.

Zur Transparenz ein persönliche Bemerkung: In den vergangenen Monaten konnte ich nicht nur das Buch schon lesen, sondern ich war auch an seiner Übersetzung beteiligt. Spannend, auch weil der Papst selbst bis zuletzt sehr aktiv bei der Erstellung beteiligt war.

Ein sehr persönliches Buch

Und auch wenn es ein Papstbuch ist, der Helfer beim Zustandekommen war der Papstbiograph Austen Ivereigh. Und dem habe ich zum Erscheinen einige Fragen gestellt:

Hagenkord: Austen, du hast das Projekt begonnen und ausführlich mit dem Papst an diesem Thema gearbeitet, was sagt Franziskus, das andere noch nicht gesagt haben?

Austen Ivereigh: Dies ist das erste Buch eines Papstes als Antwort auf eine globale Krise, ein Buch, das uns geistliche Orientierung inmitten einer Krise bietet. Natürlich hat er das schon seit dem berühmten Urbi et Orbi vom 27. März dieses Jahres an getan, aber hier tut er dies in einer konzentrierten, intimen, direkten Weise. Er spricht sozusagen zu jedem von uns als Individuen und zu uns allen als Gemeinschaft.

Das große Thema des Buches ist, wie wir vermeiden können, die Chance dieser Krise zu verpassen, indem wir Gott in die Geschichte – in unsere Geschichte – hineinlassen und den Versuchungen und Hindernissen ausweichen, die dazu führen, dass wir diese Chance verpassen. Es ist so etwas wie eine ausführliche Meditation zum Hölderlin-Zitat aus dem Prolog des Buches: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“.

Ich glaube nicht, dass dies jemals zuvor getan wurde. Und obwohl das der Schwerpunkt ist, erstreckt sich das Buch weit über viele Themen, die er als Papst noch nie zuvor, zumindest nicht auf diese Weise, angesprochen hat. Von diesen Themen möchte ich sein Verständnis von Leitung durch Frauen als Zeichen der Zeit erwähnen; außerdem seine Meditation über die „abgeschottete Geisteshaltung“ als eine Form der Abwendung von der Sendung der Kirche – die Versuchung von Eliten und kleinen Gruppen von Puristen, sei es auf der linken oder rechten Seite der Kirche; ich möchte nennen seine Sichtweise auf die Unterscheidungsprozesse während der Bischofssynoden seines Pontifikats; und schließlich die These in Teil III des Buches, dass unsere vielfältigen Krisen ihren Ursprung im Verlust des Sinns für die Würde des Volkes haben und wie wir die Wiederherstellung dieser Würde zum zentralen, übergeordneten Prinzip unserer post-Covidischen Welt machen müssen. All dies ist neu. 

Hagenkord: Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst über unseren Weg aus der Krise spricht, es gibt sogar ein kleines Buch mit seinen Texten. Was macht diesen neuen Text besonders?

Ivereigh: Was ‚Let Us Dream‘ als Text einzigartig macht, ist, dass er die Frucht der vielen Gespräche ist, die Franziskus und ich im Laufe des Sommers geführt haben, aber dass er nicht als Interview, sondern als Narrativ geschrieben ist. Es ist in drei Teile gegliedert: „Eine Zeit zum Sehen”, „Eine Zeit zum Wählen” und „Eine Zeit zum Handeln“.

Jeder Abschnitt fühlt sich sehr unterschiedlich an, aber jeder ist ein wichtiger Teil eines Prozesses der Umkehr: Lernen, die Wirklichkeit zu betrachten und von dem, was wir sehen, berührt zu werden; lernen, zu unterscheiden, was von Gott ist und was Gott ablenkt oder untergräbt; und mutig im Einvernehmen mit dem Guten Geist handeln, um eine neue Zukunft herbeizuführen: eine Wirtschaft, die sich um die Armen kümmert, Zugang zu Arbeit ermöglicht und der Natur Raum gibt; eine Politik, die den Menschen nicht nur eine Stimme, sondern einen Platz am Tisch gibt; und eine Gesellschaft, die die Geschwisterlichikeit widerspiegelt, anstatt sie zu untergraben.

Auch wenn ich die Fragen gestellt und die ersten Entwürfe gemacht habe, habe ich eigentlich nur das Gerüst bereitgestellt, an dem er seine Einsichten und Anleitungen aufhängen konnte. Auch die Tatsache, dass es sowohl in Englisch als auch in Spanisch verfasst wurde – wir haben zwei Originaltexte erstellt, von denen die anderen Übersetzungen, einschließlich der deutschen, angefertigt wurden – war ein weiteres Novum in der Geschichte solcher Bücher. Es gab bereits erste Reaktionen dazu, wie natürlich Franziskus auf Englisch klingt. Ich scherzte mit ihm, dass er in ‚Let Us Dream‘ der am natürlichsten englisch klingende Nachfolger des heiligen Petrus seit Adrian IV. im zwölften Jahrhundert ist, der einzige englische Papst überhaupt! Das gefiel ihm, glaube ich. 

Hagenkord: Glaubst du, dass Franziskus eine Chance hat, mit diesen Themen gehört zu werden?

Ivereigh: Er wird bereits gehört. Teile des Buches wurden zusammen für einen großen „Op Ed” in der New York Times letzte Woche verwendet, der einen großen Eindruck hinterließ. Es wurde in La Repubblica in Italien, ABC in Spanien und The Times hier im Vereinigten Königreich auszugsweise veröffentlicht. Und es hat wegen seiner akuten Beobachtungen über die Krise, über Frauen, über die Verfolgung der Uiguren (die eine verärgerte Reaktion der chinesischen Regierung auslöste) eine weltweite Berichterstattung ausgelöst – also ja, er wird gehört.

Und all das, bevor das Buch tatsächlich herauskommt und gelesen wird. Meine Hoffnung für ‚Let Us Dream‘ ist, dass sich die Menschen jenseits der Schlagzeilen und der aufmerksamkeitsstarken Dinge darin, die verblassen werden, mit der spirituellen Weisheit und Leitung im Herzen des Buchs beschäftigen. 

Hagenkord: Der Papst will unsere Meinung oder unsere Denkweise ändern. War er bei seinem ersten Leser, also bei dir, erfolgreich?

Ivereigh: Auf Englisch sprechen wir von „preaching to the choir”, und in meinem Fall gebe ich gerne zu, dass ich nicht nur sein Biograf, sondern auch ein Schüler bin. Mein Denken und meine Denkweise haben sich durch Franziskus in den letzten sieben Jahren grundlegend verändert.

Du könntest also erwarten, dass ich von meiner Einstellung nicht viel ändern musste, während ich mit ihm an ‚Let Us Dream‘ arbeite. Und doch hat es mich verändert.

Ich stelle mir die Frage, ob ich mich während dieser wiederholten Lockdowns hinter meine Rollen und Funktionen zurückziehe oder ob ich, wie Franziskus drängt, hinausgehe, um zu dienen. Ich denke viel über seine Herausforderung an uns nach, diese Gelegenheit zum Wandel nicht ungenutzt verstreichen zu lassen; ich höre den Nachrichten zu und frage mich: Warten wir nur darauf, zum Status quo ante zurückzukehren? Die Antwort darauf lautet größtenteils ja.

Und doch verfolgt mich das, was der Papst uns sagt: dass wir nicht zurückgehen können, dass man in einer Krise wie dieser entweder besser oder schlechter wegkommt, aber nicht mehr derselbe sein wird. Ich denke also, die Herausforderung des Buches ist, wenn überhaupt, größer denn je. 

Und ich glaube, dass es die Menschen verändern wird, so wie mich.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Austen Ivereigh, Corona, Ivereigh, Krise, Papst Franziskus, Wirtschaft2 Kommentare zu „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

Veröffentlicht am 24. November 202023. November 2020
Papstbuch zu Corona Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand? Die italienische Zeitung La Repubblica vom Montag

Krisen lösen etwas aus. Und wenn wir aufmerksam sind, dann können wir aus ihnen etwas lernen. So in etwa die Kurzversion von den ersten Gedanken aus dem kommende Woche erscheinenden Papstbuch zu Corona. Gestern – Montag – gab es einen ersten Vorabdruck in der italienischen Tageszeitung La Repubblica.

Die Aufmachung ist schon mal dramatisch: „Was habe ich gelernt, als mir der Tod vor Augen stand?“ titelt die Zeitung. Und auch wenn es nicht wirklich der Zielrichtung des Buches entspricht sondern eher dem Verkaufswillen der Herausgeber, so macht das doch eines klar: es geht um viel.

Papstbuch zu Corona

Franziskus berichtet sehr persönlich über eigene Krisen, über die Krankheit seiner Jugend zum Beispiel. Aber auch über die Entwurzelung, die er in Deutschland erlebt hat. Alles Krisen, die ihn haben nachdenken lassen. Und das sei bei Covid genauso. Die Krise kann uns zum Beobachten und Nachdenken bringen. Dazu will das Papstbuch jedenfalls anregen, dazu mehr, wenn es auf dem Markt ist. Wen das jetzt schon interessiert, können Sie hier schon mehr lesen.

Aber ohne dem Papst zu nahe zu treten: wir können uns unsere eigenen Gedanken machen. Die Debatten der ersten Welle zu Gottesdiensten und Seelsorge etwa können wir nun mit unserer Erfahrung noch einmal führen, in Österreich noch dringender als in Deutschland. Drei Punkte möchte ich nennen, die wir da wichtig erscheinen.

Nicht kritiklos

Erstens: Verantwortlichkeit, aber nicht kritiklos. Die meisten Christinnen und Christen handeln verantwortlich, auch was Gottesdienste und etwa Besuche im Krankenhaus angeht. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit Kritiklosigkeit. Demokratisch geführte Debatten sind zunehmend wichtig. Ein Beispiel: Der Theologe Jan Heiner Tück kritisiert die Entscheidung der Bischöfe Österreichs, das Aussetzen von Gottesdiensten mitzumachen. Das hebelt die Verantwortlichkeit nicht aus, belebt aber die Debatte.

Zweitens: aus der ersten Welle lernen. Wir haben im Sommer emotional wohl die falschen Schlüsse gezogen: es sei vorbei. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Mein Kopf war auf eine zweite Welle vorbereitet, aber innerlich gab es da doch die Haltung, dass das jetzt doch wohl vorbei sei. War es aber nicht. Vor allem was die Notwendigkeit sozialer Kontakte angeht, haben wir lernen können. Alte Menschen, Alleinerziehende, Kinder, das kann man nicht einfach abschalten. Auch der Primat der Wirtschaft gilt nicht mehr so unausgesprochen selbststündlich, so hart das für die Betroffenen auch ist.

Drittens: über den Tellerrand hinaus blicken. Hier finde ich wird es spannend. Auch wenn jetzt alle mächtigen Länder davon sprechen, den entwickelten und produzierten Impfstoff gerecht zu verteilen – mit der selbstverständlichen Ausnahme von Präsident Trump – wird sich in der Praxis zeigen, ob unsere Gesellschaften dazu wirklich den Mumm haben. Und ob wir dazu wirklich groß genug denken und fühlen.

Über den Tellerrand hinaus

Vor allem Letzteres wird dem Papst wichtig sein. Man muss nicht in die Glaskugel schauen um zu wissen, was Franziskus besonders am Herzen liegt. Und das sieht er auch in der von Corona verursachten Krise. Es benutzt die Krise nicht für seine Themen, aber er sieht in der Krise Anzeichen, dass wir ein Umdenken brauchen. In der Wirtschaft. In der Gesellschaft. Zwischen uns. In uns.

Seien wir gespannt auf die Lektüre.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Rom, VatikanSchlagwörter Buch, Corona, Covid, Papst Franiskus11 Kommentare zu Franziskus und Covid – eigene Krisen und gemeinsames Lernen

Lehren aus dem Fall McCarrick: Wer zieht die?

Veröffentlicht am 12. November 2020
eine Erfahrung der Scham Der Petersplatz: Ort der Inszenierung. Aber auch ein Ort der Einsicht?

Wir lernen ständig dazu. So die Theorie. Mit jeder Erfahrung – nicht mit jeder Neuen Information – ändert sich unsere Sicht auf die Welt. Wenn dem so ist, dann kann man nur hoffen, dass die Veröffentlichung des McCarrick-Berichts im Vatikan eine Erfahrung der Scham ist. Für den Vatikan und die Verantwortlichen. Damit wir alle dazu lernen.

Zu schnell wird in meinen Augen darauf hingewiesen, dass die Kirche daraus lernen werde. Ja, es ist einiges geschehen, darauf weist der offiziöse Kommentar zum Bericht aus dem Vatikan hin. Aber reicht das als Schritt aus?

Eine Erfahrung der Scham

Mein Mitbruder Hans Zollner erwartet, dass es Konsequenzen gibt, wo es um das Besetzen von Autoritäts-Posten geht. Also um Bischöfe. Im Domradio habe ich selber darauf hingewiesen, dass der Kern des Berichts darin liegt, wie wenig Verfahren und Prozess im Umgang mit Missbrauch und mit Macht in der Kirche existiert.

Beide Verweise beziehen sich auf dem Umgang mit Autorität und Macht. Beispiel: es hatte immer wieder Hinweise gegeben, dass mit dem damaligen Bischof McCarrick was nicht in Ordnung sei. Deswegen hatten die Zuständigen im Vatikan ihn nicht für die Bischofssitze in Chicago und New York in Betracht gezogen. Auf die Idee, dem mal nachzugehen und zu fragen, ob da nicht was dran sei und dass der Mann aus dem Verkehr gezogen werden muss, wenn da was dran ist, kam wohl keiner.

Transparente Verfahren

Das war jedenfalls einer meiner ersten Gedanken bei der Lektüre. Dem kann man nur entgegen treten, wenn man transparente Verfahren einrichtet, wenn es um die Besetzung von Autorität geht. Aber wird das gewollt? An der Ernennung von Bischöfen – so erzählt es der Bericht – sind eine ganze Reihe von Instanzen in Rom beteiligt, bis hin dazu, dass ein Papst (in diesem Fall Johannes Paul II.) an den Zuständigen vorbei eine Entscheidung treffen kann, weil er einem Brief glauben schenkt, in dem McCarrick dicke Lügen auftischte.

Werden Bischofskongregation, Evangelisierungs-Kongregation, Staatssekretariat, Sekretariat des Papstes und nicht zuletzt der Papst selbst sich in einen transparenten Prozess einbinden lassen? Da habe ich dann doch meine Fragezeichen. Dass es geht, das zeigen die Schritte zur Einrichtung einer Verwaltunggerichtsbarkeit in der Kirche in Deutschland. Davon braucht es mehr.

Das Ernten von Blindheit

Die Täter stützten die Autoritäten und bestärkten diese, dafür ernteten sie Blindheit für ihr eigenes Tun. Dieses System muss aufgebrochen werden. Auch im Vatikan. Dazu braucht es aber nicht nur Informationen. Der Bericht informiert ja, wer wann was gewusst hat. Das ist gut und wichtig. Ich glaube aber, dass es über diese Informationen die Erfahrung von Scham braucht, damit sich was ändern. Lassen die Verantwortlichen in der Kirche diese Scham an sich heran? Oder waren es wieder einmal nur die anderen, damals?

Der Bericht zeigt uns auch, dass die nach außen gezeigte Haltung des „vertraut uns, wir wissen was richtig ist“ ein fataler Grundpfeiler von Missbrauch war. Oder ist. Wer sich das nicht erschüttern lässt, der wird letztlich auch nicht lernen. Ganz gleich ob im Vatikan oder sonstwo in der Kirche.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, VatikanSchlagwörter Bericht, Kirche, McCarrick, Missbrauch, Rom, USA, Vatikan23 Kommentare zu Lehren aus dem Fall McCarrick: Wer zieht die?

Das ganze Leben

Veröffentlicht am 24. Oktober 202024. Oktober 2020
Alleinstellung der katholischen Kirche Tunnelblick schränkt Perspektive ein

Es klebt Positiv drauf, es ist aber leider oft genug Negativ drin. Im Blog habe ich zum Thema Engagement von Christinnen und Christen geposted, und aufgemacht wird das Thema „Lebensschutz“. Und zwar als ein Negativum. Wie es ein Kommentar formuliert hat: „Es war eben eine gute Alleinstellung der katholischen Kirche, dass sie vehement das ungeborene Leben schützt.“

Da schüttle ich den Kopf. Die Alleinstellung der Kirche ist doch Bitteschön Jesus Christus, oder? Und wenn daraus der Schutz des menschlichen Lebens und dessen Würde folgt – und damit bin ich voll einverstanden – dann aber bitte des ganzen Lebens und sämtlicher Würde. Wenn wie hier im Blog mehrere Leute kommentieren möchten, dass der Tod eines Menschen (Ruth Bader-Ginsburg) gut ist weil es der Sache des Lebensschutzes dient, ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Alleinstellung der katholischen Kirche

Schon in Laudato Si’ hat Papst Franziskus für uns die Breite des Themas aufgemacht, der Schutz des menschlichen Lebens ist komplexer als die Reduktion auf einen Schlachtruf es zulässt. Der lässt sich auch nicht gegen die Schöpfung ausspielen, wie einige Kommentatoren meinen. Denn alles gehört im Schöpferwillen Gottes mit allem zusammen.

Nun sind Autoritätsargumente die schlechtesten aller Argumente, trotzdem mag ich an dieser Stelle noch einmal den Papst zitieren, schlicht und einfach weil es treffend formuliert ist. Ein Zitat aus der Exhortation Gaudete et Exsultate, Nr. 101:

„Schädlich und ideologisch ist ebenso der Fehler derer, die in ihrem Leben dem sozialen Einsatz für die andern misstrauen, weil sie ihn für oberflächlich, weltlich, säkularisiert, immanentistisch, kommunistisch oder populistisch halten, oder die ihn relativieren, als würde es wichtigere Dinge geben bzw. als würde er nur eine bestimmte von ihnen verteidigte Ethik oder ein entsprechendes Argument betreffen. Die Verteidigung des ungeborenen unschuldigen Lebens zum Beispiel muss klar, fest und leidenschaftlich sein, weil hier die Würde des menschlichen Lebens, das immer heilig ist, auf dem Spiel steht und es die Liebe zu jeder Person unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe verlangt. Aber gleichermaßen heilig ist das Leben der Armen, die schon geboren sind und sich herumschlagen mit dem Elend, mit der Verlassenheit, der Ausgrenzung, dem Menschenhandel, mit der versteckten Euthanasie der Kranken und Alten, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, mit den neuen Formen von Sklaverei und jeder Form des Wegwerfens.“

Gleichermaßen heilig

Es ist ein Fehler, die eigene Perspektive absichtlich zu beschränken. Es ist ein Fehler, sich durch ein Thema von anderen abzugrenzen und eine Fragestellung zur Messlatte zu erheben. Nicht jeder muss sich für alles einsetzen, aber den Einsatz zu beschränken und zu einem Alleinstellungsmerkmal zu erklären ist eben – in den Worten des Papstes – „schädlich und ideologisch”. Und schlimmer noch: es hilft dem Schutz des Lebens nicht.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, VatikanSchlagwörter Glaube, katholische Kirche, Lebensschutz, Papst Franziskus37 Kommentare zu Das ganze Leben

Politische Nächstenliebe: Die neue Enzyklika

Veröffentlicht am 4. Oktober 20204. Oktober 2020
So viel Politik war selten Der inspirierende Heilige: Franziskus. Hier eine Statue in Boston. Foto MK Feeney

So viel Politik war selten. Papst Franziskus schreibt eine neue Enzyklika, eine Sozialenzyklika, aber der Fokus liegt ganz klar auf der Politik. Oder anders formuliert: auf der gemeinsamen Verbesserung unserer Welt. Der Papst will träumen, und zwar von einer neuen Geschwisterlichkeit. Und das gemeinsam mit allen, nicht nur Christinnen und Christen. „Kann die Welt ohne Politik funktionieren? Kann sie ohne eine gute Politik einen effektiven Weg zur allgemeinen Geschwisterlichkeit und zum gesellschaftlichen Frieden finden?“ (FT 176). Nein, kann sie nicht. Also spricht der Papst über Politik.

Kern des Franziskus-Politischen ist einmal mehr der barmherzige Samariter. „Betrachten wir das Modell des  barmherzigen Samariters. Dieser Text lädt uns ein, unsere Berufung als Bürger unseres Landes und der ganzen Welt, als Erbauer einer neuen sozialen Verbundenheit wieder aufleben zu lassen.“ (FT 66) Nächstenliebe ist nicht Wohltätigkeit, sondern aktiver Einsatz. Und aktiver Einsatz, politischer Einsatz, ist kein Zusatz zum Glauben, sondern gehört dazu. Er ist die Option, „die wir wählen müssen, um diese Welt, an der wir leiden, neu zu erbauen“ (FT 67).

So viel Politik war selten

Es gibt die Tendenz in einigen katholischen Zirkeln, den Rückzug und die Abgrenzung zur Welt als den Weg in die Zukunft zu sehen. Das sieht der Papst nicht so. Der Gestaltungswille ist christlich, das Miteinander auch mit anderen ist christlich, nicht die Abgrenzung. Das ist die katholische Lehre.

Nicht, dass das ein Abgleiten ins nur und rein säkular-Politische wäre, die Anker des Christlichen in der Enzyklika sind sehr stark: „An erster Stelle steht die Liebe; was nie aufs Spiel gesetzt werden darf, ist  die Liebe; die größte Gefahr besteht darin, nicht zu lieben (vgl. 1 Kor 13,1-13)“. „ Die Liebe ist das Herzstück jedes gesunden und nicht ausgrenzenden Gesellschaftslebens.“ Auch Liebe ist eben nichts Privates, rein Persönliches, sondern führt auf den Anderen zu. Die Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen führt zur Öffnung des Herzens gegenüber Gott.

Liebe öffnet Herzen

Und das führt zum Engagement, zum Willen die Welt besser zu machen, kurz: zur Politik. Vorbereitet hatte er die Gedanken schon seit einiger Zeit. Aber die Enzyklika behandelt nicht nur katholische Soziallehre. Sondern wendet sich vielmehr dem Warum und dem Wie zu. Vor allem: dem gemeinsamen Handeln.

Das Ganze ist ja in der Vergangenheit oft genug schief gegangen. Der Papst nennt die Corona-Krise, aber viel bedeutsamer finde ich die Finanzkrise von 2008, bei der das gemeinsame Scheitern schon sichtbar wurde. Und das ist dem Papst nun Anlass, nach neuen Wegen zu suchen.

Und der führt über das Naturrecht. Diesen Weg waren schon seine Vorgänger gegangen, von allem Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Bundestag. Bei Franziskus klingt das so: „In der Wirklichkeit des Menschen und der Gesellschaft selbst, in deren innerster Natur, gibt es eine Reihe von Grundstrukturen, die ihre Entwicklung und ihr Überleben sichern. Daraus leiten sich bestimmte Forderungen her, die im Dialog entdeckt werden können“ (FT 212). Und dann der Zusatz: „Für Gläubige ist die menschliche Natur als die Quelle ethischer Prinzipien von Gott geschaffen“.

Im Dialog erkennen wir Werte

Ganz wichtig: das neue „Wir“ und die gemeinsamen Werte entstehen nicht über einen falschen Konsens. Nicht über eine Toleranz, die einfach nur in einem Verschonungspluralismus alles nebeneinander gelten lässt. Über den Dialog lassen sich Werte wie Geschwisterlichkeit erkennen, weil sie eben in uns drinnen liegen.

Andersherum formuliert: der falsche Konsens und die falsche Toleranz spielen den Mächtigen in die Hände. „ Der Relativismus ist keine Lösung. Unter dem Deckmantel von vermeintlicher  Toleranz führt er letztendlich dazu, dass die Mächtigen sittliche Werte der  momentanen Zweckmäßigkeit entsprechend interpretieren.“ (FT 206)
Erst der Blick auf das Menschsein und auf unsere Geschwisterlichkeit ermöglicht die Kritik der Machtverhältnisse und der Ausübung von Macht. Das ist eine Aufgabe für die Glaubenden. Und es ist eine Aufgabe auch für die Kirche als solche: „ Aus diesen Gründen respektiert die Kirche zwar die Autonomie der Politik, beschränkt aber ihre eigene Mission nicht auf den privaten Bereich. Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseits stehen, noch darf sie es  versäumen, die seelischen Kräfte zu wecken, die das ganze Leben der  Gesellschaft bereichern können.“ (FT 276)

Kritikfähigkeit

Der Papst kritisiert deutlich die Marktgläubigkeit und eine Finanzwirtschaft, die außerhalb politischer Kontrolle agiert.

Der Papst betont, dass Privateigentum kein absolutes, sondern ein sekundäres Recht des Menschen ist.

Der Papst fordert ganz realistisch eine Reform der internationalen Organisationen, allen voran der UNO.

Der Papst demaskiert die Menschenverachtung der Demagogie. „Wir müssen uns angewöhnen, die verschiedenen Arten und Weisen der  Manipulation, Verzerrung und Verschleierung der Wahrheit im öffentlichen und  privaten Bereich zu entlarven.“ (FT 208)

Der Raum der Mitverantwortung

Vielem von dem werde ich mich hier sicherlich noch im Einzelnen zuwenden. Diese kurze Aufzählung ist aber wichtig, um die Breite des Spektrums der Enzyklika aufzuzeigen. Vor allem ist es wichtig zu betonen, dass das uns alle angeht: „Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir genießen einen Raum der Mitverantwortung, der es uns ermöglicht, neue Prozesse und Veränderungen einzuleiten und zu bewirken. Wir müssen aktiv Anteil haben beim Wiederaufbau und bei der Unterstützung der verwundeten Gesellschaft. Heute haben wir die großartige Gelegenheit, unsere Geschwisterlichkeit zum Ausdruck zu bringen; zu zeigen, dass wir auch barmherzige Samariter sind.“ (FT 77)

Die Welt ist in einem schlechten Zustand. Machen wir sie besser, weil das Gottes Wille für uns ist.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, VatikanSchlagwörter Enzyklika, Fratelli Tutti, Geschwisterlichkeit, Glaube, Kirche, Papst Franziskus, Politik, Populismus17 Kommentare zu Politische Nächstenliebe: Die neue Enzyklika

Autorität geht anders

Veröffentlicht am 26. September 202026. September 2020
Souverän war das nicht Der Vatikan, immer wieder Fokus vom Problemen, die die ganze Kirche hat

Souverän ist anders: völlig aus blauem Himmel kam die Nachricht, dass ein italienischer Kurienmitarbeiter und über Jahre enger Mitarbeiter zweier Päpste seinen Kardinalshut verliert. Angelo Becciù erzählte danach, wie er nichts ahnend auf einmal seine Position in der Kirche verloren habe.

Es ist nicht das erstes Mal, dass Papst Franziskus so reagiert. Die Ablösung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller war für diesen ebenfalls eine Überraschung. Und da in Personalentscheidungen keine Begründungen gegeben werden, bleiben Spekulationen. Souverän war das nicht, in beiden Fällen.

Souverän war das nicht

Und was ist mit den anderen?, mag man fragen. Da sind ja einige, über denen die schwarze Wolke einer Anklage hing. Kardinal Barbarin in Frankreich, Kardinal Pell in Australien, beide angeklagt, beide haben ihren Hut behalten.

Und nun polizeiliche Ermittlungen in einem Finanzskandal und schon entscheidet der Papst, ohne dass es zu einem zivilrechtlichen Prozess gekommen ist. Ich nehme an, dass es gute Gründe dafür gibt, die über die Anklage hinaus gehen. Und ich merke, dass ich mit dieser Annahme im Feld der Spekulation lande.

Es bleiben uns nur Spekulationen

Nun muss in Personalfragen nicht alles offengelegt werden, trotzdem entsteht ein merkwürdiges Bild, in dem das Wort „Willkür“ im Hintergrund mitschwingt. Und die Frage, wie in der Kirche eigentlich Autorität ausgeübt wird.

Nicht zu Unrecht spricht ja auch der synodale Weg genau darüber.

Debatte um Autorität in der Kirche

Es ist zu begrüßen, dass Korruption – so es denn welche war – im Vatikan keinen Platz mehr hat. Das war nicht immer so, wie die lange Liste an Skandalen erzählt. Aber dazu gehört auch Transparenz, und die vermisse ich hier. Warum Becciù und nicht Pell oder Barbarin? Liegt das alleine an der empfundenen Wahrheit des Papstes? Oder war da anderes im Spiel? Und wie kann man das klären, außer im Gewissen des Papstes?

Die Geschichte um Erzbischof Becciù zeigt einmal mehr, dass wir in Sachen Autorität in der Kirche Kontrolle brauchen. Transparenz, Verfahren, Nachvollziehbarkeit, Gewaltenteilung. Denn so, wie es hier gelaufen ist, baut das kein Vertrauen auf.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Rom, VatikanSchlagwörter Autorität, Entlassung, Kardinal, Papst Franziskus, synodaler Weg, Vatikan6 Kommentare zu Autorität geht anders

Baut nicht auf Sand!

Veröffentlicht am 23. September 202022. September 2020
angewendete Soziallehre der katholischen Kirche DER Ort der Nächstenliebe und Soziallehre: Assisi

Der Mensch lernt durch Wiederholungen. Ein pädagogisches Prinzip, dessen sich der Vatikan seit einigen Wochen wieder bedient. Es ist bekannt, dass der Papst eine Enzyklika veröffentlichen wird. Die Themen werden bis dahin schon gut vorbereitet: es ist Zeit für die aktualisierte und angewendete Soziallehre der katholischen Kirche.

Seit August etwa spricht der Papst bei den Generalaudienzen Themen der kirchlichen Soziallehre an, Auslöser ist immer die durch Corona ausgelöste oder auch sichtbar gemachte Krise. Er verbindet seine Aussagen zur Soziallehre der Kirche, wie er sie in Laudato Si’ formuliert hat, mit der aktuellen Krise: „Unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit der Ökosysteme ab, die Gott geschaffen und die zu hüten er uns aufgetragen hat (vgl. Gen 2,15). Sie zu missbrauchen, ist eine schwere Sünde, die schadet und krank macht (vgl. LS, 8; 66)“.

Angewendete Soziallehre der katholischen Kirche

Oder eine Woche früher: „Die Krise, die wir wegen der Pandemie erleben, betrifft alle; wir können besser aus ihr herauskommen, wenn wir alle gemeinsam das Gemeinwohl suchen. … wenn die Lösungen für die Pandemie Spuren von Egoismus tragen, sei es von Menschen, Unternehmen oder Nationen, können wir vielleicht aus der Coronavirus-Pandemie herauskommen, aber sicherlich nicht aus der menschlichen und sozialen Krise, die das Virus hervorgehoben und akzentuiert hat. Seid also vorsichtig, nicht auf Sand zu bauen (vgl. Mt 7,21-27)! Um eine gesunde, alle Menschen einschließende, gerechte und friedliche Gesellschaft aufzubauen, müssen wir dies auf dem Fels des Gemeinwohls tun.“ Wir kennen unseren Papst, das ist alles schon Vorbereitung auf die Enzyklika, bzw. die Enzyklika wird diese Katechesen dann bündeln.

Aber nicht nur das: der Papst trifft sich mit Menschen, die seine Anliegen teilen. Und die Rede vor der UNO-Genertalversammlung kommt auch noch dazu. Und dann kommt dann nich ein Buch, das ein US-Amerikanischer Verlag schon angekündigt hat. Autor: Papst Franziskus. Titel: Let us dream! Alles umkreist derzeit diesen Themenkomplex, so scheint es.

Umkreisung des Themas

Den Rahmen oder die Entwicklungsspur dafür gibt der Kardinalstaatssekretär des Vatikan, Kardinal Pietro Parolin, in einem langen Interview wieder, er zieht die Linie der Sozialaussagen der Kirche von Benedikt zu Franziskus: „Benedikt sprach [Caritas in Veritate] von einer Ökonomie, in der die Logik des Gebens, das Prinzip der Unentgeltlichkeit, das nicht nur Solidarität, sondern noch tiefer menschliche Brüderlichkeit ausdrückt, Platz finden muss. Franziskus [Laudato Si’] hat das Thema der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung im Kontext einer „integralen Ökologie” wieder aufgegriffen: ökologisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell und spirituell.“ Die Soziallehre der Kirche sei eine solide Orientierung, die sich „ständig aktualisiere“. Genau das dürfen wir wohl von der Enzyklika erwarten.

Auch in Deutschland beraten die Bischöfe gerade bei ihrer Vollversammlung unter anderem die Corona-Auswirkungen auf die Kirche und die Antworten aus dem Glauben auf die Probleme, die entstanden sind oder die sichtbar wurden. Genau an diesen Antworten versucht sich der Papst: „Die gegenwärtige Pandemie zeigt, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind – im Schlechten wie im Guten. Daher können wir nur gemeinsam und solidarisch diese Krise überwinden. … Solidarität ist mehr als die ein oder andere großzügige Geste. Es geht dabei um eine Mentalität, eine Gesinnung des „Wir“, für die jeder Mensch gleich wichtig und wertvoll ist. Solidarität bedeutet also auch Gerechtigkeit.“

 

Kategorien Allgemein, Benedikt XVI., Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Benedikt, Enzyklika, Laudato Si, Papst Franziskus, Soziallehre15 Kommentare zu Baut nicht auf Sand!

Papst und Politik: „Their problems are our problems”

Veröffentlicht am 19. September 202019. September 2020
Politik des sich Einbringens für das Gemeinwohl Der Papst in den USA: Am Madison Square Gardens im September 2015

Der Papst und die Politik, ein weites Feld. Er wird wieder vor der Generalversammlung sprechen, wie bei seinem Besuch in New York 2015 auch schon, dieses mal sogar noch eine Nummer größer, es ist die Jubiläumswoche zu 75 Jahren UNO. Damit macht er sich nicht nur Freunde, auch in der Kirche nicht, auch hier im Blog nicht. Raushalten, ist ein immer wieder gehörter Ruf. Dagegen setzt der Papst seine Überzeugung: Politik des sich Einbringens für das Gemeinwohl.

„Die Zukunft der Welt liegt nicht nur in den Händen der Mächtigen, der großen Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker und in ihrer Fähigkeit, sich zu organisieren. Es liegt in ihrer Hand, die mit Demut und Überzeugung den Prozess des Wandels leiten kann.” Das ist sein Credo in Sachen Politik.

Politik des sich Einbringens für das Gemeinwohl

Nehmen wir uns noch mal zwei Ansprachen heraus, die in meinen Augen zusammen gehören, beide 2015 gehalten, beide „politische Reden“ im Sinne des oben gesagten. Und aus einer der beiden stammt auch das Zitat oben. Nämlich aus einer Ansprache vor den der Volksbewegungen der Welt in Santa Cruz in Bolivien. Dazu gehört die Ansprache vom September 2015 vor dem US-Kongress, so ziemlich das Gegenteil der Volksbewegungen. Aber die beiden dort gehaltenen Reden sollte man zusammen lesen.

Es ist spannend, die beiden Perspektiven des Papstes zusammen zu sehen, weil man dann nämlich feststellt, dass sie gar nicht so weit voneinander entfernt liegen. Weder sagt der Papst jedem Publikum, was es hören möchte, noch widersprechen sich dadurch seine Aussagen. Im Gegenteil, Papst Franziskus ist überzeugt, dass wir die Welt ändern können. Und das gilt für das Establishment, das wir Politiker nennen, genauso wie für alle, die sich engagieren. Und das – die Welt ändern, im Großen oder Kleinen – nennt man politisch Handeln.

Träume und Praxis

Was ein Politiker – eigentlich – ist, hat der Papst in seiner Ansprache vor dem US-Kongress deutlich gemacht. Es geht um Träume und das Gemeinwohl, und dann geht es um Praxis und konkrete Schritte. Von seinen vier Beispiel-Persönlichkeiten waren alle ganz unterschiedliche Typen dieses Typs Politiker.

Abraham Lincoln hat die Einheit der Union erhalten wollen und dafür einen Bürgerkrieg in Kauf genommen, der sich dann die Befreiung der Sklaven auf die Fahnen schreib. Martin Luther King wollte die Freiheit für alle US-Amerikaner, nicht nur die Weißen. Er nahm Gewalt und Ablehnung in Kauf, letztlich wurde er dafür getötet. Dorothy Day hat sich für katholische Arbeiter eingesetzt und Häuser für Frauen gegründet. Hinter ihr stand keine Mehrheit wie der Norden der Union oder die afro-amerikanische Bevölkerung. Und Thomas Merton war der untypischste im Quartett, ein kontemplativer Mönch, der sich aber durch das Schreiben Gehör verschaffte und die Sicherheiten seiner Zeit in Frage stellte, letztlich ein sehr politisches Tun.

Politisch im Sinne des Papstes

In diesem Sinne war der Papst auch politisch. Seine Träume wollen nicht nur Träume bleiben, er spricht auch nicht nur abstrakt über die Rolle von Religion in  Gesellschaft und Staat, sondern wird konkret: Abschaffung der Todesstrafe, Aufnahme von Immigranten (interessanterweise machte er keine Unterscheidung zwischen legal und illegal), Würde für die Ausgeschlossenen, Gefängnisse nicht nur zur Bestrafung sondern auch zur Resozialisation, dazu die Themen Umwelt, Frieden und der Dialog mit Kuba und dem Iran, die Liste der konkreten Dinge bei der Papstrede ist lang. Religionsfreiheit steht auch auf der Liste, zuletzt in Abu Dhabi bei der Unterzeichnung eines Abkommens.

Leider hat Politik einen schlechten Ruf, in den USA einen noch viel schlechteren als bei uns. Das politische Geschäft ist die reine Selbstblockade, und Präsident Trump unterbietet derzeit jeden Standard, den Politik hat.

Recht-haben-wollende Politikfeinde

Woanders sind es andere Phänomene, aber die Ablehnung von Politikern ist ziemlich weit verbreitet. Es ist aber die Art und Weise, die Welt zu verändern, wenn dir nicht auf Diktatoren oder Oligarchien setzen wollen. Das was die Anti-Demokraten veranstalten, in den USA vor allem Trump, ist im Letzten unpolitisch, weil man nichts ändern will. Änderung setzt nämlich Prozesse voraus, und die will man nicht. Man will Recht haben, in allem, Punkt. Das ist aber unpolitisch. Schauen Sie sich um!, auch hier gibt es reichlich unpolitischer weil Recht-haben-wollender Politikfeinde.

„Their problems are our problems”: dieser Satz aus der Rede in Washington ist letztlich der Kern des Politischen. Wer sich nicht mit den eigenen Problemen zufrieden gibt, sondern Verantwortung für andere übernimmt, macht sich ihre Probleme zu eigen. Und er bekommt auch Probleme, die er sich gar nicht ausgesucht hat. Klimafragen, Hunger, Zugang zu Wasser, „Dach, Erde, Arbeit”, wie das Schlagwort der wachsenden Bewegung lautet, die der Papst in Bolivien und auch in Rom getroffen hatte, das sind alles Probleme, die allen zuwachsen, die Verantwortung übernehmen.

„Yardstick”: Woran wir gemessen werden

Und dann ist es eigentlich auch egal, ob man das als Vertreter von Landlosen tut oder als US-Senator.

Fluchtpunkt des Politischen, wie es der Papst vielleicht nicht definiert aber doch beschrieben hat, ist das Gemeinwohl, der Aufbau einer Gesellschaft. Das Gegenteil dazu – und dazu schlage an die Rede an die Volksbewegungen nach – sind Partikularinteressen, die Interessen der Mächtigen, seien es Konzerne oder Parteistrategen und Wahlkämpfer.

Und wir werden gemessen werden, „yardstick” sagte der Papst, es gibt Fragen, an denen zukünftige Generationen ablesen, ob wir gescheitert sind, ob wir uns wirklich gemüht haben oder ob wir in Bequemlichkeit alles abgeschoben haben. Und diese Messlatten suchen wir uns nicht aus, nicht wir bestimmen, nach was wir einmal gemessen werden. An dieser Stelle habe ich es schon einmal geschrieben, ich bin fest davon überzeugt, dass der Umgang mit den Flüchtlingen weltweit eine solche Messlatte ist, die an uns angelegt wird.

„The enemy without feeds the enemy within”

Hier liegt unser Auftrag, für das Wohl aller und das Wohl aller gemeinsam, das Gemeinwohl, zu arbeiten.

Drücken gilt nicht. Ich möchte einen Satz abwandeln, den der Papst über den Umgang mit Hass und Terror gesagt hat: Wenn wir uns dem Gegner nur in Gegnerschaft stellen, dann werden wir so wie er. „The enemy without feeds the enemy within”, innerlich sind wir dann nicht besser. Abgewandelt lautet der Satz dann: wenn ich mich drücke, beschädige ich mich selber. Wenn wir uns diesen – letztlich politischen – Aufgaben nicht stellen, macht das was mit uns. Wir müssen nicht gleich in Parteien eintreten, politisches Handeln geht auch ganz anders. Aber mit dem Wegsehen füttern wir den Feind in uns, den “Feind der menschlichen Natur”, wie ihn der heilige Ignatius nennt, also den, der in uns steckt und uns von uns selber wegbringen will, von dem wozu wir eigentlich geschaffen und gewollt sind.

Also, überlassen wir die Politik nicht nur den Politikern. Dafür ist sie viel zu wichtig.

Transparency: Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Version eines Artikels während der Papstreise zur UNO im September 2016

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Papstreise, VatikanSchlagwörter Dialog, Gemeinwohl, Papst Franiskus, Papstreise, Politik, Religionsfreiheit, USA21 Kommentare zu Papst und Politik: „Their problems are our problems”

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