Obdachlose, ein Gefängnis, die Armen: Papst Franziskus trifft wie bei dieser Reise in den USA immer wieder Menschen am Rande. Es ist ihm wichtig, nicht nur Staatschefs und große Mengen von begeisterten Menschen zu treffen, sondern eben auch die, die bei den anderen Treffen nicht dabei sind, wie Jesus, der dem Sünder sagt „Heute muss ich bei dir essen“.
Das Wort, dass Papst Franziskus in den kirchlichen Diskurs eingeführt hat und das seit seiner Wahl in kaum einem kirchlichen Statement fehlt, ist ‚Peripherie‘. Bei aller Wichtigkeit: In seiner Grundsatzschrift Evangelii Gaudium kommt das Wort nur zwei Mal vor. Einmal geht es um den Auftrag der Kirche, „ihn [Jesus] an anderen, noch bedürftigeren Orten zu verkünden, als auch in einem beständigen Aufbruch zu den Peripherien des eigenen Territoriums oder zu den neuen soziokulturellen Umfeldern“ (30). Und dann spricht er von der „ Bevölkerung, die an den Peripherien und in den verarmten Zonen lebt“ (63).
Aber das sind beschreibende Stellen. Genauso wie wir diese Peripherie bei den Obdachlosen erkennen können, welche der Papst an diesem Donnerstag besucht. Was genau will er aber über das Beschreibende hinaus damit sagen oder erreichen? Lesen wir beim Papst selber: „Wenn ich von Peripherie spreche, spreche ich von Grenzen.“ So hat Papst Franziskus selber das in einem Interview beschrieben. „Normalerweise bewegen wir uns in Räumen, die wir auf irgendeine Weise kontrollieren. Das ist das Zentrum. Aber so wir aus der Mitter heraus gehen, entdecken wir noch mehr Dinge. Und wenn wir das Zentrum von diesen neuen Dingen er sehen die wir entdeckt haben, von unseren neuen Orten, von dieser Peripherie, dann sehen dass die Wahrheit anders ist, [„vemos que la realidad es distinta“]. Es ist eine Sache, die Wirklichkeit vom Zentrum aus zu sehen und eine andere Sache, sie vom letzten Ort her zu sehen, an den ihr kommt.“
Weg von der Kontrolle
Das ist also erst einmal eine Frage der Macht, der Kontrolle, der Gewöhnung. Der Geist der Welt will uns dort halten, im Komfort, in dem, das wir gewohnt sind. Zweitens ist es eine Frage der Perspektive. Es ist kein sich hinablehnen in eine Realität, die nicht meine ist, um der etwas Gutes zu tun. Es ist keine paternalistische Geste. Es heißt, eine andere Wirklichkeit anzunehmen und dort hinzugehen, von wo aus man diese Perspektive aus bekommt. Das Beispiel des Papstes: Ferdinand Magellan [Fernão de Magalhães], der als erstes mit drei Schiffen den Südamerikanischen Kontinent umsegelte: „Ein Beispiel. Europa, von Madrid des 16. Jahrhunderts aus gesehen war eine Sache. Aber als Magellan zum Ende des amerikanischen Kontinent gelangte und von dort aus nach Europa blickte, war das von da aus eine andere Sache.“ Das Beispiel physischer Distanz, die dann auch Wichtigkeiten relativiert, ist wahrscheinlich das eingängigste, weswegen der Papst das auch wählt. Und dann fährt er in dem Interview fort: „Man sieht die Wirklichkeit besser von der Peripherie als vom Zentrum her“. Man werde reicher, schließt der Papst den Satz.
Hier ist noch einmal ein neues Element: man sieht nicht nur anders, sondern auch ‚besser‘. Damit bekommt wird die Perspektive noch einmal eine stärkere Bedeutung. Die Kontrolle der eigenen Räume aufgeben ist also besser, auch wenn man dann diese Kontrolle verliert. Das ist das berühmte Prinzip dass es besser ist, Prozesse zu beginnen (loszugehen, aufzubrechen, ohne die Kontrolle über das Ende jetzt schon zu haben), als Räume zu besetzen. Auch das findet sich in EG.
Dass das nicht einfach ist, versteht sich von selbst. Niemand gibt gerne die Kontrolle ab, und damit die Sicherheit, die Kalkulierbarkeit, die Klarheit. Aber es muss sein.
Noch eine letzte Dimension: Das ist nicht nur Humanismus, menschlich. Das hat auch eine christliche Dimension. Oder besser: man kann das Christliche und den Glauben an Jesus nur so verstehen. Denn auch Jesus, der an Ostern auferstanden ist, kam aus der Peripherie, wie der Papst beim letzten Osterfest sagte. „Galiläa zählte damals zur Peripherie, und dort begann das Wirken Jesu“, so der Papst.
Zu den Peripherien unserer Welt gehen heißt also nicht, denen da etwas Gutes zu tun, es heißt Jesus Christus zu suchen, ihm zu begegnen.
Der Papst geht an die Peripherie und das ist gut so, weil er manch einem die Augen öffnet und von hundert vielleicht 10 ihre Handlungsweise überdenken und 10 das dann auch wirklich tun.
Er tut es plakativ, sei es bei seinen Reisen oder am Gründonnerstag oder auch zusammen mit dem Almosenamt des Vatikans (kann man dafür nicht mal ein besseres Wort finden) oder oder oder. Er handelt anders: Er macht keinen Urlaub sondern öffnet Castel Gandolfo für die Touristen, er lässt sich nicht in einer Staatskarosse chauffieren sondern fährt in einem Fiat 500 bei Präsident Obama vor, er isst nicht mit den Prominenten sondern mit den Obdachlosen.
Und was macht Journalist Kulle gestern auf Phoenix draus – jetzt in etwa mit meinen eigenen Worten wiedergegeben – :
Das sind Showeffekte, solange seine Schäfchen ihm nicht nachfolgen, und das tun sie nicht. Und diese Showeffekte werden sich deshalb irgendwann abgenutzt haben. Seinen Schäfchen ist ganz ganz egal was er macht.
Zum Teil hat er ja damit sogar recht siehe diesen Bericht aus der SZ aus meiner eigenen Diözese, den ich jetzt allerdings nicht auf seinen Wahrheitsgehalt prüfen konnte, allerdings dürfte der Wahrheitsgehalt eher bei 99% als 90% liegen, wenn die SZ auch gerne bei kirchlichen Themen sehr überspitzt formuliert. http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ebersberg/ebersberg-kirche-will-lieber-geld-als-fluechtlinge-1.2651058
Aber da Herr Kulle von sich behauptet, sich im Vatikan gut auszukennen,
wissen wir jetzt, dass die Rede vor der UNO nicht vom Papst geschrieben wurde sondern von guten Leuten im Vatican
……
können wir also jetzt mit ihm vermuten,
dass der Papst fast alle in der Kurie gegen sich aufgebracht hat, weil er dort mit harter Hand durchregiert,
dass die Kurie ihn lieber heute wie morgen wieder los wäre,
dass es nach der Synode vermutlich in der Kirche zu einem großen Krach kommen wird, weil man sich nicht auf eine Linie hat einigen können,
dass er vielleicht nach dem Weltjugendtag in Krakau zurücktreten wird, weil er ja nicht sehr gesund ist
…….
Ich war einfach nur noch entsetzt. Ich weiß aus welcher Ecke diese Gedanken kommen, ich weiß sie einzuordnen, aber ich finde es nicht gut, dass ein öffentlichrechtlicher Sender wie Phoenix einen Journalisten „an Bord“ hat, der dazu auch noch katholischer Theologe ist, der statt sachlich zu informieren auch noch mehr „würde, hätte, etc“ in die Welt setzt.
Da kann ich nur zustimmen. Ich habe den Bericht nicht gesehen, aber das Phänomen ist mir bekannt. Es führt leider dazu, dass man dem Papst nicht zuhört. Da ist die eigene Meinung des Journalisten wichtiger als die Nachricht.
Das @Brigitta ist ein Phänomen, wie P. Hagenkord schon geschrieben hat, man hört nicht zu, weil Menschen nur das hören möchten was sie hören wollen. Ist kein neues Thema und war bei Papst Benedikt nicht anders. Den einen hat man zu „rechts“ eingestuft den anderen stuft man zu „links“ ein. Man versucht nicht einmal richtig hinzuhören. Man versucht nicht einmal zu verstehen das jeder Papst auf seine Weise versucht die Grenzen zueinander und miteinander zu verbinden sucht, jede Seite gerecht zu werden. Man hackt nur gegenseitig aufeinander herum ohne die eigenen Grenzen zu sehen. Jeder ist aufgerufen seine Grenzen, Peripherien zu suchen und zu finden und nicht nur im Vatikan oder wo auch immer sondern überall und zu jeder Zeit.
Dazu kam noch, dass ich mich während der Rede des Papstes über die Übersetzerin geärgert hatte, denn da habe ich schon bessere Simultanleistungen im Fernsehen erlebt, aber naja …. man ist ja inzwischen froh, wenn so etwas überhaupt noch übertragen wird.
Welche Übertragung war das denn? Radio Vatikan? Hatte der Papst frei gesprochen oder abgelesen?
Es war die Rede vor der UNO und wenn ich das richtig gesehen habe hat, sich der Papst ziemlich konsequent an sein Manuskript gehalten. Ich weiß nicht, auf welchen Kanal Phoenix zurückgegriffen hat, da ich aber auf den Kabelanschluss der Hausanlage angewiesen bin und mein PC-Bildschirm sehr klein ist, schaue ich wenn möglich diese Dinge über die Kanäle, die mir zur Verfügung stehen.
Man sollte halt erst kontrollieren und dann abschicken
Der Satz mit den Ärzten und der Mutter und dem Lourdeswasser ist fast wörtlich von ihm