Das Telefon klingelt und Elisabetta Piqué nimmt ab. Sie ist eine argentinische Journalistin in Rom, eine „Vaticanista“, und es ist der 18. Februar 2013, eine Woche nach der Ankündigung Papst Benedikt XVI., auf sein Amt zu verzichten. Am anderen Ende der Leitung ist Kardinal Jorge Mario Bergoglio, er ruft seine gute Bekannte an, und am Ende des Gesprächs wird er zum Abendessen eingeladen, sobald er in Rom angekommen ist. Die Wahl von Papst Franziskus nimmt seinen Lauf.
Elisabetta Piqués Mann ist ebenfalls ein Vaticanista, Gerard O’Connell, Ire und Korrespondent eines US-amerikanischen Mediums. Und der hat nun ein Buch vorgelegt über diese Tage. Tage, die sich in meiner eigenen Erinnerung zu einem einzigen langen Tag verdichtet haben, von der Ankündigung des Rücktritts von Benedikt XVI. bis zum weißen Rauch und den ersten Tagen, die ein so ganz anderes Pontifikat beginnen ließen. Genau sieben Jahre ist das jetzt her.
Die Wahl von Papst Franziskus nimmt seinen Lauf
Die beiden sind gut bekannt mit Bergoglio und Gerard – ich kenne ihn gut aus meinen Jahren in Rom – macht auch keinen Hehl daraus. Trotzdem aber ist das Buch ein Musterexemplar an Sachlichkeit. Die Wirklichkeit war spannend und interessant genug, da muss man kein Geheimnis hinein vermuten.
Italienische Medien lieben Verschwörungsgeschichten und deren Aufklärung. „Dietrologia“ heißt das, ein Buch oder Artikel, indem aufgedeckt wird, wer mit wem heimlich was verabredet hat. Wie genau es zu diesem oder jenem Skandal hat kommen können. Was wirklich hinter einem Ereignis steckt.
Keine Verschwörung
Auf den Regalen zu Papstbüchern stehen eine ganze Reihe Werke dieser Gattung, das berühmteste natürlich das Buch über den angeblichen Mord an Papst Johannes Paul I., aber auch aktuelle Skandale haben ihre Verewigung gefunden. Aktuell immer wieder frisch: Neues zu den Finanzskandalen. Gemeinsam haben diese Stücke die These, dass alles im Kern ganz einfach ist, dass man letztlich eine kleine Gruppe von Menschen benennen kann, die Verantwortung tragen für eine Entscheidung oder Entwicklung, die diese dann aber Verdecken. Und da kommt nun der Journalist und deckt das auf.
Nun ist die Wirklichkeit aber meistens grau und selten schwarz weiß. Weswegen diese Bücher oder Artikel auch meistens verkürzend wirken. Man kann sich aufregen oder glauben, jetzt wisse man endlich, aber so richtig treffen tun diese Dinge nicht. Im Netz kann man das schön beobachten: Es gibt unter den Destruktiv-Katholiken klare Narrative, wie es zur Wahl von Papst Franziskus hat kommen können. Denn natürlich hat es auch da eine Verschwörung gegeben, wie könnte es anders sein? Das Buch hätte genau so ein Buch sein können. Es ist aber zum Glück genau das Gegenteil.
Der Autor, ein kluger Beobachter
Drei Narrative laufen nebeneinander. Da ist zum einen der Autor selber, er erzählt von sich, seinen Interviews, seinen Begegnungen, und lässt teilhaben an der Arbeit eines Journalisten in einer sehr ungewöhnlichen Situation. Eines Journalisten zudem, der gut bekannt ist mit der Hauptperson des Buchs.
Zum zweiten ist da die dokumentarische Wiedergabe der Berichterstattung. Das ist da das, was die meisten von uns von der Wahl und den Hintergrund-Interviews mitbekommen haben. Er listet das auf, umfassend, fast für jeden Tag des Geschehens. Grundsolide journalistische Arbeit ist das, so überhaupt nicht auf Skandal sondern auf Information aus.
Zum dritten ist da natürlich der Überblick über die Entwicklung. Nie verlieren wir im Buch aus dem Auge, wo in der Handlung wir gerade sind. Das macht das Buch interessant auch für Leute in Jahrzehnten, lange nachdem der Rauch um die Kontroversen um diesen Papst schon verzogen sein wird.
Auch eine Mediengeschichte
O’Connell hat in all dem zwei rote Fäden, die sich durch das Buch ziehen. Zum einen ist da die Frage nach den „Visions of the Church“, also die Frage nach den Vorstellungen von Kirche für die Zukunft, die während dieses langen Monats diskutiert wurden. Das sind spannend zu lesende Dinge, auch jetzt noch relevant.
Zum Zweiten ist da die Mediengeschichte, die der Autor erzählt. Mehr als einmal weist er darauf hin, wie völlig falsch italienische Medien in ihren Spekulationen über den neuen Papst gelegen haben, wie sie Trends völlig verpasst haben. Was ganz unterschiedliche Gründe hat, die auch benannt werden. Aber die Kardinäle zogen halt mit der Zeitung unter dem Arm ins Konklave und wussten, wer hoch gehandelt wurde.
„Es wird Kardinal Scola“
Also schrieben sie alle, der damalige Erzbischof von Mailand, Kardinal Scola, würde es werden. Ich erinnere mich sehr gut: noch als der weiße Rauch schon aus dem Schornstein quoll, gab es im deutschen TV einen gerne gesendeten Papsterklärer, der behauptete, es sei völlig klar dass es Scola würde. Weil eben alle nur italienische Blätter lasen.
Ein Thema, das sich zu den zwei roten Fäden gesellt, ist das der Reform des Vatikan. Das war das große Thema unter den Wählern. Lesend habe ich mich hier beim Kopfnicken ertappt, meine Erinnerung und meine eigenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit sprechen dieselbe Sprache.
Sie merken, ich halte das für ein gutes Buch. Ein Buch, dass jetzt – einige Jahre nach der Wahl – noch einmal Revue passieren lässt, was genau im Einzelnen damals passiert ist. Wer die Player waren, wer wie viele Stimmen bekommen hat, wer früh schon für wen oder gegen wen war. Aber das alles eben auf journalistische, fast schon dokumentarische Art und so gar nicht auf Skandal aus.
Wie gesagt, die Wirklichkeit ist spannend und interessant genug, da braucht man keine Skandale für um das zu „verkaufen“. Und das Buch ist ein gutes Beispiel dafür.
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Gerard O’Connell: The Election of Pope Francis. An Inside Account of the Conclave That Changed History. Erschienen bei Orbis Books. Der Autor ist seit Jahrzehnten als Vatikanjournalist für verschiedene Medien unterwegs, aktuell als Korrespondent von America Media.
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Mo, 11.30 Uhr: in einer ersten Version des Textes stand, Gerard O’Connell sei US-Amerikaner. Das ist falsch, er ist Ire. Was er auch umgehend angemerkt hat, ich korrigiere das mit der angemessenen Zerknirschung.