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Vatican News

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Schlagwort: Papst Franziskus

„Wohin auch immer das führen wird“

Veröffentlicht am 12. Juni 2021
Tonlage Franziskus Eine starke Antwort aus Rom für Kardinal Marx

Und zum Schluss war es dann doch wieder Rom. Als Kardinal Marx seinen Brief und seine Begründung zum angebotenen Amtsverzicht vorstellte, war der Fokus ganz auf ihm, auf seiner Motivation und Begründung. Mit der Ablehnung des Verzichtes und der Art dieser Ablehnung ist nun Rom wieder ganz im Mittelpunkt. Genauer: Papst Franziskus. Die ganze Sache bekommt die Tonlage Franziskus.

Das Ganze ist sehr schnell gegangen. Drei Wochen nachdem der Kardinal mit seinem Brief bei ihm war hatte Marx schon eine Antwort, das sind nicht unbedingt vatikanische Normalzustände. Das bedeutet, dass das Original-Fraziskus war, da sind nicht alle möglichen Dikasterien mit befasst gewesen. Das ist eine Überzeugungs-Entscheidung des Papstes.

Tonlage Franziskus

Er stärkt den Kardinal in dem, was dieser in seiner Bitte eingeschlossen hatte: die Katastrophe der sexualisierten Gewalt, die Notwendigkeit von Verantwortung, vor allem aber in der Frage nach Reform in der Kirche.

Leider kommt – was an einigen Stellen auch moniert worden ist – die Opferperspektive gar nicht vor, der Brief des Papstes bleibt in der Innenperspektive, der Frage des Gewissens und des Glaubens. Der Papst hat nicht die Absicht, konkret zu werden und genaue Schritte oder Notwendigkeiten zu benennen.

In einer ersten Reaktion auf den Papstbrief hat Kardinal Marx angemerkt: „einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein“. Jetzt stellt sich also die Frage, was das bedeutet soll. Rücktritts-Angebot und Papst-Antwort, wenn sie nicht nur Episode bleiben sollen, müssen ja Folgen haben.

Es darf nicht nur Episode bleiben

Der Kardinal spricht von „neuen Wegen“ in der Verkündigung des Evangeliums und von der „Erneuerung der Kirche“. Da hat er sich selber in die Pflicht genommen. So etwas – wenn es synodal gedacht ist – kann nicht nur in Generalvikariaten und in Sitzungen passieren, so etwas muss von „unten“ her wachsen. Mein Vorschlag wäre, im Zugehen auf den synodalen Weg der Weltkirche, der ja in den Bistümern beginnt, mit allen Pfarreien, Gemeinschaften und Verbänden ins Gespräch zu kommen. Direkt. Und zwar zuerst als Hör-Dienst. Der Bischof möge ein Dauer-Reisender in seinem Bistum sein.

Dann ist die Offenheit des Ganzen zu respektieren. Der Papst in seinem Brief macht das ja vor: niemand kommt unverändert aus einer Krise hervor, aber wie genau, das bleibt offen. Er spricht davon, dass wir „zulassen“ müssen; Kirche muss Kontrolle abgeben und die Dauerversuchung, alles irgendwie dann doch in Griff zu behalten. Und so versteht er auch ‚Reform‘, als sich aussetzten, nicht als Machen, nicht als Machtgestus.

Kontrolle abgeben

Noch etwas können wir aus dem Brief entnehmen: die geistliche Grundierung. Der Papst spricht von Sünde. In Ich-Form und Wir-Form. Wir alle sind Teil einer Kirche, welche die Katastrophe des Missbrauchs möglich gemacht hat. Wir müssen auf unsere Sünden-Geschichte schauen, vor Gott. Und um Vergebung bitten, die Opfer, aber auch Gott.

Und dann ist da immer auch die Frage nach der bischöflichen Verantwortung. Die hatte Kardinal Marx in seiner Rücktritts-Bitte ja anders formuliert als viele andere Bischöfe. Bisher wurde fast immer geschaut, ob da jemand was falsch gemacht hat oder nicht. Dass Bischöfe für das Ganze die Verantwortung tragen, galt theologisch als gesetzt. Nur wenn es schief geht, dann will es keiner gewesen sein. So geht Verantwortung nicht.

Verantwortung der Bischöfe

Der Papst schreibt: „Es stimmt, dass die geschichtlichen Vorkommnisse mit der Hermeneutik jener Zeit bewertet werden müssen, in der sie geschehen sind. Das befreit uns aber nicht von der Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen und diese Vorkommnisse anzunehmen als die Geschichte der „Sünde, die uns bedrängt“.“

Ich wünsche mir, dass die Bischöfe und andere Verantwortungsträger in der Kirch auch genau darüber sprechen. Wie sie einzeln und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Dass man keine Fehler gemacht hat ist nur das Minimum, aber Verantwortung ist viel mehr.

Das sind einige Gedanken zu dem, was der Kardinal gesagt hat: wir können nicht wieder zur Tagesordnung übergehen. Vor allem aber gilt, dass wir das nicht vorweg planen können. Hier wie beim Synodalen Weg wie auch bei allen Reform-Vorhaben der Kirche – wenn sie auf den Heiligen Geist setzen – gilt, dass der Ausgang offen ist. Oder in Worten aus dem Brief: wir müssen uns dem stellen, „wohin auch immer das führen wird“.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Kardinal Marx, katholische Kirche, Papst Franziskus, Papstbrief, Reform, Rücktrott, Vatikan15 Kommentare zu „Wohin auch immer das führen wird“

Respekt!

Veröffentlicht am 5. Juni 20215. Juni 2021
Rücktritt von Kardinal Marx Archivbild von 2017: Im Interview mit Kardinal Marx

Der Rücktritt von Kardinal Marx ist ein dreifaches Signal: „Zum einen dafür, persönlich Verantwortung zu übernehmen, zum anderen systemisches Versagen aufzuarbeiten und das ,System Kirche´ in tiefgreifende Veränderungsprozesse zu führen, zum dritten, die Seelsorge als Grundaufgabe der Kirche wiederzubeleben.“ Besser als Bischof Felix Gmür kann man das eigentlich nicht ausdrücken. Der Rücktritt – präzise: das Angebot an den Papst – wird Wellen schlagen in der Kirche, nicht nur bei uns, und zwar genau in diese Richtungen.

Rücktritt von Kardinal Marx

In den vergangenen Jahren hatte ich immer wieder mit dem Kardinal zu tun, in Rom etwa bei Bischofssynoden oder Journalistentreffen, dann beim Synodalen Weg und auch sonst. Und ich nehme ihm seine Motive ab. Da sehe ich keine Taktik. Und es ist auch falsch, gleich mit dem Finger auf andere zu zeigen und das gleiche von anderen zu verlangen. Da ist erst einmal einer, der „ich“ sagt und sich nicht selber vom. Teil des Problems zum Teil der Lösung undefiniert, sondern Verantwortung übernimmt.

In München und in Trier, wo Marx davor Bischof war, wird auch einiges schief gegangen sein, wofür Marx Verantwortung trägt. Aber wichtiger ist es, dass er als Bischof nun für das Gesamt die Verantwortung übernimmt.

Als Bischof Verantwortung übernommen

Wie oft haben wir von der Überhöhung des Bischofsamtes gehört, die Wichtigkeit in unserer Struktur, alles hängt irgendwie von ihnen ab. Sie hüten de Lehre und stehen für Kirche. Nur wenn es um Fehler geht, dann sind sie nicht zu sehen und die Verantwortung liegt bei anderen. Damit macht Marx jetzt Schluss. Als Bischof übernimmt er Verantwortung für das, was in der Kirche geschehen ist. Und kann so nicht weiter machen.

Deswegen bietet er seinen Amtsverzicht an. Und hier wird dann die Präzisierung wichtig er bietet dem Papst seinen Amtsverzicht an. Jetzt muss der Papst entscheiden. Das darf nicht nur eine Indivualentscheidung bleiben. Wie sehr Franziskus involviert war, das hat Marx ja noch einmal klar gemacht.

Und jetzt der Papst

Und weil Kardinal Marx wie oben schon gesagt in der Kirche nicht irgendwer ist, wird das Wellen schlagen. Marx sitzt im Kaerdinalsrat zur Reform der Kurie und ist in den Medien international fest mit der Kirche in Deutschland verbunden. Dass er jetzt freiwillig und so ganz ohne Zwang, souverän, diese Entscheidung getroffen hat, wird folgen haben. Wir haben so etwas Ähnliches in Chile erlebt, wo eine gesamte Bischofskonferenz dem Papst den Rücktritt angeboten hat. Wir bekommen das Gezerre um die Bischöfe hier in Deutschland mit, wenn es um Missbrauch geht.

Was Kardinal Marx da getan hat, ist eine gute Konsequenz. Persönlich finde ich es schade, aber ich finde auch, dass das zunächst einmal Respekt verdient.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und MedienSchlagwörter Bischof, Deutschland, Kardinal, Kirche, Marx, Missbrauch, Papst Franziskus, Rücktritt15 Kommentare zu Respekt!

Sammelpunkt der Dynamik des Zuhörens

Veröffentlicht am 21. Mai 202121. Mai 2021
Strukturiertes Tun Vigil zum Beginn der Synodenversammlung 2015 mit Papst Franziskus

Ergebnisorientiertes Tun will gut strukturiert sein. Das war schon bei Beginn des Synodalen Wegs klar, als während der ersten Vollversammlung die Geschäftsordnung debattiert wurde. Strukturiertes Tun: dazu braucht es einen Plan, auch und vielleicht gerade beim Thema Synodalität, weil wir das ja irgendwie noch lernen müssen, als Kirche.

2023 wird es wieder eine Versammlung der Bischofssynode in Rom geben. Und während das lange Jahre immer nach dem gleichen Muster ablief, hat dem Papst Franziskus schon bei der vergangenen Synode einen Vorbereitungs-Prozess vorgeschaltet. Das ist auch dieses Mal wieder der Fall, sogar noch ausgefeilter als letztes Mal. Was ja auch gut ist, schließlich ist das Thema der Synode die „Synodalität“ selbst.

Strukturiertes Tun

Der Vatikan hat nun die einzelnen Etappen des synodalen Prozesses vorgestellt. Zugegeben, mein erster Eindruck war ein kleiner Schock, weil sich viel überkreuzen wird mit dem Synodalen Weg, wie ihn die Kirche in Deutschland geht. Im Oktober, direkt nach der zweiten Vollversammlung des Synodalen Wegs also, soll in den Teilkirchen (Bistümern) die „Phase der Konsultation des Volkes Gottes“ zum Thema der Bischofssynode beginnen. Noch vor Oktober 2021 sollen Verantwortliche dafür in allen Bistümern ernannt werden. Abschluss dieser Phase wird – so der Vatikan – eine „vorsynodale Versammlung“ jeweils auf lokaler Ebene sein.

Da der Synodale Weg bistumsübergreifend stattfindet, kreuzen sich hier einige Kabel. Das will gut koordiniert sein. Es folgt dann eine „kontinentale Phase“, die auch noch mal ein Jahr dauern wird. Mehr dazu kann man auf den Webseiten des Vatikan oder hier lesen.

Ein wirkliches Anhören

„Die Unterteilung des synodalen Prozesses in verschiedene Phasen ermöglicht ein wirkliches Anhören des Gottesvolkes und zugleich eine Einbeziehung aller Bischöfe auf den verschiedenen Eben des kirchlichen Lebens“, heißt es gegen Ende des Vatikandokuments. Eine strukturierte und lang andauernde Phase der Vorbereitung, die hoffentlich das bringen wird, was Papst Franziskus 2015 über Synodalität gesagt hat: „dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet“.

Die spannendste News bei dem Ganzen: die Versammlung der Bischofssynode wird im Oktober 2023 stattfinden. Nicht wie bisher angekündigt ein Jahr früher. Ein ganzes Jahr wird der Prozess länger dauern, so wichtig ist dem Papst das strukturierte Vorbereiten. „Die Bischofssynode ist der Sammelpunkt (der) Dynamik des gegenseitigen Zuhörens“, so das Vatikandokument. Dieser Dynamik hat nun noch mehr Zeit. Nutzen wir sie!

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter katholisch, Kirche, Papst Franziskus, synodaler Weg, Synodalität, Synode, Vatikan, Versammlung, Vorbereitung1 Kommentar zu Sammelpunkt der Dynamik des Zuhörens

„Dem Geist fügsam sein ist revolutionär“

Veröffentlicht am 7. Mai 2021
Synodalität in der Kirche Papst Franziskus vor der Synodenaula im Vatikan, aufgenommen in einer Sitzungspause der Bischofssynode

Es ist und bleibt einer der Hauptpunkte auf der Agenda von Papst Franziskus: die Synodalität in der Kirche. Und da es immer mehr Prozesse gibt, diese lebendig werden zu lassen, äußert er sich auch immer wieder dazu. Ein Beispiel war der Brief an den Synodalen Weg in Deutschland. Ein aktuelles Beispiel ist die Ansprache vor der italienischen Laienorganisation Azione Cattolica.

Nun ist die vom Papst angesprochene Azione Cattolica etwas Eigenes, auch der von der Kirche in Italien geplante synodale Prozess ist eigen, so dass man nicht einfach das, was Franziskus sagt, übertragen kann. Und doch ist es wieder einmal eine dieser Ansprachen gewesen, in denen er viel über Synodalität sagt. Und da ich ja immer wieder dafür werbe, den Blick über den eigenen Tellerrand heraus zu richten, schlage ich vor, die Ansprache mal durch unsere Brille zu lesen.

Synodalität in der Kirche

Strukturiert ist die Ansprache in drei Hauptteile, die jeweils ein Wort aus dem Namen der Organisation zum Titel haben: „Azione“, „Cattolica“ und „Italiana“.

„Das letzte Kapitel des Markusevangeliums schließt, nachdem es von Jesu Erscheinen vor den Aposteln und seiner Aufforderung an sie, in die ganze Welt zu gehen und das Evangelium jeder Kreatur zu verkünden, berichtet hat, mit dieser Aussage: “Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten.” (16,20). Wessen Handeln ist es dann? Das Evangelium versichert uns, dass das Handeln dem Herrn gehört: Er ist es, der das alleinige Recht hat, zu handeln, indem er „inkognito“ in der Geschichte wandelt, in der wir leben.“

So beginnt der Papst seine Ausführungen über die Aktion, das Handeln. Wichtig ist ihm, dass das nichts wegnimmt von der Verantwortung des Menschen, dass Gott handeln entlässt uns nicht in die zweite Reihe. Die Präsenz des Geistes ist Quelle – nicht Effekt – jeder Verkündigung der Apostel, also jeder Handlung. Franziskus zitiert den zweiten Korintherbrief: „unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott“ (3,5).

„Unsere Befähigung stammt von Gott“

Die Zielrichtung des Papstes ist die Gefahr des Funktionalismus: menschliche Programme und Pläne seien eine große Hilfe, aber was wirklich das Reich Gottes fördert sei das Hören auf den Geist in uns.

„Es ist traurig zu sehen, wie viele Organisationen in die Falle der Organigramme getappt sind: alles perfekt, alle perfekten Institutionen, alles Geld, das man braucht, alles perfekt… Aber sagen Sie mir: wo ist der Glaube? Wo ist der Geist? „Nein, wir suchen ihn gemeinsam, ja, nach dem Organigramm, das wir erstellen.” Seien Sie vorsichtig mit dem Funktionalismus. Achten Sie darauf, nicht in die Sklaverei von Organigrammen, von „perfekten” Dingen zu verfallen.“

Das Evangelium sei Unordnung, setzt Franziskus dagegen, denn das Wirken des Geistes mache Lärm. „Dem Geist fügsam sein ist revolutionär“. An dieser Stelle möchte man einhaken und aus unserer, der deutschsprachigen Erfahrung heraus fragen, wie weit der Papst selber das beachtet. Immerhin hat es bei uns eine ganze Menge Unruhe gegeben, denen aus Rom dann mit einschränkenden Anweisungen begegnet wurde. Mir scheint, dass nicht nur italienische Laienorganisationen sondern auch der Vatikan selber sich die Worte zu Herzen nehmen sollten.

Unruhe gilt in alle Richtrungen

Das macht die Richtung der päpstlichen Warnung aber nicht falsch, früher hatte Franziskus das häufig mit einem frühchristlichen Irrglauben verglichen und neo-Pelagianismus genannt. Etwa bei seiner Ansprache 2015, gerichtet an die italienische Kirche:

„Der Pelagianismus bringt uns dazu, auf Strukturen, Organisationen, perfekte – da abstrakte – Planungen zu vertrauen. Oft bringt er uns auch dazu, einen kontrollierenden, harten, normativen Stil anzunehmen. Die Norm gibt dem Pelagianer die Sicherheit, sich überlegen zu fühlen, eine genaue Orientierung zu besitzen. Darin findet er seine Kraft, nicht im sanften Hauch des Geistes. Angesichts der Missstände oder der Probleme der Kirche ist es nutzlos, im Konservativismus und Fundamentalismus, in der Wiederherstellung überkommener Verhaltensweisen und Formen, die nicht einmal auf kultureller Ebene bedeutsam sind, nach Lösungen zu suchen.

Die christliche Lehre ist kein geschlossenes System, das keine Fragen, Zweifel, Probleme hervorbringen kann, sondern sie ist lebendig, sie kann Menschen in Unruhe versetzen, kann sie beseelen. Sie hat kein starres Gesicht, sie hat einen Leib, der sich bewegt und entwickelt, sie hat zartes Fleisch: Die christliche Lehre heißt Jesus Christus. Die Reform der Kirche – und die Kirche ist ‚semper reformanda‘ – steht außerdem dem Pelagianismus fern. Sie erschöpft sich nicht im x-ten Plan, die Strukturen zu verändern. Sondern sie bedeutet, in Christus eingepfropft und verwurzelt zu sein und sich vom Heiligen Geist leiten zu lassen. Dann wird alles möglich sein, mit Verstand und Schöpfergeist.”

„Mit Verstand und Schöpfergeist”

„Das Wort „katholisch”, das Eure Identität bezeichnet, besagt, dass die Sendung der Kirche keine Grenzen hat“: So einfach kann man das übersetzen. Sich selber zum Nächsten machen, sagt der Papst auch. Er spricht ganz bewusst an, dass er eine Laienorganisation vor sich hat:

„Eine Vereinigung zu sein, ist genau eine Art und Weise, diesen Wunsch auszudrücken, gemeinsam zu leben und zu glauben. Dadurch, dass Ihr eine Vereinigung seid, bezeugt Ihr heute, dass aus Distanz niemals Gleichgültigkeit, niemals Entfremdung werden kann.“

Noch einmal warnt der Papst auch vor der „Klerikalisierung der Laien“, ohne ins Detail zu gehen, was das genau meinen soll. Das ist formuliert im Modus der Versuchung, den der Papst so gerne mag, wird aber nicht deutlich, was genau es bezeichnet.

Ein Volk sein

Insgesamt weist dieser Abschnitt auch in seinem Zitat von Evangelii Gaudium 273 auf den engen Zusammenhang hin, den diese Gedanken mit seinen Überlegungen zum „Volk“ zu tun haben. Zuletzt hatte er in seinem Buch davon gesprochen, aber schon in Evangelii Gaudium ist das ausführlich dargelegt. Unserem Denken ist das fremd, hier müssen wir einiges an Übersetzungsarbeit leisten. Zusammenhalt gehört dazu, Zugehörigkeit, anti-elitäres und auch globales Denken. Hier gibt es noch viel zu entdecken.

Und dann kommt der dritte Abschnitt, überschrieben ‚Italiana‘. Auch die Kirche dort beginnt ja ihren eigenen Synodalen Weg, „von dem wir nicht wissen, wie er enden wird, und nicht wissen, was dabei herauskommen wird.“ Das klingt sehr nach dem, was die Kirche in Deutschland auch begonnen hat: die Ergebnisse sind nicht vorherbestimmt. Oder mit dem Papst gesagt: es ist wichtiger, Prozesse zu beginnen, als Positionen zu besetzen.

Das Jahr 2015

Der italienische Weg hat aber einen anderen Ursprung. Er liegt im Treffen von Florenz 2015, bei dem der Papst eine seiner programmatischsten Reden überhaupt gehalten hat. „Unser Glaube ist revolutionär durch einen Impuls, der vom Heiligen Geist kommt. Wir müssen diesem Impuls folgen, um aus uns selbst herauszukommen, um Menschen nach dem Evangelium Jesu zu sein.“ Die Worte und der Impuls gleichen sich, er greift hier wieder etwas auf.

In seiner Rede an die Azione Cattolica macht er aber auch ein anderes Argument stark, das er früher schon einmal ausführlicher behandelt hat: ebenfalls im Jahr 2015, bei den Feiern zum 50-jährigen Bestehen der Bischofssynode. Synodalität habe einen klaren Aufbau: „Der synodale Weg, die mit jeder christlichen Gemeinschaft beginnen wird, von unten, von unten, von unten nach oben.“ (Doppelungen im Original der Ansprache vom 30. April). In unseren Debatten des Synodalen Wegs weist das auf ein Manko hin. Oft wissen nicht einmal die Gemeinden, was genau bei Weg passiert. Wir haben das strukturell anders gelöst, über Vertreter und Mandate. Aber das ist es nicht, was der Papst meint. Was nicht heißen soll, dass es nur einen möglichen Weg der Synodalität gibt, nur eingebunden in das Kirchenleben sollte er schon sein. Da ist noch viel Mühe nötig.

Und dann das Parlament

Es durfte in seiner Ansprache auch nicht die Warnung fehlen, die immer wieder vom Papst vorgebracht wird:

„Und wir müssen präzise sein, wenn wir von Synodalität, von synodalem Weg, von synodaler Erfahrung sprechen. Es ist kein Parlament, die Synodalität macht kein Parlament. Synodalität ist nicht nur die Diskussion von Problemen, von verschiedenen Dingen, die es in der Gesellschaft gibt…. Es ist mehr als das. Die Synodalität sucht nicht nach einer Mehrheit, nach einer Zustimmung zu den pastoralen Lösungen, die wir umzusetzen haben. Das allein ist keine Synodalität; das ist ein schönes „katholisches Parlament“, das ist gut, aber es ist keine Synodalität. Denn es fehlt der Geist. Was die Diskussion, das „Parlament”, die Suche nach Dingen zur Synodalität werden lässt, ist die Anwesenheit des Geistes: Gebet, Stille, Unterscheidung all dessen, was wir miteinander teilen. Es kann keine Synodalität ohne den Geist geben, und es gibt keinen Geist ohne Gebet. Dies ist sehr wichtig.“

Wenn man das von hinten her liest, von seiner Schlussfolgerung her, dann ist da wenig nachzufragen. Natürlich muss alles, was Kirche tut, vom Geist geprägt sein und wir selber müssen alles tun, um uns offen für den Geist zu machen. Ob das aber schon eine Ablehnung demokratischer Verfahren ist? Dass es kein politisches Taktieren geben soll, ist geschenkt. Kein Schielen auf Mehrheiten, keine Absprachen in Hinterzimmern. Trotzdem würde ich das mit dem „Parlament“ noch einmal differenzierter sehen wollen. Diese doch sehr allgemein gehaltene Kritik hält meines Erachtens nicht.

Eine Kirche des Dialogs

Was er sagen will, ist dass es um eine Stil geht, der zu „inkarnieren“ ist. Kein umzusetzendes Programm. So kann ich dem voll und ganz zustimmen. In seiner doch sehr grundsätzlichen Kritik schießt der Papst aber etwas über das Ziel hinaus.

In der Ansprache werden verschiedene Linien aufgegriffen, die sich seit Jahren durch das Pontifikat ziehen und sich im Begriff der ‚Synodalität‘ treffen. Das ist das Papst-Projekt, und daran beteiligen auch wir uns mit unseren Prozessen und Erfahrungen. Und das ist dann auch die Kirche von morgen:

„Die Kirche des Dialogs ist eine synodale Kirche, die gemeinsam auf den Geist und auf die Stimme Gottes hört, die uns durch den Schrei der Armen und der Erde erreicht.“

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Heiliger Geist, Kirche, Laien, Papst Franziskus, Synodalität, Verkündigung5 Kommentare zu „Dem Geist fügsam sein ist revolutionär“

Synodalität weltweit

Veröffentlicht am 25. April 202125. April 2021
Ganz eigene synodale Formen Auch in Lateinamerika wird es synodaler: Kathedrale São Sebastião do Rio de Janeiro,Brasil. (Flickr)

Jetzt also auch Lateinamerika. Ganz verschiedene Teilkirchen auf der Welt haben ihre jeweils ganz eigene synodale Formen entwickelt, nicht zuletzt auch die Kirche in Deutschland. Mit Lateinamerika tritt nun ein ganzer Kontinent auf den Plan.

Eigentlich sollte es eine erneute Bischofsversammlung des CELAM werden, der Vereinigung der Bischöfe des Kontinents. So eine hatte es zuletzt 2007 in Aparecida gegeben, unter maßgeblicher Beteiligung des heutigen Papstes. Franziskus war es aber auch, der dem Unternehmen eine neue Richtung gab: nicht nur die Bischöfe sollten sich versammeln, sondern es sollte eine Versammlung gemeinsam mit dem Volk Gottes sein.

Ganz eigene synodale Formen

„Nein, es ist etwas anders, eine Versammlung des Gottesvolks: von Laien, Ordensmännern und -Frauen, Priestern und Bischöfen, das ganze Volk Gottes im Aufbruch: es betet, redet, denkt, diskutiert, auf der Suche nach dem Willen Gottes. (…) Außerhalb des Gottesvolks gibt es Eliten, erleuchtet von dieser oder jener Ideologie, und das ist nicht die Kirche. Die Kirche ist im Brotbrechen, gibt sich allen hin, ohne auszuschließen. Eine Versammlung der Kirchen ist Zeichen einer Kirche die keinen ausschließt.“

So drückte es der Papst in einem Video an CELAM aus. Keine Eliten, alle sollen beteiligt werden. Das ist eine weitere Form, Synodalität für die Kirche heute zu entwickeln.

In Deutschland ist es der Synodale Weg, der sein eigenes Experiment versucht. Die Kirche in Australien benutzt sogar das Wort „Konzil“, um ihren Prozess zu beschreiben. Polen und Italien sind ebenfalls dabei, sich auf einen Prozess vorzubereiten, das italienische Projekt trägt auch bereits die Unterschrift des Papstes.

Das Weltkirchen-Argument

Das alles kann auch uns helfen: Wenn ich in unseren Debatten das Wort „Weltkirche“ höre, dann hat das leider mittlerweile einen unschönen Beiklang. Als ob es das Argument wäre, Debatten bei uns zu blockieren. Dabei zeigt der Blick über unseren eigenen Horizont doch nur, wie viele andere ihre Wege suchen. Vielleicht sollten wir anstatt das Weltlkirchen-Argument mit Verdacht zu belegen uns um Kontakt und Austausch bemühen. Weltkirche, das ist nicht nur Rom, das sind eben auch Lateinamerika und Australien und Italien und Polen und bald auch Irland.

Der Papst hat uns mit auf den Weg gegeben, nicht nur auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Der weltkirchliche Horizont auf die anderen synodalen Bewegungen wäre eine eine große Hilfe dazu.

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Zweites Vatikanisches KonzilSchlagwörter CELAM, katholische Kirche, Laien, Lateinamerika, Papst Franziskus, Synodalität3 Kommentare zu Synodalität weltweit

Nicht nur eine Stilfrage

Veröffentlicht am 22. April 2021
Innerkirchlich debattiert Auf der Bühne der kirchlichen Öffentlichkeit (c)

Es ist einigermaßen entsetzlich, wie in den vergangenen Tagen innerkirchlich debattiert wurde. Eine Professorin wirft mit der Anklage „Rassismus“ um sich – in einen Augen ein Kategoriehnfehler – und ein Bischof überreagiert mächtig. Die eine spricht einer ganzen (vermuteten) Gruppe von Argumenten das humane ab, der andere will sich im Laufe seines Beitrags Textes das Recht vorbehalten, anderen das Katholischsein abzusprechen.

Zu den Inhalten ist schon einiges gesagt worden, vor allem zur mitgemeinten Anklage gegen katholische Medien. Mich entsetzt aber die Debatte als solche.

Innerkirchlich debattiert

Mich wundert zum Beispiel, dass es sehr wohl und sehr schnell deutliche Wortmeldungen zu Bischof Oster gegeben hat. Das wird den nicht überraschen und das will er ja auch, was er in seinem Beitrag auch ausdrücklich schreibt. Aber die üblichen verdächtigen, die sofort mit Meinungs-Pressemeldungen auf dem Markt sind, schweigen über den „Rassismus-Vorwurf“.

Mich wundert, bei welchen Allgemeinplätzen wir im Streit mittlerweile angekommen sind. Sobald das Wort „Rassismus“ im Raum steht, ist die moralische Fallhöhe etabliert und Diskussion wird unmöglich. Ich bin strikt gegen jede Form von Rassismus, allerdings kann man den nur bekämpfen, wenn man genau hinschaut, wo es ihn gibt, und ihn nicht als Kampf-Etikett gebraucht.

Mich wundert auch, dass das alles in Reform oder Verteidigung der Kirche zu geschehen vorgibt. Streit ist gut, Auseinandersetzung ist nötig, aber diese Eskalationsstufen bringen niemandem etwas. Schon gar nicht dem Ziel jeglicher innerkirchlicher Debatte, nämlich die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die uns daran hindern, wirklich die Kirche unseres Herrn zu sein und Seine Botschaft weiterzutragen.

Seine Botschaft weitertragen

Papst Franziskus hatte dazu schon 2013 versöhnlichere Worte, als sie mir selber heute einfallen. In Evangelii Gaudium schrieb er:

„Für diejenigen, die durch alte Spaltungen verletzt sind, ist es schwierig zu akzeptieren, dass wir sie zur Vergebung und zur Versöhnung aufrufen, weil sie meinen, dass wir ihren Schmerz nicht beachten oder uns anmaßen, sie in den Verlust ihrer Erinnerung und ihrer Ideale zu führen“ (EG 100).

Wobei, versöhnlich ist das nur in dem Versuch, zu verstehen, woher die Vehemenz kommt, die in den Debatten drin steckt. Er spricht es nicht konkret auf uns hin, aber ich erkenne in dem, was der Papst sagt, viel von der schief gehenden Debatte von heute. Er ist halt doch der geistliche Versteher, unser Papst. Lesen wir weiter:

„Darum tut es mir so weh festzustellen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften und sogar unter gottgeweihten Personen Platz ist für verschiedene Formen von Hass, Spaltung, Verleumdung, üble Nachrede, Rache, Eifersucht und den Wunsch, die eigenen Vorstellungen um jeden Preis durchzusetzen, bis hin zu Verfolgungen, die eine unversöhnliche Hexenjagd zu sein scheinen.“

Der entlarvenden Schlussfrage des Papstes in diesem Absatz schließe ich mich ausdrücklich an: „Wen wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren?“

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Kleine Liturgiereformen

Veröffentlicht am 9. April 20219. April 2021
Liturgie in Unordnung Was feiern wir? Papstmesse 2011 in Erfurt

Mir geht es gut. Ich kann in meiner Gemeinschaft von Jesuiten Messe feiern, nie allein, ohne Ticket und Beschränkung in unserem großen Haushalt. Ok, ohne Musik, das ist schade, aber sonst haben wir viel weniger Einschränkungen als die meisten anderen. Außerhalb des Schutzraumes unserer Hauskapelle ist Liturgie in Unordnung geraten. Immer schon ein Ort der Auseinandersetzungen in der Kirche wird dort nun sichtbar, wie schwach Kirche und kirchliche Bindung mittlerweile geworden ist.

Liturgie in Unordnung

Damit gehört auch die Liturgie, der Vollzug der betenden Gemeinschaft, fest in den Reformbereich. Wir müssen uns neu darum kümmern, sonst sind unsere Kirchen bald leer. Spätestens in einer Generation.

Zwei Nachrichten aus den vergangenen Wochen lassen mich aufmerken.

Zum einen gilt im Petersdom seit kurzem ein Verbot von Einzelmessen an den vielen Altären. Wer dort morgens die Messe feiern möchte, der muss das von nun an in Gruppen machen. Viel Protest gab es, Priester hätten ein Recht auf Einzelmessen und dergleichen. Abt Jeremias Schröder hat eine gute Erwiderung darauf: Mitarbeiter im Vatikan und dort vor allem die Priester brauchen mehr Erdung, und auch mehr liturgische Erdung, und keine Vereinzelung.

Mess-Verbote im Petersdom

Die zweite Nachricht ist etwas verwirrender, und zwar gibt es nach dem Ausscheiden von Kardinal Sarah erst einmal keinen neuen Präfekt für die Liturgie-Kongregation im Vatikan, also die Aufsichtsbehörde über Gottesdienste. Sondern erst einmal eine „beratende“ Visitation. Sehr ungewöhnlich.

Aber scheinbar ist Papst Franziskus nicht einverstanden mit der Organisation dort, so dass er den sehr ungewöhnlichen Schritt einer Evaluation von Außen macht. Verständlich, denn die eigentlichen Mitglieder der Kongregation – Bischöfe und Kardinäle aus der Weltkirche – haben sich während der Amtszeit von Sarah nur ein mal getroffen. Entscheidungen traf Rom, ohne Beratung. So soll es wohl – das ist das Signal dieser Visitation – nicht weiter gehen.

Ungewöhnliche Visitation

Beide Aktionen sind so etwas wie eine Liturgiereform im Kleinen. So denn die Schlüsse daraus gezogen werden, was im Vatikan wahrlich nicht immer der Fall ist.

Corona hat unsere Weise zu feiern erschüttert. Weil es nicht mehr geht. Weil sichtbar wird, dass diese Form des Feierns nicht zukunftsfähig ist.

Wenn wir uns an die Zukunftsfähigkeit unserer Kirche und die Weitergabe unseres Glaubens an kommende Generationen machen, wenn wir über dringende Reformen nachdenken, dann gehört die Liturgie auch dazu. Dringend.

Dringende Reform

Dazu braucht es vor allem ein Ernstnehmen von Liturgie. Wer ernst genommen werden will, der muss selber ernst nehmen, so wie alte Regel.

Oft genug scheint mir, dass Liturgie einen anderen Zweck hat als sich selbst, als die Feier des Glaubens. Da soll eine Vorstellung von Glauben hoch gehalten werden, welche die meisten Gläubigen nicht mehr mitgehen wollen und können. Und hier geht es nicht um Zeitgeist, hier geht es darum, verantwortet zu schauen, was dem Auftrag Jesu heute gerecht wird.

Der Auftrag Jesu

Die Auseinandersetzung darüber, was Liturgie sein soll, ist so alt wie die jüngste große Liturgiereform, die des Zweiten Vatikanums selber. 1966 hat beim Katholikentag in Bamberg der damalige Prof. Joseph Ratzinger sich die Kritiker an der Reform vorgenommen, diese Kritik bedeute, 

„Liturgie ins Museum der Vergangenheit einreihen, in die ästhetische Neutralisierung abdrängen und von vornherein voraussetzen, dass sie in ihrer ursprünglich gemeinten Bedeutung heute gar nicht mehr gemeint sein kann. In diesem Sinn beruht das Skandalöse der Liturgiereform darin, daß sie durchaus naiv genug ist, Liturgie noch immer so zu meinen, wie sie eigentlich gemeint war: nämlich sie ernst zu nehmen als das, was sie ist.“

Liturgie ernst nehmen als das, was sie ist

Und was ist Liturgie? Eben nicht das, als was sie oft genug gefeiert wird, als Darstellung der Kirche. Der Hierarchie. Der Struktur.

Es ist wie bei dem liturgischen Element der Fußwaschung am Gründonnerstag, wo bis zu Papst Franziskus’ Entscheidung in den liturgischen Büchern vorgesehen war, dass nur Männern die Füße gewaschen werden sollen. Bis eben der Papst einer Frau und einer Muslima noch dazu den Dienst erwies.

Wie die Fußwaschung ist auch die gesamte Liturgie „Mandatum“, also Gebot. Weil sich hier ausdrückt, was Jesus als sein Gebot aufgetragen hatte: liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Dient einander. Der erste soll euer Diener sein. Und so weiter. Und dieser Dienst ist nicht symbolisch, er ist real und hat mit sich Bücken und Waschen zu tun.

Liturgie, das ist muss bleiben die Feier des Glaubens, nicht die Darstellung von Kirche.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Glaube, Kirche, Liturgie, Messe, Papst Franziskus, Reform, Vatikan23 Kommentare zu Kleine Liturgiereformen

Von Ur in Chaldäa zur globalen Krise

Veröffentlicht am 3. März 202127. Februar 2021
Warum fährt Franziskus in den Irak Christentum im Irak: Gläubige in einer gemeinsam von Jeziden und Christen genutzten Kapelle in Kurdistan. Oft: WikimediaCommons

Papst Franziskus fährt in den Irak. Die erste Papstreise seit Corona, aber nicht allein deshalb ist das ein spannendes Projekt. Warum tut der Papst das? Warum fährt Franziskus in den Irak? Weil dort viele Dinge zusammen kommen, die dem Papst in der Ausübung seines Amts am Herzen liegen.

Natürlich geht es auch um die Ursprünge unseres Glaubens, der Papst besucht „Ur in Chaldea“, die Heimat Abrahams. Das ist symbolisch der Auftakt der Reise. Aber da sind noch mehr Gründe:

Warum fährt Franziskus in den Irak?

Die Vorliebe für Reiseziele, die Menschen Sichtbarkeit geben: mit seiner Reise nach Lampedusa hat Papst Franziskus den Takt vorgegeben, Auffanglager auf Lesbos, Gefängnisse in Italien und viele andere Orte folgten. Der Papst richtet seine Aufmerksamkeit und damit auch die Aufmerksamkeit der Medien auf Menschen, die sonst im Schatten stehen. Er behandelt so nicht nur Themen, sondern trifft die Menschen, um die es geht.

Die Vorliebe für Reiseziele, die Themen sichtbar machen: Vertreibung der Christen durch den IS, Dialog, Frieden, Opfer der Kriege, Zusammenarbeit, all das kommt dort zusammen. Ein Thema möchte ich hier betonen: den Dialog mit dem Islam.

„Man kann keine Brücken zwischen den Menschen bauen, wenn man Gott vergisst. Doch es gilt auch das Gegenteil: Man kann keine wahre Verbindung zu Gott haben, wenn man die anderen ignoriert. Darum ist es wichtig, den Dialog zwischen den verschiedenen Religionen zu verstärken – ich denke besonders an den mit dem Islam“.

Worte von Papst Franziskus aus einer seiner allerersten Ansprachen, der Grundsatzrede vor dem diplomatischen Corps direkt nach seiner Wahl im März 2013. Immer wieder hat er diesen Dialog gesucht, über das gemeinsame Gebet in den Vatikanischen Gärten bis zur Erklärung von Abu Dhabi vor knapp über einem Jahr. Besuche in der Türkei, in Ägypten, in Jordanien und Israel und so weiter kamen dazu. Das ist ein bleibender und wenig beachteter roter Faden im Pontifikat Franziskus.

Keine Brücken zwischen den Menschen ohne Gott

Die Vorliebe für Reiseziele des Dialogs: Diese ist mir der vorhergehenden verwandt, aber nicht identisch. In Abu Dhabi zitierte er sich selbst, und zwar die Stelle, die ich oben bereigents Anna habe. Er sagte:

„Es gibt keine Alternative: Entweder wir bauen die Zukunft gemeinsam oder es gibt keine Zukunft. Vor allem die Religionen können nicht auf die dringende Aufgabe verzichten, Brücken zwischen Völkern und Kulturen zu bauen.”

Das Stichwort hier ist „bauen“. Es bricht nicht überall sofort Frieden aus, sobald sich Leute an einen Tisch setzen. Das ist mühsam. Dialog ist mühsam. Weswegen diese Reiseziele auch immer und immer wieder bei Papst Franziskus auftauchen. Es sind die Mühen der Ebene, denen sich die Religionen nicht entziehen dürfen.

Die Vorliebe für Reiseziele, die über den Ort selbst hinaus weisen. Der Irak gehört zu dem, was Christen „heiliges Land“ nennen, Ur und andere Orte sind biblisch. Damit ist der Radius viel weiter gezogen als der politische Irak. Und auch die dort sichtbaren Themen sind untrennbar mit der gesamten Region verbunden: Türkei und Syrien, Iran und Saudi Arabien, Israel und der „Westen“, alle sind beteiligt und betroffen. Und alle sind auf genau diese Weise einbezogen in die Reise, auch wenn es nur wenige Orte sind, an die der Papst konkret kommt.

Paradoxe Intervention

Die Vorliebe für paradoxe Interventionen: das große Thema weltweit ist ist die Pandemie und deren Folgen. Daneben verschwinden andere Themen schnell wieder. Papst Franziskus spricht nun einige dieser Folgen auf eine Art an, wie wir es schon in seinem Buch lesen konnten.

Es geht eben nicht nur um die Frage nach der Impfung bei uns, sondern um eine globale Krise, die in der Pandemie sichtbarer wird als jemals zuvor. Und die wird eben auch in Vertreibung und Not, im Ringen um Frieden, in interreligiösen und interkulturellen Konflikten sichtbar. Sich dem zuzuwenden heißt auch, sich der globalen Krise insgesamt zuzuwenden.

So passt die am 5. März beginnende Reise perfekt in das Pontifikat Franziskus.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Papstreise, VatikanSchlagwörter Christenverfolgung, Dialog, Irak, Islam, Papst Franziskus, Papstreise10 Kommentare zu Von Ur in Chaldäa zur globalen Krise

Von Unterscheidung und Entscheidung

Veröffentlicht am 29. Januar 202129. Januar 2021
Stimmen der Zeit Papstpredigt: Messe in Santa Marta 2013

Wie komme ich geistlich zu einer Entscheidung? In einem Text hier hatte ich das ja schon einmal thematisiert, jetzt habe ich das einmal konkret gemacht. Und zwar eher kritisch. In der Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit gehe ich der Art und Weise nach, wie Papst Franziskus das von ihm im Rahmen von Synodalität immer wieder angesprochene Vorgehen der ‚Unterscheidung‘ anwendet, letztlich beim Schritt in die Entscheidung dann aber umdeutet.

Stimmen der Zeit

Es geht um die Viri Probati, aber das ließe sich auch auf andere Bereiche anwenden. Eine Unterscheidung ist kein Selbstzweck, und auch Synodalität ist es nicht. Es geht letztlich darum, zu Entscheidungen zu kommen. Es sind Mittel auf einem Weg zu Entscheidungen. Auch bei uns, auch auf dem Synodalen Weg. Und da muss man genau hinsehen, wie das gehen kann. Und das eben auch kritisch.

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Neulich im InternetSchlagwörter Kirche, Papst Franziskus, Stimmen der Zeit, Synodalität, Synode, Unterscheidung, Viri probati18 Kommentare zu Von Unterscheidung und Entscheidung

Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Veröffentlicht am 18. Dezember 202017. Dezember 2020
Reform der Kurie Eingang zum Apostolischen Palast: Was hinter diesen Türen vorgeht, bleibt immer noch verborgen

Eine Liste von vatikanischen Krankheiten wird es nicht noch einmal werden. Auch die Tugend-Liste gab es schon. Was wird Papst Franziskus zur Reform der Kurie in diesem Jahr zu sagen haben?

Am kommenden Montag ist es wieder soweit: der Papst wird die Spitzen seiner Kurie – also seiner Verwaltung – zum Weihnachtsfest empfangen und seine Jahresansparache halten. Gelegenheit für Grundsätzliches, das war schon in den vergangenen Jahren so.

Reform der Kurie

Das Grundthema war immer schon die „Reform“ der Kurie, was auch immer genau das heißen mag. Immer wieder hat der Papst angekündigt, diese dem künftigen Papst von den Kardinälen vor der Wahl aufgegebene Reform zügig umzusetzen. Und doch lesen wir immer und immer wieder von neuen Skandalen, vor allem aber nicht nur finanziellen. Das zeigt zum einen, wie wichtig diese Reform ist. Das zeigt zum anderen aber auch, wie wenig diese bisher voran gekommen ist.

Aber seinen wir ehrlich: vieles von dem, was wir als Skandal wahrnehmen, ist Heilungsschmerz. Es gibt Aufräumarbeiten in Sachen Finanzen, Dinge werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern sie kommen ans Licht. Das ist erst einmal etwas Gutes.

Nach sieben Jahren Papst Franziskus

Aber dass es nach fast sieben Jahren Franziskus immer noch so viele Baustellen gibt, das verwundert schon.

Angefangen hatte Papst Franziskus sehr geistlich, sehr grundsätzlich, und sehr scharf: Die berühmten und heute schon fast vergessenen „15 Krankheiten der Seele“. Danach wurde er realistischer, aber auch dann noch stand der Zentralbegriff seines Verständnisses von Reform im Zentrum: der Bekehrung.

Das ist das eine. Aber er ist eben als Papst auch verantwortlich für die Umsetzung und die strukturelle Absicherung der Reformschritte. Seit Jahren tagt der Kardinalsrat, um eine neue „Vatikan-Verfassung“ zu erarbeiten, einmal gab es schon eine Fassung, fertig um an die Bischöfe der Welt verschickt zu werden. Aber seitdem: Schweigen.

Seitdem: Schweigen

Ab und zu wird es laut hinter den Mauern, ab und zu kommen gute Nachrichten über eine Neubesetzung oder die Neueinrichtung dieser oder jener Stelle. Auch hat es in diesem Jahr neue Vorschriften zur Vergabe von Aufträgen gegeben, was kluge Beobachter für den radikalsten der Schritte in der Unkultur der Arbeit dort sehen.

Aber Beobachtern fällt auch auf, dass einige Stellen eben nich neu besetzt wurden, die des Finanz-Revisors etwa dauerte ein ganzes Jahr. Oder auch die Nachfolge für Kardinal Pell, der ein Jahr vor Gericht stand und dessen Posten in Rom unbesetzt blieb. Man wird von außen den Eindruck nicht los, dass das mit der Reform wenn es praktisch wird dann doch nicht so einfach ist. Oder gewollt.

Viele kleine Schritte hat der Papst getan, etwa bei der Besetzung von Stellen. Darauf weist er in seinem Buch hin, da geht es etwa um den Frauenanteil und darum, Fachleute in Kontrollgremien zu holen. Aber die Kurie präsentiert sich nicht in einem Zustand, dass kleine Schritte reichen.

Kleine Schritte reichen nicht

Priester seien wie Flugzeuge, hatte der Papst in seiner Weihnachtsansprache 2014 gesagt: sie fallen nur auf, wenn sie abstürzen. Da ist was dran, auf die guten Seiten schauen wir zu wenig. Aber als Entschuldigung reicht das nicht mehr.

Es gibt Reformbemühungen in der Kirche, sehr viele. Es wäre zum Beispiel hilfreich, diese konstruktiv zu begleiten und nicht durch sehr allgemein gehaltene Kritik von oben zu schwächen. Und das schon gar nicht, wenn die eigene institutionelle Glaubwürdigkeit immer wieder neu in Frage gestellt wird.

Wenn die Institution Kirche nicht ihrem Sinn – des Lebens und der Verkündigung des Glaubens – im Wege stehen soll, dann muss sie sich entwickeln. Dann muss sie reformiert werden. Das ist eine Aufgabe für Bekehrung. Aber auch eine für die Verantwortung der Autoritäten in der Kirche. Und besonders im Vatikan. Es wird Zeit. Nicht nur zu Weihnachten.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Rom, VatikanSchlagwörter Geld, Korruption, Kurie, Papst Franziskus, Reform, Vatikan, Weihnachtsansprache20 Kommentare zu Päpstliche Weihnachtsworte, alle Jahre wieder

Francescotopie

Veröffentlicht am 9. Dezember 20209. Dezember 2020
Unsere Welt ist nicht alternativlos Dynamik und Bewegung: Stillstand geht nicht mehr

Unsere Welt ist nicht alternativlos. Auch wenn wir so leben, als ob. Wir tun so, als ob unsere Welt und unsere Form von Gesellschaft der Gipfel des Zivilisatorischen wären. Fortschritt, Messbarkeit, Rationalität und Vorrang des Ökonomischen sind die Grundkonstanten unseres Denkens. So haben wir uns unsere – westliche – Welt gebaut. Und wir tun so, als müsse das so sein.

Aber die Welt ist nicht alternativlos. Behauptet auch Papst Franziskus: „Die COVID Krise hat sichtbar werden lassen, dass unsere Lösungen und unsere Weise die Welt zu organisieren nicht der Realität entspricht. … Eine Wirtschaft, die Wachstum um jeden Preis als oberstes Ziel betrachtet, ist nicht weiter haltbar.“

Unsere Welt ist nicht alternativlos

Dahinter verbirgt sich eine Vision. Keine gesetzte Vision, kein genaues Konzept, keine Prophetie einer besseren Welt. Dahinter verbirgt sich vielmehr eine Dynamik, beginnend mit der Einsicht, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich möchte diese besondere Version einer Vision Franziskotopie nennen.

Das Wort habe ich sozusagen geklaut. Oder geliehen. Und zwar vom senegalesischen Autor Felwine Sarr, dessen Buchtitel „Afrotopia” ich etwas abgewandelt habe. Sarr spricht davon, dass wir die „Vorstellung von menschlichem Vorschritt“ aus der kollektiven Vorstellung der Welt verdrängen müssen. Nur so schaffe man Raum für andere Möglichkeiten. „Das Offene denken bedeutet, das Leben, das Lebbare, das Gangbare anders zu denken als im Modus der Quantität und der Habgier.“ (Sarr, S.14)

Anders denken als im Modus der Quantität

Ganze Kapitel dieses Buches klingen wir mit Papst Franziskus parallel gelesen. Sarr spricht natürlich über Afrika und dessen genuine, nicht von außen bestimmte Zukunft. Bisher würde ein ganzer Kontinent von außen beschrieben, die Mythen des Westens, ausgedrückt in „gängigen Worthülsen wie ‚Entwicklung‘“, abzulösen. Interessant ist, dass das ein geistiges Buch ist, das von Vorstellungen von Welt und von Mythen spricht. Besonders hier gibt es starke Parallelen zum Papst, auch wenn die Absichten unterschiedlich sind.

Ähnlich argumentieren aber auch die vom Papst in seinem Buch genannten Wissenschaftlerinnen. Oder die sich in deutscher Sprache gut verkaufende Ökonomin Maja Göbel, die von Denkbarrieren spricht und schreibt.

Franziskotopie, das wäre also der „andere Ort“ – Topos – von dem man aus denkt. Ausgangspunkt für den Papst ist der Rand, von dem man aus schauen muss, um neue Perspektiven zu entdecken. Aber sind auch allgemein religiöse Überzeugungen, die einzigartige und nicht von Fortschritts-Vorstellungen geprägte Einsichten schaffen können. Religionen „sind Quelle des Guten“, sagt Papst Franziskus. „Sie erzeugen Überzeugungen der Solidarität und des Dienstes, welche die Gesellschaft als Ganzes stärken können. Sie sind Orte der Versöhnung, an denen die Menschen erfahren, aus dem Markt Ihnen niemals wird geben können: ihren Wert als Menschen, und nicht nur ihren Wert als Arbeitnehmer oder Verbraucher.“

Keine Statik, kein Stillstand

Franziskotopie – das Wort ist aber auch geliehen von Michel de Certeau SJ und seiner Idee der Heterotopie, des „Andernorts”. Das sind keine statisch verstandenen Orte, sondern dynamische Räume des Vorläufigen. Orte organisieren Dinge, nebeneinander, in Beziehung zueinander, übereinander, all das folgt vor allem der einen Regel, dass nicht zwei Dinge gleichzeitig am selben Ort sein können. Räume hingegen oder Andern-Orte entstehen erst durch Richtungen und durch Zeit, schreibt Certeau. Raum besteht in der Begegnung von beweglichen Dingen. Er ist nie stabil, wie auch das gesprochene Wort nicht.

Sehr abstrakt, zugegeben, aber man darf ja ruhig mal den Kopf anstrengen. In jedem Fall soll das sagen, dass die Ideen des Papstes nicht in freiem Raum schweben. Er ist mit seinem spirituellen Beitrag Teil einer weiteren Debatte.

Und dass wir die führen müssen, dass machen uns die Krisen klar. Ein zurück kann es nicht geben, wie der Papst formuliert: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Covid, Gesellschaft, Papst Franziskus, Papstbuch, Vision, Zukunft1 Kommentar zu Francescotopie

Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Veröffentlicht am 4. Dezember 20204. Dezember 2020
Träumen ist keine Phantasterei Ein sehr persönlicher Papst

Es geht um etwas, was uns übersteigt. Was größer ist. Wohin wir nur kommen, wenn wir uns zu träumen erlauben. Träumen ist keine Phantasterei, träumen bedeutet hinaufreichen, über den Horizont blicken, sich nicht von vermeintlichen Mauern einschränken zu lassen.

So etwas braucht es heute. Und deswegen hat Papst Franziskus ein Buch darüber geschrieben. Heute kommt es auf den Markt: „Wage zu Träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.” Es ist kein Ratgeber-Buch, kein seichter Ermutiger. Es ist ein Projekt, das Großes will.

Träumen ist keine Phantasterei

Das Träumen war immer schon wichtig für diesen Papst. „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln…“ schreibt er in Evangelii Gaudium (27). Traum ist ein Schritt zur Veränderung, zum Wandel. Traum ermöglicht. In den Augen des Papstes selbst da, wo wir das gar nicht mehr sehen. Deswegen ruft er zum Beispiel Obdachlosen zu „Hört nicht auf zu träumen!“ Das Träumen, von dem der Papst spricht, ist kein Rückzug. Kein in sich Kehren, keine Innerlichkeit. Es will zu konkretem Handeln führen.

Dieses Buch will träumen. Was aus diesem Papst aber keinen Traumtänzer macht, im Gegenteil. Träumen ist nicht etwa eine Abkehr vom Realismus. Es braucht einen geschärften und ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit, um träumen zu können. Und träumerisch-realistisch war auch schon die jüngste Enzyklika. Und so kommt auch der ins Buch. Manchmal holzschnittartig, immer aufrüttelnd, oft sehr persönlich.

Ein sehr persönliches Buch

Wie gesagt, es ist ein sehr persönliches Buch geworden, vielleicht das Persönlichste. Der Papst erzählt von eigenen Krisen, von Rückschlägen und seiner Krankheit und berichtet auch vom Frust, den er damals in Deutschland erlebt hat. Aber er berichtet auch von dem, was er etwa im Studium von Romano Guardini gelernt hat. Über den wollte er ja promovieren, woraus nichts wurde. Aber geprägt hat Guardini den Papst sehr: „Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst.“

An dieser Stelle werde ich sicherlich noch auf das Buch zurück kommen, zuerst aber vielleicht zwei Dinge. Erstens: es lohnt die Lektüre!

Aufbau gegen Widerstände

Und zweitens möchte ich einen Aufruf des Papstes heraus nehmen, den ich für bezeichnend halte: das Nehemia-Projekt. Der Papst spricht über den Propheten und das alttestamentliche Buch gleichen Namens, in dem es um den Wiederaufbau Jerusalems nach der Katastrophe geht. Um Aufbau auch gegen Widerstände von außen. Und um die Freude, die Stärke schenkt. Das ist das, was ihn an Nehemia beschäftigt und wo er Berührungspunkte zu seinem eigenen Traum-Wagnis sieht. Und so schreibt er:

„Jetzt ist der Augenblick für ein neues Nehemia-Projekt gekommen, einen neuen Humanismus, der die Aufbrüche von Geschwisterlichkeit nutzbar machen und der der Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen ein Ende setzen kann. Wir müssen wieder das Gefühl haben, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für andere haben“.

Und damit wären wir auch beim Anlass des Buches: wie kommen wir aus der Corona-Krise heraus? Was wollen wir danach aufbauen? Wie unsere Welt, in der so viel zusammen gebrochen sein wird, neu gestalten? Dass Papst Franziskus mit der Art und Weise, wir wir unsere Welt vor allem wirtschaftlich geordnet haben, nicht einverstanden ist, ist kein Geheimnis. Auch aus religiösen Gründen nicht. Aber während der Papst in der Vergangenheit eher allgemein gesprochen hatte, ist es nun eine sehr konkrete und weltweite Krise, für die er eine Perspektive entwickelt.

Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist, das ist das Mantra des Buchs. Und deswegen: „Wir brauchen die Fähigkeit der stillen Reflexion, Rückzugsorte von der Tyrannei des Dringenden.“ Wir brauchen die Fähigkeit zu träumen.

Was will der Papst mit seinem Buch?

Was will der Papst mit seinem Buch? Zunächst einmal nimmt er eine von ihm gewohnte Perspektive ein: Man sieht die Realität besser von ihren Schwachstellen aus, von der Peripherie. Das wird in der Krise besonders sichtbar. Nicht die Stärken bestimmen seinen Blick auf die Welt, sondern eben diese Schwächen.

Mit diesem Blick schaut er auf Covid, aber daneben zählt er auch die anderen Schwächen und Krisen der Welt auf, die im Augenblick in den Hintergrund gerückt sind, etwa fehlende Schulbildung für viele Kinder oder den Hunger. Seine Angst ist, dass wir alle hart daran arbeiten, den Zustand von vor der Krise wieder her zu stellen. Seine Angst ist es auch, dass das, was in der Krise sichtbar geworden ist, nachher wieder zugedeckt wird. Und so einsichtig das ist für Menschen, deren Existenz jetzt bedroht ist, so war das System von davor doch Teil des Problems. Deswegen sein Mantra: Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist. Es ist an uns, das zu gestalten.

Das Mantra des Papstes

Und genau darum geht es in dem Buch: gestalten. Die Gleichgültigkeit und das sich nicht zum Nachbarn und Schöpfung kümmern, das seien keine Optionen mehr. Leider sei unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Welt genau darauf aufgebaut. Und geschützt werde das von einer inneren Haltung, der – wie er es nennt – „abgeschlossenen Geisteshaltung“, der er eine großen Teil des Buches widmet. Es ist eben keine abstrakte Kritik am „System“, sondern konkret, für jede und jeden handhabbar. Wir können auf uns selber schauen, wenn es um die Überwindung der Krise geht. Und das ist sein Anliegen.

Nicht „man müsste mal“, sondern ganz praktische schauen auf sich selbst und die eigene Haltung und das eigene Herauskommen aus der Krise. Natürlich hat der Papst auch wieder Wirtschaftskritik im Gepäck, das Wachstums-Prinzip sei nicht länger haltbar. Er argumentiert auch für ein Gundeinkommen und hat andere konkrete Ideen. Aber der Kern ist dann doch das, was wir geistlich als „Umkehr“ bezeichnen.

Der „Feind der menschlichen Natur“

So ist der spannendste Teil des Buchs eben die spirituelle Anleitung. Er spricht vom „Feind der menschlichen Natur“, also von dem, was uns von uns selbst, vom Nächsten und von Gott entfernt und letztlich destruktiv ist. Er macht sichtbar, wie dieser „Feind“ agiert und unser Leben beeinflusst. Er bedient sich durchweg einer spirituellen Sprache, welche die Worte Versuchung, böser Geist, Geisteshaltung und Demut kennt.

Der Schlussakkord: Wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir die Idee zurück gewinnen, dass wir als Volk ein gemeinsames Ziel haben. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.

Das Ziel Gemeinwohl, das Ziel „träumen”

Gemeinwohl ist das Ziel, ausgedrückt in dem in unserer Sprache vielleicht etwas sperrig klingenden Wort „Volk“. Gemeinwohl ist viel mehr als die Summe des Wohls der Einzelnen. Und das ist ja aktuell, wie der Impfstoff-Nationalismus dieser Tage sehr deutlich zeigt.

„Indem wir diese Fragen stellen, öffnen wir uns für das Handeln des Geistes. Wir können beginnen zu unterscheiden, neue Möglichkeiten sehen, wenigstens in den kleinen Dingen um uns herum oder in den alltäglichen Dingen, die wir tun. Und indem wir uns diesen kleinen Dinge überlassen, beginnen wir, uns eine neue Weise des gemeinsamen Lebens vorzustellen, des Dienstes an unseren geliebten Mitgeschöpfen. Wir können anfangen, zu träumen.“

Was den Papst interessiert, sind nicht einzelne Rezepte, sondern der Prozess des Wandels. Es geht ihm religiös gesprochen um die Dynamik der Bekehrung. Um ein „Pilgern“, ein sich bewegen, ein nicht da stehen bleiben, wo man es vermeintlich behaglich eingerichtet hat und wohin man zurück will. Das geht aber nicht mehr,

Denn noch einmal: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Wir kommen nicht aus der Krise heraus, wie wir hinein gegangen sind. Es ist an uns, das zu gestalten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Aufbau, Buch, Corona, Covid, Gesellschaft, Krise, Papst Franziskus, Politik, War zu Träumen6 Kommentare zu Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

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